Ildathach. Jenseits des Vergessens. (eBook)
480 Seiten
familia Verlag
978-3-96131-054-8 (ISBN)
2013: Romandebüt 'Die Prophezeiung' der Trilogie 'Die Wächter von Avalon' 2014: 'Der Fluch des Suadus', 2015: 'Die Legende von Ýr' 2017: 'Ildathach. Jenseits des Vergessens' Amanda Koch widmet sich der Leseförderung von Kindern und Jugendlichen und ist ehrenamtliche Lesepatin. Sie ist zudem Autorin verschiedener Kinderbücher und fantastischer Erzählungen.
Amanda Koch Ihr Debütroman „Die Prophezeiung“ erschien als erster Band der Trilogie „Die Wächter von Avalon“ und erhielt den Indie-Award „best Independent Publisher“. 2014 und 2015 folgten Band 2 und 3 sowie 2017 die fantastische Erzählung „Das Amulett der goldenen Flammen“. 2017 wurde der Roman „Ildathach. Jenseits des Vergessens.“ veröffentlicht. In all ihren Romanen und Geschichten hinterfragt die Autorin das Leben. Sie unterrichtet Yoga und widmet sich außerdem der Leseförderung von Kindern und Jugendlichen. Als ehrenamtliche Lesepatin unterstützt sie verschiedene Hilfsprojekte für Familien. Amanda Koch ist verheiratet und hat drei Kinder.
Für den Augenblick trug mich eine vage Hoffnung. Davonzulaufen war meine Art, der Wahrheit zu entfliehen. Daher rannte ich los, stolperte die Stufen hinab ins Foyer und warf die schwere Holztür hinter mir ins Schloss. Ich eilte davon, die lange Auffahrt hinunter. Der Kies knirschte laut unter meinen Schritten, als wollte er mich aufhalten, mir sagen, dass es diesmal an der Zeit war, der Wirklichkeit zu begegnen. Doch das konnte ich nicht.
Ich rannte über die schmale Straße und anschließend den steinigen Klippenpfad entlang, nur um diesem noch nie gefühlten Schmerz in meinem Inneren zu entkommen.
Beinahe schwebte ich über die Steine. Meine Flucht weckte ungeahnte Kräfte in mir. Meine Füße und Beine taten einfach das, was ihnen die Hoffnung in meinem Kopf befahl. Sie schafften mich fort.
Doch der raue Wind der Irischen See trug die Worte meines Vaters hinter mir her, die er erst vor wenigen Augenblicken mit gebrochener Stimme an mich gerichtet hatte. Jene Worte, die mich ihn einfach im unteren Bibliotheksgeschoss unseres Hauses hatten stehen lassen.
Deine Mutter ist gestorben.
Die finstere Wahrheit folgte mir bis an die Klippen. Doch nicht einmal hier konnte ich ihr entkommen. Denn kalt kroch sie aus meinem Inneren empor: Ich war allein. Und damit riss Mutters Tod die Vergangenheit zu einer kalt klaffenden Wunde auf.
Ich schnaufte, wurde langsamer und sah mich um. Calf lag in einem Dunstschleier, als wollte die Irische See mir den Blick auf die Nachbarinsel verwehren und mir auf diese Weise helfen zu vergessen. Fest kniff ich die Augen zusammen. Doch die Erinnerung an die Gestalt aus grauem Nebel ließ sich nicht vertreiben. Nie zuvor hatte ich solch eine Kälte im Nebel gespürt. Und als wäre ich nicht hier auf Man, sondern wieder wie damals auf Calf, griff ein langer Arm aus Nebel nach mir.
Keuchend schnappte ich nach Luft und blickte über die hügeligen Klippen des südwestlichsten Zipfels der Isle of Man.
Das ist Vergangenheit. Und noch dazu auf einer anderen Insel geschehen.
Die Gischt spritzte in mein Gesicht, und ich schmeckte den beruhigenden salzigen Odem der Irischen See. Der Tod aber, der mir meine Mutter gestohlen hatte, besaß scharfe Krallen, die nach mir griffen. Sie glichen auf sondersame Weise dem langen Arm der geisterhaften Nebelgestalt, kratzten über meine Haut, scharrten sich in meine Brust und gruben sich in sie hinein, um mich erneut und tiefer in diese alte fremde Kälte zu bannen. Mutters Tod fühlte sich wie eine vernichtende Umarmung an, die das erneuerte, was damals in mir geschehen war: Sie erweckte den eisigen Atem des Nebels zu neuem Leben.
Mein Herz schlug wild, als wollte es sich mit jedem Schlag aus der eisigen Kälte befreien. Ein Zittern ergriff meine Beine. Meine Hände wurden feucht. Die Gegenwart des Todes lähmte mich, und die Vergangenheit hielt mich fester denn je in ihrem Griff. Schon glaubte ich das triumphierende Lachen der Nebelgestalt wieder zu hören, das von Calf zu mir herüberwehte. Es ließ mir das Blut in den Adern gefrieren, und resigniert sank ich auf die Knie. Das grauschwarze Felsgestein unter mir war sonnenwarm. Doch gab es mir nur noch wenig Halt in dieser Welt, in der ich mich nun vollkommen verlassen fühlte. War das meine Strafe dafür, dass ich versucht hatte ihre eisige Macht zu ignorieren?
Es war, als ob mein Leben vollends zerbrach. Wie ein Spiegel barst mein Inneres und zersprang in tausend und abertausend Stücke. Denn auch als Tochter einer Frau, die den alten Mythen stets mehr Beachtung geschenkt hatte als dem Leben, war ich den Geheimnissen hinter den Grenzen unserer Welt dennoch niemals gewachsen. Ich zitterte. Vor Erschöpfung. Vor kalter Trauer. Und vor Angst.
Mit klammen Fingern zog ich die wollene Jacke enger um meine Schultern und schlug verzweifelt die dicke Kapuze hoch. Doch frühlingskalt kroch der Wind die Klippen herauf und ließ mich noch stärker frieren.
Welle für Welle zerschellte an den schroffen Felsen. Ich hörte das Peitschen der Brandung, Spritzer der Gischt benetzten meine Wangen. Jeden einzelnen Tropfen spürte ich. Und doch war die Magie der Irischen See machtlos gegen die Kälte in mir, und auch den Schmerz des Todes konnte sie nicht lindern. Kaum noch hörte ich das Rauschen des Ozeans, während im Kummer die Erinnerungen an meine Mutter mehr und mehr verblichen. Ihr Lachen verklang. Ihre Stimme verstummte in meinem Gedächtnis, und das letzte Licht erlosch in ihren strahlenden Augen. Der Geruch von Sandelholz entwich ihrem langen Haar, und selbst die Worte einer uralten Legende zerschellten in meinem Schmerz.
Erst das tiefe, kehlige Krächzen eines Raben ließ mich aufschrecken. Ich rieb mir die Augen und fuhr mir mit kalten Fingern über meine Stirn. Doch bis auf die eine Gewissheit blieb mein Geist leer: In mir lebte die eisige Kälte einer mystischen Nebelgestalt, der allein ich ausgeliefert war und von der nur die alten Geschichten erzählten.
Wütend ballte ich die Hände zu Fäusten, fühlte die Nägel brennend in meine Haut dringen, und hörte plötzlich einen lauten Schrei, der getränkt mit der Trauer des Verlustes über die Klippen hinaus auf das Meer hallte, wo er in den unendlichen Wellen versank.
Meine Kehle war rau und noch im selben Augenblick wurde mir bewusst, dass ich es selbst gewesen war, die soeben voller Schmerz die Welten angeschrien hatte. Doch mein Schrei erstarb über dem weiten Ozean, und nicht eine einzige helfende Antwort kam zurück. Nicht einmal mein Rabenwolf war bei mir. Nur eine einzelne Windböe erfasste mein Haar und rüttelte an mir, doch es half nichts.
Und niemals wirst du der Kälte in dir entkommen. Das waren die Worte der Nebelgestalt gewesen, und sie hielten mich zusammen mit der Kälte fest im Griff.
Ohne auch nur eine einzige Träne weinen zu können, verlor ich mich in den Splittern meines zerbrochenen Lebens. Die Trauer legte sich um mich wie ein Bach, der zu einem reißenden Strom wurde, und ich sah nichts als die unverstandenen Erlebnisse von Calf vor meinem inneren Auge, als wäre das alles erst gestern geschehen: Ich hatte damals versucht wegzulaufen. Weg vom Cottage, das mir unheimlich geworden war. Weit jedoch hatten mich meine Füße im steinigen Sand nicht getragen. Denn was ich dann sehen und fühlen musste, hatte mich zu sehr geschwächt – jene seltsam hochgewachsene, in graue Nebelschwaden gehüllte Gestalt hatte mich in ihrer Eiseskälte beinahe erfrieren lassen. Sie hatte nach mir gegriffen, mich festgehalten, und während sie ihren Mund zu einem stummen Schrei aufriss, hatte ich immer weniger atmen können. Mehr und mehr meiner Luft hatte sie mir aus der Lunge gesogen, bis mir schwindlig geworden war und der Boden unter mir zu schwanken begonnen hatte. Erschrocken hatte ich in ein Gesicht ohne Augen geblickt und das Bewusstsein verloren.
Ratlos und verwirrt, noch immer auf dem Gestein kniend, starrte ich nun auf das rastlose Meer. In seinem wogenden Auf und Ab schien es, als wollten die Wellen den silbern funkelnden Streifen, der mit der langsam sinkenden Sonne allmählich breiter wurde, aufsaugen. Die Tropfen der Gischt rannen über mein Gesicht. Doch vergeblich suchte ich nach der besonderen Kraft der Irischen See. Heute schien der Tod selbst ihre Macht zu bannen, eine Macht, die nur die alten Mythen kannten.
Nicht, dass ich die Geschichten über magische Meereswesen glaubte. Das waren Märchen, nichts weiter. Aber der raue Wind, den angeblich die Götter selbst beschworen, hatte für mich schon immer seinen eigenen Zauber gehabt. Er war der Atem der See, und er hatte mir oft schon dabei geholfen, mit den unerklärlichen Geschehnissen der Vergangenheit zu leben. Zwar war auch er machtlos gegenüber der Kälte in mir, doch er schaffte es Tag für Tag, dass ich atmete und überlebte und nicht in dem Gefühl eisiger Einsamkeit ertrank.
Calf war noch immer nur schemenhaft zu erkennen. Die Insel, die ich seit dem Tag der sonderbaren Atemnot nicht wieder betreten hatte, blieb verschleiert. Und ausgerechnet dort war Mutter gestorben. In ihrem Cottage.
Ein Schauder aus meinem Inneren ließ mich frieren. Meinem Vater war ihr Tod ein Rätsel. Gab es noch mehr Geheimnisse, die diese Insel hütete? Und hatten sie etwas mit Mutters Tod zu tun? Waren die Mythen vielleicht gar doch mehr als nur Märchen?
Es war sinnlos, auf diese Weise nach Erklärungen zu suchen. Jene alten Geschichten erzählten lediglich von Dingen und Wesen, die nicht real waren. Ebenso wenig existierte eine Anderswelt. Oft genug hatte mein Vater mir das erklärt.
Dennoch. Die Kälte in mir war da, und sie war fraglos real. Die Nebelgestalt überschattete mein Leben, seit ich ihr begegnet war. Dennoch hatte ich – vielleicht aus Angst – nie nach Antworten auf meine Fragen gesucht. Weder bei meiner Mutter noch in den alten Geschichten. Denn nichts hatte ich mehr gewollt, als diesen Tag zu vergessen.
Nun aber verstand ich: Es war unmöglich. Weder das Verdrängen noch der Atem der Irischen See hatten die Kälte aus mir verbannen können. Wie aber sollte ich jetzt, nach Mutters Tod, diese Vergangenheit verstehen, der ich mich bisher nicht gestellt hatte?
Wieder rüttelte der Wind an mir. Ich fror. Meine Finger waren eiskalt, beinahe empfindungslos, und damit ließ mich ein Gedanke erschrocken zusammenfahren.
Lebte meine Gabe noch in mir?
Ich kroch zu einem Moosblatt. Bei jeder Bewegung schmerzten meine Knie. Doch ich ließ meine kalten Fingerspitzen über das hellgrüne kammähnliche Blatt gleiten, und als ich nichts als Stille vernahm, war es wie ein Schlag ins Gesicht. Wieder fasste ich...
Erscheint lt. Verlag | 31.8.2017 |
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Reihe/Serie | fehu Fantasy |
Verlagsort | Leipzig |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | Anderswelt • Angst • Fantasy • Götter • Kelten • keltisch • Keltische Mythologie • Leben • Legende • Magie • magisch • Mythologie • Mythos • Schleier des Vergessens • Sinn • Tod • Trauer • Wiedergeburt |
ISBN-10 | 3-96131-054-8 / 3961310548 |
ISBN-13 | 978-3-96131-054-8 / 9783961310548 |
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