Ein Stück Land (eBook)

Mein Leben mit Pflanzen und Tieren
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
288 Seiten
DuMont Buchverlag
978-3-8321-8980-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ein Stück Land -  John Lewis-Stempel
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Eine Liebeserklärung an das Leben auf dem Land Der englische Landlord John Lewis-Stempel erzählt von einer Wiese. Sie gehört zu seinem Hof Trelandon in Herefordshire an der Grenze zu Wales. Mit fesselnd genauer Beobachtungsgabe hält der Historiker, Schriftsteller und Farmer fest, wie sich dieses kleine Landstück über das Jahr hinweg verändert, was darauf und wer davon lebt. Denn es ist ebenso sein Land wie es das des Dachses, des Habichts oder auch der Gräser und Wildblumen ist, von denen er mit seltener Farbigkeit und Dramatik erzählt. Doch der in England hoch gelobte Naturschriftsteller John Lewis-Stempel beobachtet nicht nur die Landschaft, er erforscht ebenso die Historie dieses Fleckchens Erde. Er weiß, wie die Menschen hier vor 500 Jahren gelebt haben, ja sogar, wer die Hecke pflanzte, die die Wiese bis heute umrahmt. Und er ist sich seiner literarischen Ahnen stets bewusst, er zitiert Dichter wie Walther von der Vogelweide oder William Wordsworth ebenso wie alte Bauernweisheiten. In ausdrucksstarker, suggestiver Sprache berührt er den Leser und entführt ihn in den überraschend spannenden Mikrokosmos einer Wiese, eines Stücks Kulturlandschaft. »John Lewis-Stempel [schreibt] keine Fiktion, aber makellose Prosa. Guter Mann .[...] Gute Bücher für jeden.« Mark Knopfler

John Lewis-Stempel ist Farmer und Autor zahlreicher in England mehrfach preisgekrönter und hochgelobter Bücher, die regelmäßig auf den Bestsellerlisten stehen. Bei DuMont sind außerdem >Ein Stück Land< (2017) und >Im Wald< (2020) erschienen. Mit seiner Frau und seinen zwei Kindern lebt er in England und Frankreich.

Der Wintermond steigt schon über dem Merlin’s Hill empor, als ich spät am Abend hinuntergehe zur Wiese, um nach Schnepfen Ausschau zu halten. Frostige Kälte zieht auf dem Rücken des Windes heran; er lässt die letzten toten Blätter, die sich noch an die Flusseichen klammern, blechern rasseln. Als ich das Tor öffne, macht mein Herz den üblichen kleinen Hüpfer angesichts der Pracht des Anblicks: die große Ebene der Wiese, eingerahmt von Hecken, die sanfte Steigung des Merlin’s Hill zur Linken, dann ringsum der abweisende Wall der Black Mountains. Es liegt Schnee entlang der Berggipfel, Schnee, so glatt wie eine Hochzeitstorte. Auf die Wiese hinauszutreten fühlt sich an, als stünde ich auf einer weiten quadratischen Bühne, der letzte Mensch auf Erden. Es ist weder Haus noch Mensch noch Auto zu sehen. Dieses Stück Land gehört zu den Orten, bei deren Betreten man unwillkürlich ausatmet.

Die Schnepfen lieben die feuchte Ecke der Wiese, wo Wasser aus dem lecken alten Graben heraussickert und scharfe Riedgraswedel die Vorherrschaft übernommen haben. Sie kommen schon seit zwei Tagen spätabends hierher, die Erde nimmt ihre Dolchschnäbel freundlich auf und das Riedgras bietet Deckung. Schon lässt der Frost das Gras auf der Wiese geisterhaft schillern. Ein kleiner Schwarm Wiesenpieper steigt vor mir empor, langsam, als würden die Vögel zögernd eine unsichtbare Treppe erklimmen und dabei miteinander zwitschern. Der unauffällige Wiesenpieper lebt im Winter gesellig, und er ist ein echter Vogel des Graslands.

Der lateinische Name dieses Vogels ist Anthus pratensis. Pratensis heißt »auf der Wiese lebend«, »Pieper« heißt der Vogel nach seinem pfeifenden Gesang. Im Englischen wird er lautmalerisch pipit, moss cheeper, teetan oder peeper genannt – die Vielzahl von Namen zeigt, wie unmöglich es ist, die Komplexität von Vogelstimmen in bloßen menschlichen Worten wiederzugeben.

Ich glitsche hinunter in den Graben am hinteren Ende der Wiese, wo sie an die Grove Farm grenzt. Dies ist der äußerste Westen von Herefordshire, an der Westgrenze Englands, und es fällt Regen. Dieser Graben, angelegt als Ablauf für die darüberliegenden Weiden, wäre vor hundert Jahren in Flandern tief genug für einen Soldaten gewesen.

Unten in dem tropfenden, rotwandigen Graben warte ich, die Arme auf den oberen Rand gelegt. Ich warte gerne hier im Graben, unsichtbar. Manchmal bringe ich mein Gewehr mit, um Tauben, Fasane und Kaninchen zu schießen, aber keine Schnepfen. Dieser winzige Watvogel mit dem Stilett im Gesicht ist als Besucher zu selten, um von meiner Hand zu sterben. Das wäre, als ermordete man einen Gast. Eine Amsel tschilpt in einer weit entfernten Hecke.

Die Schnepfen kommen nicht. Aber Schnepfen sind immer rätselhaft; ihr Gefieder ist Hexenwerk, ein Tarnkleid aus mit der Erde verschmelzenden Bändern und Tupfen. Nach ungefähr vierzig Minuten fühle ich mich steif und kalt und alt und will gerade die Grabenwand emporklettern, als ich aus dem Augenwinkel einen verschwommenen Umriss sehe, der sich unter dem Drahtzaun hindurchzwängt und dabei am untersten Stacheldraht einige silberne Borsten hinterlässt.

Wir schreiben Tieren ein fast übernatürliches Riechvermögen zu, aber die Wahrheit ist: Weil der Wind auf mich zuweht, nimmt er meine Gegenwart nicht wahr.

Als er hinausläuft auf die Wiese, erkenne ich ihn an seinem nachgezogenen Hinterbein. Es ist das alte Dachsmännchen. Dachse machen keinen echten Winterschlaf, aber er war seit Tagen unter der Erde, um dem schneidend kalten Raureif aus dem Weg zu gehen. Obwohl er hungrig sein muss, beschließt er, zunächst durch sein Revier zu patrouillieren.

Amüsanterweise ist die Ostgrenze seines Territoriums die gleiche wie unsere; er hat den Zaun für das Vieh der Menschen als seine Reviergrenze übernommen. Entlang dieser Grenze watschelt der Dachs jetzt, schwarz-weiße Schnauze am Boden, mit Duck-und-Schnüffel-Pausen alle fünf Meter. Die Sonne ist schon vor langer Zeit untergegangen, und im Schein des Viertelmondes kann ich seine Fortschritte nur anhand des verblüffenden Leuchtens der weißen Streifen an seinem Kopf ausmachen.

Als er mit seinen übel riechenden Verteidigungslinien zufrieden ist, kommt er über die Wiese auf mich zugeschlurft.

Für Säugetiere von so beträchtlicher Größe mögen Dachse ausgesprochen winzige Essensbrocken. Als er auf zwanzig Meter herangekommen ist, sehe ich, dass er alte Kuhfladen wendet, mit der Lässigkeit eines Pizzabäckers. Bei dieser Kälte gibt es vielleicht ein paar Würmer, aber im Spätsommer, als das Gras gerade zu Heu gemäht worden war und es leicht regnete, sah ich die ganze Dachsfamilie draußen, wie sie Regenwürmer zu Hunderten verputzte. Ein Dachs kann problemlos zwanzigtausend Regenwürmer im Jahr fressen. Aber diese 2,3-Hektar-Wiese beherbergt wahrscheinlich sechs Millionen Exemplare von Lumbricus terrestris; es scheint unwahrscheinlich, dass sie den Dachsen je ausgehen werden.

Heute Abend allerdings ist die Ernte mager, und er schlurft davon. Ich folge ihm. Und genau so sollte es sein. Ihm gebührt der Vortritt. Der Dachs ist der älteste Grundeigentümer Großbritanniens; er streifte schon durch die Laubwälder Südenglands, bevor der Ärmelkanal uns vom »Kontinent« abschnitt. Auf dem Weg über die Wiese wende ich mit dem gummibestiefelten Fuß ein paar Kuhfladen, um zu schauen, was der Dachs gefressen hat. Kleine, glänzend graue Nacktschnecken.

Ich hatte unrecht, als ich sagte, die Wiese sei flach, obwohl sie für eine hügelige Gegend ungewöhnlich eben ist. In Wahrheit ist sie sanft geneigt, von Westen nach Osten. Auf den ersten Blick wirkt sie wie ein einheitlicher Lebensraum, wie alle Wiesen, aber sie ist mehr als nur ein Lebensraum, wie fast alle Wiesen. Schauen wir noch einmal hin. An den beiden Gattern, wo die Kühe warten und glotzen, ist die Erde nackt und bildet dunkle Striemen im zunehmenden Mondlicht. Wo der westliche Graben leckt, der das Wasser von der darüberliegenden Sumpfweide aufnimmt, erobern Sumpf und Schnepfen die Fläche. Ein Teil des Grabens entlang der Sumpfweide ragt in die Wiese hinein; das Wasser ist so tief und langsam, dass es einen rechteckigen Teich bildet, in dem sich Frösche und Molche vermehren. Am Ufer des Escley hebt sich ein wild wuchernder Streifen deutlich von der Wiese ab, wie ein Finger; er ist dicht von Bäumen umgeben und wird nie gemäht, weil nicht genug Platz ist, um mit dem Traktor (oder, vor langer Zeit, mit dem Pferd) und dem Mäher hineinzukommen. Unter den meisten Hecken rings um die Wiese ist die Erde trocken, vor allem am nördlichen Ende der Westhecke. Hier suchen die Schafe gerne Schutz und Schlaf; sie hinterlassen gezwirbelte Wollbüschel im Weißdorn und schwarzgrüne Dungkügelchen am Boden. Genau das tun sie gerade, eine Herde von dreißig Ryeland-, fünfzehn Shetland- und zehn Hebridean-Schafen, die schnaufend wiederkäuen. Hier wachsen die Disteln, und im Oktober stoßen die strahlenden Distelfinken in all ihrer Pracht herab, um an den Samenständen zu fressen.

Legt man sich in den Raureif und schaut flach über den Boden, ist die graue Wiese gar nicht mehr eben, sondern trägt die Beulen und Pockennarben von Jahrhunderten der Nutzung. Ein Geäder aus Wegen zieht sich über die Erde, kaum wahrnehmbar vertieft: die Trampelpfade von Generationen von Schafen. Wasser, das sich in den Hufspuren der Rinder vom letzten Jahr gesammelt hat, reflektiert das Mondlicht, als hätte jemand Hunderte von Taschenspiegeln verstreut.

Die Wiese hat auch immaterielle Konturen. Ich stehe auf und suche jenen unsichtbaren Punkt in der Mitte der Fläche, an dem die Lufttemperatur sich verändert – so stark, dass ich fröstele.

Ein kleiner Bergfluss zieht sich an der Ostkante der Wiese entlang und sucht sich seinen Weg zum Meer. Über schiefrigen Kies, in gläserne Becken und durch eine gewundene Schleife, in der eine Landzunge entstanden ist, ein Finger, wie wir das nennen. Ein Großteil der Uferböschung ist steil und mit einem Dickicht aus Ilex, Erle, Weißdorn, Hasel, Feldahorn und Efeu bedeckt: das verwilderte Kind einer uralten Elternhecke. In dem Dickicht stehen zwei majestätische Eichen, die sich altersschwach ans Ufer klammern und über dem jähen Abgrund am Fluss hängen, auf Wurzeln, dick wie Elefantenrüssel, die sich gewaltsam in die Erde zwirbeln und dabei albtraumhaft dunkle Trollhöhlen hinterlassen. Die Eichen sind ungefähr siebenhundert Jahre alt, Überbleibsel aus der Zeit, als dieses abgeschiedene Tal bewaldet war.

Wo der Fluss die Wiese verlässt, läuft das Dickicht in einem kleinen Wäldchen aus; hier, verborgen unter Farnkraut und Gestrüpp, liegt ein Fuchsbau. Füchse wohnen gerne am Wasser.

Der Fluss hat einen Namen, Escley. In seinem Buch The Place Names of Herefordshire aus dem Jahr 1916 teilt der Reverend A. T. Bannister Folgendes über das Hauptwort »Escley« mit: »Kluge Gelehrte weigern sich, Flussnamen zu erörtern; aber man ist versucht, das Wort mit jener keltischen Wurzel in Verbindung zu bringen, von der Exe, Usk, Ock und Ax-ona abstammen.« Wahrscheinlich hat er recht mit seiner Ableitung; sie scheint von einem brythonischen Wortstamm zu kommen, der »reich an Fisch« bedeutet. Einfacher ausgedrückt, ist Escley mit dem walisischen Wort für Fisch verwandt – eine lexikalische Spur, die daran erinnert, dass dieses Grenzland in der Vergangenheit zwischen zwei Nationen hin- und herdriftete und dass die Wiese heute nur eine Meile von der Grenze Englands entfernt liegt. Im Escley gibt es in der Tat Fische, und ein geduldiger Mensch, der zwischen den Erlen, die den Flusslauf säumen, seine Fliegen auswirft, könnte Forellen finden. Heute Abend murmelt der Escley...

Erscheint lt. Verlag 12.10.2017
Übersetzer Sofia Blind
Sprache deutsch
Original-Titel Meadowland: the private life of an English field
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Naturwissenschaften Geowissenschaften Geografie / Kartografie
Schlagworte Alle sachbücher • Artenvielfalt • Bauernweisheiten • Biologie • Das geheime Leben der Bäume • Ein Stück Land • England • Entschleinigung • Fauna • Feld • Flora • Freizeit, Haus & Garten • Gebrauchsanweisung für den Wald • Großbritannien • Herefordshire • Kulturlandschaft • Landleben • Landschaft • Leben auf dem Land • Leben auf einer Wiese • Meadowland • Mikrokosmos • Natur • Naturbeobachtung • Nature • Nature writing • Naturschriftsteller • Naturwissenschaften & Technik • Pflanzen • Umwelt & Ökologie • Walther von der Vogelweide • Wiese • William Wordsworth • Wohlleben • Zurück zur Natur
ISBN-10 3-8321-8980-7 / 3832189807
ISBN-13 978-3-8321-8980-8 / 9783832189808
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 11,8 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich

von Wolfgang Torge; Jürgen Müller; Roland Pail

eBook Download (2023)
De Gruyter (Verlag)
69,95