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Ort der Zuflucht (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2019
528 Seiten
Heyne Verlag
978-3-641-21916-1 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
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Verbrechen im Vergessenen - der neue große Roman von Stefanie Gercke
Die Deutsche Nina wächst in Südafrika auf. Mit knapp zwanzig wird sie von einem Mann überfallen. Sie verlässt Afrika und geht nach Deutschland. Das traumatische Erlebnis ist durch eine Teilamnesie aus dem Bewusstsein verbannt. Eine Tragödie zwingt sie vierzehn Jahre später zur Rückkehr. Ihr geliebter Vater braucht dringend eine Niere, und sie scheidet als Spenderin aus. Aber er offenbart ihr ein Geheimnis: Er hatte einst in Südafrika eine Affäre, aus der ein weiteres Kind entsprungen ist. Nina überwindet ihre Angst und macht sich auf die Suche. Stück für Stück kehrt ihre Erinnerung an den Schrecken von damals zurück. Viel zu spät erkennt sie, in welcher Gefahr sie schwebt.

Stefanie Gercke wurde auf einer Insel des Bissagos-Archipels vor GuineaBissau/Westafrika als erste Weiße geboren und wanderte mit 20 Jahren nach Südafrika aus. Politische Gründe zwangen sie Ende der Siebzigerjahre zur Ausreise, erst unter der neuen Regierung Nelson Mandelas konnte sie zurückkehren. Sie liebte ihre regelmäßigen kleinen Fluchten in die südafrikanische Provinz Natal und lebte zuletzt mit ihrer großen Familie bei Hamburg. Stefanie Gercke starb am 17. Oktober 2021.

2

Obwohl es in Pune noch früher Vormittag war, wälzte sich in der drückenden Hitze eine lärmende Menschenmenge durch die Lakshmi Road. Händler schoben ihre Verkaufskarren geschickt zwischen den Passanten hindurch und priesen lautstark Haushaltsgeräte, Blumenkränze und Schmuck an. Es roch würzig nach Curry und Kräutern, und der Geräuschpegel war ohrenbetäubend. Vor den dunklen, oft halb zerfallenen Häuserfassaden hingen farbenfrohe, mit glitzernden Borten verzierte Prachtsaris zum Verkauf. Die Blumenstände, die die Straße säumten, leuchteten im Sonnenlicht.

Mit einer müden Geste wischte Nina sich den Schweiß von Gesicht und Hals. Die Hitze, der Staub, der wie eine gelbe Decke auf der Stadt lag, und der Lärm setzten ihr beachtlich zu. Ihr luftiges Oberteil und die weiten Sommerhosen waren nass geschwitzt. Ihr Kreislauf spielte verrückt, und das Atmen fiel ihr schwer. Aber nach ein, zwei Tagen würde sie sich daran gewöhnt haben, das wusste sie von ihren früheren Besuchen in diesem faszinierenden Land.

»Wir haben schon an die vierzig Grad, wenn nicht mehr«, knurrte Konrad Friedemann neben ihr grantig.

Nina verdrehte die Augen, aber so, dass Konrad es nicht bemerken konnte. »Du als halber Sizilianer solltest dich doch bei solchen Temperaturen richtig wohlfühlen«, flachste sie und fuhr ihm über sein raspelkurzes, schwarzes Haar.

Sie machte das oft, es fühlte sich so gut an. Wie ein weicher, dichter Pelz. Für gewöhnlich schnurrte er dann vor Behagen, aber heute machte ihr seine stürmische Miene klar, dass er es offenbar nicht gerade witzig fand, an sein sizilianisches Erbe erinnert zu werden. Sein Vater war ein wortkarger, blonder Hüne von der Nordseeküste gewesen, aber seine Großeltern und seine Mutter stammten aus einem Dorf im Südosten Siziliens. Von seinem Vater hatte Konrad die beachtliche Körpergröße geerbt, von Großvater Luca Santino nicht nur seinen zweiten Vornamen Santino, sondern auch das explosive Temperament. Bisweilen kam der heißblütige Santino hinter Konrads norddeutscher Fassade hervor. Heute schien der Ausbruch kurz bevorzustehen.

»Ich verdurste gleich!«, sagte er finster und schraubte den Deckel von seiner mitgeführten Wasserflasche ab.

Bevor er jedoch trinken konnte, rempelte ihn jemand im Gedränge an, und das Wasser ergoss sich über sein Hemd. Er fluchte und schüttelte die Flasche, aber es kam kein Tropfen mehr heraus. Als nun eine Handvoll zierlicher Inderinnen in bunten Saris, die mitten auf der Straße ein Schwätzchen hielten, seinen Weg blockierten, benutzte er seine muskulösen Schultern wie einen Wellenbrecher und pflügte durch die Gruppe.

»Das war ziemlich unfreundlich«, sagte Nina in leicht tadelndem Ton. »Hast du das beim Wehrdienst in der italienischen Armee gelernt?«

»Ich lös mich gleich auf!«, war die knappe Erklärung.

»Wir schwitzen alle«, erwiderte sie. »Es ist viel zu heiß für die Jahreszeit, aber das konnte ich schließlich nicht ahnen. Hier!« Sie streckte ihm ihre Wasserflasche hin. »Ich will ja nicht, dass du verdurstest.«

»Danke«, brummte er. Er trank ein paar tiefe Züge, wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab und gab ihr die Flasche dann wieder zurück. »Das Wasser ist piehwarm.«

»Es kocht zumindest nicht. Wir sind bald am Fruit Market, da gibt es immer ein paar Stände, die gekühlte Getränke verkaufen. Überlebst du bis dahin?«

Konrad grunzte, sagte aber nichts.

Sie warf ihm einen Seitenblick zu. Irgendwie knirschte es fast jedes Mal zwischen ihnen, wenn er sie auf einer ihrer Forschungsreisen ins Ausland begleitete. Auf ihrer letzten gemeinsamen Reise nach Südamerika hatte er sich ein Magen-Darm-Virus eingefangen und eine Nacht auf der Toilette verbracht. Ein Arzt war nicht aufzutreiben gewesen, also hatte sie ihn mit Mineralwasser versorgt und mit Kohletabletten gefüttert.

Irgendwann war sie vom Jetlag todmüde ins Bett gefallen und eingeschlafen. Morgens fand sie ihn, kniend vor der Toilette zusammengesunken, den Kopf auf einen Arm gebettet, mit dem anderen umarmte er die Schüssel. Tagelang war er nicht einsatzfähig, was seine Geduld aufs Äußerste strapazierte, und das hatte sich massiv auf seine Laune ausgewirkt.

In Indien war die Wahrscheinlichkeit, einen derartigen Infekt zu bekommen, groß. Besonders für Europäer. Vielleicht ging es ihm nicht gut? Das könnte durchaus ein Grund für sein grantiges Verhalten sein.

Während sie den Rest aus ihrer Wasserflasche in einem Zug leer trank, musterte sie ihn verstohlen.

Er war unbestreitbar attraktiv. Breitschultrig, durchtrainiert, fast eins neunzig groß, blaue Augen unter grau meliertem, schwarzem Haar, und ein Lächeln, das bei Frauen seelische Verwüstungen anrichtete. Ein Playboy, ein Leichtgewicht, hatte sie anfangs geurteilt, ein rücksichtsloser Frauenheld. Vorschnell, wie sie später herausfand. Äußerlich war er der harte Kerl, aber unter seiner ruppigen Art, die er gern kultivierte, verbarg er eine mitfühlende Seele und ein butterweiches Herz. Bei ihrem ersten Treffen, das sie nie vergessen würde, war davon allerdings nichts zu merken gewesen. Gar nichts.

Sie saß in ihrem Labor, eine Tasse Kaffee in der Hand, und brütete über einer sehr schwierigen Versuchsreihe, als die Tür aufgestoßen wurde und sie als Reflexion in der Glastür ihres Laborschranks bemerkte, wie ein ihr völlig unbekannter Mann hereinstürmte. Er ließ die Faust auf den Tisch krachen, dass die Versuchsröhrchen tanzten.

»Welcher mörderische Mensch hat meine Boophone disticha ersäuft?«, knurrte er in einer Tonlage, die so rau und tief war, dass die Frage zu einer massiven Drohung wurde.

Nina wirbelte herum und starrte in wutsprühende, tiefblaue Augen.

»Hallo, ich freue mich auch, Sie kennenzulernen«, sagte sie trocken, nahm betont gelassen einen Schluck Kaffee und musterte den Eindringling.

Ziemlich groß, muskulös, schwarzes Haar, mit Grau durchzogen, Jeans, ein dunkelrotes Sweatshirt und Sneaker. Keine Socken.

»Ich will wissen, wer meine Boophone ermordet hat!« Der Mann fletschte seine Zähne, die in seinem sonnengebräunten Gesicht zahnpastaweiß leuchteten. »Die Zwiebel stand kurz vor der ersten Blüte. Nach zehn Jahren! Und jetzt hat sie jemand ertränkt! Bis oben hin stand sie im Wasser.« Er fuhr sich mit dem Zeigefinger über den Hals. »Hat alle Blätter abgeworfen, und die Zwiebel ist matschig.« Mit jedem Wort wurde seine Stimme lauter. Seine dunklen Brauen sträubten sich.

Nina war beeindruckt, zeigte es aber nicht. Eine Boophone disticha zu kultivieren war ungemein schwierig und erforderte jahrelange Geduld. Und war meistens nicht erfolgreich. Die Mischung des Substrats, das Licht und die Wasserzufuhr entschieden über Leben und Tod der Pflanze. Und schlicht auch das Glück.

»Eine Boophone disticha? Wen wollen Sie denn damit ins Jenseits befördern?«

Der Extrakt der Bushman’s Poison Bulb, wie die Pflanzen in Afrika genannt wurden, wurde noch heute von den San als Pfeilgift verwendet, und sie wusste, dass traditionelle Heiler sie hauptsächlich als Halluzinogen benutzten, allerdings auch, so wurde gemunkelt, um sich unliebsamer Personen auf diskrete Weise zu entledigen. Manchmal geschah das offenbar auch ungewollt, denn der Unterschied zwischen einer therapeutischen und der tödlichen Dosis war haarfein. Die Heiler kochten einen Sud aus der Giftzwiebel, und es hing von ihrer Sorgfalt in der Herstellung und der Potenz der gerade genutzten Pflanze ab, ob sie in der Sonne gewachsen war oder im Schatten. Die Giftzwiebel gehörte zu den Traumkräutern, die Patienten in Trance versetzten und lebhafte Klarträume und Visionen herbeiführten.

Von einem dieser Traumkräuter – sie konnte sich an den Namen Uvuma Omhlope erinnern – hieß es, dass es einen Blick ins Leben nach dem Tod ermögliche. Aber wissenschaftlich bewiesen war das nicht. Sie musste unwillkürlich lächeln. Derartige Eigenschaften wären auch in der modernen Welt ein kommerzieller Hit.

Der Mann ging nicht auf ihren Scherz ein. »Das heißt, die zehn Jahre waren völlig umsonst. Wenn ich Glück habe, kann ich gerade noch einen Sud davon kochen.« Wieder ließ er die Faust auf ihren Labortisch krachen.

»Unterlassen Sie das«, sagte sie.

Die Arme vor der Brust verschränkt, das Kinn herausfordernd vorgestreckt, ließ er seinen Blick in aufreizender Manier über ihre Gestalt laufen. Einmal rauf und wieder runter. Ein Blick wie eine körperliche Berührung. Ihr Rückgrat versteifte sich.

In den vergangenen Jahren hatten schon einige Männer vor ihm probiert, sie auf diese Weise anzuflirten, aber sie war immer zurückgeschreckt. Seit jenem Tag. Jetzt stellte sie mit nicht geringer Verwirrung fest, dass ihr die Vorstellung einer Berührung dieses Mannes nicht unbedingt unangenehm war. Im Gegenteil.

Um ihre unerwarteten Gefühle in den Griff zu bekommen, beobachtete sie ihn eine Weile über den Rand ihrer Kaffeetasse. »Muss ich Angst vor Ihnen haben?«, sagte sie schließlich.

Seine Augen funkelten blau. »Nur wenn Sie meine Giftzwiebel umgebracht haben. Haben Sie?«

»Und es ist tatsächlich eine Bushman’s Poison Bulb?«, sagte sie. »Ich bin in Südafrika geboren. In früheren Zeiten wuchsen die bei uns im Garten. Kann ich mir das Exemplar mal ansehen?«

Mit der Frage hatte sie offensichtlich einen Volltreffer gelandet. Immer noch die Arme vor der Brust gekreuzt, starrte er sie an.

»Zweifeln Sie etwa an meiner Fachkenntnis? Glauben Sie, ich habe vielleicht eine Gemüsezwiebel oder eine Narzisse hochgepäppelt?«

Nina wurde für eine...

Erscheint lt. Verlag 22.7.2019
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Affäre in Afrika • Afrika • Afrikaroman • eBooks • Familiengeheimnis • Familiensaga • Liebesromane • Roman • Romane • Südafrika
ISBN-10 3-641-21916-7 / 3641219167
ISBN-13 978-3-641-21916-1 / 9783641219161
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