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Drei Tage und ein Leben (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
270 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-10876-7 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
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Der neue Bestseller des Goncourt-Preisträgers Pierre Lemaitre »Innerhalb weniger Minuten hat sein Leben die Richtung geändert. Er ist ein Mörder. Doch die beiden Bilder passen nicht zusammen, man kann nicht zwölf Jahre alt und ein Mörder sein.« Ende Dezember 1999 verschwindet im französischen Ort Beauval ein sechsjähriger Junge. Eine großangelegte Suchaktion wird gestartet, Nachbarn und Freunde durchkämmen den angrenzenden Wald nach Spuren des vermissten Rémi. Doch am dritten Tag fegt ein Jahrhundertsturm über das kleine Dorf hinweg und zwingt die Einwohner von Beauval zurück in ihre Häuser. Während dieser drei Tage bangt der zwölfjährige Antoine darum, entdeckt zu werden. Denn nur er weiß, was an jenem Tag wirklich geschah. Und nur er könnte davon erzählen. Mit großer Sensibilität spürt Pierre Lemaitre dem grausamen Schicksal seines jungen Protagonisten nach und stellt die Frage, wie es sich mit einer lebenslangen Schuld leben lässt. »Mit seinem ausgeprägten Gespür für Tempo und Gefühl rollt Pierre Lemaitre den Schicksalsfaden einer Tragödie ab.« LIRE

Pierre Lemaitre, 1951 in Paris geboren, ist Autor mehrerer preisgekrönter Romane und Kriminalromane. Sein 2014 erschienenes Buch, »Wir sehen uns dort oben«, wurde mit dem wichtigsten französischen Literaturpreis, dem Prix Goncourt, ausgezeichnet. Nun liegt sein neuer, hochgelobter Roman »Spiegel unseres Schmerzes« in deutscher Übersetzung vor.

Pierre Lemaitre, 1951 in Paris geboren, ist Autor mehrerer preisgekrönter Romane und Kriminalromane. Sein 2014 erschienenes Buch, »Wir sehen uns dort oben«, wurde mit dem wichtigsten französischen Literaturpreis, dem Prix Goncourt, ausgezeichnet. Nun liegt sein neuer, hochgelobter Roman »Spiegel unseres Schmerzes« in deutscher Übersetzung vor.

1


Ende Dezember 1999 ging eine überraschende Reihe tragischer Ereignisse auf Beauval nieder, darunter an erster Stelle natürlich das Verschwinden des kleinen Rémi Desmedt. In dieser waldreichen Gegend, in der das Leben langsamen Rhythmen folgt, löste das plötzliche Verschwinden des Kindes Bestürzung aus und wurde von einigen Einwohnern sogar als Vorzeichen der kommenden Katastrophen angesehen.

Für Antoine, der im Mittelpunkt des Dramas stand, begann alles mit dem Tod des Hundes. Odysseus. Versuchen Sie nicht herauszufinden, weshalb sein Besitzer, Monsieur Desmedt, dem spindeldürren, fahlgelb-weißen Mischling mit den langen Beinen den Namen eines griechischen Helden gegeben hatte, das wird nur eines der Rätsel in dieser Geschichte sein.

Die Desmedts waren die Nachbarn, und Antoine, damals zwölf, hing umso mehr an diesem Hund, als seine Mutter Haustiere immer abgelehnt hatte, keine Katze, kein Hund, kein Hamster, nichts, das macht nur Dreck.

Odysseus kam bereitwillig ans Gartentor, wenn Antoine ihn rief, oft folgte er der Bande von Freunden zum Weiher oder in die Wälder der Umgebung, und wenn Antoine allein dorthin ging, nahm er ihn immer mit. Er ertappte sich dabei, dass er mit Odysseus redete wie mit einem Gefährten. Der Hund neigte ernst und konzentriert den Kopf, dann haute er plötzlich ab, ein Zeichen, dass die Stunde der Vertraulichkeiten zu Ende war.

Den Spätsommer hatte Antoine zum großen Teil damit verbracht, mit den Klassenkameraden im Wald, auf der Anhöhe von Saint-Eustache, eine Hütte zu bauen. Die Idee stammte von Antoine, und Theo hatte sie wie gewöhnlich als seine ausgegeben und sich so die Führung der Operationen gesichert. Die Autorität des Jungen über die kleine Bande war dem Umstand zu verdanken, dass er zugleich der Größte von allen und Sohn des Bürgermeisters war. Das sind Dinge, die in einer Stadt wie Beauval zählen (man verabscheut die Leute, die man regelmäßig wiederwählt, sieht den Bürgermeister aber als heiligen Schutzpatron und seinen Sohn als Kronprinzen; diese soziale Rangordnung entsteht in den Läden, weitet sich auf die Vereine aus und erreicht über Kapillarwirkung die Schulhöfe). Außerdem war Theo Weiser der schlechteste Schüler seiner Klasse, was in den Augen seiner Kameraden als Beweis für Charakter galt. Versetzte sein Vater ihm eine Tracht Prügel – was nicht selten war –, trug Theo stolz die blauen Flecken zur Schau wie einen Tribut, den größere Geister dem Konformismus ihrer Umgebung eben zahlen müssen. Er machte auch nicht gerade wenig Eindruck auf die Mädchen, weshalb er von den Jungen gefürchtet und bewundert, aber nicht geliebt wurde. Antoine selbst verlangte nichts und war auf nichts neidisch. Der Bau der Hütte genügte zu seinem Glück, er brauchte nicht Chef zu sein.

Alles hatte sich geändert, als Kevin eine PlayStation zum Geburtstag bekommen hatte. Der Wald von Saint-Eustache hatte rasch seinen Reiz verloren, alle trafen sich zum Spielen bei Kevin, dessen Mutter sagte, das sei ihr lieber als die Wälder und der Weiher, die sie immer für gefährlich gehalten hatte. Antoines Mutter dagegen missbilligte diese Mittwoche auf dem Sofa, ihr verblödet noch mit dem Zeug; schließlich verbot sie ihm hinzugehen. Antoine rebellierte gegen die Entscheidung, weniger, weil ihm die Videospiele gefallen hätten, als wegen der Treffen mit den Freunden, um die er gebracht war. Mittwochs und samstags fühlte er sich allein.

Er verbrachte ziemlich viel Zeit mit Émilie, der Tochter der Mouchottes, ebenfalls zwölf, blond wie ein Küken, lockiges Haar, lebhafte Augen, ein echtes kleines Biest, so eines, dem man nichts abschlägt, selbst Theo war in sie verknallt, aber mit einem Mädchen zu spielen, ist eben nicht das Gleiche.

Antoine kehrte also in den Wald von Saint-Eustache zurück und nahm den Bau einer Hütte in Angriff, diesmal aber in der Luft, im Geäst einer Buche, in drei Meter Höhe. Er hielt den Plan geheim und genoss schon im Voraus seinen Sieg, sobald die Freunde, der PlayStation überdrüssig, in den Wald zurückkommen und den Bau entdecken würden.

Die Arbeit nahm viel Zeit in Anspruch. Im Sägewerk sammelte er Planenreste zusammen, um die Öffnungen vor Regen zu schützen, Teerpappenstücke für das Dach, Stoffe zum Verschönern, er baute Nischen, um seine Schätze unterzubringen, er kam nie zum Ende, schon allein deshalb nicht, da ihn das Fehlen eines Gesamtplans zu zahlreichen Neuanfängen zwang. Wochenlang füllte diese Hütte all seine Zeit und seine Gedanken aus, machte das Geheimnis schwer zu bewahren. Zwar erwähnte er in der Schule eine Überraschung, die mehr als einen von ihnen sprachlos vor Bewunderung machen würde, aber er erzielte damit kaum Erfolg. Zu dieser Zeit war die Bande buchstäblich elektrisiert von der angekündigten neuen Tomb-Raider-Version, es gab nichts anderes mehr.

Während der ganzen Zeit, in der sich Antoine seinem Werk widmete, war der Hund Odysseus sein Gefährte. Nicht, dass er zu viel nutze gewesen wäre, aber er war da. Seine Anwesenheit brachte Antoine auf die Idee eines Hundefahrstuhls, der es Odysseus erlauben würde, ihm Gesellschaft zu leisten, wenn er in seine Hütte hinaufstieg. Rückkehr zum Sägewerk, um eine Rolle zu entwenden, dann ein paar Meter Seil und schließlich alles Nötige, um eine Plattform herzustellen. Dieser Lastenaufzug, der dem Bauwerk den letzten Schliff verlieh und zeigte, wie ambitioniert es war, erforderte viele Stunden der Entwicklung, von denen er einen großen Teil damit verbrachte, dem Hund hinterherzulaufen, den die Aussicht abzuheben vom ersten Versuch an in Panik versetzte. Die Plattform blieb nur mit Hilfe eines Stocks in der Waagerechten, der dazu diente, die linke Ecke zu stabilisieren. Das war nicht ganz zufriedenstellend, aber Odysseus gelangte doch nach oben. Während des gesamten Aufstiegs stieß er ein erbärmliches Quieken aus, und sobald Antoine ihm gefolgt war, drückte er sich zitternd an ihn. Das nutzte Antoine, um seinen Geruch einzuatmen und ihn zu streicheln, er schloss vor Wohlbehagen die Augen. Der Abstieg war immer leichter, da Odysseus nie wartete, bis er auf Bodenhöhe war, sondern schon vorher auf die Erde sprang.

Antoine versah den Ort mit Dingen, die er auf dem Speicher eingesammelt hatte, eine Taschenlampe, eine Decke, etwas zu lesen und zu schreiben, also alles, was erforderlich war, um in Autarkie zu leben, oder zumindest fast.

Aus all dem darf man nicht schließen, dass Antoine von einzelgängerischem Temperament gewesen wäre. In diesem Moment war er es zwangsläufig, durch den Umstand, dass seine Mutter Videospiele nicht ausstehen konnte. Sein Leben war voll von Gesetzen und Vorschriften, die Madame Courtin ebenso regelmäßig wie kreativ verkündete. Sie hatte ein unbeugsames Temperament und war nach ihrer Scheidung zu einer Frau mit Prinzipien geworden, wie so oft bei alleinerziehenden Müttern.

Sechs Jahre zuvor hatte Antoines Vater einen Wechsel der Stelle genutzt, um einen Wechsel der Frau vorzunehmen. Er hatte seinen Antrag auf Versetzung nach Deutschland mit dem Antrag auf Scheidung verbunden, der Blanche Courtin schwer getroffen hatte, was umso überraschender war, als die Ehe nie gut funktioniert hatte und die intimen Beziehungen zwischen den Eheleuten nach Antoines Geburt auf dramatische Weise selten geworden waren. Monsieur Courtin war seit seinem Auszug nie wieder nach Beauval zurückgekehrt. Er schickte pünktlich Geschenke, die kontinuierlich nicht den Wünschen seines Sohnes entsprachen, schickte Geschenke für Sechzehnjährige, als er acht war, für Sechsjährige, als er elf war. Ein Mal war Antoine zu ihm nach Stuttgart gefahren, sie hatten sich drei lange Tage feindselig angeblickt und das Experiment in gegenseitigem Einvernehmen niemals wiederholt. Monsieur Courtin war ebenso wenig dazu geschaffen, einen Sohn zu haben, wie seine Frau, einen Mann zu haben.

Diese bestürzende Episode brachte Antoine seiner Mutter näher. Bei seiner Rückkehr aus Deutschland setzte er den schwerfälligen, langsamen Rhythmus ihres Lebens mit dem gleich, was er für ihre Einsamkeit, ihren Kummer hielt, und sah sie in einem neuen, unbestimmt tragischen Licht. Und natürlich fühlte er sich, wie es bei jedem beliebigen Jungen seines Alters der Fall gewesen wäre, am Ende für sie verantwortlich. Mochte sie auch eine enervierende (und bisweilen eindeutig schwierige) Frau sein, so glaubte er in ihr doch etwas Entschuldbares zu sehen, das alles überwog, den Alltag und die Fehler, den Charakter, die Umstände … Für Antoine war es undenkbar, seine Mutter noch unglücklicher zu machen, als er sie sich vorstellte. Von dieser Gewissheit löste er sich nie.

In Verbindung mit seiner wenig mitteilsamen Natur machte all das aus Antoine ein...

Erscheint lt. Verlag 5.9.2017
Übersetzer Tobias Scheffel
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Coming-of-age • Frankreich • französisches Dorf • Gegenwart • Krimi • Prix Goncourt • Roman • Schicksal
ISBN-10 3-608-10876-9 / 3608108769
ISBN-13 978-3-608-10876-7 / 9783608108767
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