Zorn und Vergebung (eBook)

Plädoyer für eine Kultur der Gelassenheit
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2017 | 1. Auflage
408 Seiten
wbg Academic in der Verlag Herder GmbH
978-3-534-74270-7 (ISBN)
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Wir leben in einer Kultur des Entschuldigens und Vergebens. Doch während einige Denker Vergebung als zu unterwürfig angreifen und die Vergeltung bevorzugen, kritisiert Martha Nussbaum in ihrem neuen Werk die Vergebung aus einem anderen Grund: denn in zwischenmenschlichen Beziehungen wird die Vergebung zu einem Mittel der Disziplinierung und Schuldzuweisung. Die bekannte Philosophin Martha Nussbaum erforscht, mit einem großen Repertoire von literarischen und philosophischen Referenzen, die Konzepte von Zorn und Vergebung im persönlichen und politischen Zusammenhang. Dabei kommt sie zu dem Schluss, dass diese nicht die richtige Antwort auf eine Kränkung sind. Ähnlich den griechischen Stoikern plädiert sie für eine Kultur der Gelassenheit. Nussbaum fordert, dass der Mensch sich bewusst wird, wie belanglos die meisten Kränkungen sind, und damit den Zorn erst gar nicht entstehen lässt.

Martha Nussbaum ist die einflussreichste Philosophin der Gegenwart. Die Professorin an der University of Chicago wurde u.a. ausgezeichnet mit dem Kyoto-Preis, der als Nobelpreis der Philosophie gilt. Außerdem erhielt sie den mit einer Million Dollar dotierten Berggruen-Preis. Die bekennende Musik-Liebhaberin wurde besonders bekannt durch ihre Arbeiten zum Thema Emotionen.

Martha Nussbaum ist die einflussreichste Philosophin der Gegenwart. Die Professorin an der University of Chicago wurde u.a. ausgezeichnet mit dem Kyoto-Preis, der als Nobelpreis der Philosophie gilt. Außerdem erhielt sie den mit einer Million Dollar dotierten Berggruen-Preis. Die bekennende Musik-Liebhaberin wurde besonders bekannt durch ihre Arbeiten zum Thema Emotionen.

»...ein ungemein vielschichtiges Buch über Wut, Selbstbehauptung und Vertrauen [...] von er­staunlich praktischer Aktuali­tät.« Philosophie Magazin

»Ein weises, inspirierendes, gedanklich und sprachlich brilliantes Buch über die Herausforderungen menschlicher Existenz und die Möglichkeiten menschlicher Eudämonie.« literaturkritik.de

2 Zorn:
Schwäche, Vergeltung und Herabsetzung


„Weiterhin sind wir denen gegenüber sanftmütig, die sich vor uns erniedrigen und nicht widersprechen. Dadurch bekennen sie allem Anschein nach, uns unterlegen zu sein … Daß denen gegenüber, die sich erniedrigen, der Zorn ein Ende nimmt, zeigen schon die Hunde: Sie beißen niemanden, der sitzt.“

Aristoteles, Rhetorik, 1380a, 21–25

I Zorn:
Das fehlende Bindeglied


Zorn hat einen zwiespältigen Ruf. Einerseits gilt er als wertvoller Teil des moralischen Lebens, als unerlässlich für die ethischen wie die politischen Beziehungen der Menschen. Charakteristisch und äußerst einflussreich ist hier Peter Strawsons bekannte Argumentation, wonach die „reaktiven Haltungen und Empfindungen“, zu denen er ganz zentral den „Groll“ zählt, eine tragende Rolle in unserem Umgang miteinander spielen und mit der Idee von menschlicher Freiheit und Verantwortung wesentlich verbunden sind.1 Der entschiedenen Auffassung anderer Philosophen nach ist der Zorn eng mit der Selbstachtung und dem Aufbegehren gegen Ungerechtigkeit verknüpft.2

Andererseits durchzieht die Vorstellung vom Zorn als einer zentralen Bedrohung des vernünftigen Miteinanders die philosophische Tradition des Westens – unter anderem das politische Denken zu Zeiten von Aischylos,3 die Texte von Sokrates und Platon,4 der griechischen und römischen Stoiker, der im 18. Jahrhundert wirkenden Philosophen Joseph Butler und Adam Smith und diejenigen zahlreicher weiterer einschlägiger Denker. Wie Butler schreibt, hat „kein anderes Prinzip, keine andere Leidenschaft das Elend unserer Mitmenschen zum Zweck“5 – und darum besorgt es ihn, dass Gott uns Menschen offensichtlich mit dem Zorn ausgestattet hat. Dieselbe Vorstellung von der Zerstörungskraft des Zorns sticht in nichtwestlichen Traditionen hervor (vor allem im Buddhismus und bei einigen Spielarten des Hinduismus).6 In unseren Tagen sind aus der Vorstellung vom Zorn als Krankheit zahlreiche therapeutische Arbeiten hervorgegangen, nach denen es der offenbar unerbittliche Zugriff des Zorns ist, der ein Eingreifen (oder Ratschläge zur Selbsthilfe) erforderlich macht. Da der Zorn im moralischen Leben als ein solches Problem empfunden wird, gewinnt das Projekt der Vergebung eine zentrale Bedeutung, und im Regelfall wird Vergebung in Begriffen einer Mäßigung des Zorns und der von ihm geprägten Einstellungen aufgefasst.

Zutreffen könnten beide Auffassungen: Es könnte sich beim Zorn um ein wertvolles, zugleich aber gefährliches Werkzeug im moralischen Leben handeln, das die Gefahr von Auswüchsen birgt und fehleranfällig ist, aber dennoch eine Grundlage für nicht zu ersetzende Beiträge bildet. (So dachte Butler.) Genauso gut kann es aber auch sein, dass eine dieser Auffassungen viel besser begründet ist als die andere. So werde ich argumentieren. Es ist allerdings höchst unwahrscheinlich, dass wir in diesen Dingen klarer sehen werden, wenn wir uns nicht zunächst ein besseres Verständnis darüber verschaffen, was der Zorn eigentlich ist.

Moderne Philosophen widmen der Analyse von Emotionen im Ganzen gesehen wenig Zeit. Charakteristisch und äußerst einflussreich sind Strawsons Bezug auf „reaktive Haltungen und Empfindungen“, einschließlich Schuld, Groll und Entrüstung, die alle der Beziehung eines fremden Willens zu uns nachgehen,7 sowie R. Jay Wallaces hochgradig abstrakte, aber gleichwohl nützliche Beschreibung einer Klasse von „reaktiven Emotionen“, die in Beziehung zu Bewertungen und Einschätzungen stehen.8 Selbst in Kontexten, in denen es außerordentlich wichtig scheinen könnte, welche Haltung sinnvoll ist, lassen sich Philosophen allzu oft von Strawson leiten.9 Mittlerweile haben die Kognitionspsychologen reichlich Material für eine detaillierte Analyse der Elemente des Zorns vorgelegt;10 weil sie aber nicht auf Definitionen aus sind, bringen sie das Material in der Regel nicht in eine philosophische Ordnung.

In Übereinstimmung mit den meisten traditionellen philosophischen Definitionen des Zorns werde ich argumentieren, dass die Vorstellung der Vergeltung oder des Zurückzahlens – in welcher subtilen Form auch immer – zum Zorn und seinem Begriff gehört. Dann werde ich argumentieren, dass die Vergeltungsvorstellung normativ ein Problem darstellt – und folglich auch der Zorn. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder konzentriert sich der Zorn auf eine erhebliche Rechtsverletzung wie etwa einen Mord oder eine Vergewaltigung, oder er bezieht sich lediglich auf die Bedeutung, die das Vergehen für den relativen Status des Opfers hat – wie bei der von Aristoteles sogenannten „Herabsetzung“. Im ersten Fall ergibt der Gedanke an Vergeltung keinen Sinn, weil die Verletzung des Opfers nicht aus der Welt geschafft oder in einem konstruktiven Sinne bewältigt wird, indem man dem Täter Schmerz zufügt. Im zweiten Fall ist sie nur allzu sinnvoll, da Vergeltung zu einer Umkehrung der Positionen führen kann. Allerdings sind dabei die beteiligten Wertvorstellungen verzerrt: Der relative Status sollte kein solches Gewicht haben. Im Zuge der Verteidigung dieser Argumente erkenne ich schließlich einen Grenzfall des Zorns, der von diesen Mängeln frei ist, und ich schildere und befürworte einen Übergang vom Zorn zum konstruktiven Denken, das auf das künftige Wohl gerichtet ist.

II Zorn:
Gedanken, Empfindungen, Eudämonismus


Wie alle wesentlichen Emotionen hat auch der Zorn einen geistigen bzw. intentionalen Gehalt, der unter anderem Beurteilungen oder Bewertungen verschiedener Art einschließt.11 Häufig umfasst dieser nicht bloß wertgeladene Beurteilungen, sondern auch Ansichten und Überzeugungen.

Darüber hinaus sind die am Zorn beteiligten Beurteilungen und Überzeugungen in einem von mir verwendeten Wort „eudämonistisch“: Der Einzelne gelangt von seinem Standpunkt aus zu ihnen; sie sind Ausdruck seiner Auffassung von den wichtigen Dingen im Leben, und nicht irgendwelcher losgelösten und unpersönlichen Wertvorstellungen. Selbst wenn sich sein Zorn um Grundsatzfragen dreht, wenn Fragen der Gerechtigkeit, vielleicht sogar der globalen Gerechtigkeit eine Rolle dabei spielen, liegt der Grund dafür darin, dass er solche Sorgen und Belange in seine Vorstellung davon hat integrieren können, worauf es im Leben ankommt. Eine solche Integration in den eigenen „Sorgenkreis“12 muss dem Ereignis, das die Emotion auslöst, nicht vorausgehen: Eine plastische Schilderung von Kummer und Leid (etwa Adam Smiths Beispiel von dem Bericht über ein Erdbeben in China) kann bei uns Mitgefühl für Menschen auslösen, denen wir nie begegnet sind und mit denen uns vorher keine Sorge verbunden hat.13 Wenn aber keine festere Sorgestruktur besteht, wird die Emotion nicht mehr als eine Schimäre sein: Dann lassen wir uns von Dingen ablenken, die in größerer Nähe zu unserer Heimat geschehen, und vergessen darüber völlig die Menschen in der Ferne.

Der Eudämonismus der Emotionen ist auch ein Kerngedanke in der psychologischen Literatur. So spricht Richard Lazarus in seinem beeindruckend kenntnisreichen Band Emotion and Adaption, einem der einflussreichsten Werke des späten 20. Jahrhunderts, davon, dass sich die wesentlichen Emotionen um „Kernthemen [drehen], die miteinander in Beziehung stehen“ und die für die „Selbstidentität“ der Person von Bedeutung sind.14 Genau wie Smith in seiner Darstellung und ich in meiner betont auch Lazarus in seiner Abhandlung, dass Anliegen und Prinzipien Objekte von Emotionen sein können – aber nur dann, wenn ihnen durch jemanden eine persönliche Bedeutung beigemessen wurde.

Zorn geht normalerweise mit vielfältigen körperlichen Veränderungen und subjektiven Gefühlszuständen einher. Gewisse körperliche Veränderungen sind eine ständige Begleiterscheinung, wenn Menschen Zorn empfinden, und im Grunde sind die an ihm beteiligten Gedanken selbst körperliche Veränderungen.15 Den Zorn begleiten in der Regel auch gewisse subjektive Empfindungen, die jedoch wahrscheinlich äußerst vielgestaltig sind (sowohl beim Einzelnen zu verschiedenen Zeitpunkten als auch bei unterschiedlichen Personen) und die womöglich vollkommen fehlen, wenn der Zorn unbewusst bleibt. So wie die Todesangst unterhalb der Bewusstseinsschwelle lauern und dennoch Einfluss auf das Verhalten haben kann, ist dies zumindest in manchen Fällen auch beim Zorn möglich. Nicht selten bemerkt jemand im Nachhinein, dass er oder sie auf eine andere Person eine Zeit lang zornig war und dass dieser verdeckte Zorn das eigene Verhalten beeinflusst hat.

Die mit dem Zorn häufig einhergehenden körperlichen Veränderungen und subjektiven Empfindungen sind – bei aller Bedeutung, die sie auf ihre Weise haben – zu unbeständig, um als notwendige Bedingungen in die Definition des Zorns eingehen zu können.16 Für manche Menschen fühlt Zorn sich an, als würde ihr Blut...

Erscheint lt. Verlag 20.6.2017
Übersetzer Axel Walter
Verlagsort Darmstadt
Sprache deutsch
Original-Titel Anger and Forgiveness
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie
Schlagworte Gelassenheit • Philosophie • Zorn • Zwischenmenschliche Beziehung
ISBN-10 3-534-74270-2 / 3534742702
ISBN-13 978-3-534-74270-7 / 9783534742707
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