Liebe zukünftige Lieblingsfrau (eBook)

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2017 | 1. Auflage
208 Seiten
Kein & Aber (Verlag)
978-3-0369-9373-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Liebe zukünftige Lieblingsfrau -  Michalis Pantelouris
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Nach zehn Jahren Ehe muss Michalis Pantelouris beziehungsmäßig wieder ganz von vorn anfangen: Seine Frau hat ihn verlassen. Auf der Suche nach einer nächsten Liebe seines Lebens wird ihm schnell klar, dass ihm die Rituale des Datens fremd geworden sind. Das letzte Mal hatte er kein gebrochenes Herz, und auch sonst ist heute vieles anders. Er beginnt, seine Sehnsüchte, Rückschläge und Unsicherheiten in außergewöhnlich ehrlichen Briefen an seine zukünftige Lieblingsfrau aufzuschreiben. Doch als diese Briefe als Kolumne erscheinen, steht seine Welt endgültig kopf.

Michalis Pantelouris, Jahrgang 1974, schreibt als Journalist und Autor unter anderem für das SZ-Magazin und Emotion. Seine Kolumne »Liebe zukünftige Lieblingsfrau« für das SZ-Magazin war ein riesiger Erfolg. Er lebt – jede zweite Woche mit seinen Töchtern Nummer eins und Nummer zwei, immer mit Katze Hummel und Kater Willy Brandt – in Hamburg.

1

Katzen starren auf Türen. Das ist kein Indiz dafür, dass sie hindurchgehen wollen. Aber das weiß Herr Baris nicht, der im dritten Stock wohnt und an der Tür klopft, wenn er im Vorbeigehen Willy auf meiner Fußmatte sitzen sieht, morgens um Viertel nach sieben. »Guten Morgen, lieber Nachbar«, sagt er, als ich öffne, und zeigt auf den Kater. »Die Katze will rein. Geht es dir gut?« Er lacht mit dem ganzen Gesicht, eigentlich mit dem ganzen Körper, sein Bauch zittert ein bisschen, so sehr freut er sich, mich zu sehen. »Im Rahmen meiner Möglichkeiten gut, ja«, antworte ich. Was ich immer sage, wenn mich jemand fragt, von dem ich annehme, dass er nicht wirklich etwas hören will, sondern etwas erzählen. »Nicht vergessen«, sagt Herr Baris, »du bist ein König! Du bist frei!« Er freut sich jedes Mal, wenn er mir diese Botschaft überbringen kann. Ich blicke hinunter zu Willy, der noch auf der Fußmatte sitzt und keinerlei Anstalten macht, in die Wohnung zu kommen. Sein Blick ist das Graubrot unter den Blicken. Völlig teilnahmslos. Ich habe Graubrot stets dafür bewundert, dass es sich nicht einmal die Mühe macht, wenigstens unter Broten irgendetwas darzustellen. Von Willy kann ich keine Reaktion erwarten. Aber ich weiß, was als Nächstes kommt. »Nur eins musst du dir merken«, beginnt Herr Baris, und ich beende seinen Satz für ihn. »Keine Frau mehr«, sage ich, und er ist begeistert, wie gut ich gelernt habe. »Ja«, ruft er freudestrahlend, »nicht mehr heiraten, und natürlich keine Kinder. Du bist jetzt frei! Guck mich an!« Herr Baris ist Witwer, seine Frau ist vor zwei Jahren gestorben, und wenn man nicht wie ich gesehen hat, wie liebevoll er sie jahrelang gepflegt hat, könnte das hier alles ein bisschen geschmacklos sein, aber er hat sich die Freiheit ehrlich verdient. »Ja«, sage ich, »merk ich mir.« Was ein weiteres Zittern durch seinen Bauch jagt, und durch meinen Kopf schießt der Gedanke, dass ich vielleicht lieber Witwer wäre, als einfach nur verlassen worden zu sein, ein Gedanke, der so böse ist, dass ich mich gleich dafür schäme, ihn überhaupt denken zu können. In den Eingeweiden der Wohnung fragt Tochter Nummer zwei laut nach, ob ich ihr Schulbrot schon eingepackt habe. Habe ich nicht, und es sind auch noch zehn Minuten Zeit. »Geht es dir denn gut«, frage ich Herrn Baris, um nicht in meinen eigenen Gedanken herumzutaumeln, und er breitet als erste Antwort seine Arme aus in einer Geste von Guck-mich-doch-an. »Alles gut«, ruft er, »ich bin ein König! Ich bin frei!«

»Was sagt der Arzt?«, präzisiere ich, weil mir dieser unbekannte Experte eine bessere Quelle zu sein scheint als der manische Freiheitskämpfer mit dem wackelnden Bauch in meinem Flur, und auch, damit er aufhört, so gut gelaunt zu sein um diese Zeit. »Ach«, lacht er, »was Ärzte sagen. Blablabla Cholesterin.« Er winkt mit weit ausgebreiteten Armen ab. Der kleine Teil von mir, der ihn nicht aus Sorge um seine Gesundheit nach dem Arzt gefragt hat, sondern, um das Grinsen von seinem Gesicht zu fegen, zuckt in einem letzten Aufbäumen sterbend zusammen. Ich wünschte, ich könnte auch irgendwann einmal mit ausgestreckten Armen reden. Wer macht so etwas? Es ist die unnatürlichste Sprechhaltung, die es gibt, wenn man nicht gerade Priester ist oder Zauberkünstler. Aber Herr Baris mit seinen mehr als achtzig Jahren, dem blablabla-cholesteringeblähten Bauch unter einem Pullover von 1971 und dem Grinsen auf dem Gesicht, das man satten Katzen nachsagt, jedenfalls wenn man keine Ahnung von Katzen hat, der hält die Arme immer noch weit ausgestreckt, bereit für alles, womit das Leben auf ihn werfen will. Den Kopf voller Freiheit.

In diesem Moment erhebt sich Willy betont gelangweilt von unserer Unterhaltung und streicht an meinem Bein entlang in die Wohnung. Ich mache eine vage angedeutete Geste der Katze hinterher. »Ich muss mal ran«, sage ich, »viel zu tun«, und gleichzeitig wird mir bewusst, wie absurd das klingt von mir, einem Typen, der in Schlafanzughose mit wirrem Haar im Hausflur steht und aussieht, als wäre er evakuiert worden. Wenn Herr Baris von unseren Treffen erzählt, bin wahrscheinlich ich der Verrückte. Und da durchzuckt es mich: Er will nicht reden, jedenfalls nicht nur. Er kümmert sich. Um mich. Er macht sich Sorgen. Weil er mich mag und ich sein Nachbar bin, und weil ich offensichtlich den Eindruck erwecke, man müsse sich Sorgen um mich machen. Ich spüre, dass mir gleich Tränen in die Augen schießen, deshalb mache ich einen Schritt vor und umarme ihn. Für eine Sekunde oder drei steht er verdutzt da, die Arme ausgebreitet, stocksteif, dann legt er sie langsam um mich und tätschelt mir den Rücken. »Du bist ein guter Junge«, sagt er. »Du hast dein ganzes Leben noch vor dir. Aber immer dran denken …« Ich nicke. »Nie mehr heiraten«, flüstere ich, und er sieht mich stolz lächelnd an. »Genau«, sagt er, »und vor allem keine Kinder.«

Nummer eins drängt sich an mir vorbei in den Flur und wirft uns den Blick zu, den man für die ganz peinlichen Momente reserviert, also praktisch für alles, was die Eltern machen, während man selbst zwischen dreizehn und siebzehn Jahren alt ist. Ihre Beine sind wie die eines Rehs, und im Verhältnis dazu sind die Adidas Superstar an ihren Füßen groß wie die Betonklötze, welche die Mafia angeblich denen anhängt, die bei der Polizei aussagen. »Papa, ich geh jetzt los.« Ich lasse Herrn Baris los und umarme sie. Sie hält mir die Stirn hin, damit ich sie küssen kann. Nummer eins küsst selbst nicht, jedenfalls niemand Alten, doch sie erlaubt mir immer noch, sie auf die Stirn zu küssen, und ich werde jede Gelegenheit wahrnehmen, die ich noch habe, bevor die Tür ganz zugeht. Sie wird bald vierzehn, und ich fürchte mich vor dem Tag.

Willy sitzt neben seiner Futterschale in der Küche, und anders als das Anstarren von Türen ist das Anstarren von Futterschalen bei Katzen ein klares Indiz. Er hat Hunger. Und ich habe bis heute keine Ahnung, was er wirklich gerne frisst. Ich lebe mit zwei Töchtern, jedenfalls jede zweite Woche, und durchgehend mit zwei Katzen, und alle vier haben schwer durchschaubare Systeme entwickelt, bestimmte Nahrungsmittel abzulehnen. Ich beschwere mich nicht darüber, ich bin selbst genauso. Ich mag zum Beispiel nichts mit Rosinen, aber ich mag Rosinen. Das kann man niemandem erklären. Aber Willy, der mit vollem Namen Willy Brandt heißt, und Hummel, die kleine Kriegerin, haben es perfektioniert. Immer wenn ich denke, das Nass- oder Trockenfutter gefunden zu haben, das sie lieben, verweigern sie es plötzlich, bis an den Rand des Hungerstreiks, lecken nur das Gelee aus dem Dosenfutter oder beschweren sich laut maunzend. Und das sind die einfacheren Mitbewohner. Tochter Nummer eins ist in der Pubertät und ernährt sich phasenweise nur von Nutella-Toast und irgendwas aus dem Automaten im Reitstall, Nummer zwei ist Vegetarierin, hat aber etwas gegen Gemüse und mag nichts, was sich im Mund komisch anfühlt. Für die Schulpause wünscht sie sich ein Brot mit Frischkäse und bringt es an drei von fünf Tagen ungegessen wieder mit. Leider kann ich nicht vorhersagen, welche Tage das sind, sonst würde ich ihr an den Tagen einfach eine Packung Zigaretten in die Brotdose packen und mich heimlich den ganzen Tag freuen, dass nur ich davon weiß, so wie die Lehrlinge bei Prince Charles’ Schneider angeblich Penisse in das Innenfutter seiner Anzüge malen. In Wahrheit ist mein einziges Geheimnis, wie improvisiert das alles schon seit Monaten ist. Jedenfalls hoffe ich, dass es nicht jeder bemerkt. Ich bin die Hälfte der Zeit alleinerziehender Vater und fand es zu zweit schon schwierig genug. Die Wohnung, in der wir wohnen, ist immer noch die, in der wir zehn Jahre zusammen gewohnt haben. Nummer zwei kannte gar kein anderes Zuhause, bis ihre Mutter ausgezogen ist und die Kinder nun zwischen zweien wöchentlich wechseln. Ich habe monatelang versucht, alles genau so zu machen, wie meine Frau es gemacht hat, bis ich am Rande eines Nervenzusammenbruchs war und meine beste Freundin Ali mein Gesicht gepackt und mich fast angeschrien hat: »Vergiss die Blumen! Die sind scheißegal. Es haben sich Dinge geändert, und das wissen deine Kinder. Dann ist es eben ein bisschen rumpelig. Konzentrier dich auf das, was wichtig ist.«

Nummer zwei geht mit optimistischem Schwung in ihrem Schritt los, jeden Morgen, mit dem riesigen Ranzen auf dem Rücken. »Denk dran«, sage ich beim Abschied, »heute gehst du nach der Schule zu Mama.« Sie drückt mich. »Ich hab dich lieb, Papa«, sagt sie, und auch das ist neu. Sie sagt es erst, seitdem wieder ein bisschen Ruhe eingekehrt ist nach der Explosion. Seitdem alles wenigstens oberflächlich den Eindruck macht, als könne es jetzt so weitergehen, ohne dass der Schaden immer größer wird. »Ich hab dich auch lieb, Mausebacke«, sage ich. Einmal drückt sie mich noch, dann wendet sie sich abrupt ab und verschwindet in den Hausflur.

In einer Stunde muss ich zum Flughafen und hatte noch keinen Kaffee, weil die alte Espressomaschine endgültig aufgegeben hat. Vor fast zwanzig Jahren habe ich sie gebraucht gekauft, und irgendwann musste ich lernen, die Dichtungen selbst zu wechseln, weil der Mensch, zu dem ich sie zur Wartung gebracht hatte, sich plötzlich geweigert hat. »Du stellst mit Vorkriegstechnologie unter Lebensgefahr zwei Espressi her, bevor sie wieder aufheizen muss«, hat er geschimpft, »es ist Zeit für etwas Neues.« Seitdem habe ich die Wartung selbst gemacht, und ich hing an dem Ding, bis letzte Woche trotz neuer Dichtungen heißes Wasser herauslief. Sie funktioniert nicht mehr, das musste selbst ich einsehen, gegen meinen Willen. Vielleicht trenne ich mich einfach schwer. Das Ergebnis ist jedenfalls, dass ich gar keine Maschine mehr habe und jetzt Vor-Vorkriegstechnik...

Erscheint lt. Verlag 27.9.2017
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Beziehung • Dating • Ehe • Facebook • Feminismus • Kolumne • Küssen • Liebe • Lieblinsgfrau • Reden • Roman • Sachbuch • Scheidung • tinder • Unsicherheiten
ISBN-10 3-0369-9373-8 / 3036993738
ISBN-13 978-3-0369-9373-7 / 9783036993737
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