Ich gehe wie ein Haus in Flammen (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
448 Seiten
Luchterhand Literaturverlag
978-3-641-18091-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ich gehe wie ein Haus in Flammen -  António Lobo Antunes
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Der neue Roman des Weltliteraten aus Portugal ist ein Glanzstück der polyphonen Stimmenführung. Alle Mieter eines ganz normalen Wohnhauses in Lissabon kommen hier zu Wort, erzählen aus ihrem Leben, von ihrer Vergangenheit, ihren Sehnsüchten und Ängsten. Sie kommen aus Portugal, Afrika oder der Ukraine, sie sind jung oder alt, einsam oder krank oder wütend, und sie wissen wenig voneinander. Was sie eint, ist die verzweifelte Suche nach Sinn, nach Wärme, nach Liebe.

António Lobo Antunes wurde 1942 in Lissabon geboren. Er studierte Medizin, war während des Kolonialkriegs 27 Monate lang Militärarzt in Angola und arbeitete danach als Psychiater in einem Lissabonner Krankenhaus. Heute lebt er als Schriftsteller in seiner Heimatstadt. Lobo Antunes zählt zu den wichtigsten Autoren der europäischen Gegenwartsliteratur. In seinem Werk, das mittlerweile mehr als dreißig Titel umfasst und in vierzig Sprachen übersetzt worden ist, setzt er sich intensiv und kritisch mit der portugiesischen Gesellschaft auseinander. Er erhielt zahlreiche Preise, darunter den »Großen Romanpreis des Portugiesischen Schriftstellerverbandes«, den »Jerusalem-Preis für die Freiheit des Individuums in der Gesellschaft« und den Camões-Preis.

ZWEITER RECHTS

Ich mag die Wohnung nicht, weil ich mich dort nicht als kleinen Jungen wiederfinde, der auf dem verglasten Balkon spielt, seit unserer Hochzeit wohnen wir darin zur Miete, und das Ergebnis, diese Kinder, dein Asthma, vor allem ich, so unbeholfen, so schwach, als ich ledig war, schützte mich meine Mutter, nicht vor meinem Vater, denn der nahm mich überhaupt nicht wahr, sondern vor meinen Schwestern und vor meinem Bruder, sie prahlte mit mir vor ihren Gästen

– Nimm die Brille ab damit Dona Adelaide diese blauen Augen sehen kann

die Welt ein verschwommener Nebel, Dona Adelaide überrascht

– Wer hätte gedacht dass sie so schön sind?

und dann sofort mitleidig

– Schade die vielen Dioptrien

ich mag weder die Wohnung noch die Möbel, das Wasser in der Blumenvase welker als die Blumen, im Fenster Schreie pfeilschneller Augenbrauen, die sie Schwalben nennen, meine Mutter unvermittelt jung

– Frühling Kleiner

als könnte man den Frühling sehen, womöglich gab es Keramikgeklimper in den Blättern oder mehr Mädchen im Freien, aber ich war für sie nicht vorhanden, die Augenbrauen des Lehrers hoben sich vom Heft zu meinem Gesicht, entschwanden, mich verachtend, über die Dächer

– In jedem Satz drei Patzer

ich mag das Schlafzimmer nicht, aus dem ich den Sessel nicht herausgenommen habe, in den man dich mit der Sauerstoffmaske setzte, ein Pantoffel am Fuß, der zweite verlorengegangen, deine Augenlider atmeten über der Maske, nicht die Lunge, deine Augenlider zwei Kröten mit faltigen Bäuchen, die sauer auf mich waren

– Du hast nie was getaugt

unter dem Haar, das noch viel welker war als die Blumen, ein paar graue Stängelchen, feuchte Blütenblätter, der Fuß mit dem Pantoffel deiner, der Fuß ohne Pantoffel der einer Fremden, monatelang hast du mir die Briefe zurückgeschickt, in denen jeder Satz drei Patzer enthielt

– So was von hartnäckig mir zu schreiben

der Fuß ohne Pantoffel unbekannt, rot, schwoll im gleichen Rhythmus wie die Augenlider an und ab, was schwoll hier nicht alles an und ab, die Wände, das Bett, die dreißig Jahre, die wir zusammen verbracht haben, ich schreibe Ihnen, weil ich Sie schätze, und zu mehr als zu dieser idiotischen Prosa war ich nicht imstande, ich wollte Sie nicht beleidigen, ich mag das Schlafzimmer ebenso wenig wie das Zimmer meiner Söhne, sie sind gegangen, und die Umrisse der Schränke sind auf dem Putz zurückgeblieben, sie fehlen mir und fehlen mir nicht, sie fehlen mir nicht, ihr Fenster geht nach hinten hinaus, früher ein offenes Feld mit Schafen, die den Klang ihrer Schellen kauten, jetzt ein Platz, die Apotheke, Farmácia Salutar, was für ein Name, Gesundheitsapotheke, ein Reisebüro, deine Schulter mit spöttischem Lachen

– Wenn Sie mir weiter schreiben wollen ist das Ihre Sache

mit Brille wie ich, nicht einmal hübsch, nicht einmal sympathisch, was fand ich bloß an dir, ich mag den in einem Altwarenhandel inmitten von Steigbügeln, Laternen, Anrichten gekauften Porzellanhund nicht, du bist gleich auf das Tier zu

– Wie goldig

und obwohl er nicht goldig war, schwieg ich, ich schwieg immer, der Kopf des Tieres nickte

– Blödmann

vom ersten Tag an bis heute

– Blödmann

eine Bulldogge mit den Hängebacken von Dona Adelaide, fragte ich sie etwas

– Hast du was gesagt?

eine verblüffte Pause, das Kinn zögerte, überlegte, entschied sich schließlich

– Blödmann

schüttelte man sie, war der Bauch hohl und eine Schraube klirrte, während das Wasser in der Vase welkte, in der Sonne belebte es sich und welkte dann wieder, ich mag die Wohnung nachts nicht, weil ich mir sicher bin, dass ich allein sterben werde, mein älterer Sohn verlangt Geld, das nicht vorhanden ist, das Gefühl, dass meine Mutter mich in einem August von einst, im Norden, ruft

– Joaquim

meine Schwager auf der Veranda, vor der Veranda der Abhang mit dem Weinberg, sie verspotteten mich

– Trantüte

und mein Vater widersprach ihnen nicht, in seinen Taschen Dutzende Zahnstocher, meine Mutter empört

– Irgendwann hast du keinen einzigen Zahn mehr im Mund

und ich erinnere mich nicht daran, bei ihm ein Lächeln erlebt zu haben, er las ständig Zeitung, meiner Meinung nach las er allerdings gar nichts, wir redeten nicht miteinander, er und ich, der Weinberg, und ohne Nebel sah man in der Ferne die Laternen von Manteigas, worüber reden, so ähnlich waren wir beide, unbeholfen, schwach, was haben Sie je Nützliches getan, Vater, etwas, von dem man was hat, wir starren einander an, und Leere, wenn wir wenigstens, wozu es sagen, es interessiert nicht, ich wohne in diesem zweiten Stock rechts, seit wir geheiratet haben, meine Frau stieg, an meinen Arm geklammert, ohne Brille die Treppe von der Kirche herunter

– Kommt da noch eine Stufe?

im Wohnzimmer verliert der Teppich seine Farbe, das Sofa rammt mir Sprungfedern in den Rücken, und auf der Truhe in der Diele das Kupfertablett für die Post, die Hochzeitsreise in einer Herberge in Sintra, in der Ausländer auf dem Flur hin und her gingen, die Scham wegen meiner herausstehenden Knochen

– Schau mich nicht an

Sintra nachts, Manteigas nachts, mein Schwager, der Architekt

– Das ist nicht Manteigas das ist Seia

meine Frau verwundert

– War das alles?

nahm die Brille vom kleinen Nachttisch

– War das alles?

das Nachthemd mit Schleifchen und Spitzen, das deine Mutter dich gezwungen hatte, in das Gepäck zu falten

– Männer fängt man mit solchen Tricks

und du hättest mich gefangen, wenn ich ein echter Mann gewesen wäre, zu viele Beine, die mich störten, ein loser Knopf

– War das alles?

kurz davor, sich in einem Spalt zu verkrümeln, und ein Holzsplitter bohrte sich in meine Handfläche, du hast ihn mit der Pinzette für die Härchen herausgezogen

– Sei doch keine Memme das tut nicht weh

vermischt mit dem

– Sei doch keine Memme

die Ausländer, die unablässig auf dem Flur unterwegs waren, Seia oder Gouveia, mein Schwager, der Arzt

– Meinen Schätzungen nach Gouveia

und du

– Das kann es doch nicht gewesen sein

neben der Küche der aus dem Brunnen gezogene Kübel, die silberne Teekanne mit Mahagonigriff, darauf drei Margeriten als Relief, meine Mutter, die Hand am Griff, den Zeigefinger der anderen Hand auf dem Deckel

– Noch etwas Tee Senhor Fonseca?

Tee für sie, Milch für mich, die Untertasse mit den Keksen

– Bedien dich nicht vor den Erwachsenen

meine Handfläche

– Ein Splitter den man kaum sieht sei keine Memme

zog sich beleidigt zurück, wenn sie Geheimnisse mit den Freundinnen austauschte und ich hereinkam, meine Frau

– Wechseln wir das Thema

und verächtliche Seitenblicke

– Der ist kein Mann der ist kein Mann

das Wasser, damals lebendig in der Vase, spähte wie die anderen zu mir herüber, wenn sie sich verabschiedeten, Gekicher auf dem Treppenabsatz, Seufzer meiner Frau vor noch mehr Gekicher

– Wenn ich das wäre

meine Mutter bereit, mich auf den Schoß zu nehmen und mich zu retten

– Joaquim

und

– Mutter

sagen, immer wieder

– Mutter

sagen bis zum Einschlafen auf einem kleinen Diwan, den es nicht mehr gibt, an einen Stofflöwen geklammert, dem ein Ohr fehlte, doch sogar ohne Ohr verteidigte er mich gegen die Welt, mein Schwager, der Arzt, zu meinem Schwager, dem Architekten

– Es könnte durchaus Seia sein

Laternen, die nicht fest standen, kamen und gingen, wie der Norden doch atmet, über den Feldern eine Milchstraße aus Grillen, jede mit einem unsichtbaren Windlicht aus Klängen, Gouveia oder Seia, Heimchen oder Maulwurfsgrillen, die Töne erreichten in der Dunkelheit unendliche Entfernungen, hör nur, die ganze Region Beira Alta zirpt, schau, der Knüppel des Verrückten mit dem Umhang, den Hunde anbellten, die noch magerer waren als ich, sie fressen Hühner, Kaninchen, Salazar war kein Diktator, er war, in der Eingangshalle ein paar Wandleuchter mit schiefen Kerzen, ich rückte sie gerade, aber sie neigten sich wieder, er war ein Patriot, der dieses Land auf Vordermann gebracht hat, in Portugal brauchen wir eine Regierung mit fester Hand, es geht dabei nicht darum, dass ich meine Arbeit verloren habe und mich die Angestellten im Ministerium beschimpften

– Faschist Faschist

es geht darum, dass Afrika aufgegeben und für einen Handkuss an die Kommunisten weitergereicht wurde, dein Fuß ohne Pantoffel der einer anderen Person, das Fehlen von Patriotismus, der Mangel an Respekt, die Anarchie, zum Glück haben meine Eltern das nicht miterlebt

– Warum geben Sie nicht auf mir zu schreiben?

wo doch in jedem Satz drei Patzer waren, was ist aus diesem Land geworden, deine Familie einfacher als meine, einer meiner Großväter war General, von deinen hast du mir nichts erzählt, deine Mutter, von meiner Mutter Möchtegerndame genannt, die den kleinen Finger anbeugte, was ihre Gesten kringelte, die sich langsam, feierlich auf den Rand des Stuhls setzte, schwierige Worte auswählte, meine Schwager im Chor Susana isst gern Salat mit saurer Sauce, Sonntags singen Zwerge am See lustige Lieder über Seemänner im Eismeer, und ich schämte mich zutiefst, Dona Susana freundlich wütend

– Wie lustig

gleichzeitig aus dem Mundwinkel

–...

Erscheint lt. Verlag 25.4.2017
Übersetzer Maralde Meyer-Minnemann
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Caminho como uma casa em chamas
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Bewusstseinsstrom • eBooks • einsame Nachbarn • Geheimnis auf dem Dachboden • Lissabon • Mietshaus • polyphone Stimmenführung • Portugal • Roman • Romane • Sehnsucht nach Liebe • Verletzlichkeit • Weltliteratur
ISBN-10 3-641-18091-0 / 3641180910
ISBN-13 978-3-641-18091-1 / 9783641180911
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