Feo und die Wölfe (eBook)

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2017 | 1. Auflage
240 Seiten
Carlsen Verlag Gmbh
978-3-646-92981-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Feo und die Wölfe -  Katherine Rundell
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Feo und ihre Mutter leben in einer kleinen Hütte im Wald. Sie wildern Wölfe aus, die einst als Glücksbringer an die St. Petersburger Oberschicht verkauft worden waren, aber jetzt zu groß und wild geworden sind. Nun auf einmal sollen die Wölfe nicht bloß ausgewildert, sondern getötet werden. Doch Feos Mutter weigert sich und wird von General Rakow gefangen genommen. Feo kann in letzter Sekunde entkommen. Gemeinsam mit drei Wölfen, einem Wolfsjungen und einer bunt zusammengewürfelten Kindertruppe macht sie sich auf den Weg, um ihre Mutter zu retten und dem General die Stirn zu bieten.

Katherine Rundell, geboren 1987, wuchs in London, Simbabwe und Brüssel auf. Sie ist Fellow am All Souls College, Oxford. »Ein unvorstellbar unsinniges Abenteuer« ist schon ihr fünftes Buch bei Carlsen und wurde in England bereits vielfach ausgezeichnet.

Katherine Rundell, geboren 1987, wuchs in London, Simbabwe und Brüssel auf. Sie ist Fellow am All Souls College, Oxford. »Ein unvorstellbar unsinniges Abenteuer« ist schon ihr fünftes Buch bei Carlsen und wurde in England bereits vielfach ausgezeichnet.

EINS


Vor langer, langer Zeit, es ist bald hundert Jahre her, da gab es ein dunkelhaariges, ungestümes Mädchen.

Das Mädchen war Russin, und obwohl sie von Natur aus dunkle Haare und dunkle Augen und außerdem dreckige Fingernägel hatte, ließ sie ihrem stürmischen Wesen nur dann freien Lauf, wenn es gar nicht anders ging. Was allerdings ziemlich oft der Fall war.

Das Mädchen hieß Feodora.

Sie lebte in einer Blockhütte, deren Holz in den umliegenden Wäldern gefällt worden war. Zum Schutz vor dem russischen Winter waren die Wände mit Schafwolle verkleidet und in den Zimmern brannten Sturmlaternen. Feo hatte diese Laternen in allen Farben bemalt, die ihr Malkasten zu bieten hatte, und so warf das Haus rotes, grünes und gelbes Licht in den Wald. Ihre Mutter hatte das Holz der zwanzig Zentimeter dicken Tür eigenhändig gesägt und abgeschmirgelt. Feo hatte die Tür in Schneeblau gestrichen. Im Laufe der Jahre hatten die Wölfe ihre Klauenspuren darauf hinterlassen, was dabei half, ungebetene Besucher abzuschrecken.

Und alles – aber auch alles – begann mit einem Klopfen an dieser schneeblauen Tür.

»Klopfen« war allerdings nicht das passende Wort für das Geräusch, fand Feo. Eher klang es, als wollte jemand mit den Knöcheln ein Loch ins Holz hämmern.

Ein Klopfen an der Tür war die Ausnahme. Eigentlich klopfte niemand; es gab nur Feo selbst, ihre Mutter und die Wölfe. Wölfe klopfen nicht. Wenn sie reinkommen wollen, nehmen sie das Fenster, ob offen oder nicht.

Feo legte den Ski weg, den sie eingeölt hatte, und horchte. Es war noch früh am Morgen und sie war im Nachthemd. Weil sie nichts anderes fand, zog sie den von ihrer Mutter gestrickten Pullover an, der bis zur Narbe auf ihrem Knie reichte, und lief zur Haustür.

Ihre Mutter, die einen Hausmantel aus Bärenfell trug, wandte den Blick von dem Feuer ab, das sie gerade im Wohnzimmer entfacht hatte.

»Ich gehe!« Feo rannte an ihr vorbei, um die Tür zu öffnen. Sie klemmte, denn die Angeln waren vereist.

Ihre Mutter wollte sie festhalten: »Feo! Warte!«

Aber Feo hatte die Tür schon aufgerissen. Diese schwang nach innen und traf sie am Kopf, bevor sie ausweichen konnte. »Autsch!« Feo stolperte über ihre eigenen Füße. Sie stieß ein Wort aus, bei dem der Fremde, der sich an ihr vorbeidrängte, Augenbrauen und Mund verzog.

Das Gesicht des Mannes schien nur aus rechten Winkeln zu bestehen. Er hatte eine sehr lange Nase, und seine Falten, die auf ein jähzorniges Wesen hindeuteten, waren so tief, dass sie im Dunkeln Schatten warfen.

»Wo ist Marina Petrowna?« Er stürmte im Flur an Feo vorbei und zog dabei eine Spur aus Schnee hinter sich her.

Feo wollte aufstehen – und sprang sofort zurück, weil zwei weitere Männer in grauen Mänteln ihre Finger beim Hereinkommen nur um Haaresbreite mit den schwarzen Stiefeln verfehlten. »Weg da, Mädchen!« Sie schleppten einen jungen, an den Beinen aufgehängten Elch. Er war tot, sein Blut tropfte auf den Boden. Beide Männer trugen die hohe Pelzmütze der Kaiserlich Russischen Armee und hatten eine übertrieben amtliche Miene aufgesetzt.

Feo lief ihnen nach. Sie winkelte Knie und Ellbogen an, um notfalls kampfbereit zu sein.

Die zwei Soldaten ließen den Elch auf den Teppich sacken. Das Wohnzimmer war klein, und die zwei jungen Burschen waren breitschultrig und hatten Gesichter, die von einem buschigen Schnurrbart beherrscht wurden.

Aus der Nähe wirkten sie kaum älter als sechzehn; der Mann, der gegen die Tür gehämmert hatte, war jedoch alt, und seine Augen waren das Älteste an ihm. Feos Magen zog sich zusammen.

Der Mann richtete seine Worte über Feos Kopf hinweg an ihre Mutter. »Marina Petrowitsch? Ich bin General Rakow.«

»Was wollen Sie?« Marina stand mit dem Rücken gegen die Wand.

»Ich bin als General der Kaiserlich Russischen Armee für die tausendfünfhundert Werst südlich von Sankt Petersburg zuständig. Und ich bin hier, weil deine Wölfe diesen Schaden angerichtet haben«, sagte er und trat gegen den Elch. Blut spritzte auf seinen blank polierten Stiefel.

»Meine Wölfe?« Feos Mutter wirkte äußerlich gefasst, doch ihr Blick war weder entspannt noch glücklich. »Ich besitze keine Wölfe.«

»Du lässt sie dir schicken«, erwiderte Rakow, in dessen Blick eine fast unmenschliche Kälte lag. »Also bist du für sie verantwortlich.« Seine Zunge hatte durch das Rauchen einen gelben Belag.

»Nein. Nein, das stimmt nicht«, sagte Feos Mutter. »Die Wölfe werden mir von Leuten geschickt, die sie nicht mehr haben wollen – von Adeligen und Reichen. Wir wildern sie aus, mehr nicht. Wölfe gehören niemandem.«

»Lügen helfen dir auch nicht weiter, gute Frau.«

»Aber ich …«

»Ich sehe deine Tochter manchmal mit drei Wölfen. Und da behauptest du, diese Raubtiere gehören dir nicht?«

»Nein, natürlich nicht!«, ging Feo dazwischen. »Sie sind …« Doch ihre Mutter schüttelte heftig den Kopf und befahl Feo mit einem Wink, still zu sein. Also biss Feo auf ihre Haare und klemmte sich die Fäuste unter die Achseln.

Ihre Mutter antwortete: »Die Wölfe sind nicht unser Eigentum. Sie gehören uns nur in dem Sinn, wie ich zu meiner Tochter gehöre und umgekehrt. Sie sind Feos Gefährten, nicht ihre Haustiere. Und dieser Biss stammt weder von Schwarzpelz noch von Weißpelz oder Graupelz.«

»Ja. Die Bissspuren«, sagte Feo mit einem Blick auf den Elch, »stammen von einem viel kleineren Wolf.«

»Wenn ihr glaubt, dass ich Ausflüchte hören will«, sagte Rakow, »liegt ihr falsch.« Seine Stimme klang immer weniger amtlich: lauter, schneidender.

Feo versuchte ihren Atem zu beruhigen. Sie sah, dass die beiden jungen Burschen ihre Mutter anstarrten; einem von beiden stand der Mund offen. Marina hatte breite Schultern, ausladende Hüften und einen kräftigen Rücken; ihre Muskeln waren eigentlich typisch für Männer oder, wie Feo dachte, für Wölfe. Doch ihr Gesicht ähnelte, wie ein Gast einmal bemerkt hatte, dem einer Schneeleopardin oder einer Heiligen. »Ihre Züge«, hatte der Gast gesagt, »haben etwas von einer Göttin.« Feo hatte ihren Stolz auf diese Worte damals verborgen.

Rakow schien gegen die Schönheit ihrer Mutter immun zu sein. »Mir wurde befohlen Schadensersatz für den Zar einzutreiben. Du schuldest deinem Zaren hundert Rubel. Und versuch erst gar keine Spielchen!«

»Ich besitze keine hundert Rubel.«

Rakow schlug mit der Faust gegen die Wand. Das Holz erbebte. Für einen so alten, verschrumpelten Mann war er verblüffend stark. »Ich will keine Einwände oder Ausflüchte hören, Weib! Man hat mich geschickt, um an diesem gottverlassenen Ort für Gehorsam zu sorgen, und sei es mit Gewalt.« Er senkte den Blick auf seinen blutbespritzten Stiefel. »Der Zar belohnt den Erfolg.« Er trat so plötzlich und heftig gegen den Elch, dass dessen Beine hin und her flogen. Feo entwich ein entsetztes Zischen.

»Du!« Rakow ging quer durch das Zimmer und beugte sich so tief über Feo, dass sein zerfurchtes und nikotingelbes Gesicht nur Zentimeter von ihrer Nase entfernt war. »Hätte ich ein Kind mit einer so frechen Visage, dann würde ich es grün und blau schlagen. Bleib hier sitzen. Ich will dich nicht mehr sehen.« Als er Feo zurückstieß, verfing sich das um seinen Hals hängende Kreuz in ihren Haaren. Er riss es wütend an sich und ging durch die Tür in den Flur. Die Soldaten folgten ihm. Marina wies Feo an, sich nicht vom Fleck zu rühren – mit derselben Geste, die sie für die Wölfe benutzten –, und rannte den Männern nach.

Feo stand in der Tür und wartete darauf, dass das Summen in ihren Ohren abflaute; dann hörte sie einen Schrei und ein Krachen, als würde etwas zerbrechen. Sie rannte los, schlitterte auf ihren Socken durch den Flur.

Die Soldaten drängten sich in Feos Schlafzimmer, erfüllten es mit ihrem Gestank. Ihre Mutter war nicht da. Feo zuckte zurück – es stank nach Rauch und Schweiß und Bärten, die seit einem Jahr nicht mehr gewaschen worden waren. Einer der Soldaten hatte einen so starken Unterbiss, dass er nach seiner eigenen Nase hätte schnappen können.

»Nur Plunder«, sagte einer der beiden. Sein Blick glitt über die Tagesdecke aus Rentierfell, die Sturmlaterne und blieb dann an den Skiern hängen, die neben dem Kamin standen. Feo flitzte los und stellte sich schützend davor.

»Die gehören mir!«, sagte sie. »Der Zar hat kein Recht darauf. Ich habe sie selbst gebaut.« Sie hatte für jeden Ski einen Monat gebraucht, hatte sie jeden Abend abgeschmirgelt und mit Fett eingerieben, um sie zu glätten. Feo packte einen der Skier wie einen Speer mit beiden Händen. Sie hoffte, dass man ihr nicht ansah, wie nahe sie den Tränen war. »Kommt ja nicht näher.«

Rakow lächelte, aber nicht gütig. Er nahm Feos Laterne und hielt sie ins Morgenlicht. Feo wollte danach greifen.

»Halt!«, sagte Marina. Sie stand in der Tür und hatte einen frischen Bluterguss auf der Wange. »Merkt ihr denn nicht, dass ihr im Zimmer meiner Tochter seid?«

Die jungen Männer lachten. Rakow stimmte nicht ein, sondern starrte die beiden nur an, bis sie erröteten und verstummten. Er ging zu Feos Mutter, betrachtete den Bluterguss auf ihrer Wange. Er beugte sich vor, bis seine gelbe Nasenspitze ihre Haut berührte, und schnupperte. Marina stand stocksteif da und kniff die Lippen zusammen. Dann brummte Rakow und schleuderte die Laterne gegen die Decke.

»Verdammt!«, schrie Feo und duckte sich, weil Scherben...

Erscheint lt. Verlag 29.9.2017
Übersetzer Henning Ahrens
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Kinderbücher bis 11 Jahre
Schlagworte Abenteuer • Carlsen • Kinderbuchklassiker • Mut • Natur • Philip Pullman • poetisch • spannend • Suche nach der Mutter • Tierfreundschaft • Tiergeschichte • warmherzig • Wildnis • Wölfe • Wolfsrudel
ISBN-10 3-646-92981-2 / 3646929812
ISBN-13 978-3-646-92981-2 / 9783646929812
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