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Die Phantasie der Schildkröte (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
416 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-490385-9 (ISBN)
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8,99 inkl. MwSt
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Was passiert, wenn wir die Chance bekommen, unserem inneren Kind zu begegnen? Der dritte Roman von Judith Pinnow ist eine zärtliche, poetische Geschichte über die Kraft des Wünschens. Edith ist Mitte vierzig, Single und wohnt allein in einer kleinen Wohnung in Köln. Ihr Leben verläuft in sehr engen Bahnen. Tagsüber arbeitet sie bei einer Versicherung, abends schaut sie Fernsehen. Außer zu ihrer Mutter, mit der sie sich pflichtschuldig einmal im Monat trifft, um sich von ihr kritisieren zu lassen, hat sie kaum Kontakte. Das ändert sich, als sich eine Zehnjährige in ihr Leben drängt und ihr Aufgaben stellt. Edith muss merkwürdige Dinge erledigen, aber vor allem sich anderen Menschen öffnen. Auf dem Weg zu sich selbst hat sie skurrile Begegnungen, lernt ihren Großvater kennen und schließt Freundschaften.

Judith Pinnow, geboren 1973 in Tübingen, besuchte die Schauspielschule in Ulm und studierte am Lee Strasberg Theatre Institute in New York. Als Schauspielerin war sie in Fernsehserien und in Filmen zu sehen. Bekannt wurde sie als Fernsehmoderatorin. Mit ihrem Ehemann und Kollegen Stefan Pinnow und ihren drei Kindern lebt die Autorin in der Nähe von Köln. Bei FISCHER Krüger erschien ?Die Phantasie der Schildkröte?. Ihre Romane, ?Läuft da was?? und ?Versprich mir, dass es großartig wird? sind als FISCHER Taschenbuch erhältlich. Sie schreibt in ihrem Bauwagen im heimischen Garten und arbeitet an ihrem fünften Roman.

Judith Pinnow, geboren 1973 in Tübingen, besuchte die Schauspielschule in Ulm und studierte am Lee Strasberg Theatre Institute in New York. Als Schauspielerin war sie in Fernsehserien und in Filmen zu sehen. Bekannt wurde sie als Fernsehmoderatorin. Mit ihrem Ehemann und Kollegen Stefan Pinnow und ihren drei Kindern lebt die Autorin in der Nähe von Köln. Bei FISCHER Krüger erschien ›Die Phantasie der Schildkröte‹. Ihre Romane, ›Läuft da was?‹ und ›Versprich mir, dass es großartig wird‹ sind als FISCHER Taschenbuch erhältlich. Sie schreibt in ihrem Bauwagen im heimischen Garten und arbeitet an ihrem fünften Roman.

Für alle, die aus der Routine ihres Lebens ausbrechen möchten.

Ein kluges Buch voll Zärtlichkeit.

[...] sehr liebevoll, einfühlsam und berührend [...].

Kapitel eins


Mein Gefühl sagte mir schon den ganzen Morgen, dass irgendetwas in der Luft lag. Es lauerte auf mich. Die erste Badroutine lief noch ganz normal. Das Frühstück auch. Ich hatte wie jeden Morgen Frühstücksfernsehen mit Ella Neumann angeschaltet. Ich frühstücke nie ohne Ella. Sie ist gut gelaunt, perfekt frisiert und seit Jahren Mitte dreißig. Sie gibt mir das Gefühl, dass die Welt in Ordnung ist, auch wenn die Nachrichten, die zwischendurch laufen, das komplette Gegenteil beweisen. Ella ist wie eine gute Freundin. Nein, besser, ich kann sie nämlich jederzeit leise drehen oder abschalten. Da heute Montag ist, läuft auch der Ton des Fernsehers. Dienstags und donnerstags gucke ich Ella ohne Ton, am Mittwoch ganz normal mit Bild und Ton und freitags gibt es nur den Ton, den Bildschirm meines kleinen Küchenfernsehers drehe ich dann weg. So kann ich mich das ganze Wochenende wieder auf den Montag freuen, denn da darf ich wieder mit Bild und Ton gucken.

Bei meiner zweiten Badroutine passierte es dann. Die pigmentreduzierende Tagescreme ließ sich noch wie immer problemlos auf meine Sommersprossen auftragen. Ich klopfe sie jeden Morgen energisch mit allen zehn Fingern in die Haut, in der Hoffnung, dass die lästigen Tüpfelchen eines Tages verschwinden. Natürlich passiert das nicht. An meinem langweiligen Gesicht ist sowieso nichts zu verbessern. Ich bin fünfundvierzig, aber die meisten schätzen mich schon auf fünfzig. Niemand gibt das natürlich offen zu, aber ich sehe es in den Augen der Leute, wenn ich mein wahres Alter verrate. An Tagen, an denen ich solche Blicke nicht ertragen kann, behaupte ich einfach, ich sei fünfzig. Dann ist jeder zufrieden. Ich tusche mir die Wimpern, nur damit mir keiner im Büro nachsagen kann, ich würde mir keine Mühe geben. Meine kurzen hellbraunen Haare zupfe ich etwas mit den Fingern zurecht, eigentlich nur, um der Tagescreme noch ein paar Sekunden mehr Zeit zum Einziehen zu geben. Dann spritze ich mir eine winzige Menge getönter Creme auf meine linke Zeigefingerspitze und verteile sie auf den hässlichen Sommersprossen. Da passiert es.

Statt der winzigen benötigten Menge quillt ein ganzer Schwall aus der Tube. Die getönte Masse hält sich nicht lange auf meiner Fingerspitze auf, sondern klatscht auf mein Oberteil.

Die ganze Montagsbluse ist versaut. Das bekomme ich nie im Leben rausgewischt jetzt auf die Schnelle. Was soll ich bloß machen? Mein Dienstagsoutfit hängt zwar schon bereit, aber so kommt ja die ganze Woche durcheinander. Und wenn ich das Freitagsoberteil anziehe? Das könnte ich im Laufe der Woche waschen, bügeln und dann wie geplant freitags wieder tragen. Aber dann hätte ich zweimal die Woche dasselbe an.

Mir bleibt nichts anderes übrig, als mir ein für die Woche überhaupt nicht eingeplantes Oberteil herauszusuchen. Ich wähle wenigstens ein ähnliches Dunkelblau, schlüpfe in eine kleingemusterte Bluse und fühle mich schrecklich. Wenn der Montagmorgen so beginnt, kann die ganze Woche nur furchtbar werden. Ich hatte es geahnt. Gleich nach dem Aufwachen hatte ich schon dieses ungute Gefühl. Mein Toastbrot war auch härter als sonst.

Ich muss mich jetzt beeilen, um noch pünktlich die Straßenbahn zu erwischen. Meine Handtasche steht im Flur bereit. Ich schließe die Tür meiner kleinen Dachgeschosswohnung ab und nehme den Aufzug, um Zeit zu sparen.

Der Aufzug kommt erfreulich schnell. Das ist ungewöhnlich, weil es ein altes Ding ist mit einem Metallgitter, das man mühsam auf- und zuschieben muss. Ich schiebe, will eintreten und erstarre. Im Aufzug befindet sich eine Person. Außer mir wohnt aber niemand auf der Etage. Die Person macht keine Anstalten auszusteigen, also trete ich unwillig ein.

»Wohnst du hier?«, fragt eine helle Stimme. Nur ungern wende ich den Blick vom Boden ab. Die Person ist ein Kind in einer Jeansjacke und einer roten Baseballkappe auf den Haaren, die darunter komplett versteckt sind. Das Mädchen schaut mich interessiert an.

»Ja«, antworte ich knapp und frage mich, ob sie in ihrem Alter nicht schon wissen müsste, dass man Erwachsene nicht duzt. Ich schätze sie auf neun oder zehn, vielleicht auch elf. Ich habe keine Ahnung. Ich kann Kinder nicht leiden. Mir begegnen auch keine Kinder in meinem Leben. Ein einziges Mal hatte ich eine alte Schulfreundin mit ihrem Sohn bei mir in der Wohnung. Diese beiden Tage gehörten zu den schlimmsten in meinem Leben. Das Kind aß meine komplette Osterdeko auf, während die Mutter überall sein Spielzeug verteilte. Er war laut und unhöflich wie alle Kinder, wollte alles, bekam alles, verschmierte alles. Es war gruselig. Letztendlich habe ich eine aufkommende Magen-Darm-Grippe erfunden, um beide loszuwerden. Richtig lügen musste ich dabei gar nicht, denn nach dem Besuch war mir tatsächlich tagelang übel.

Ich wende meinen Blick wieder zum Boden und sende eisige Schwingungen aus, um keine weiteren Fragen beantworten zu müssen.

»Willst du wissen, ob ich hier wohne?«

Ich stöhne innerlich und schüttle nur unwirsch den Kopf, ohne sie anzusehen. Erst die Montagsbluse und dann das. Fehlt nur noch, dass der Aufzug stecken bleibt. Wie auf Kommando ruckelte es in der wackeligen Kabine, und der Aufzug steckt fest. Ich werde meine Straßenbahn verpassen und mit dem falschen Oberteil zu spät zur Arbeit kommen.

Hitze steigt in mir hoch. Das Kind lacht. »Ui«, sagt es, »jetzt stecken wir fest!« Sie klatscht begeistert in die Hände, als wäre im Aufzug stecken zu bleiben ein großes Vergnügen. Ich halte mich an den Gitterstangen fest und versuche, die aufkommende Panik zu unterdrücken.

»Hast du Platzangst? Ich hab mal von einer Frau gehört, die an Platzangst in einem Aufzug gestorben ist.«

Einfach nicht hinhören, sage ich mir. Einfach an etwas anderes denken. »Die hat sich so reingesteigert in ihre Angst, dass sie keine Luft mehr bekommen hat und erstickt ist. Obwohl ja Luft genug da war in dem Aufzug. Glaub ich jedenfalls. Und ich meine, hier kommt ja überall Luft rein durch die Stangen, da musst du also gar keine Angst haben.«

Sie ist gar nicht da. Lass sie einfach reden. Ich krame in meiner Tasche, um mein Handy zu finden. Nichts. Ich muss es auf dem Esstisch liegen gelassen haben.

Verzweifelt drücke ich an der Wand alle Knöpfe auf der Leiste. Sie glotzen mich nur blöd leuchtend an. Ich drücke wie verrückt den Notrufknopf, obwohl ich genau weiß, dass der nirgendwo Alarm auslöst.

»Ich glaub nicht, dass der Alarmknopf nützt. Da braucht man nämlich einen Hausmeister für. Hier gibt es keinen Hausmeister, oder? Ich hab keinen gesehen. Hausmeister wohnen immer ganz unten und haben ein kleines Fenster, aus dem sie rausschimpfen, wenn man bei ihnen klingelt. So ein Fenster gibt es in diesem Haus nicht. Ich wohne nämlich seit neuestem hier.« Sie strahlt mich an. Ich streife sie mit dem Blick, dann wende ich mich wieder den Knöpfen zu.

»Du hast nicht zufällig ein Handy dabei?«

Sie schaut mich nur ratlos an. »Hast du Angst oder hast du es eilig oder beides zusammen?«, fragt sie mich.

Ich gebe es auf, an den Knöpfen herumzudrücken, und lehne mich an die Wand. Ich schaue auf die Uhr. Meine Straßenbahn fährt gerade ein. »Verdammter Mist!«, fluche ich.

»Du kannst ruhig ›verdammte Scheiße‹ sagen. Ich bin da nicht so. Meine Mutter hat das auch immer gesagt. Magst du?« Sie zieht aus ihrer Hosentasche einen Kaugummi, der zwar noch in Papier eingewickelt, aber sicher warm und eklig ist. Ich schüttle angewidert den Kopf.

Sie zuckt mit den Schultern, steckt ihn sich selbst in den Mund und beginnt, laut zu kauen. Ich konnte ihre Anwesenheit schon vorher kaum ertragen, aber jetzt wird es unzumutbar. Vielleicht sollte ich laut um Hilfe rufen.

»Haaaaaalloooooooooooo«, brüllt das Kind plötzlich durch die Stäbe hindurch. »Wir stecken hier feeeeeheeeeeeeest!!!«

»Hör auf, so laut zu schreien!«, fahre ich sie an.

»Muss ich doch, sonst hört mich ja keiner. Hiiiiiiilfffffeeeeeeee!«, ruft sie.

»Man schreit nicht einfach ›Hilfe‹ in die Gegend«, belehre ich sie.

»Aber wir brauchen doch Hilfe.«

Da hat sie leider recht. Wir brauchen ganz dringend Hilfe. Der Alarmknopf führt ins Nichts. Keiner der Nachbarn scheint zu Hause zu sein. Ich kenne sowieso nur die alte Frau Knoppel, die ganz unten wohnt. Als Einzige im Haus hat sie einen kleinen Balkon, was völlig unsinnig ist, da sie ja im Erdgeschoss wohnt. Eigensinnig hängt er fünfzig Zentimeter über dem Boden neben dem Hauseingang herum und gibt ihr Gelegenheit, alle, die hier ein und aus gehen, genau zu überwachen. Die ersten Wochen habe ich sie noch nett gegrüßt, aber nie mehr als ein Brummen geerntet. Ich habe es dann schließlich aufgegeben. Grußlos renne ich mindestens zweimal am Tag an ihr vorbei. Meistens sitzt sie wie eine Königin auf einem Stuhl auf dem Balkon. Wenn es kühl ist, mit einer Decke. Im Winter bleibt sie hinter der Scheibe. Das ist besonders unangenehm, weil man dann ihre wachsamen Augen nur undeutlich hinter dem Glas schimmern sieht. Die anderen Nachbarn kenne ich gar nicht. Ich glaube, dass im ersten, zweiten und dritten Stock Paare leben, die glücklicherweise alle kinderlos sind. Jetzt ist wohl leider eine Familie mit Kind eingezogen.

»Wo wohnst du?«, frage ich das Kind und bemerke erst, als ich die Frage ausspreche, dass ich einen Fehler gemacht habe. Ich wollte doch kein Gespräch mit dieser Person.

»Unter dir«, sagt sie.

Wenigstens hört sie beim Sprechen auf, Kaugummi zu kauen. Darum frage ich weiter: »Wann seid ihr denn eingezogen?«

»Nur ich bin eingezogen. Mama sagt immer, ich sei ein schwieriges Kind.«

»Du bist ohne deine Eltern hier eingezogen? Du wohnst jetzt bei anderen Leuten?«

Sie nickt. Na...

Erscheint lt. Verlag 24.8.2017
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Backman • Barbery • Die Eleganz des Igels • Edith • es tut ihr leid • Frauenroman • Humor • Inneres Kind • Judith Pinnow • Köln • Märchen für Erwachsene • Meine Oma lässt grüßen und sagt • Meine Oma lässt grüßen und sagt, es tut ihr leid • Monk • Phantasie • poetisch • Schildkröte • Schneewittchen
ISBN-10 3-10-490385-9 / 3104903859
ISBN-13 978-3-10-490385-9 / 9783104903859
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