Bonhoeffer (eBook)

Wege zur Freiheit

(Autor)

eBook Download: EPUB
2017
272 Seiten
Gabriel Verlag in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
978-3-522-63059-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Bonhoeffer - Alois Prinz
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Nach nur 25 Tagen verlässt Dietrich Bonhoeffer Amerika, das Land, in dem er vor den Nazis in Sicherheit wäre. Einfach abwarten, wie es seinen Freunden ergeht, kann er nicht, tatenlos den dramatischen Veränderungen zusehen auch nicht. Er geht zurück nach Deutschland, mischt sich ein und setzt damit sein eigenes Leben auf Spiel. Alois Prinz begibt sich auf die Spuren dieses faszinierenden Mannes. Mit der Überzeugung, dass man sich als Christ nicht dem Zeitgeist und der Politik anpassen kann, wurde er zu einem der bekanntesten Widerstandskämpfer und zu einem großen Vorbild für Jung und Alt.

Alois Prinz, geboren 1958, gehört zu den hochkarätigen und viel beachteten Autoren im Bereich Biografien. Er studierte Literaturwissenschaft, Politologie und Philosophie, parallel dazu absolvierte er eine journalistische Ausbildung. Bekannt wurde er durch seine Biografien über Georg Forster, Hannah Arendt, Hermann Hesse, Ulrike Meinhof, Franz Kafka, den Apostel Paulus und Jesus. Er wurde mehrfach ausgezeichnet u.a. mit dem Evangelischen Buchpreis für die Arendt-Biografie, dem Deutschen Jugendliteraturpreis für seine Biografie über Ulrike Meinhof sowie dem Großen Preis der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur. 2023 erhielt er den Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises für sein Gesamtwerk. 

PROLOG
Im Prophetenzimmer oder
Die große Entscheidung


»Prophecy Chamber«, Prophetenkammer, heißt das Gästezimmer des Union Theological Seminary in New York. Am 13. Juni 1939 zieht der deutsche Theologe und Pfarrer Dietrich Bonhoeffer hier ein. Dietrich kennt das Seminar und die Stadt. Er war vor neun Jahren schon einmal hier gewesen, als blutjunger Stipendiat, der Land und Leute kennenlernen wollte. Sein jetziger Besuch steht unter ganz anderen Vorzeichen. Er musste aus Deutschland fliehen. Sein Jahrgang soll eingezogen werden. Als Soldat müsste er einen Eid auf Adolf Hitler ablegen und wäre gezwungen, mit der Waffe in den Krieg zu ziehen. Als Christ ist das für ihn ausgeschlossen. Verweigerern droht das Konzentrationslager oder sogar der Tod.

Dietrich hatte Glück gehabt. Sein Vater, ein anerkannter Professor für Psychiatrie, hat seine Verbindungen genutzt, um Dietrichs Musterung zu verschieben. Freunde in Amerika haben alles getan, um ihn aus Deutschland herauszuholen. Sie gehen nun fest davon aus, dass Dietrich in den USA bleibt. Hier ist er in Sicherheit. Doch schon auf der Schiffsreise war er unsicher, ob seine Flucht richtig war. »Wenn nur die Zweifel am eigenen Weg überwunden wären«, hatte er in sein Tagebuch geschrieben.1

Die Zweifel lassen sich nicht vertreiben. Auch nicht, als der Präsident des Union Theological Seminary, Henry Coffin, ihn in sein Landhaus in Massachusetts einlädt. Coffin fühlt sich durch den Besuch geehrt. Trotz seiner Jugend gilt der dreiunddreißigjährige Bonhoeffer als einer der bedeutendsten deutschen Theologen und als ein führender Kopf der kirchlichen Opposition gegen Hitler. Diese Gegenkirche, die sogenannte Bekennende Kirche, ist immer mehr unter politischen Druck geraten und viele ihrer Anhänger sitzen im Gefängnis oder im KZ. Dietrich genießt die Gespräche mit Coffin und er ist begeistert von der landschaftlichen Schönheit, aber er hat das Gefühl, nicht am richtigen Platz zu sein. Ein Jahr will er bleiben, länger nicht. »Ich begreife nicht, warum ich hier bin«, schreibt er.2

Seine Gedanken sind bei seinen Freunden in Deutschland. In einem abgelegenen Gutshof bei Stettin hatten sie eine Gemeinschaft gebildet. Dietrich war ihr Lehrer. Er sollte sie auf ihren Beruf als Pfarrer vorbereiten. Aber er war auch ihr »Bruder«. Zusammen wollten sie eine christliche Gemeinschaft bilden. Nur auf diese Weise, das ist Dietrichs feste Überzeugung, gewinnt man die innere Stärke, an seinem Glauben festzuhalten und in einem Unrechtsstaat Widerstand zu leisten. Das illegale Seminar wurde im Juni 1938 von der Geheimen Staatspolizei geschlossen. Dietrich und seine Freunde haben sich nicht entmutigen lassen und im Untergrund weitergemacht. Jetzt müssen seine Gefährten ohne ihn zurechtkommen. Dauernd muss er daran denken, was aus den jungen Männern wird, die sich ihm anvertraut haben und ihm gefolgt waren. Wird man sie verhaften? Werden sie als Soldaten in den Krieg geschickt, der unvermeidlich scheint? Trägt er, Dietrich, Schuld an ihrem Schicksal?

Viele von Dietrichs Weggefährten haben sich auf Kompromisse mit dem Staat eingelassen. Er selbst blieb unbeugsam. Oder war es nur Rechthaberei, dass er so stur war? Haben jene recht, die ihn für einen arroganten Besserwisser halten oder für einen gefährlichen Fanatiker, der der Kirche mehr schadet als nützt? Dietrich hat sich diese Fragen oft gestellt. Manchmal dachte er, dass er sich selbst nicht kennt. Doch letztendlich hat er sich von seiner Haltung nicht abbringen lassen. Vielleicht hat das mit seiner Erziehung zu tun. Schon als Kind war ihm beigebracht worden, nicht auf Phrasen hereinzufallen und standhaft zu bleiben. Das hat ihn früh immun gemacht gegen die Propaganda der Nazis. Ihr engstirniger Nationalismus war ihm fremd. Dietrich war viel gereist, nach Rom, nach Spanien und Afrika. Er war mit dem Auto durch Amerika gefahren und hatte die Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung hautnah erlebt. Es war selbstverständlich für ihn, dass alle Menschen gleichwertig sind und dass die Behauptung von der Minderwertigkeit der »jüdischen Rasse« mit der Bibel nicht vereinbar ist. Man kann, so meinte er, nicht zugleich Christ und Nationalsozialist sein.

In New York wird Dietrich oft eingeladen zu Ausflügen und Partys. In den Gesprächen über Musik und Kindererziehung ist er höflich und zugewandt wie immer. Aber innerlich ist ihm alles, worüber geredet wird, völlig gleichgültig. Der Gedanke lässt ihn nicht los, dass er mit seiner Flucht einen Fehler gemacht hat. Allein in seinem Prophetenzimmer geht Dietrich auf und ab und zerbricht sich den Kopf, was er machen soll. Er raucht viele Zigaretten, macht sich Notizen und schreibt in sein Tagebuch. Immer wieder greift er zur Bibel, um dort eine Antwort zu finden. Man hat ihm das Angebot gemacht, Vorträge zu halten und Flüchtlinge aus Deutschland zu betreuen. Kann er das ablehnen? Er hat seine amerikanischen Freunde gebeten, sich für ihn einzusetzen. Wäre es nicht unverständlich, feige, schwach und undankbar, einfach wegzulaufen? Aber wo wird er wirklich gebraucht? Sind die Nachrichten aus Deutschland nicht alarmierend? »Wenn es jetzt unruhig wird, fahre ich bestimmt nach Deutschland«, schreibt er in sein Tagebuch. »Ich kann nicht allein draußen bleiben. Das ist mir ganz klar. Ich lebe ja doch drüben.«3 Im August will er wieder zurückreisen.

Wenn er es in seinem Zimmer nicht mehr aushält, geht Dietrich zum Times Square oder läuft stundenlang ruhelos durch die Straßen Manhattans. Er muss sich entscheiden. Aber wie? Seine erste eigenständige Entscheidung war es gewesen, Theologie zu studieren. Jene Schulstunde kurz vor dem Abitur, als er seinen Entschluss vor der ganzen Klasse äußerte, wird er nie vergessen. Im Studium war er anfangs sehr ehrgeizig. Schon mit zweiundzwanzig ein Doktor. Mit vierundzwanzig hielt er seine erste Vorlesung an der Universität. Immer der Jüngste, immer der Beste.

Doch dann hatte sich etwas mit ihm verändert. Er hat angefangen, die Bibel anders zu lesen. Nicht mehr seine eigenen Gedanken und seine Karriere waren ihm wichtig, sondern die Frage, was Gott von ihm erwartet. Diese Wende in seinem Leben hat ihn glücklich gemacht, und er wusste nun, dass er endlich »auf die richtige Spur«4 gekommen ist. Diese Spur hat ihn zu dem Entschluss gebracht, ein Leben nach den Werten der Bibel zu führen. »Nachfolge« nannte er das. Diese Nachfolge gründet im Glauben, aber sie wird zwangsläufig politisch dann, wenn Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Dietrich Bonhoeffer war lange Zeit ein unpolitischer Mensch gewesen. Erst als Theologe und Christ wurde er zum politischen Rebellen. Und sein Widerstand lässt sich nur aus seinem Glauben und seinen theologischen Gedanken verstehen.

Soll er bleiben oder das nächste Schiff in die Heimat nehmen? Dietrich wägt alles Für und Wider ab. Er sollte froh sein, der Gefahr in Deutschland entronnen zu sein. Auch seine Schwester Sabine musste mit ihrem Mann, der aus einer jüdischen Familie kommt, ins Ausland fliehen. Viele Menschen, deren Leben in Deutschland bedroht ist, können nicht wie er das Land verlassen. Und andere, die geflohen sind oder fliehen mussten, unterstützen jetzt vom Ausland aus den Widerstand gegen das Hitler-Regime. Sollte er, Dietrich, das auch tun? Er hat viele Kontakte zu kirchlichen und politischen Kreisen in anderen Ländern.

Alle diese Überlegungen sind vernünftig. Für andere mögen sie richtig sein. Aber für ihn? Was ist für ihn das Richtige? Dietrich ist überzeugt, dass man die letzten Motive seines Handelns nicht erkennen kann. Sicher kann man alles begründen. Aber letztendlich ist jede Entscheidung eine Entscheidung ins Dunkle. Es bleibt einem nur die Hoffnung und der Glaube, dass man von einem höheren Willen geführt wird und man sich diesem Willen anvertrauen darf. Ohne das Vertrauen, dass einem die Fehler, die man macht, und die Schuld, die man auf sich lädt, vergeben werden, könnte man sich nicht entscheiden, nicht handeln.

Dietrich hat Angst vor dem entscheidenden Gespräch mit Professor Henry Leiper, der sich wie kein anderer für ihn eingesetzt hat. Am 20. Juli treffen sich die beiden zum Mittagessen. Leiper hat konkrete Pläne, wie Dietrichs Zukunft in den Staaten aussehen könnte. Dietrich lehnt alles ab. Leiper ist enttäuscht und auch verstimmt. Aber Dietrich lässt sich nicht mehr von seiner Entscheidung abbringen. »Für mich bedeutet es wohl mehr, als ich im Augenblick zu übersehen vermag. Gott allein weiß es«, schreibt er abends in sein Tagebuch. »Es ist merkwürdig, ich bin mir bei allen meinen Entscheidungen über die Motive nie völlig klar. Ist das ein Zeichen von Unklarheit, innerer Unehrlichkeit, oder ist es ein Zeichen dessen, dass wir über unser Erkennen hinausgeführt werden, oder ist es beides?«5

Am 7. Juli ist Dietrich auf dem Schiff, das ihn wieder zurück nach Deutschland bringt. Kurz nach Mitternacht legt es ab. Nach einem hochsommerlichen Tag ist es immer noch sehr warm und der Mond steht über den Wolkenkratzern Manhattans. Sechsundzwanzig Tage war er hier. Er bereut seine Reise nicht. Doch jetzt ist er erleichtert. Sein innerer Zwiespalt hat sich gelöst. Er weiß, dass er etwas Wichtiges gelernt hat, das seine zukünftigen Entscheidungen beeinflussen wird. »Wahrscheinlich wird sich diese Reise sehr bei mir auswirken«, schreibt er in sein Tagebuch.6

Als Dietrichs Nachfolger, der neue Gastdozent, in das Prophetenzimmer einzieht, wundert er sich über die Unordnung. Volle Aschenbecher stehen auf dem Tisch. Überall verstreut liegen beschriebene Papierbögen. Er kann nicht wissen, dass Dietrich...

Erscheint lt. Verlag 21.8.2017
Mitarbeit Designer: Irmela Schautz
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Literatur Romane / Erzählungen
Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
Schlagworte Biografie • Biographie • Bonhoeffer • Dem Rad in die Speichen fallen • Hannah Arendt • Jesus von Nazaret • Lebensgeschichte • Schullektüre • Von guten Mächten • Widerstand Nationalsozialismus
ISBN-10 3-522-63059-9 / 3522630599
ISBN-13 978-3-522-63059-7 / 9783522630597
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