Alle Vögel unter dem Himmel (eBook)
416 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-403838-4 (ISBN)
Charlie Jane Anders ist eine US-amerikanische Bloggerin, Autorin und Redakteurin für das Internet-Magazin io9. Für ihre Kurzgeschichte ?Six Months, Three Days? wurde sie mit dem Hugo-Award ausgezeichnet. ?Alle Vögel unter dem Himmel? ist ihr erster Roman.
Charlie Jane Anders ist eine US-amerikanische Bloggerin, Autorin und Redakteurin für das Internet-Magazin io9. Für ihre Kurzgeschichte ›Six Months, Three Days‹ wurde sie mit dem Hugo-Award ausgezeichnet. ›Alle Vögel unter dem Himmel‹ ist ihr erster Roman. Sophie Zeitz übersetzt unter anderem John Green, Lena Dunham und Marina Lewycka. Sie lebt in Berlin.
... ein Must-Read, [...] weil es einfach spannend geschrieben ist, Neugierde weckt und Sympathie sowie Empathie mit Patricia und Laurence erzeugt.
Charlie Jane Anders ist ein geistreiches und gut strukturiertes Debüt gelungen, das außerdem mit fantasievollen und trotzdem schlüssigen Charakteren überzeugt.
›Alle Vögel unter dem Himmel‹ gehört als beeindruckende, erfrischende Genre-Überbrückung in diesem phantastischem Kalenderjahr klar zum Pflichtprogramm.
Ich bin begeistert. Restlos! ›Alle Vögel unter dem Himmel‹ ist nicht nur ausgesprochen klug, sondern auch extrem unterhaltsam.
Es sind vor allem die feinsinnigen Dialoge und die liebevoll gezeichneten Charaktere, die dieses Buch so lesenswert machen.
Wer auf der Suche nach Lesefutter abseits ausgelutschter Fantasy- und Science-Fiction-Themen ist, sollte mal einen Blick auf ›Alle Vögel unter dem Himmel‹ riskieren.
Wie vertragen sich Magie und Wissenschaft? Gut – zumindest in diesem unterhaltsamen Science-Fiction-Ökothriller, der gleichzeitig eine zauberhafte Liebesgeschichte zwischen einer Hexe und einem Computernerd ist.
[...] ein besonderes Buch, das sich mit seiner nerdig-magisch-märchenhaft-futuristischen Art in keine Schublade stecken lässt und damit stark fesselt.
Buch eins
Kapitel 1
Als Patricia sechs Jahre alt war, fand sie einen verletzten Vogel im Wald. Flatternd saß der Spatz im nassen roten Laub, das sich in der Kuhle zwischen zwei Wurzeln gesammelt hatte, und schwenkte den gebrochenen Flügel. Er schrie in einem Ton, der fast zu hoch für Patricias Ohren war. Sie blickte den Sperling an und sah die Angst in seinen schwarz umrandeten Augen. Mehr als Angst – Verzweiflung, als wüsste er, dass ihm der Tod bevorstand. Patricia hatte zwar noch nicht verstanden, wie das Leben für immer aus einem lebenden Wesen weichen kann, aber sie verstand, dass sich dieser Vogel mit allem, was er hatte, dagegen wehrte.
Patricia gelobte von ganzem Herzen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um den Vogel zu retten. Und das führte dazu, dass Patricia eine Frage gestellt bekam, auf die es keine richtige Antwort gab, was sie fürs Leben zeichnete.
Sie hob den Spatz ganz vorsichtig mit einem trockenen Blatt auf und setzte ihn in ihren roten Plastikeimer. Die schräge Nachtmittagssonne fiel auf die Eimerwand und badete den Vogel in rotes Licht, so dass er radioaktiv zu strahlen schien. Der Vogel flatterte immer noch, versuchte, mit einem Flügel wegzufliegen.
»Ganz ruhig«, flüsterte Patricia. »Ich hab dich. Alles wird gut.«
Patricia hatte schon öfter Tiere in Not gesehen. Roberta, ihre ältere Schwester, fing gern Waldtiere ein und spielte mit ihnen. Sie warf Frösche in den rostigen Mixer, den ihre Mutter ausrangiert hatte, oder steckte Mäuse in ihren selbstgebauten Raketenwerfer, um zu sehen, wie weit sie flogen. Aber dies war das erste Mal, dass Patricia ein leidendes Tier anschaute und seine Not wirklich sah, und jedes Mal, wenn sie ihm ins Auge blickte, gelobte sie wieder, den Vogel unter ihren Schutz zu nehmen.
»Was hast du da?«, fragte Roberta, die in der Nähe durchs Unterholz trampelte.
Beide Schwestern hatten blasse Haut, Stupsnasen und dunkelbraunes Spaghetti-Haar, egal, was sie damit anstellten. Aber Patricia war ein scheuer Wildfang mit einem runden Gesicht, grünen Augen und ewigen Grasflecken an den Knien ihrer zerrissenen Latzhose. Sie war jetzt schon auf dem besten Weg, eins der Mädchen zu werden, neben denen niemand sitzen wollte, weil sie zu rastlos war, schräge Witze machte und bei jedem geplatzten Luftballon zu heulen anfing (nicht nur bei ihren eigenen). Roberta hatte braune Augen, ein spitzes Kinn und die perfekte Haltung, wenn sie in ihrem makellosen weißen Kleid ohne zu zappeln auf einem Erwachsenenstuhl saß. Eigentlich hatten ihre Eltern sich Jungs gewünscht, und sie hatten die Namen schon vor der Geburt ausgewählt. Dann hatten sie bei beiden einfach ein -a angehängt.
»Ich hab einen verletzten Vogel gefunden«, sagte Patricia. »Er hat einen gebrochenen Flügel und kann nicht mehr fliegen.«
»Ich wette, ich kann ihn fliegen lassen«, entgegnete Roberta, und Patricia wusste, dass sie an ihren Raketenwerfer dachte. »Gib ihn her. Ich mach ihm Feuer unterm Hintern.«
»Nein!« Patricia schossen die Tränen in die Augen und sie rang nach Luft. »Das darfst du nicht!« Dann rannte sie los, schlingernd, mit dem Eimer in der Hand. Hinter sich hörte sie ihre Schwester, das Knacken der Äste. Patricia rannte, so schnell sie konnte, nach Hause.
Das Haus war vor hundert Jahren eine Gewürzhandlung gewesen, und es roch immer noch nach Zimt und Kurkuma und Safran und Knoblauch und ein wenig nach Schweiß. Händler aus Indien, China und dem Rest der Welt hatten die perfekt gebeizten Dielen betreten und Gewürze aus aller Herren Länder gebracht. Wenn Patricia tief einatmete und die Augen schloss, sah sie vor sich, wie mit Folie ausgeschlagene Holzkisten hereingetragen wurden, mit Stempeln aus Städten wie Marrakesch und Bombay. Ihre Eltern hatten das Haus gekauft, nachdem sie in einer Designzeitschrift einen Artikel über das Renovieren alter Kolonialgebäude gelesen hatten, und jetzt schimpften sie ständig, bis die Adern auf ihrer Stirn anschwollen, dass Patricia nicht herumrennen und das perfekte Eichenfurnier zerkratzen durfte. Patricias Eltern gehörten zu den Leuten, die gleichzeitig stinksauer und bester Laune sein konnten.
Patricia blieb auf einer kleinen Lichtung kurz vor dem Gartentor stehen. »Ganz ruhig«, sagte sie zu dem Vogel. »Ich nehme dich mit nach Hause. Auf dem Dachboden steht ein alter Vogelkäfig. Ich weiß, wo er ist. Es ist ein hübscher Käfig mit einer Stange und einer Schaukel. Da setze ich dich rein und sage meinen Eltern Bescheid. Falls dir irgendwas passiert, halte ich die Luft an, bis ich tot umfalle. Ich passe auf dich auf. Das verspreche ich dir.«
»Nein!«, tschilpte der Vogel. »Bitte nicht! Sperr mich nicht ein. Dann bring mich lieber gleich um.«
»Aber …«, stotterte Patricia, mehr überrascht, dass der Vogel protestierte, als dass er zu ihr sprach. »Ich passe doch auf. Ich bringe dir Käfer und Körner oder andere Sachen.«
»Für jemand wie mich ist Gefangenschaft noch schlimmer als der Tod«, zwitscherte der Vogel. »Hör zu. Du verstehst mich, wenn ich rede, oder? Das heißt, du bist ein besonderer Mensch. Eine Hexe! Oder so was Ähnliches. Und das heißt, du hast die Pflicht, das Richtige zu tun! Bitte.«
»Oh.« Patricia musste sich erst mal setzen. Sie fand eine knorrige Baumwurzel, deren dicke Rinde sich feucht anfühlte und fast wie schroffer Fels. Auf der nächsten Lichtung hörte sie Roberta mit einem gegabelten Stock auf Gebüsch und Boden einschlagen und fürchtete sich, was passierte, falls Roberta sie entdeckte. »Aber«, flüsterte Patricia leise, damit Roberta sie nicht aufspürte, »dein Flügel ist gebrochen, und ich muss etwas tun; sonst bist du verloren.«
»Hm.« Der Spatz schien einen Moment nachzudenken. »Du weißt nicht zufällig, wie man einen gebrochenen Flügel heilt, oder?« Er hielt den verletzten Flügel hoch. Auf den ersten Blick hatte der Vogel graubraun gewirkt, doch als Patricia näher hinsah, bemerkte sie rote und gelbe Streifen an seinen Flügeln, sein Bauch war milchweiß, und der Schnabel war dunkel und leicht gezahnt.
»Nein. Keine Ahnung. Tut mir leid.«
»Schon gut. Du kannst mich auf einen Ast setzen und das Beste hoffen, aber wahrscheinlich werde ich gefressen oder verhungere.« Er wackelte mit dem Kopf. »Oder … na ja. Es gibt noch eine Möglichkeit.«
»Welche?« Patricia starrte ihre Knie durch die ausgefransten Löcher ihrer Latzhose an und fand, sie sahen aus wie seltsame Eier. »Welche Möglichkeit?« Der Spatz im Eimer musterte sie mit einem Auge, als versuchte er abzuschätzen, ob er ihr vertrauen konnte.
»Also«, tschilpte der Vogel, »du könntest mich zum Parlament der Vögel bringen. Die können Flügel reparieren, kein Problem. Und wenn du mal eine Hexe werden willst, ist es sowieso gut, wenn du sie kennenlernst. Es sind die klügsten Vögel weit und breit. Sie treffen sich auf dem stattlichsten Baum im Wald, und die meisten sind schon über fünf Jahre alt.«
»Ich bin älter!«, sagte Patricia. »Ich bin fast sieben. Noch vier Monate. Oder fünf.« Sie hörte, dass Roberta näher kam, also packte sie den Eimer und rannte weiter, tiefer in den Wald hinein.
Der Sperling, der Dirrpidirrpiwheepalong hieß – oder kurz Dirrp –, versuchte, Patricia so gut es ging den Weg zum Parlament der Vögel zu erklären, aber er konnte in seinem Eimer nichts sehen, und die Orientierungspunkte, die er nannte, ergaben für Patricia keinen Sinn. Sie musste an die gemeinschaftsbildenden Übungen in der Schule denken, bei denen sie völlig versagte, seit ihre einzige Freundin Kathy weggezogen war. Irgendwann nahm sie Dirrp auf den Finger, und er hüpfte auf ihre Schulter.
Die Sonne ging unter. Der Wald war so dicht, dass man Mond und Sterne kaum sah, und Patricia stolperte mehrmals und fiel hin, schürfte sich Hände und Knie auf und machte ihre Latzhose noch schmutziger. Dirrp klammerte sich so fest an den Latzhosenträger, dass sich seine Krallen in ihre Haut bohrten. Er wusste immer weniger, wo es langging, auch wenn er glaubte, der große Baum stünde in der Nähe eines Bachs oder vielleicht eines Felds. Auf jeden Fall war er überzeugt, dass der Baum besonders dick war und ein wenig abseits der anderen Bäume stand, und wenn man ihn aus dem richtigen Winkel ansah, wirkten die zwei mächtigen Äste, die er zum Himmel streckte, wie ausgebreitete Schwingen. Außerdem konnte Dirrp die Richtung ganz einfach am Stand der Sonne ablesen. Nur dass die Sonne längst untergegangen war.
»Wir haben uns verirrt«, stellte Patricia schaudernd fest. »Wahrscheinlich kommt ein Bär und frisst uns auf.«
»Ich glaube nicht, dass es hier Bären gibt«, gab Dirrp zurück. »Und falls doch einer kommt, kannst du versuchen, es ihm auszureden.«
»Kann ich mit allen Tieren sprechen?« Die Fähigkeit wäre nützlich, zum Beispiel um Mary Fenchurchs Pudel zu überreden, Mary zu beißen, wenn sie wieder mal fies zu Patricia war. Oder falls das nächste Kindermädchen, das ihre Eltern einstellten, ein Haustier hätte.
»Keine Ahnung«, antwortete Dirrp. »Mir erklärt ja keiner was.«
Patricia beschloss, auf den nächsten Baum zu klettern und sich von oben umzusehen. Vielleicht entdeckte sie einen Weg. Oder ein Haus. Oder irgendeinen Orientierungspunkt, der Dirrp bekannt vorkam.
In der Krone der alten hohen Eiche, die Patricia hochgekraxelt war, war es viel kälter als am Boden. Der Wind fuhr ihr unangenehm unter die Kleidung. Dirrp hatte den Kopf unter den gesunden Flügel gesteckt, und sie musste ihn überreden, sich umzusehen. »Wenn es sein muss«, tschilpte er. »Mal...
Erscheint lt. Verlag | 23.3.2017 |
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Übersetzer | Sophie Zeitz |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Apokalypse • Assassine • Außenseiter • cli-fi • Fantasy • fantasy buch • Fantasy Erwachsene • Gefühl • Hexe • Hexen • Highschool • Hipster • John Green • Künstliche Intelligenz • Magie • Matt Haig • Nerd • Ökologie • Raketenwissenschaftler • San Francisco • Science Fiction • Science Fiction Buch • SF Roman • Social network • sprechende Tiere • Valentinstag • Verstand • Wissenschaft • Zaubern • Zeitmaschine |
ISBN-10 | 3-10-403838-4 / 3104038384 |
ISBN-13 | 978-3-10-403838-4 / 9783104038384 |
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