Unterwegs im Leichenwagen -  Ross Macdonald

Unterwegs im Leichenwagen (eBook)

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2017 | 1. Auflage
400 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-60813-7 (ISBN)
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Eigentlich hatte man Lew Archer nur auf Colonel Blackwells ungeliebten Schwiegersohn in spe angesetzt. Doch kaum beginnt er zu ermitteln, stößt er auf eine heiße Spur, welche über verschiedene Leichen bis nach Mexiko und zurück nach Malibu führt. Dabei kreuzt ein als Fun Car genutzter Leichenwagen immer wieder Archers Weg. Sixties, Surfkultur und Gene­­rationenkonflikt sorgen für Spannungen und für Spannung.

Ross Macdonald (1915-1983) zählt zu den besten amerikanischen Kriminalautoren des 20. Jahrhunderts. Er wird in Großbritannien und Amerika und nun auch bei uns wiederentdeckt. Seine Kriminalromane gelten als Spiegel der amerikanischen Gesellschaft. Ross Macdonald war Präsident der Mystery Writers of America. 1964 gewann er den Silver, 1965 den Gold Dagger Award.

Ross Macdonald (1915–1983) zählt zu den besten amerikanischen Kriminalautoren des 20. Jahrhunderts. Er wird in Großbritannien und Amerika und nun auch bei uns wiederentdeckt. Seine Kriminalromane gelten als Spiegel der amerikanischen Gesellschaft. Ross Macdonald war Präsident der Mystery Writers of America. 1964 gewann er den Silver, 1965 den Gold Dagger Award.

{7}1. Kapitel


Sie wartete vor der Bürotür, als ich von meiner morgendlichen Kaffeepause zurückkehrte. Normalerweise liefen mir auf diesem etwas schäbigen Flur nur die verzweifelten Mädchen über den Weg, die alle Hoffnung auf die Modelagentur nebenan setzten. Diese Frau war anders.

Sie besaß die Art von Stil, der nicht mit dem Make-up aufgetragen wurde, und war etwa in meinem Alter. Wenn ein Mann älter wird und weiß, was gut für ihn ist, dann werden auch die Frauen, die ihm gefallen, älter. Leider sind die meisten von ihnen verheiratet.

»Mein Name ist Blackwell«, sagte sie. »Sie müssen Mr. Archer sein.«

Ich bestätigte ihre Vermutung.

»Mein Mann ist in ungefähr einer halben Stunde mit Ihnen verabredet.« Sie sah auf eine Armbanduhr, auf der Diamanten funkelten. »In fünfunddreißig Minuten, genauer gesagt. Ich warte schon einige Zeit.«

»Das tut mir leid, ich war auf dieses Vergnügen nicht vorbereitet. Colonel Blackwell ist der einzige Besucher, den ich heute Vormittag erwarte.«

»Gut. Dann können wir uns unterhalten.«

Ich würde nicht unbedingt sagen, dass sie ihren Charme versprühte. Der Charme war einfach da. Ich schloss die {8}Außentür auf und führte sie durchs Wartezimmer und die Tür mit der Aufschrift »Privat« in mein Büro, wo ich ihr einen Stuhl zurechtrückte.

Sie saß aufrecht, ihre schwarze Ledertasche unter den Ellbogen geklemmt, darauf bedacht, mit dem Stuhl so wenig in Berührung zu kommen wie möglich. Ihr Blick richtete sich auf die Polizeifotos an der Wand, die Gesichter, die einen in schlechten Träumen und allzu oft auch im Wachzustand verfolgen. Sie schien verstört. Vielleicht machten die Bilder ihr bewusst, wo sie war, wer ich war und womit ich meinen Lebensunterhalt verdiente.

Ihr Gesicht gefiel mir. Dunkle intelligente Augen, die Wärme ausstrahlen konnten. Ein Hauch von Schwermut um den Mund herum. Es war ein Gesicht, das Leid erlebt hatte und die Bekanntschaft damit gerade zu erneuern schien.

Um ihr ein wenig auf den Zahn zu fühlen, sagte ich: »›Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren.‹«

Sie errötete leicht. »Sie haben ein gutes Gespür für Stimmungen. Ist das ein Standardspruch von Ihnen?«

»Ich habe ihn schon früher mal verwendet.«

»Und Dante auch.« Sie hielt inne, dann sprach sie schneller und aufgeregter weiter. »Mein Kommen muss Ihnen eigenartig erscheinen. Sie dürfen nicht denken, dass mein Mann und ich miteinander im Streit liegen. Davon kann eigentlich keine Rede sein. Aber was er vorhat, könnte verheerende Folgen haben.«

»Am Telefon hat er sich nicht genauer dazu geäußert. Trägt er sich mit dem Gedanken an eine Scheidung?«

»Um Himmels willen, nein. Probleme dieser Art gibt {9}es nicht in unserer Ehe.« Vielleicht fiel ihr Widerspruch ein bisschen zu hef‌tig aus. »Es ist die Tochter meines Mannes, um die ich mir – um die wir uns beide Sorgen machen.«

»Ihre Stief‌tochter?«

»Ja, obwohl ich diesen Ausdruck nicht mag. Ich habe versucht, ihr etwas Besseres zu sein als die sprichwörtliche Stiefmutter. Aber ich bin erst sehr spät an Harriet geraten. Sie war noch ein Kind, als sie ihre Mutter verlor.«

»Ihre Mutter ist gestorben?«

»Pauline ist noch ausgesprochen lebendig. Aber sie hat sich vor Jahren von Mark getrennt, als Harriet elf oder zwölf war. Die Scheidung der Eltern kann so ein junges Mädchen schwer treffen, gerade so kurz vor der Pubertät. Ich konnte Harriet dann nicht mehr viel Unbeschwertheit vermitteln. Sie ist eine erwachsene Frau, und natürlich misstraut sie mir.«

»Warum?«

»Das liegt in der Natur der Sache, wenn ein Mann zum zweiten Mal heiratet. Harriet und ihr Vater standen sich immer sehr nahe. Bevor ich ihn heiratete, hatte ich einen besseren Zugang zu ihr.«

Mit einer Geste des Unbehagens wandte sie ihre Aufmerksamkeit mir zu. »Haben Sie Kinder, Mr. Archer?«

»Nein.«

»Waren Sie je verheiratet?«

»Ja, aber ich sehe nicht ganz, was das zur Sache tut. Sie sind nicht gekommen, um mein Privatleben zu erörtern. Sie haben überhaupt noch nicht erklärt, warum Sie hier sind, und in Kürze wird Ihr Mann aufkreuzen.«

{10}Sie sah auf die Uhr und schnellte, allein durch die innere Anspannung, wie mir schien, unwillkürlich hoch.

Ich bot ihr eine Zigarette an, die sie ablehnte, und zündete mir selbst eine an. »Täusche ich mich, oder haben Sie ein wenig Angst vor ihm?«

»Da täuschen Sie sich gewaltig«, wehrte sie entschieden ab, doch dann suchte sie nach Worten. »Angst habe ich nur davor, ihn zu enttäuschen. Mark muss mir vertrauen können. Ich möchte nicht hinter seinem Rücken agieren.«

»Und doch sind Sie jetzt hier.«

»Ja, das bin ich.« Sie ließ sich auf den Stuhl zurücksinken.

»Was uns wieder zu der Frage nach dem Warum führt.«

»Ich will offen mit Ihnen sein, Mr. Archer. Mir gefällt Marks Schlachtplan nicht« – sie gab ihrer Formulierung eine ironische Note –, »und das weiß er auch. Ich habe Sozialarbeit gemacht und besitze eine Vorstellung davon, was es heißt, als junge Frau in der Welt von heute zurechtzukommen. Meiner Meinung nach ist es das Beste, der Natur ihren Lauf zu lassen. Soll Harriet diesen Mann doch heiraten, wenn ihr Herz an ihm hängt. Aber Mark kann meinen Standpunkt nicht nachvollziehen. Er lehnt diese Verbindung rundweg ab und ist entschlossen, etwas Drastisches zu unternehmen.«

»Und dieses Drastische bin ich.«

»Sie sind eine Variante davon. Von Pistolen und Reitpeitschen war auch schon die Rede. Nicht dass ich«, fügte sie rasch hinzu, »alles ernst nehmen würde, was er sagt.«

»Ich nehme es immer ernst, wenn jemand von Waffen spricht. Was soll ich also für Sie tun?«

{11}Ihr Blick war zu den Fotos an der Wand zurückgekehrt. Mörder, Steuersünder, Bigamisten und Betrüger sahen sie unverfroren an. Sie nahm ihre Handtasche auf den Schoß und hielt sie fest.

»Nun, ich kann Sie wohl schlecht bitten, ihm abzusagen. Das würde ohnehin nichts nützen. Dann sucht er sich einen anderen Detektiv, um ihn auf Harriet und – ihren Freund anzusetzen. Ich wollte Sie eigentlich nur auf seinen Besuch vorbereiten. Sie werden eine sehr einseitige Schilderung der Situation von Mark erhalten.«

»Was ich von Ihnen bisher gehört habe, war sehr vage.«

»Lassen Sie es mich noch einmal versuchen«, sagte sie mit verkrampf‌tem Lächeln. »Vor ungefähr fünf Wochen ist Harriet nach Mexiko gereist. Mit der erklärten Absicht, ihre Mutter zu besuchen – Pauline lebt am Chapalasee – und ein wenig zu malen. Tatsache ist aber, dass sie kein besonders gutes Verhältnis zu ihrer Mutter hat, und ihr Talent als Malerin ist auch nicht weltbewegend. Ich glaube, sie ist ganz bewusst zum Chapalasee gefahren, um dort einen Mann zu finden. Irgendeinen beliebigen Mann. Das soll nicht zynisch klingen, ich hätte unter den gegebenen Umständen vielleicht das Gleiche getan.«

»Was für Umständen?«

»Ich meine die zweite Ehe ihres Vaters mit mir. Es war ganz offensichtlich nicht das Richtige für Harriet, mit uns zusammenzuleben. Zum Glück für sie, für uns alle, war ihre kleine Expedition erfolgreich. Sie hat einen Freund erbeutet und ihn lebend zurückgebracht.«

»Hat das lebende Exemplar einen Namen?«

{12}»Er heißt Burke Damis und ist Maler. Der junge Mann ist zwar nicht unbedingt das, was man eine gute Partie nennt – mein Mann neigt dazu, das gesellschaftliche Ansehen überzubewerten –, aber doch eine recht angenehme Erscheinung. Er hat kein Geld, was einer von Marks Einwänden ist, aber dafür hat er künstlerisches Talent, sehr viel mehr Talent als Harriet, wie sie sehr wohl weiß. Und schließlich wird sie so viel Geld besitzen, dass es ohnedies für beide reicht. Mit seinem Talent und seiner – Männlichkeit und mit ihrem Geld und ihrer Hingabe hätten sie alles, was man für eine Ehe braucht, würde ich sagen.«

»Sie wird zu Geld kommen?«

»Zu einer ganzen Menge Geld, und zwar recht bald. Eine ihrer Tanten hat ihr ein beträchtliches Erbe als gebundenen Fonds hinterlassen. Harriet kann darüber verfügen, sobald sie fünfundzwanzig ist.«

»Wie alt ist sie jetzt?«

»Vierundzwanzig. Alt genug, um ihren eigenen Kopf durchzusetzen, ihr eigenes Leben zu leben und sich von Marks Herrschaft zu befreien –« Sie hielt inne, als hätte sie sich schon allzu weit vorgewagt.

Ermunternd sagte ich: »Herrschaft ist ein starkes Wort.«

»Das ist mir so herausgerutscht. Es ist nicht meine Absicht, meinen Mann hinter seinem Rücken schlechtzumachen. Er ist ein guter Mensch, im Rahmen seiner Möglichkeiten, aber wie viele Männer ist er gegen Torheit in Gefühlsdingen nicht gefeit. Dies ist nicht Harriets erste Liebesbeziehung, die er zu hintertreiben versucht. Bisher ist es ihm immer gelungen. Wenn er es auch diesmal schaff‌t, könnten wir es mit einem sehr traurigen Mädchen zu tun {13}bekommen.« In ihrem Gesicht spiegelte sich lebhafte Anteilnahme.

»Sie sorgen sich wirklich um Harriet, Mrs. Blackwell.«

»Ich sorge mich um uns alle drei. Es tut Harriet nicht gut, im Schatten ihres Vaters zu leben. Und mir tut es nicht gut, dabei zuzusehen. Ich bin nicht der Typ, der tatenlos zusieht – und je länger das so geht, desto schlimmer wird es werden. Harriet ist im Grunde sehr verletzlich, und Mark ist eine sehr dominierende Persönlichkeit.«

Wie um diese Bemerkung zu untermalen, ertönte im Vorzimmer eine kräf‌tige männliche Stimme. Ich kannte sie von meinem Telefonat mit...

Erscheint lt. Verlag 25.10.2017
Übersetzer Karsten Singelmann
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Beach Boys • Coen-Verfilmung geplant • Donna Leon • Generationenkonflikt • Krimi • Leiche • Malibu Beach • Mexiko • Neuübersetzung • Schwiegersohn • Sixties
ISBN-10 3-257-60813-6 / 3257608136
ISBN-13 978-3-257-60813-7 / 9783257608137
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