Wer ein Warum zu leben hat -  Viktor E. Frankl

Wer ein Warum zu leben hat (eBook)

Texte aus sechs Jahrzehnten
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2017 | 1. Auflage
388 Seiten
Beltz (Verlag)
978-3-407-86493-2 (ISBN)
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»Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie« - nach diesem Motto erforschte Viktor Frankl, wie Sinnerfüllung auch angesichts schwerer Schicksalsschläge möglich ist und Menschen in die Lage versetzt, in Krisenzeiten seelisch heil zu bleiben. Lebenssinn und Resilienz stehen im Mittelpunkt der von Frankl begründeten Logotherapie, seiner Auseinandersetzung mit Holocaustüberlebenden und seiner kritischen Haltung gegenüber der inneren Leere der modernen Konsumgesellschaft. Dieses Buch lädt ein, den großen Humanisten neu zu entdecken. Seine Texte aus sechs Jahrzehnten zeigen den Brückenschlag, den Frankl zwischen Psychologie und philosophischer Lebenskunst vollzogen hat. »Ein Warum - das ist ein Lebensinhalt; und das Wie - das waren jene Lebensumstände, die das Lagerleben so schwierig machten, dass es eben nur im Hinblick auf ein Warum überhaupt tragbar wurde.« Viktor E. Frankl

Viktor E. Frankl (1905-1997) wurde als Begründer der dritten Schule der Wiener Psychotherapie bekannt. Fast seine gesamte Familie starb in Konzentrationslagern, er selbst entging dem Tod nach der Odyssee durch vier Konzentrationslager nur knapp. Nach seiner Rückkehr wurde er Professor für Neurologie und Psychiatrie an der Universität Wien und hatte Professuren in den USA inne. Als erster Psychologe stellte er die Erfahrung von Sinn ins Zentrum der therapeutischen Praxis. Seine Bücher erreichten Millionenauflagen; sie erschienen in über 50 Sprachen.

Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie


Vorwort zur Neuausgabe

Ich bin nicht nur Facharzt für zwei Fächer, sondern auch Überlebender von vier Lagern, Konzentrationslagern, und so weiß ich denn auch um die Freiheit des Menschen, sich über all seine Bedingtheit hinauszuschwingen und selbst den ärgsten und härtesten Bedingungen und Umständen entgegenzutreten, sich entgegenzustemmen, kraft dessen, was ich die Trotzmacht des Geistes zu nennen pflege.1

Als Viktor Frankl diese Zeilen kurz nach seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager schrieb, sprach noch niemand von »Resilienz«. Zur festen Größe im medizinischen Diskurs wurde der Begriff erst Ende der 1970er Jahre mit Emmy Werners großer Längsschnittstudie »Die Kinder von Kauai«. Über einen Zeitraum von vierzig Jahren hatte die amerikanische Entwicklungspsychologin 698 Kinder beobachtet, die 1955 auf der hawaiianischen Insel geboren wurden und alle in schwierigen Verhältnissen aufwuchsen. Ein Drittel entwickelte sich trotz Armut, Arbeitslosigkeit oder Alkoholismus im Elternhaus zu psychisch stabilen, erfolgreichen Erwachsenen. Bei der genaueren Betrachtung dieser Teilgruppe stieß Weiner auf eine Reihe von »Resilienz-Faktoren«, allen voran die sichere Bindung an eine konstante Bezugsperson, aber auch Humor, die Bereitschaft, Hilfe anzunehmen, und verschiedene Formen von Spiritualität.

Mit dem Einzug der positiven Psychologie hat die Resilienzforschung diese und weitere Faktoren als Bestimmungsmomente eingehender untersucht und bald erkannt, dass sie nicht nur zur Bewältigung schwieriger Lebensumstände, sondern allgemein als Leitlinien gelingenden Lebens in Anschlag zu bringen sind. Seit einiger Zeit ist daher ein regelrechter Boom des Resilienzbegriffs in der wissenschaftlichen und populären psychologischen Literatur zu verzeichnen.

In dieser Literatur wird häufig auf Viktor Frankl Bezug genommen – und zwar gleichermaßen auf sein Werk als auch auf seine Biographie, insbesondere mit Blick auf sein Überleben und den Umgang mit seinen Erfahrungen der Lagerhaft in vier Konzentrationslagern während der Hitlerdiktatur. Frankl wird von einigen Autoren sogar als einer der Pioniere der Resilienzforschung beschrieben – obwohl sich das Wort »Resilienz« im umfangreichen Werk Frankls tatsächlich nicht ein einziges Mal finden lässt.

Diese Abwesenheit ist schon insofern bemerkenswert, als Frankl bis zu seinem Tod im Jahr 1997 ausgesprochen rege und interessiert am jeweils aktuellen wissenschaftlichen Diskurs in der Psychiatrie, Psychotherapie und Psychologie teilgenommen hat und immer wieder in kritischen Dialog mit neuen Forschungstrends und -themen innerhalb der Verhaltenswissenschaften getreten ist. Es ist daher eher unwahrscheinlich, dass er insbesondere im Rahmen seiner Lehrtätigkeit an den Universitäten Harvard, Dallas, Duquesne und San Diego nicht mit dem Begriff und Konzept der Resilienz in Berührung gekommen sei.

Rückblickend lässt sich nicht gesichert rekonstruieren, warum Frankl den Begriff anderen überlassen und selbst nie aufgegriffen hat, obwohl er mit der »Trotzmacht des Geistes« ein prima facie ähnliches Konzept vorstellte, das auch in dem Nietzsche-Zitat anklingt, das in verschiedenen Texten von Viktor Frankl wiederkehrt: »Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie.«1 Das passive »Ertragen« bei Nietzsche wendet Frankl allerdings zur aktiven »Trotzmacht des Geistes«:

Ob man ein typischer KZler wurde oder aber auch noch in dieser Zwangslage, selbst noch in dieser äußersten Grenzsituation, Mensch blieb. Dies stand jeweils zur Entscheidung. […] Wenn es für mich noch eines Nachweises dafür bedurft hätte, dass die Trotzmacht des Geistes eine Wirklichkeit ist – das Konzentrationslager war das experimentum crucis.2

Wie verhalten sich Resilienz und »Trotzmacht des Geistes« zueinander? Im Folgenden sollen die Konturen des Resilienzbegriffs und die Konturen von Frankls Arbeiten zur Frage nach der Möglichkeit, unabänderliches Leiden seelisch heil zu überstehen, nachgezeichnet werden, um Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen den beiden Konzepten zu benennen.

Resilienz avant la lettre?


Zum Einstieg in einen solchen Dialog zwischen der Resilienzforschung und der von Frankl begründeten Forschungstradition ist es allerdings notwendig, gleich vorab mit einem historischen Missverständnis aufzuräumen – zumal eine rationale Durchleuchtung dieses Irrtums auch den Weg ebnet zu einer informierteren Diskussion der Beziehung zwischen Frankls Logotherapie und der Resilienz: Man liest bisweilen, Frankls eigenes Überleben seiner dreijährigen Internierung in den Konzentrationslagern Theresienstadt, Auschwitz, Kaufering und Türkheim verdanke sich seiner Resilienz (oder Trotzmacht);2 es sei geradezu ein Paradebeispiel der Wirkung resilienten Verhaltens – und erfährt damit mehr über den Mangel an historischen und existentiellen Realismus als über Resilienz und/oder die »Trotzmacht des Geistes«.

Denn so einfach ist es leider nicht – Leid, Krankheit, Ungerechtigkeit und Tod lassen sich nicht so leicht überlisten und der Machbarkeit des Menschen unterwerfen, als dass etwa bloß die »richtige« Haltung oder bestimmte Resilienzfaktoren das Überleben oder Überstehen leidvoller Situationen gesichert ermöglichen (und im Umkehrschluss jenen, die nicht überleben und überstehen Mitverantwortung für ihr Schicksal unterstellt werden kann). Frankl selbst betonte in seinen Gedenkreden oft genug, dass gerade »die Besten« den Holocaust nicht überlebt haben, und das Überleben selbst sich oft wenig mehr verdankte als dem rohen Zufall oder unverdienter Gnade:

Denn wir Überlebenden wussten ganz genau, dass die Besten, die unter uns dort waren, von dort nicht herausgekommen sind – die Besten waren es, die nicht zurückgekehrt sind! So konnten wir unser Überleben nicht anders denn als unverdiente Gnade empfinden.3

Frankl hob vielmehr die Rolle der Willkür des Sterbens und die Gnade des Überlebens hervor – und die unheilvolle Rolle eines politischen Systems, dass es dazu kommen ließ, dass bloßer Zufall, etwa in Gestalt momentaner Launen der Aufseher und Lagerkommandanten, über Sein oder Nichtsein der Lagerinsassen bestimmen konnten. Frankl war in dieser Hinsicht also – und nicht nur in Bezug auf das historisch und biographisch einmalige Leid des Holocaust – viel zu sehr einer realistischen Würdigung menschlichen Leids verpflichtet, als dass er Leiden mit einem anderen Ziel oder Begriff belegen konnte, als mit dem, was Leid nun einmal ist: leidvoll und als solches durch nichts schönzudenken oder schönzureden.

Versuche, Leiden in dieser Form umzudeuten, waren ihm daher – und das sollten sie den helfenden Berufen insgesamt sein – aus zweierlei Gründen suspekt: Erstens, weil sie dem Ernst der jeweiligen Lage ebenso wenig gerecht werden wie der Situationsangemessenheit des Leidens; zweitens, weil sie die Unbedingtheit des Leidens selbst zu unterschätzen drohen und sich damit gerade nicht in jene Geisteshaltung versetzen, aus der heraus man Leid anerkennen, ehrlich begegnen und vielleicht auch bewältigen kann.

… trotzdem Ja zum Leben sagen


Worum es Frankl vielmehr ging, war zunächst weniger die Bewältigung konkreten Leids, sondern die zuvor zu klärende viel grundlegendere und unbedingtere Frage, ob ein Leben, das früher oder später einmal von der tragischen Trias aus Leid, Schuld und Tod heimgesucht wird – und damit alles menschliche Leben – überhaupt noch sinnvoll und lebenswert sein kann. Frankls Nachdenken über diese Frage kommt in einer Schlüsselstelle eines seiner ersten Vorträge nach der Befreiung aus dem Konzentrationslager zum Ausdruck. In ihr formuliert er zugleich eines der Leitmotive seines Lebenswerks, der Logotherapie und Existenzanalyse:

Meine Damen und Herren, ich glaube nicht, einen Fehler zu begehen, wenn ich an dieser Stelle persönlich werde; vielmehr denke ich, es Ihnen irgendwie schuldig zu sein, damit Ihr Verständnis dafür zu erleichtern, was ich Ihnen auseinandersetzen möchte. Nun: im Konzentrationslager gab es viele, und schwere, Probleme; aber das Problem für die Häftlinge lautete letztlich: »Werden wir überleben? Denn nur dann hätte unser Leiden einen Sinn.« Doch für mich lautete das Problem anders – mein Problem war...

Erscheint lt. Verlag 11.7.2017
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften
ISBN-10 3-407-86493-0 / 3407864930
ISBN-13 978-3-407-86493-2 / 9783407864932
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