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Pnin (eBook)

(Autor)

Dieter E. Zimmer (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
304 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-05651-0 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
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Der zerstreute Professor Timofey Pnin ist ein einsamer Individualist, den der American Way of Life tief verstört. Der Immigrant wirkt auf seine Umwelt wie ein komischer Versager. Aber seine Würde, sein Ernst, seine Persönlichkeit lassen ebendiese Umwelt lächerlich erscheinen: Sie versagt an ihm. Alles, was Pnin widerfährt, macht uns diesen altmodischen russischen Gelehrten liebenswert. «Ein Wunderwerk des Humors. Ein Jahrhundertroman.» (Marcel Reich-Ranicki, Der Spiegel)

Vladimir Nabokov wird am 22. April 1899 in St. Petersburg geboren. Nach der Oktoberrevolution flieht die Familie 1919 nach Westeuropa. 1919-1922 in Cambridge Studium der russischen und französischen Literatur. 1922-1937 in Berlin, erste Veröffentlichungen, meist unter dem Pseudonym W. Sirin. 1937-1940 nach der Flucht aus Nazideutschland in Südfrankreich und in Paris, seit 1940 in den USA. 1961-1977 wohnt Nabokov im Palace Hotel in Montreux. Er stirbt am 2. Juli 1977.

Vladimir Nabokov wird am 22. April 1899 in St. Petersburg geboren. Nach der Oktoberrevolution flieht die Familie 1919 nach Westeuropa. 1919-1922 in Cambridge Studium der russischen und französischen Literatur. 1922-1937 in Berlin, erste Veröffentlichungen, meist unter dem Pseudonym W. Sirin. 1937-1940 nach der Flucht aus Nazideutschland in Südfrankreich und in Paris, seit 1940 in den USA. 1961-1977 wohnt Nabokov im Palace Hotel in Montreux. Er stirbt am 2. Juli 1977. Dieter E. Zimmer, geb. 1934, war freier Autor und Übersetzer. Von 1959–1999 war er Redakteur bei DIE ZEIT, davon 1973–1977 Leiter des Feuilletons, danach als Wissenschaftsjournalist mit den Schwerpunkten Psychologie, Biologie, Medizin und Linguistik. Neben zahlreichen weiteren Auszeichnungen erhielt er den Preis für Wissenschaftspublizistik der Deutschen Gesellschaft für Psychologie. Bei Rowohlt war er u. a. als Herausgeber und Übersetzer für die Nabokov-Gesamtausgabe verantwortlich.  Dieter E. Zimmer starb 2020 in Berlin. Dieter E. Zimmer, geb. 1934, war freier Autor und Übersetzer. Von 1959–1999 war er Redakteur bei DIE ZEIT, davon 1973–1977 Leiter des Feuilletons, danach als Wissenschaftsjournalist mit den Schwerpunkten Psychologie, Biologie, Medizin und Linguistik. Neben zahlreichen weiteren Auszeichnungen erhielt er den Preis für Wissenschaftspublizistik der Deutschen Gesellschaft für Psychologie. Bei Rowohlt war er u. a. als Herausgeber und Übersetzer für die Nabokov-Gesamtausgabe verantwortlich.  Dieter E. Zimmer starb 2020 in Berlin.

Kapitel 1


1


Der ältere Reisende, der da auf der Nordfensterseite jenes unerbittlich dahinrollenden Eisenbahnwagens saß, neben sich einen leeren Sitzplatz und zwei leere gegenüber, war niemand anderer als Professor Timofey Pnin. Vollkommen kahl, sonnengebräunt und glattrasiert, wie er war, begann er recht imposant: mit seiner großen braunen Kuppel, einer Schildpattbrille (die verdeckte, dass ihm wie einem Kind die Augenbrauen fehlten), einer gorillahaften Oberlippe, einem dicken Hals und einem Athletenrumpf in einer ziemlich eng sitzenden Tweedjacke – endete dann jedoch einigermaßen enttäuschend mit einem Paar spindeldürrer (jetzt flanellumhüllter und übereinandergeschlagener) Beine und zerbrechlich wirkenden, fast femininen Füßen.

Seine rutschenden Socken waren aus scharlachroter Wolle mit lilafarbenen Rauten; seine konservativen schwarzen geschnürten Halbschuhe hatten ihn etwa so viel gekostet wie seine ganze übrige Garderobe (flamboyanter Ganovenschlips eingeschlossen). Vor den vierziger Jahren, während der gesetzten europäischen Epoche seines Lebens, hatte er stets lange Unterhosen getragen, die Bündchen in die Fesseln adretter, an den Seiten mit feinem Stickmuster verzierter Seidensocken von nüchternem Farbton gesteckt, die entlang seinen baumwollumspannten Waden von Sockenhaltern hochgehalten wurden. Anderen den Anblick jener weißen Unterwäsche zuzumuten, wenn er etwa ein Hosenbein zu hoch zog, wäre Pnin in jenen Tagen genauso ungehörig vorgekommen, als hätte er sich Damen ohne Kragen und Krawatte gezeigt; denn selbst als die angemoderte Madame Roux, die Concierge des schmuddeligen Mietshauses im sechzehnten Arrondissement von Paris – wo Pnin nach seiner Flucht aus dem leninisierten Russland und der Beendigung seines Studiums in Prag fünfzehn Jahre zugebracht hatte –, zufällig einmal zum Kassieren der Miete heraufkam, als er gerade ohne seinen faux col war, bedeckte Pnin seinen vorderen Kragenknopf mit keuscher Hand. Alles dies änderte sich im berauschenden Klima der Neuen Welt. Jetzt, mit zweiundfünfzig, nahm er mit Hingabe Sonnenbäder, trug er Sporthemden und Freizeithosen, und wenn er die Beine übereinanderschlug, stellte er sorgfältig, absichtsvoll, schamlos ein gewaltiges Stück bloßen Schienbeins zur Schau. So hätte ein Mitreisender ihn gesehen; aber außer einem Soldaten, der am einen Ende schlief, und zwei Frauen, die am anderen Ende in ein Baby vertieft waren, hatte Pnin den Wagen für sich allein.

Hier muss nun ein Geheimnis verraten werden. Professor Pnin befand sich im falschen Zug. Er wusste es nicht, und ahnungslos war auch der Schaffner, der den Zug entlang Pnins Wagen bereits näher und näher kam. Pnin war im Moment sogar durchaus mit sich zufrieden. Als sie ihn eingeladen hatte, in Cremona – etwa zweihundert Werst westlich von Waindell, Pnins universitärem Unterschlupf seit 1945 – einen Freitagabend-Vortrag zu halten, hatte die stellvertretende Vorsitzende des Frauenclubs von Cremona, eine gewisse Miss Judith Clyde, unseren Freund darauf aufmerksam gemacht, dass der günstigste Zug in Waindell um 13 Uhr 52 abfuhr und um 16 Uhr 17 in Cremona eintraf; doch Pnin – der wie so viele Russen eine ungemeine Schwäche für Fahrpläne, Landkarten, Kataloge hatte, sie sammelte, sie in dem erhebenden Gefühl, etwas umsonst zu bekommen, reichlich an sich nahm und besonders stolz darauf war, selber Verbindungen zusammenzupuzzeln – hatte nach einigem Studium einen unauffälligen Hinweis auf einen noch günstigeren Zug entdeckt (ab Waindell 14.19 Uhr, an Cremona 16.32 Uhr); die Fußnote tat kund, dass der um vierzehn neunzehn auf dem Weg in eine ferne und sehr viel größere Stadt, die ebenfalls von einem weichen italienischen Namen geschmückt war, freitags, und nur freitags, in Cremona hielt. Zu Pnins Pech war sein Fahrplan fünf Jahre alt und in Teilen seit langem überholt.

Er unterrichtete Russisch am Waindell College, einer leicht provinziellen Bildungseinrichtung mit einem künstlichen See inmitten eines parkartigen Campus, mit efeuüberwachsenen Bogengängen, welche die verschiedenen Gebäude miteinander verbanden, mit Wandgemälden, welche erkennbare Mitglieder des Lehrkörpers im Begriff zeigten, die Fackel des Wissens von Aristoteles, Shakespeare und Pasteur an eine Schar monströs gebauter Farmerjungen und Farmermädchen weiterzureichen, sowie einer riesigen, dynamisch gedeihenden Deutsch-Abteilung, die ihr Leiter, Dr. Hagen, selbstgefällig (und unter genauer Betonung jeder einzelnen Silbe) «eine Universität in der Universität» nannte.

Im Herbstsemester jenes Jahres (1950) hatten sich für die russischen Sprachkurse eingeschrieben: im Mittelkurs eine Studentin, die pummelige und ernste Betty Bliss, bei den Fortgeschrittenen ein Student, ein bloßer Name (Ivan Dub, der sich niemals materialisierte), und im blühenden Anfängerkurs drei, Josephine Malkin, deren Großeltern in Minsk geboren waren; Charles McBeth, dessen phänomenales Gedächtnis bereits zehn Sprachen erledigt hatte und bereitstand, zehn weitere in sich zu bestatten; und die matte Eileen Lane, der jemand gesagt hatte, man müsse praktisch nur das russische Alphabet meistern, um Anna Karamasow im Original lesen zu können. Als Lehrer konnte es Pnin keineswegs mit jenen staunenswerten, über ganz Amerika verstreuten russischen Damen aufnehmen, die es ohne jedwede Fachausbildung dank Intuition, Redseligkeit und einer Art mütterlichen Elans fertigbringen, einer Gruppe unschuldig dreinsehender Studenten in einer Atmosphäre von Mütterchen-Wolga-Liedern, rotem Kaviar und Tee eine magische Kenntnis ihrer schwierigen und schönen Sprache zu vermitteln, noch hätte sich Pnin als Lehrer jemals herausgenommen, sich den erhabenen Hallen der modernen wissenschaftlichen Linguistik zu nähern, dieser asketischen Korporation von Phonemen, diesem Tempel, in dem ernste junge Leute nicht die Sprache selber lernen, sondern die Methode, anderen die Methode beizubringen; die Methode, die wie ein von Fels zu Fels platschender Wasserfall aufhört, ein Medium verständiger Navigation zu sein, aber in sagenhafter Zukunft vielleicht dazu dienen mag, esoterische Dialekte – Basales Baskisch und dergleichen – hervorzubringen, welche nur von komplizierten Maschinen gesprochen werden. Zweifellos war die Art, wie Pnin an seine Arbeit heranging, amateurhaft und leichtfertig, da sie sich ganz und gar auf die Grammatikübungen verließ, die der Leiter der Slawischen Abteilung eines viel bedeutenderen Colleges als Waindell herausgegeben hatte – ein ehrwürdiger Schwindler, dessen Russisch ein Witz war, der aber großmütig den Produkten anonymer Plackerei seinen klangvollen Namen lieh. Seinen vielen Schwächen zum Trotz war Pnin ein entwaffnender, altmodischer Charme eigen, den Dr. Hagen, sein standhafter Beschützer, mürrischen Kuratoriumsmitgliedern hartnäckig als einen fragilen Importartikel anpries, der heimisches Bargeld wert war. Während der ihm um 1925 von der Universität Prag mit einigem Pomp verliehene Titel in Soziologie und Volkswirtschaft um die Mitte des Jahrhunderts zu einem Doktorgrad in Obsoletheit geworden war, war Pnin als Russischlehrer dennoch keine völlige Fehlbesetzung. Nicht um irgendeiner sachdienlichen Fähigkeit willen war er beliebt, sondern wegen seiner unvergesslichen Abschweifungen, wenn er die Brille abnahm, um die Vergangenheit anzustrahlen, während er die Linsen der Gegenwart massierte. Nostalgische Ausflüge in gebrochenem Englisch. Autobiographische Appetithäppchen. Wie Pnin in die Sojedinjonnyje Schtaty (die Vereinigten Staaten) kam. «Examinierung auf Schiff vor Landung. Sehr gut! ‹Nichts zu verzollen?› – ‹Nichts.› Sehr gut! Dann politische Fragen. Er fragt: ‹Sie sind Anarchist?› Ich antworte [der Erzähler legt für eine kurze Weile behaglicher stummer Fröhlichkeit eine Pause ein] – ‹Erstens, was wir verstehen unter Anarchismus? Praktisch, metaphysisch, theoretisch, mystisch, abstraktisch, individuell, sozialisch Anarchismus? Als ich jung war›, sage ich, ‹alles das für mich war wichtig.› So wir hatten sehr interessante Diskussion, und war ich dann ganze zwei Wochen auf Ellis Island» – das Zwerchfell beginnt sich zu heben und senken; hebt und senkt sich; der Erzähler kringelt sich.

Doch was den Humor anlangt, so gab es noch bessere Lehrveranstaltungen. Mit einer Miene koketter Heimlichtuerei, der die Kinder auf das herrliche Geschenk vorbereitete, das ihm selber einst zuteilgeworden war, und einem unbezwingbaren Lächeln, das ein unvollständiges, aber gewaltiges bräunliches Gebiss entblößte, klappte der großmütige Pnin ein zerlesenes russisches Buch an der Stelle auf, wo er vorher sorgfältig ein elegantes kunstledernes Lesezeichen eingelegt hatte; klappte es auf, woraufhin meist ein Ausdruck tiefster Bestürzung auf seine plastischen Züge trat; offenen Mundes durchblätterte er den Band fieberhaft nach vorne und nach hinten, und Minuten konnten verstreichen, bis er die richtige Seite fand – oder sich davon überzeugte, dass das Lesezeichen doch richtig gelegen hatte. Gewöhnlich entstammte die Passage seiner Wahl irgendeiner alten und einfältigen Komödie aus dem Kaufmannsmilieu, die Ostrowskij vor fast einem Jahrhundert zusammengeschustert hatte, oder einem ähnlich bejahrten und noch stärker veralteten Stück trivialer, auf Wortverdrehungen beruhender Leskow’scher Lustigkeit. Er bot diese abgestandenen Waren mit dem bombastischen Pathos der klassischen Alexandrinka dar (eines Petersburger Theaters) und...

Erscheint lt. Verlag 21.7.2017
Übersetzer Dieter E. Zimmer
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 50er Jahre • Amerika • Antiheld • Außenseiter • Einsamkeit • Emigrant • Kalter Krieg • Klassiker • Lolita • New York • Professor • Provinz • Russe
ISBN-10 3-644-05651-X / 364405651X
ISBN-13 978-3-644-05651-0 / 9783644056510
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