Böse Schatten (eBook)

Kriminalroman
eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
416 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-21895-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Böse Schatten -  Christian Ditfurth
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In Hamburg wird die Leiche eines Mannes gefunden, der 25 Jahre zuvor zu Tode gefoltert wurde. In seinem Mund steckt ein Fetzen Papier, von dem sich die Polizei Rückschlüsse erhofft. Oberkommissarin Rebekka Kranz bittet Josef Maria Stachelmann, den frisch berufenen Uni-Professor mit Privatschnüffler-Vergangenheit, um Hilfe. Eine Autobombe explodiert vor seinem Haus, in seiner Wohnung sind Abhörwanzen, er wird offen beschattet, sein Assistent Georgie wird schwer verletzt. Aber Stachelmann lässt nicht locker und stößt bei seinen Recherchen auf ein finsteres Kapitel der deutsch-deutschen Geschichte.

Christian von Ditfurth erweist sich erneut als Meister allerbester Spannungsliteratur mit politischem Anspruch.

Christian v. Ditfurth, geboren 1953, ist Historiker und lebt als freier Autor in Berlin und in der Bretagne. Neben Sachbüchern und Thrillern wie »Der 21. Juli« und »Das Moskau-Spiel« hat er die Krimiserie um den Historiker Josef Maria Stachelmann und die Eugen-de-Bodt-Serie veröffentlicht. »Tanz mit dem Tod« ist der Auftakt einer historischen Krimiserie um den Polizeikommissar Karl Raben, die im Berlin der 1930er Jahre beginnt.

Prolog

Der Junge hielt die Holzkiste vor dem Bauch. Die Hand der Mutter lag auf seiner Schulter. Er hatte Tränen in den Augen und presste die Lippen aufeinander. Der Vater trat den Spaten in die Erde. Das Stahlblatt schleifte im Erdgestein. Er drückte auf den Spatenknauf und stemmte einen Brocken Erde heraus. Ein Regenwurm kringelte unter die Hecke. Es war ein schattiger Platz, an dem sie Tiger begraben wollten. Ein Auto hatte den Kater überfahren. Er war nicht mal drei Jahre alt geworden. Tiger hatte sich nach dem Unfall noch in den Garten zurückgeschleppt. Am Morgen fand ihn die Mutter, da war er schon steif. Sie hatten Tiger vor zwei Jahren aus dem Tierheim geholt. Er war vielleicht zwölf Wochen alt gewesen. Der Kater war anhänglich geworden. Dem Jungen war er fast überallhin gefolgt. Morgens, wenn er zur Schule ging, lenkte die Mutter den Kater ab, damit er dem Jungen nicht nachrannte.

Der Vater wischte sich die Stirn. Er war stämmig und groß. Früher hatte er in einem Verteilzentrum der Post gearbeitet. Bis seine Vorgesetzten merkten, dass er ein Organisator war. Nach ein paar Jahren leitete er das Verteilzentrum, in dem er als Lehrling angefangen hatte. Dort hatte er auch seine Frau kennengelernt. Die hatte lange am Band gestanden, wo Millionen von Paketen vor ihren Augen vorbeigezogen waren. Nachdem sie geheiratet hatten und sie schwanger geworden war, arbeitete sie erst halbtags, dann blieb sie zu Hause. Sie konnten es sich nun leisten. Die beiden waren gute Eltern und liebten sich immer noch. Selten kam es zum Streit.

Der Vater seufzte und grub weiter. Nach ein paar Spatenstichen winkte er dem Jungen, die Kiste ins Grab zu legen. Aber das Loch war zu flach. Der Junge hob die Kiste wieder heraus. Der Vater stieß das Spatenblatt in die Erde. Es knirschte. Er ruckelte am Stiel und brach einen Erdbrocken frei. Den hob er an, dann erstarrte er und ließ den Brocken in die Grube zurückfallen. »Scheiße!«, stammelte er.

Der Junge starrte in die Grube. Sein Mund öffnete sich wie in Zeitlupe, dann schrie er. Der kleine Holzsarg plumpste auf den Boden, der Deckel öffnete sich. Ein schwarz-weißer Katzenkadaver fiel aus der Kiste. Wie tiefgefroren. Die Mutter schlug sich die Hand vor den Mund.

Es zog ihre Blicke an wie ein Magnet. Knochenstücke an Gelenken in der Grube. Dazu ein Finger, am Mittelhandknochen abgetrennt.

1

Er schwitzte, und seine Hände zitterten. Er steckte sie in die Hosentaschen. Dann drehte er sich zum Fenster. Zog ein Schnupftuch hervor und tat so, als putzte er sich die Nase. Hastig wischte er mit dem Tuch die Stirn trocken. Der Rücken war feucht. Er fror. Als er sich umdrehte, sah er die Gesichter. Sah die Erwartung. Erinnerte sich an die Ankündigung. Sein Vortrag mit dem Titel »Gedenken oder Geschichtspolitik?«. Ein Titel, der ihm gleich fremd war, als er ihn zum ersten Mal auf dem Plakat las. Dröge. Obwohl er von ihm stammte. Sie hatten ihn nach einem Titel gefragt, und ihm war gerade nichts Besseres eingefallen. Dann wollte er es nicht mehr ändern. Es hätte den falschen Eindruck gemacht. Weiße Schrift auf schwarzem Hintergrund. Reißerisch sah es aus, langweilig las es sich. Anmaßend vor allem. Aber nun stand es überall. Und in den Gesichtern sah er, dass er den Anspruch einlösen musste. Das Versprechen, Trauer von Lüge zu trennen, Nachdenklichkeit von Berechnung, Wirklichkeit von Erfindung. Was, verdammt, ist wirklich? Alles Konstruktion? Aber es gibt doch Fakten. Gedanken verwirbelten in seinem Hirn. Warum konnte er sich nicht einen Dutzendstoff aussuchen, wie es die meisten taten? »Das KZ-System des Nationalsozialismus« etwa, um bedeutungsschwanger zu berichten, was schon hundertmal berichtet worden war. Warum zog es ihn immer aufs Glatteis, wo es doch leichter war, feste Wege zu finden? Gewiss, er hatte es immer geschafft. Bisher. Hatte seinen Magister gemeistert. Hatte promoviert. War Dozent am Historischen Seminar der Uni Hamburg geworden. Hatte ein Büro im Philosophenturm gehabt. Bis er Bohming zu Fall brachte. Den Sagenhaften. Den Chef. Professor Bohming hatte alle Historikerschlachten ohne Kratzer überlebt. War nicht im schwarzen Loch gelandet wie Nolte, der Finsterling. Aber Stachelmann hatte ihn erwischt. Den Betrüger. Bohming saß nun Tag für Tag in seinem Wohnzimmer und starrte trüb vor sich hin. So war es jedenfalls bei ihrer letzten Begegnung gewesen. So musste es heute noch sein. Bohming, der nicht wusste, wo er hinsollte mit seinem Hass auf Stachelmann. Ausgerechnet der saß nun auf dem Lehrstuhl. Professor Josef Maria Stachelmann. Es hörte sich so falsch an, als hätten sie ihn zum Kaiser der Salomonen ausgerufen.

Sie saß in der ersten Reihe. Vor dem Rednerpult. Eingerahmt von den Männern. Das war ein Oberbegriff, unter dem wegen ihrer Verwechselbarkeit und Austauschbarkeit die Lehrstuhlmitarbeiter Lehmann und Ostermann zusammengefasst wurden. Die Männer verehrten Anne natürlich und fragten sich, warum ausgerechnet Stachelmann sie abgekriegt hatte. Dinge gibt’s.

Anne hätte nicht kommen dürfen. Wenn er schon versagte, dann nicht vor ihr. Stachelmann hatte ein paarmal versucht, ihr den Besuch bei seiner Antrittsvorlesung zu vermiesen. Aber sie hatte ihn nicht verstanden. Seine Andeutungen verstand sie nie. Wenn jemand einen Anspruch habe, dabei zu sein und sogar in der ersten Reihe zu sitzen, dann doch sie. Sie hatte recht. Wie immer. Das nagte an ihm. Wie immer.

Seine Augen suchten Bohming. Er würde nie wiederkommen. Das musste Stachelmann lernen. Er war jetzt der Chef. Aber ohne Bohming fehlte was. Das merkte er erst, seit er als Privatschnüffler in Geschichtsfragen gescheitert war.

Was kommt jetzt?

In der letzten Reihe entdeckte er Georgie. Der spielte mit seinem Handy. Was wollte Georgie hier? Georgie gehörte zu seinem alten Leben. Hatte sich selbst als Detektivgehilfe eingestellt. War plötzlich da gewesen. Unentbehrlich geworden. Und ein Dauerärgernis. Bei ihm konnte sich Stachelmann nur auf eines verlassen, nämlich auf seine Launen. Er kam und ging, wann es ihm passte. Hing im Notfall bestimmt gerade in einer Schwulenkneipe rum. Anne hatte nicht verstanden, was er an Georgie fand. Sie mochte ihn nicht, auch wenn sie es nicht zugab.

Er erschrak, als er die Stimme hörte. Der Dekan war ans Pult getreten und hatte zu reden begonnen. Professor Huld hüstelte, dann setzte er seine staubtrockene Ansprache fort. Das Hüsteln hielt er bestimmt für einen dramatischen Höhepunkt. Redete von einem Kollegen, dessen wissenschaftlicher Ruf keinesfalls gelitten habe, als er eine Auszeit genommen habe. Hüstel. Der wie kaum ein anderer befähigt sei, einen auch international beachteten Lehrstuhl zu bekleiden. Nun habe der Kollege gewiss nicht so viele wissenschaftliche Arbeiten vorgelegt wie manch anderer. Aber was er veröffentlicht habe, sei von umso beeindruckenderer Qualität und nachhaltigerer Gültigkeit.

Wie kommt einer nur auf solche Wendungen?, dachte Stachelmann. Hohl, hohler, Huld. Stachelmann würde es nie lernen, mit hundert Wörtern nichts zu sagen. Dann noch solche Wörter.

Sein Magen zog sich zusammen. Gleich musste er ans Rednerpult treten. Das Manuskript seines Vortrags wartete im Fach unter der Tischplatte. Ob er etwas vergessen hatte? Er erinnerte sich, als er in einer Vorlesung immer wieder in seinen Papieren blättern musste, weil die Reihenfolge nicht stimmte. Und wenn eine Seite fehlte? Er hatte den Text gar nicht mehr gründlich durchgesehen. In diesem Augenblick wusste er überhaupt nicht, was er vortragen würde. In seinem Hirn herrschte Leere.

Beifall, als Huld sagte: »Ich übergebe nun das Wort dem verehrten Kollegen Stachelmann, der mit dieser Vorlesung sein neues Amt antritt.«

Die Knie zitterten, als er ans Pult trat. Er spürte ein Stechen im Rücken. Es würde sich ausweiten, zuerst in die Beine schießen. Er hatte vergessen, die Diclofenac-Tablette zu schlucken. Sonst tat er es immer auf Verdacht, wenn etwas Wichtiges anstand. Ein Griff in die Jacketttasche genügte. Aber wie sah das aus? Als nähme er ein Aufputschmittel.

Er richtete seinen Blick auf einen Fleck an der Rückwand. Dann schaute er aufs Manuskript. Die Buchstaben verschwammen. Auf dem Kopf wurde es heiß. Gleich würde er unter den Haaren schwitzen. Plötzlich begann sein Mund zu reden. Er blickte ein paarmal beiläufig ins Manuskript und ertappte sich staunend, dass er eher erzählte als vortrug.

Die Tür sprang auf. Eine schmächtige Frau. Kurze braune Haare, große Augen. Als wäre sie über sich selbst erschrocken, stand sie im Raum. Alle Blicke richteten sich auf sie. Sie hob entschuldigend die Hand und schloss die Tür. Etwas zu laut. Sie fand keinen Sitzplatz und hockte sich neben der ersten Reihe auf den Boden.

Stachelmann hatte währenddessen weitergeredet. Als er endete, herrschte Stille. Er stand da und wusste nicht, was jetzt geschehen sollte. Stimmt, ein Imbiss war vorgesehen. Dann hörte er es. Zunächst Räuspern und Husten. Ein paar Fäuste klopften auf die Tischplatten, dann klopften viele. Er blickte irritiert auf die Sitzreihen. Alle klopften. In der Mitte erhoben sich Leute und klatschten. Schließlich standen alle. Am Schluss erhob sich auch Anne. Ihr war unwohl dabei, das konnte Stachelmann nicht übersehen.

Auch die verspätete Hörerin hatte sich hingestellt. Sie klatschte und musterte Stachelmann, ohne es zu verbergen.

Huld kam nach vorn und reichte ihm die Hand. »Ausgezeichnet, Herr Stachelmann, wirklich ausgezeichnet.« Stachelmann blickte ihm in die Augen. In denen musste doch in riesigen Buchstaben Lüge stehen. Aber sie strahlten. Die Männer umarmten ihn kurz. Anne...

Erscheint lt. Verlag 12.3.2018
Reihe/Serie Stachelmann ermittelt
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Schlagworte Berlin • eBooks • Eugen de Bodt • Frankreich • Heimatkrimi • Heldenfabrik • Josef Maria Stachelmann • Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit • KgU • Krimi • Krimibestenliste • Kriminalromane • Krimis • KrimiZEIT-Bestenliste • Labyrinth des Zorns • London • Mann ohne Makel • Mit Blindheit geschlagen • Schatten des Wahns • Thriller • Zwei Sekunden
ISBN-10 3-641-21895-0 / 3641218950
ISBN-13 978-3-641-21895-9 / 9783641218959
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