Frauen, die lieben (eBook)
416 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-44076-6 (ISBN)
Emma Straub wuchs in Manhattan auf. Sie schreibt Kurzgeschichten und Essays für zahlreiche Magazine und Zeitschriften wie der Vogue und der New York Times und arbeitet nebenbei als Buchhändlerin. Emma Straub lebt mit ihrem Mann und dem gemeinsamen Sohn in Brooklyn. Ihre Romane erobern regelmäßig die Bestsellerlisten der New York Times.
Emma Straub wuchs in Manhattan auf. Sie schreibt Kurzgeschichten und Essays für zahlreiche Magazine und Zeitschriften wie der Vogue und der New York Times und arbeitet nebenbei als Buchhändlerin. Emma Straub lebt mit ihrem Mann und dem gemeinsamen Sohn in Brooklyn. Ihre Romane erobern regelmäßig die Bestsellerlisten der New York Times.
1
Im Juni traf sich der Buchclub in Zoes Haus. Für Elizabeth bedeutete das, dass sie die schwere Keramikschüssel mit dem Spinatsalat mit Walnüssen und zerkrümeltem Ziegenkäse sage und schreibe einen halben Block weit zu schleppen hatte. Sie musste nicht einmal eine Straße überqueren. Keine der Frauen aus der Gruppe hatte es weit. Das war wichtig, denn es war so schon schwierig genug, einen gemeinsamen Termin zu finden und ein Buch zu lesen – wobei kaum mehr als die Hälfte der Gruppe es je bis zum Ende eines Romans schaffte –, ohne die Leute dafür auch noch in die Subway scheuchen zu müssen. Mit den eigenen Freunden konnte man sich treffen, wann und wo man wollte, und zum Abendessen quer durchs ganze Viertel fahren, wenn einem danach war – aber, hallo, hier spielte die Musik in unmittelbarster Nachbarschaft. Bequemer ging es nicht. Heute war ihr letztes Treffen vor der Sommerpause. Elizabeth hatte an sechs der zwölf Frauen Häuser verkauft und deshalb ein berechtigtes Interesse, sie bei Laune zu halten. Obwohl es nicht unbedingt von Nachteil war, wenn die Leute Brooklyn verließen und beschlossen, in einen Vorort zu ziehen beziehungsweise wieder dorthin zurückzukommen, wo sie früher gewohnt hatten, denn dann konnte sie mit einer doppelten Provision rechnen. Elizabeth liebte ihre Arbeit.
Mochte der Rest des Buchclubs auch aus Nachbarinnen bestehen, deren Wege sich sonst nie gekreuzt hätten – bei ihr und Zoe lag der Fall anders. Sie waren alte Freundinnen, um nicht zu sagen, allerbeste Freundinnen, wobei Elizabeth das in Zoes Gegenwart wahrscheinlich nie so formulieren würde, aus Angst, von ihr als spätpubertär verlacht zu werden. Nach der Universität, also in tiefster Steinzeit, hatten sie in eben diesem geräumigen viktorianischen Haus gewohnt, zusammen mit Elizabeth’ Freund – jetzt Ehemann – und zwei Typen, mit denen sie sich bereits eine Wohnung am Oberlin College geteilt hatten. Deswegen war es immer wieder schön, eine große Schüssel mit irgendetwas Selbstgemachtem zu Zoe hinüberzutragen, denn dann fühlte man sich gleich wieder in jenes Zwischenreich – arm an Geld, aber reich an improvisierten Dinnerpartys, zu denen jeder etwas beisteuerte – zurückversetzt. Besser bekannt als die Goldenen Zwanziger des Lebens. Ditmas Park lag gefühlte hundert Meilen von Manhattan entfernt, in Wirklichkeit waren es sieben, und bestand aus viktorianischen Häusern, wie sie überall in den Vereinigten Staaten hätten stehen können, im Norden begrenzt vom Prospect Park, im Süden vom Brooklyn College. Einige ihrer Schulfreunde zogen in Mietwohnungen im East Village oder in wunderschöne historische Reihenhäuser aus braunem Sandstein in Park Slope auf der anderen Seite des weitläufigen grünen Parks, doch sie hatten sich in die Vorstellung verliebt, in einem richtigen Haus zu wohnen. Und da waren sie nun, eingekeilt zwischen betagten italienischen Signoras und sozialem Wohnungsbau.
Als der Mietvertrag auslief, erwarben Zoes Eltern das Haus für ihre Tochter; mit Auftritten in Discos hatte sich das afroamerikanische Paar ein beträchtliches Vermögen ertanzt. Sieben Schlafzimmer, drei Bäder, großer Eingangsbereich, Auffahrt, Garage – hundertfünfzigtausend Dollar kostete das Haus damals. Den verschimmelten Teppich und den Bleianstrich gab es gratis dazu. Elizabeth und Andrew waren noch nicht verheiratet und weit entfernt von einem gemeinsamen Bankkonto, weswegen jeder seinen Mietanteil separat an Zoes Eltern in Los Angeles überwies. Zoe hatte im Lauf der Jahre mehrmals einen Kredit bei der Bank aufgenommen, um das Haus herrichten zu lassen, aber die Schulden waren abbezahlt. Irgendwann zogen Elizabeth und Andrew dann aus und für eine Weile ein paar Blocks weiter in die Stratford Road, um schließlich vor zwölf Jahren, als ihr Sohn Harry vier Jahre alt war, nur drei Türen entfernt selbst ein Haus zu erwerben. Inzwischen war Zoes Anwesen zwei Millionen wert, vielleicht mehr. Elizabeth versetzte es einen kleinen Stich, wenn sie daran dachte. Weder sie noch Zoe hätten es sich jemals vorstellen können, nach so vielen Jahren noch hier in der Gegend zu wohnen, aber es war einfach nie der richtige Zeitpunkt für eine Veränderung gekommen.
Elizabeth stieg die Stufen der breiten Veranda hinauf und spähte durch das Fenster. Sie war die Erste. Wie üblich. Das Esszimmer war vorbereitet, der Tisch gedeckt. Mit einer Flasche Wein in jeder Hand kam Zoe durch die Schwingtür der Küche gerauscht. Vergebens versuchte sie, eine störrische Locke aus den Augen zu pusten. Zoe trug knappe Jeans und ein verwaschenes kurzes Jäckchen, vor ihrer Brust baumelte ein verwegenes Durcheinander verschiedenster Ketten. Ob aus alter Gewohnheit in Secondhand-Geschäfte oder lieber in kleine, edle Boutiquen – egal, wohin Elizabeth mit Zoe zum Einkaufen ging, nichts stand ihr je so gut wie ihrer Freundin, die mit ihren fünfundvierzig Jahren noch immer so überirdisch lässig aussah wie damals mit achtzehn. Elizabeth klopfte ans Fenster und winkte, als Zoe aufblickte. Sie lächelte, wedelte mit dem dünnen Finger und deutete ihr an, hereinzukommen. »Die Tür ist offen!«
Im Haus roch es nach Basilikum und frischen Tomaten. Elizabeth ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen und stellte ihre Salatschüssel auf dem Tisch ab. Ihre Handgelenke knackten, als sie sie ausschüttelte. Zoe kam um den Tisch herum und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
»Wie war dein Tag, Süße?«
Elizabeth ließ den Kopf von einer Seite zur anderen kreisen. Wieder knackte es. »Wie schon?«, sagte sie. »Wie immer. Was soll ich machen?« Sie sah sich im Zimmer um. »Soll ich noch mal heim und was holen?« Eine Essenseinladung für zwölf Personen war sogar in Ditmas Park eine Herausforderung. Unter normalen Umständen schaffte es gerade mal der harte Kern des Buchclubs zu kommen, so dass es der jeweiligen Gastgeberin keine großen Umstände machte und sie alle an ihrem Esstisch unterbringen konnte, aber hin und wieder – insbesondere vor dem Sommer – nahmen alle Frauen freudig die Einladung an. Und je nachdem, wer als Gastgeberin fungierte, sah sich die Gruppe gezwungen, zusätzliche Klappstühle über die Straße herüberzuschleppen, damit keine von ihnen wie ein schmollendes Kind an Thanksgiving auf dem Boden sitzen musste.
Über ihren Köpfen hörte man etwas Schweres zu Boden fallen. Rums. Und dann noch zweimal: Rums, rums.
»Ruby!«, rief Zoe und blickte zur Decke. »Komm runter und begrüße Elizabeth!«
Eine gedämpfte Antwort.
»Ist schon okay«, sagte Elizabeth. »Wo ist Jane? Im Restaurant?« Sie öffnete den Mund, um weiterzureden und ihre brandaktuellen Neuigkeiten, die jedoch nicht für die Ohren ihrer Nachbarinnen bestimmt waren, loszuwerden, bevor es an der Tür klingelte.
»Wir haben einen neuen Sous-Chef, und ich bin überzeugt, dass Jane hinter ihm steht und ihm über die Schulter schaut wie ein Sergeant. Du weißt doch, wie das am Anfang immer ist. Ein ewiges Drama. Ruby! Komm runter, bevor alle anderen auftauchen, die du nicht leiden kannst!« Zoe strich sich mit den Fingerspitzen über die Brauen. »Ich habe sie gerade für den Vorbereitungskurs für den SAT-Test angemeldet, dieser Eignungstest für die Uni, von dem du mir erzählt hast, und jetzt ist sie stinksauer.« Sie zischte wie ein Torpedo.
Oben wurde eine Tür zugeknallt, dann ertönten laute Schritte auf der Treppe. Auf der untersten Stufe blieb Ruby stehen. Seit Elizabeth sie vor ein paar Wochen das letzte Mal gesehen hatte, hatte die Farbe ihrer Haare, die wie ein Bienenkorb auf ihrem Kopf thronten, von einem blassen Grün zu einem lila schimmernden Schwarz gewechselt.
»Hey, Rube«, sagte Elizabeth. »Was geht ab?«
Ruby zupfte an ihrem Nagellack. »Nichts.« Im Gegensatz zu Zoes Gesicht war das von Ruby rund und weich, aber die beiden hatten die gleichen etwas schmalen Augen, die einen immer ein wenig skeptisch ansahen. Rubys Haut war drei Nuancen heller als die von Zoe, ihre Augen waren blassgrün wie die von Jane, und auch ohne das schwarzlila Haar und die miesepetrige Miene hätte sie einschüchternd gewirkt.
»Am Donnerstag steigt die Abschlussfeier, richtig? Was ziehst du an?«
Ruby trötete wie ein Kazoo, das Torpedo ihrer Mutter im Rückwärtsgang. Schon komisch, was Eltern ihren Kindern antaten. Selbst wenn sie es nicht darauf anlegten, wurde alles nachgemacht. Ruby sah zu ihrer Mutter, die nickte. »Ich habe eigentlich vor, eins von Mums Kleidern zu tragen. Das weiße, du weißt schon.«
Elizabeth wusste Bescheid. Zoe hatte nicht nur ein gutes Händchen beim Kauf von Kleidern, sie bewahrte sie auch auf. Zum Glück hatte sie eine Frau geheiratet, die tagaus, tagein eine Jeans und dazu abwechselnd die immer gleichen Button-down-Hemden trug. Mehr hätte in ihrem riesigen begehbaren Kleiderschrank auch keinen Platz gefunden. Das weiße Kleid war ein Überbleibsel aus Zoes Jugend: Ein gehäkeltes Mieder, mehr Luft als Materie, mit einem unanständig kurzen Röckchen aus baumelnden Schnüren. 1973 trug man so ein Kleid im Urlaub in Mexiko über einem Badeanzug. Ursprünglich hatte es Zoes Mutter gehört, und wahrscheinlich hatten sich im Saum immer noch ein paar Körnchen Quaaludes versteckt. Bevor sie die Bennetts kennenlernte, hatte Elizabeth nie Kontakt zu Eltern gehabt, auf deren Lebensstil ihre Kinder stolz waren und für den sie sich gleichzeitig schämten. Cool zu sein war gut, aber nur bis zu einem gewissen Punkt.
»Wow«, sagte Elizabeth.
»Das Thema ist noch nicht ausdiskutiert«, erklärte Zoe.
Ruby verdrehte die Augen und hüpfte hastig die letzte Stufe hinunter, als es an der Tür klingelte. Noch ehe ihre Nachbarinnen ins Haus...
Erscheint lt. Verlag | 27.2.2017 |
---|---|
Übersetzer | Gabriela Schönberger |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Beziehungen • Beziehungen zwischen den Generationen • Beziehungskrise • Brooklyn • Emma Straub • Erste Liebe • Familie • lesbisches Paar • Liebe • Modernes Leben • Musik • Neuerscheinung Romane 2018 • Neuerscheinung Taschenbuch 2018 • Paare • USA |
ISBN-10 | 3-426-44076-8 / 3426440768 |
ISBN-13 | 978-3-426-44076-6 / 9783426440766 |
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |

Größe: 851 KB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich