Tanz der Tiefseequalle -  Stefanie Höfler

Tanz der Tiefseequalle (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
192 Seiten
Beltz (Verlag)
978-3-407-74746-4 (ISBN)
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Manchmal ist es diese eine Sekunde, die alles entscheidet: Niko, der ziemlich dick ist und sich oft in Parallelwelten träumt, rettet die schöne Sera vor einer Grapschattacke. Sera fordert Niko daraufhin zum Tanzen auf, was verrückt ist und so aufregend anders, wie alles, was in den nächsten Tagen passiert. Vielleicht ist es der Beginn einer Freundschaft von zweien, die gegensätzlicher nicht sein könnten - aber im entscheidenden Moment mutig über ihren Schatten springen.

Stefanie Höfler, geboren 1978, studierte Germanistik, Anglistik und Skandinavistik in Freiburg und Dundee/Schottland. Sie ist Lehrerin und Theaterpädagogin und lebt mit ihrer Familie in einem kleinen Ort im Schwarzwald. Bei Beltz & Gelberg erschienen von ihr bisher das Kinderbuch »Helsin Apelsin« (Illustrationen von Anke Kuhl) und die Romane »Mein Sommer mit Mucks«, »Tanz der Tiefseequalle«, »Der große schwarze Vogel« und »Feuerwanzen lügen nicht«, die alle unter anderem für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert wurden. Zusammen mit der Illustratorin Claudia Weikert entstanden die Bilderbücher »Waldtage« und »Die Eroberung der Villa Herbstgold«.

Dass Sera mir plötzlich zuwinkt, irritiert mich einigermaßen. Wenn mir jemand zuwinkt, dann ist das normalerweise nicht ernst gemeint, sondern das Winken ist sozusagen mit ironischen Zacken versehen und beim näheren Hinsehen von einem fiesen Grinsen begleitet. Seras Winken aber ist zackenlos, freundlich, normal. Ich frage mich sofort, ob heute irgendein besonderer Tag ist, ob ich etwas falscher oder richtiger gemacht habe als sonst, vor allem, als sie mir dann auch noch ein Tschüs hinterherruft. Ich hoffe, das ist kein Ablenkungsmanöver, und hinter der nächsten Ecke stehen womöglich Marko und Jan, um mich zu überfallen und zu malträtieren.

Sera gehört zu Markos Clique, und ich kann mich nicht erinnern, dass wir schon einmal auch nur ein Wort gewechselt haben. Sera ist Ägypterin, und ich glaube, das ist ihr auch relativ wichtig, denn sie betont es in beinahe jedem Gespräch, das ich bisher mitbekommen habe. Sie sieht auch ein bisschen aus wie Nofretete, deren Büste wir in Geschichte einmal angesehen haben. Sie hat lange schwarze Haare und ein völlig symmetrisches Gesicht, mit großen dunklen Augen und flügelförmig geschwungenen breiten Augenbrauen. Viel mehr könnte ich nicht über sie sagen.

Als mein Freund Little und ich sie einmal im Supermarkt getroffen haben, erstarrte Little zwischen Obstkonserven und Gemüsedosen zur Salzsäule – was ziemlich verrückt aussah, weil Little sonst wirklich immer in Bewegung ist. Seit man ihm attestiert hat, dass er hyperaktiv ist, tut er alles dafür, dass das auch wirklich jeder sofort merkt. Als er aus seiner Supermarkt-Starre erwachte, behauptete er, noch nie eine solche morgenländische Schönheit gesehen zu haben wie Sera. Little übertreibt gerne maßlos, nicht nur mit seinen Bewegungen, sondern auch verbal.

Außerdem macht er sich deutlich mehr Gedanken um Mädchen als ich. Und obwohl er den meisten Mädchen nur bis zur Nasenspitze reicht, kann er sich solche Gedanken mit viel größeren Erfolgsaussichten machen. Vielleicht liegt es an seinem frechen schiefen Grinsen, vielleicht liegt es auch daran, dass er selbst ebenso frech ist wie dieses Grinsen: Er macht Dinge einfach, statt lange darüber nachzudenken, und das übt auf die meisten Menschen eine nicht zu unterschätzende Faszination aus. Jedenfalls hat er schon drei Mädchen geküsst, das weiß ich von Osman. Little selbst hat nie damit angegeben, er spricht mit mir selten über Mädchen. Viel lieber reden wir über absurde Sachen, die keinerlei Übereinstimmung mit unserem Leben haben. Die neuesten Erkenntnisse der Menschenaffenforschung zum Beispiel oder kanadisches Bowling, historische Superheldencomics, weiß der Himmel. Hypothetische Dialoge nennen wir das.

Die Schule verdränge ich, sobald ich den Schulhof hinter mir lasse, und mein Wochenende beginnt traditionell mit Großmamas Freitagnachmittagsschweinebratenfest. Aber dieses Wochenende ist Klassenausflug.

»Du musst da nicht hin«, hat Großmama gesagt. Sie hat dabei ihre Kaffeetasse so schräg gehalten, dass ein großer Schluck ihres rabenschwarzen Kaffees über die Zeitung geschwappt ist. Der Ton in ihrer Stimme hat alles gesagt.

»Ich will aber.«

Großmama hat mich scharf angeschaut und ihre blöde Riesenbrille mit den uringelb gefärbten Gläsern ganz vorn auf ihre Nase runterrutschen lassen. Ich habe die Luft angehalten, weil ich mir einbilde, dass man dann weniger gut sehen kann, was ich denke. So stark ist mein Wunsch nämlich auch wieder nicht, mich von Freitagmorgen bis Sonntagabend von meinen Mitschülern demütigen zu lassen, ohne zwischendurch wenigstens bei Osman in der Werkstatt Zuflucht zu suchen. Ganz zu schweigen von all den Aktivitäten, die man an so einem Wochenende über sich ergehen lassen muss und von denen die meisten nur dazu erfunden wurden, übergewichtige Achtklässler zur Verzweiflung zu bringen. (Allein beim Gedanken an einen Kletterpark wird mir schon schlecht.) Aber Großmama macht sich schon genug Sorgen um mich. Zwar bin ich wahrscheinlich das Einzige, was ihr auf der Welt überhaupt Sorgen macht, aber genau darum möchte ich es eigentlich vermeiden.

Little teilt übrigens ihre Sorge um mich. Als ich an diesem Donnerstagnachmittag mit ihm auf unserer Lieblingsparkbank sitze, zieht er ein gerolltes Blatt Papier aus der Tasche und streicht es umständlich auf seinem Schoß glatt.

»Last-minute-Gründe für Nikolaus, um nicht auf den Klassenausflug mitfahren zu müssen«, sagt er todernst. Er versucht dabei, zwei Oktaven tiefer zu sprechen, als es seine eher helle Stimme eigentlich erlaubt.

»Oh Mann, Little !«, sage ich nur. Natürlich behaupte ich jetzt nicht, dass ich mich wie ein Schneekönig auf dieses Wochenende freue, das würde er mir sowieso nicht glauben.

»Ich fang mal seriös an, ja?« Er räuspert sich. »Nikolaus ist durch die Bewältigung seiner Familiensituation traumatisiert und neigt in Extremsituationen zu Aggressionen«, doziert Little und erklärt unnötigerweise: »Ich hab es aus Sicht deiner Oma geschrieben, weil die das ja unterschreiben muss.«

Ich sage kein Wort. Er weiß genau, dass ich mit niemandem über meine Eltern spreche, nicht einmal mit ihm.

»Ouuu !«, heult er auf, jetzt wieder mit seiner normalen hellen Stimme. »Ich hab ganz vergessen, dass du nicht so gern von deiner Familie erzählst.«

Ich ziehe eine Grimasse, und Little schlägt fröhlich die Beine übereinander, so, wie das außer ihm nur Mädchen machen, und fängt an, mit der Fußspitze zu wippen. »Aufgrund seines leichten Übergewichts ist demnächst bei Nikolaus eine Herzklappeninsuffizienzmaßnahme geplant, weshalb jede außergewöhnliche Anstrengung dringend zu vermeiden ist«, fährt er unbeirrt fort.

An seinen Formulierungen ist jedenfalls nichts auszusetzen. Sicher hat er recherchiert. Ich kann sehen, dass er seine eigenen Vorschläge grandios findet, sein ganzes Bein wippt jetzt, und mit seinen Fingern trommelt er auf seinem Schoß herum. Bald wird ihn nichts mehr auf der Bank halten können.

»Na gut, du wolltest es so.« Er macht eine dramatische Pause, unterdrückt alle hyperaktiven Little-Ticks und beugt sich zu mir herüber. »Nikolaus neigt zu Käsefüßen, für die er sich sehr schämt.« Ich deute Applaus an, aber er beachtet mich jetzt kaum noch. Seinen Trumpf hat er noch im Ärmel: »Ich, Nikolaus’ Großmutter, liege mit einer Lungenentzündung in der Städtischen Klinik und muss von Nikolaus täglich betreut werden, besonders am Wochenende ist die Versorgungslage aufgrund des Ärztemangels besorgniserregend«, fährt Little fort und unterbricht sich, als ich die Luft scharf durch die Nase einziehe.

»Lass Großmama da raus !«, knurre ich.

»Ach, die Großmama !«, ruft Little und schaut mich an. »Du fährst nur wegen deiner Oma !«

»Ja«, sage ich knapp. Leugnen ist bei Little zwecklos.

»Die sich sonst noch mehr Sorgen um dich macht und einen Herzinfarkt kriegt.«

»Großmama kriegt keinen Herzinfarkt.«

»Wäre jedenfalls besser, wenn nicht. Sonst stecken sie dich doch noch in ein Heim für diätbedürftige Minderjährige !«

»Little, ich liebe dich«, sage ich matt.

»Dann fahr eben«, sagt er trocken. »Fahr und lass dich auseinandernehmen. Aber beschwer dich danach nicht bei mir. Und vergiss nicht, Taschentücher einzupacken.«

»Ich erfinde lieber bei Bedarf den hosentaschengroßen Fluchtbeamer mit erinnerungszerstörender Sonderfunktion«, murmle ich, aber da ist er schon winkend davongehüpft. Natürlich kann Little sich auch nicht verabschieden wie ein normaler Mensch.

Auf dem Heimweg gehe ich bei Osman vorbei, der gerade ein Rücklicht repariert. Er kniet hinter einem roten Corsa und sieht dabei aus wie ein freundlicher Buddha mit Hexenschuss. Sein riesiger Bauch hängt irgendwie seitlich über seinen Knien und er grinst. Ich kann mich nicht erinnern, Osman jemals schlecht gelaunt gesehen zu haben.

»Na, Bammel?«, fragt er. Ich bleibe neben dem Auto stehen und sehe missmutig auf ihn herunter. Wieso reden eigentlich alle über meinen anstehenden Klassenausflug? »Na, vor dem Wochenende, meine ich. Little hat‘s mir erzählt«, fügt er entschuldigend hinzu. Er steht umständlich auf, wobei er seinen Bauch erst einmal in Position bringen muss, damit er nicht das Gleichgewicht verliert. Obwohl ich Osman jetzt schon fünf Jahre kenne, schaue ich...

Erscheint lt. Verlag 9.3.2017
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
Kinder- / Jugendbuch
ISBN-10 3-407-74746-2 / 3407747462
ISBN-13 978-3-407-74746-4 / 9783407747464
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