Was wir dachten, was wir taten -  Lea-Lina Oppermann

Was wir dachten, was wir taten (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
104 Seiten
Beltz (Verlag)
978-3-407-74770-9 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
6,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Amokalarm. Eine maskierte Person dringt ins Klassenzimmer ein und diktiert mit geladener Pistole Aufgaben, die erbarmungslos die Geheimnisse aller an die Oberfläche zerren. Arroganz, Diebstähle, Mitläufertum, Lügen - hinter sorgsam gepflegten Fassaden tun sich persönliche Abgründe auf. Fiona ringt fassungslos mit ihrer Handlungsunfähigkeit, Mark verspürt Genugtuung und Herr Filler schwankt zwischen Aggression und Passivität. Als sie den Angreifer enttarnen, sind die Grenzen der Normalität so weit überschritten, dass es für niemanden mehr ein Zurück gibt.

Lea-Lina Oppermann wurde am 1. April 1998 in Berlin geboren. Sie wuchs in Hennef auf und verfasste dort während der Schulzeit ihr Debüt »Was wir dachten, was wir taten« (ausgezeichnet mit dem Hans-im-Glück-Preis und dem Wi(e)derworte-Preis der Stadt Monheim am Rhein). Vier Jahre verbrachte sie an einer staatlichen Hochschule für Musik und darstellende Kunst. Inzwischen lebt sie in Leipzig.

Mark


»Ich behalt meine Sachen an.« Mit versteinerter Miene krallte sich Jan an seinem Stuhl fest. Ganz weiß wurden seine Finger dabei. »Das ist doch … Richtig pervers ist das. Vor der ganzen Klasse.«

Ich glaube, das war das erste Mal, dass er gegen etwas war. Wobei, wissen kann man das ja nicht, vielleicht war es auch bloß das erste Mal, dass er es auch aussprach.

Jan und ich sind damals zusammen sitzen geblieben und eigentlich müsste uns das ja zusammenschweißen. Und klar, er war schon ganz in Ordnung. Nicht so ein Schönling wie Sylvester und auch kein Streber wie Fiona, bei der man immer Angst hat, was Dummes zu sagen. Aber wenn man sich mit ihm unterhält, ist das, als würde man mit einem Papagei quatschen, der nichts anderes als »Find ich auch« gelernt hat. Besonders, wenn er bekifft ist.

»Ja, stimmt«, bekräftigte Tamara, »find ich auch.«

Herr Filler


Vielleicht wäre alles ganz anders gekommen, wenn der erste Wunsch sich nicht an mich gerichtet hätte. Oder, wenn ich mich geweigert hätte, ihn zu erfüllen.

Sosehr die beiden sich auch bemühten, sich dem Wunsch des Bewaffneten zu widersetzen, im Grunde hatten sie bereits verloren und das wussten sie auch. Denn wenn Napoleon kapituliert hat – wer setzt sich dann noch ernsthaft zur Wehr?

Schade, dass ich kein Held bin, dachte ich beschämt, während Tamara sich ihre Bluse über den Kopf zog und Jan seinen Pullover. Während sich die beiden dem Befehl des Unbekannten fügten, genau wie zuvor ich.

Ein Held wäre ich gern gewesen, ein Held schon. Aber kein Märtyrer.

Fiona


Greta starrte wie hypnotisiert auf ihre Hände, aber ich konnte nicht anders, ich musste einfach hingucken.

Ich schaute zu, wie Tamara sich die Jeans aufknöpfte, ich schaute zu, wie Jan die Tätowierung auf seinem Rücken entblößte – ein Delfin, der über ein Herz springt, furchtbar kitschig –, und ich schaute auch nicht weg, als die beiden nur noch in Unterwäsche dastanden.

Bleich leuchteten ihre Rücken im Licht der Deckenlampen. Tamaras ganzer Körper bebte, ihre Hand zitterte, als sie sich die Unterhose zurechtzupfte – lila, mit einer Mickeymaus darauf, an den Rändern etwas zu klein.

Bis auf das Rascheln der Kleider war es peinlich still im Raum, nur Ida-Sophie entfuhr ein leises Kichern. Kaum hörbar eigentlich, aber ich hasste sie dafür.

Immerhin schaffte ich es jetzt endlich, mich von dem grotesken Anblick der beiden loszureißen.

Mark


Vielleicht wohnt in jedem von uns ein gut versteckter kleiner Sadist. Warum sonst lacht man, wenn ein Zeichentrickkater ein Klavier auf den Kopf bekommt? Oder, wenn ausgerechnet die dicksten beiden vor der ganzen Klasse einen Striptease hinlegen müssen.

Als hätten sie sich abgesprochen, gingen Tamara und Jan an den Tischen vorbei aufeinander zu. Begleitet von den Blicken einer ganzen Schulklasse, sogar die Kleine starrte fasziniert auf die beiden massigen Körper, die sich da aufeinander zubewegten. Tamara hielt ihr Kleiderbündel dicht gegen den Busen gepresst (ein beachtlicher Busen übrigens) – ich glaube, sie war kurz davor, laut loszuheulen. Jans Gesichtszüge waren vollkommen ausdruckslos, doch seine Hände ballten sich zu Fäusten.

In der Mitte angekommen, tauschten sie rasch die Klamotten und streiften sich die neuen Sachen über. Jan bekam Tamaras Bluse und Tamara Jans Baggy Pants.

»Glotzt doch nicht alle dahin, ihr Spanner«, knurrte Jill, und sprach damit aus, was jeder dachte, ohne sich daran zu halten.

Fiona


Schwer zu sagen, wer von den beiden komischer wirkte – Tamara in Jans ausgelatschter Riesenhose oder Jan in Tamaras gelb geblümter Bluse. Ida-Sophie war längst nicht mehr die Einzige, die sich ihr Kichern nicht verkneifen konnte. Selbst ich musste ein kleines Schmunzeln unterdrücken, trotz Mitleid, trotz Bedrohung. Einfach, weil es so erbärmlich lustig aussah.

Mila hätte bestimmt nicht gelacht, augenblicklich ließ das Zucken um meine Mundwinkel nach. Ich wurde wieder ernst, stockernst. Schaute an den beiden Schülern vorbei zu dem Bewaffneten. Was war mit ihm?

Unmöglich zu erraten, welche Regungen sich hinter seiner Maske abspielten. Genoss er die Vorstellung? Oder war er mit den Gedanken schon längst bei seinem nächsten Wunsch?

Der nächste Wunsch. Wenn ich daran dachte, wurde mir ganz übel. Erst spucken. Dann ausziehen. Was kam als Nächstes?

Tamara saß jetzt wieder auf ihrem Stuhl, Schweiß und Männerdeo wehten zu mir herüber. Natürlich, Jans Pullover.

»Immerhin hast du’s hinter dir«, raunte ich ihr zu. »Sei froh.«

Wer weiß, was noch kommt.

Herr Filler


Viel zu schnell richtete sich die Aufmerksamkeit wieder auf mich. Fragende Blicke, auf die ich keine Antwort wusste. Verzweifelte Gesichter, die darauf warteten, dass ich eingriff. Dass ich mein altbekanntes »Schluss mit dem Gegacker, wir sind doch hier nicht im Hühnerstall!« brüllte.

Was ich aber nicht tat. Stattdessen blieb ich stumm und reglos sitzen und spürte, wie die Schweißflecken unter meinen Achseln zu Ozeanen wurden.

Der Unbekannte schob mir den nächsten Umschlag hin. Es war ein Fehler gewesen, sich ans Fenster zurückzuziehen, das wurde mir schlagartig bewusst, als ich versuchte, möglichst schnell zurückzurollen. So was funktioniert immer, nur nicht dann, wenn dir Schüler zugucken. Eine der Rollen klemmte, weswegen ich mich fünfmal vom Boden abstoßen musste, bis ich endlich das Pult erreicht hatte. Erbärmlich.

Ich las vor, noch ehe ich den Text überflogen hatte: »Dritter Wunsch. Svea, schneide Ida-Sophie alle Haare vom Kopf ab.«

Fiona


Diesmal verkniff ich mir mein Lachen nicht. Ich konnte nicht anders, es platzte förmlich aus mir heraus – ein ersticktes, hysterisches Prusten. Na, warte. Ich biss mir auf die Wange.

Greta, Tamara und meinetwegen auch Jan, die hatten mir leidgetan. Da hatte ich mitgefühlt und mich für meine Untätigkeit geschämt. Aber bei Ida-Sophie … Nee, echt. Wenn es eine verdient hatte, dann die!

Mark


Keinen hätte der Wunsch so hart treffen können wie Ida-Sophie, das Mädchen mit den tollsten Haaren der ganzen Stufe. Haare, die man anfassen will. Wie ein Wollknäuel aus ganz weicher Watte müssen die sich anfühlen, genauso flauschig, wie man sich früher Wolken vorgestellt hat.

So gut beurteilen konnte ich das allerdings nicht, denn Ida-Sophie ließ niemanden auch nur in die Nähe ihrer Mähne. Nur, wenn Sylvester sie spielerisch an einer Haarsträhne zog, dann kicherte sie und schlug seine Hand weg, als würde sie ein Kompliment abwehren.

Ich schaute zu ihr hinüber. Stockstarr hockte Ida-Sophie auf ihrem Stuhl, während ihre Oberarme langsam anfingen zu zittern. Sie riss den Mund auf und schrie: »Nein!«

Es war mehr als ein leiser Ausruf. Es war ein durchdringender Verzweiflungsschrei, der durch das ganze Zimmer gellte. »NEIN!« Mit beiden Händen vergrub sie ihre Finger in den braunen Locken, als wollte sie sich daran festhalten. »Bitte, bitte nicht, ich liebe meine Haare!« Ein Schluchzen schüttelte ihren ganzen Körper, sie presste die Fäuste um die Strähnen und ließ sich auf den Tisch sinken. »Ich mach alles, was du willst«, flehte sie. Von vorne hätte man sicher einen mehr als guten Blick in ihren Ausschnitt gehabt. »Du kannst alles haben, alles!« Gefasster klang ihre Stimme diesmal, fast sanft. Sie beugte sich noch ein wenig tiefer über den Tisch und drückte das Kreuz durch.

Ich konnte beobachten, wie sich Sylvesters Mundwinkel verkrampften. Was genau meinte die mit alles …?

»Nur nicht meine Haare. Meine Haare, die kann ich einfach nicht abschneiden!«

»Du sollst sie ja auch gar nicht abschneiden«, entgegnete Fiona, »soviel ich weiß, ist das Sveas Aufgabe.«

Ida-Sophie hob den Kopf. Ihre Augen waren von schwarzen Seen umgeben. »Fick dich, Fiona«, fauchte sie.

Die Schere in Sveas Hand bemerkte sie erst, als die erste Strähne bereits zu Boden fiel.

Herr Filler


Niemand konnte später sagen, wo Svea dieses winzige, rosa Ding so schnell herhatte. ...

Erscheint lt. Verlag 11.7.2017
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch
ISBN-10 3-407-74770-5 / 3407747705
ISBN-13 978-3-407-74770-9 / 9783407747709
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 397 KB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich

von Stefanie Rietzler; Nora Völker-Munro; Fabian Grolimund

eBook Download (2023)
Hogrefe AG (Verlag)
14,99