Fünf Millionen Schritte, vierzehn Bundesstaaten, ein Weg - der Appalachian Trail, Teil 2 (eBook)
328 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7431-2597-1 (ISBN)
Die Autorin ist 1969 in München geboren und hat Germanistik und Grafik-Design studiert. Sie ist den Appalachian Trail in beiden Richtungen vollständig gewandert. Ebenso bei BoD erschienen ist ihr Buch "Segel, Sturm und Ozeane ... - Einblicke in die Zeit der großen Segelschiff-Fahrt zwischen 16. und 19. Jahrhundert"
Der AT Bundesstaat für Bundesstaat
Das Gebirge, durch das der Appalachian National Scenic Trail zwischen Springer Mountain in Georgia und Mount1 Katahdin in Maine führt, sind die Appalachen. Sie erstrecken sich vom Bundesstaat Alabama im Süden der USA bis hinunter nach Neufundland in Kanada.
Erdzeitgeschichtlich betrachtet eines der ältesten Gebirge, waren sie einst noch gewaltiger als der Himalaya, doch beständige Erosion hat die Appalachen im Lauf der Jahrmillionen zu einem dicht bewaldeten Mittelgebirge mit steilen, lang auslaufenden Bergrücken geformt.
Die höchstgelegene Etappe des Trails verläuft durch den Great Smoky Mountains Nationalpark in North Carolina/Tennessee, wo auf Clingman's Dome mit 2.025 Metern der höchste Punkt des AT erreicht wird; seine tiefstgelegene Stelle ist die Bear Mountain Bridge am Hudson River, mit 38 Metern über Meereshöhe.
Die südlichen Appalachen werden typischerweise mit zwei Dingen verbunden: Moonshine und Bluegrass.
Moonshine ist die traditionelle Bezeichnung für illegal gebrauten Schnaps, der in unzähligen, heimlich betriebenen Distillerien des Nachts hergestellt wurde und seit jeher für Konflikte mit den Gesetzeshütern sorgte.
Allein während der Prohibition konnten die Schmuggelwaren aus Kanada, der Karibik und Mexiko den Bedarf an illegalem Alkohol in der US-Bevölkerung gar nicht decken – ein Großteil des Alkohols kam aus den Appalachen, wo eben nachts die Distillerien arbeiteten und deren Rauchfahnen in dem blauen Dunst, der diesen Bergen von Natur aus eigen ist, mehr oder weniger gut kaschiert wurden.
Während der dreizehn Jahre, in denen der Volstead Act galt, kam es bis in die entlegensten Berggegenden der Appalachen immer wieder zu wilden Schießereien zwischen Ordnungshütern, die per Gesetz diese Distillerien aufspüren und ausheben sollten und den Schmugglern oder Distillerie-Betreibern, die sich ihr florierendes Geschäft natürlich nicht kaputt machen lassen wollten.
Wenn also in den Appalachen von Moonshine die Rede ist, muss nicht unbedingt der Mond damit gemeint sein.
Bluegrass ist eine sehr stark mit den Appalachen verwurzelte Musikrichtung, die sich in den frühen dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts von Tennessee und Kentucky ausgehend entwickelt hat.
|1 Mount Kathadin versus Kathadin: Sprachlich korrekt wäre Kathadin alleine, weil der Name aus der Sprache der Abenaki Indianer stammend bereits ‘der größte Berg’ bedeutet, womit das vorangestellte Mount redundant wird. Ich habe mich dennoch dazu entschieden von Mount Kathadin zu sprechen, weil kaum jemand mit dem Abenakischen so vertraut sein dürfte, um hier ständig den Berg doppelt genannt zu verstehen.
Elemente des Folk, aber auch Gospel und Blues bilden die Grundlage dieser amerikanischen Volksmusikrichtung, die zur Countrymusic gehört. Bluegrass gibt es rein instrumental oder mit Gesang, wobei als typische Instrumente Banjo, Fiddle, Gitarre, Dobro, Kontrabass und Mandoline gespielt werden.
Ist man in Amerika unterwegs, kommt man sowieso nicht umhin, viel Countrymusic zu hören. Für die Gegenden in und um die Appalachen bedeutet das Bluegrass, der dort nach wie vor sehr populär ist und gepflegt wird.
Ebenso mit den Appalachen verbunden ist eine Bevölkerungsgruppe, die bezüglich ihrer Herkunft große Rätsel aufgibt. Diese Menschen sind zum Teil europäischer Abstammung, aber sie lebten bereits in den Appalachen, bevor die englischen Siedler der Mayflower erfolgreich in Nordamerika Fuß fassten – soviel gilt als gesichert.
In Berggebieten der Bundesstaaten Tennessee, den beiden Carolinas und Virginias bis Kentucky verbreitet, wurden diese Menschen in Berichten englischer und französischer Auskundschafter erstmals im Jahre 1654 beschrieben, als sich die europäischen Erkundungstrupps im Südosten des heutigen Tennessee mit einem Mal einheimischen Bewohnern gegenüber sahen, die unverkennbar europäische Gesichtszüge hatten mit blauen oder braunen Augen, aber dunkelhäutig waren und gebrochenes Englisch der Elisabethanischen Zeit sprachen. Sie bezeichneten sich als Portyghee (Portugiesen), lebten in einfachen Holzhütten, bestellten das Land und schmolzen Silber aus dem Gestein der Berge. Ihre religiöse Gesinnung war christlich geprägt.
Im Verlauf der Jahrzehnte nach den Erstkontakten wurden diese Einheimischen bei den Siedlern als Melungeons (Mischlinge) bekannt, bei denen sich von der äußeren Erscheinung her drei ethnische Abstammungslinien zeigten: diejenige der Indianerstämme der Gegend, eine schwarzafrikanische und eine europäische Linie.
Als sie von den britischen Siedlern gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts als free persons of color klassifiziert wurden, war das der Auftakt zu Diskriminierung in großem Maße:
Man grenzte sie vollkommen aus der Gemeinschaft aus, und ihnen wurden sämtliche bürgerlichen Rechte verwehrt. Sie mussten sich von ihrem Land vertreiben lassen, und das nicht selten mit roher Gewalt, in immer entlegenere und unwirtlichere Gegenden der Berge, wo sie in bitterer Armut um ihr Überleben kämpften. Manche Melungeonfamilien hatten Glück, in der Nähe von Nachbarn zu leben, die ihr immenses Wissen um die Böden für die Landwirtschaft schätzten und sie auf ihren Farmen bleiben ließen, andere dagegen mussten aus purer Not auch mit kriminellen Geschäften wie Moonshining, Wilderei oder Raubzügen in der Gegend versuchen, ihren Lebensunterhalt zu sichern.
Bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein galt es als ein schier unüberbrückbarer Makel, ein Melungeon zu sein oder von einem Melungeon abzustammen. Wer aus dem Elend ausbrechen wollte, musste weit weg in einen anderen Bundesstaat ziehen und Stillschweigen bewahren über die eigene Herkunft.
"The census of 1795 listed 300 'free persons' in the mountains of east Tennessee. These apparently were the Melungeons. Whence they came nobody knows. Their origin is as much lost in the recesses of history as their present status is hidden behind the closed-mouth secrecy of Hancock County today. One thing seems certain - they were part Indian. Another seems apparent - they are disappearing the same way they appeared: by marrying others than their own." ~ Bill Rawlins, im Knoxville News-Sentinel vom 10. Oktober 1958
["Die Volkszählung von 1795 verzeichnete 300 'freie Personen' in den Bergen von Ost-Tennessee. Das waren offenbar die Melungeons. Woher sie kamen, weiß niemand. Ihre Herkunft ist in den Abgründen der Geschichte genauso verloren gegangen, wie ihr aktueller Status sich hinter der verschwiegenen Geheimniskrämerei des heutigen Hancock County verbirgt. Eines scheint gewiss – sie waren zum Teil indianischer Abstammung. Und noch etwas erscheint offensichtlich – sie sind dabei, auf dieselbe Weise zu verschwinden, die sie hervorgebracht hat: indem sie sich mit anderen als ihren eigenen Leuten verheiraten."]
Die Gegenden, durch die der Appalachian Trail führt, waren nie besonders reich. Wer sich dort niederließ, musste gewöhnlich hart dafür arbeiten, sich und seine Familien zu versorgen. Bei einem Thru-hike kommt man öfters an alten Grabstellen vorbei, wo einzelne Familien Angehörige auf ihrem Grund beerdigt haben.
Darunter gibt es welche, die ergreifend davon Zeugnis ablegen, wie man versucht hat, mit bescheidenen Mitteln eine würdige Grabstätte zu schaffen, weil kein Geld für einen Steinmetz zur Hand war. Im Süden führt der Appalachian Trail direkt an einem schlichten, verwitterten Grabstein vorbei, auf dem ein Mann mit großer Mühe versucht hat, eine Inschrift für seine Anfang 1940 verstorbene Ehefrau hineinzumeißeln.
In den Appalachen sind vor allem drei Wirtschaftszweige seit Alters her typisch: Land- und Holzwirtschaft, außerdem Bergbau. Entsprechend zeigt sich in den umliegenden Ortschaften und Städten nicht das Hochglanz-Amerika, dessen hippes Bild gewöhnlich nach außen transportiert wird: hier ist man im Small-town America von Appalachia, wo die Menschen viel bescheidener leben, aber dafür einen Begriff von Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft haben, der überwältigend ist.
Eine Ausnahme vom typisch vorherrschenden Kleinstadtbild, wo es ganz offensichtlich einen gehobeneren Lebensstil gibt, sind Salisbury in Connecticut und Hanover in New Hampshire.
Nördlich des James River, in Zentral-Virginia, kommt man als northbound AT-Hiker auf einer Bergkuppe mit grasigem Hang zur linken an einem Gedenkstein vorbei. Möglicherweise befinden sich darauf kleine Spielzeugautos, Miniaturstofftiere und andere kleine Gaben, die Vorbeiwandernde vor einem dort abgelegt haben.
An dieser Stelle hat man im April 1891 Ottie Cline Powell gefunden, der sich Monate zuvor im November beim Holzsuchen während der Schulpause in den nebligen Bergwäldern verirrt hatte und etliche Meilen vom Schulhaus entfernt dort oben erfror.
Der kleine Junge war kaum fünf Jahre alt gewesen.
"Sassafras - kick my ass - mountain was a bitch."
~ Hiker im Walasi-Yi-Hostel, in Porter: Just Passin' thru
["Sassafras - tritt' mit in den Arsch - Berg war ein...
Erscheint lt. Verlag | 13.3.2017 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber |
ISBN-10 | 3-7431-2597-8 / 3743125978 |
ISBN-13 | 978-3-7431-2597-1 / 9783743125971 |
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