Martin Luther (eBook)

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2017 | 1. Auflage
429 Seiten
Philipp von Zabern in der Verlag Herder GmbH
978-3-8053-5079-2 (ISBN)
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Martin Luther ist in fünf Jahrhunderten zu einer fast mythischen Gestalt der Geschichte geworden. Volker Leppin nähert sich dem Wittenberger Reformator aus neuer, ungewohnter Perspektive: Luther wird weniger als impulsiver Neuerer beschrieben, sondern mehr als Mönch und Theologe, der sich nur langsam von seinem mittelalterlichen Erbe löst. Keine schlagartige Bekehrung steht am Anfang, kein wuchtiger Thesenanschlag, sondern eine Stück für Stück erfolgende Umwandlung des religiösen Denkens. Selten erscheint Luther hier als Gestalter seines Umfeldes. Meist ist er der Getriebene, von seinen Gegnern zur Radikalität provoziert, von Anhängern in Nöte gebracht, und immer wieder auch der Einsame, der 1521/22 auf der Wartburg die Ereignisse beobachtet und kommentiert, der auf der Coburg festsitzt, während seine Gefährten auf dem Reichstag zu Augsburg 1530 um das Schicksal der Reformation kämpfen. Und der gerade darin seine menschliche Größe zeigt.

Volker Leppin ist evangelischer Theologe und lehrt Kirchengeschichte an der Eberhard Karls Universität Tübingen; davor war er zehn Jahre in derselben Funktion an der Friedrich-Schiller-Universität Jena tätig. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Scholastik und Mystik des späten Mittelalters, die Biographie und Theologie Luthers sowie die Aufklärung.

Volker Leppin ist evangelischer Theologe und lehrt Kirchengeschichte an der Eberhard Karls Universität Tübingen; davor war er zehn Jahre in derselben Funktion an der Friedrich-Schiller-Universität Jena tätig. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Scholastik und Mystik des späten Mittelalters, die Biographie und Theologie Luthers sowie die Aufklärung.

II. Der Mönch


1. Der Klostereintritt


Ende Juni 1505 reiste Martin Luder zu seinen Eltern nach Mansfeld. Über die Gründe dieser Reise ist nichts bekannt, aber spätere Äußerungen Luthers lassen Vermutungen zu. 1521 schreibt er in einem Widmungsschreiben an seinen Vater:

„Es sind nun fast sechzehn Jahre her, seit ich gegen Deinen Willen und ohne Dein Wissen Mönch geworden bin. In väterlicher Sorge wegen meiner Anfälligkeit – ich war ein Jüngling von eben zweiundzwanzig Jahren, d.h. um mit Augustin zu sprechen, in glühender Jugendhitze – fürchtetest Du für mich, denn an vielen ähnlichen Beispielen hattest Du erfahren, dass diese Art zu leben manchem zum Unheil gereicht hatte. Deine Absicht war es sogar, mich durch eine ehrenvolle und reiche Heirat zu fesseln.“1

Es ist besonders der letzte Satz, der einige Spekulationen ermöglicht. Zwar konstruiert Luther keinen ausdrücklichen Zusammenhang zwischen seinem Klostereintritt und den Heiratsplänen des Vaters, aber die zeitliche Zuordnung zeigt doch, dass das Problem im Sommer 1505 virulent gewesen sein muss. Ob der Vater den Sohn eigens nach Hause gerufen hatte, um ihn über die Heiratspläne zu informieren,2 oder ob dieser aus anderen Gründen seinerseits nach Hause gereist war, ist unklar. Ob er die Pläne, Mönch zu werden, schon vor der Reise gehegt hatte? Ob er vielleicht mit dem Gedanken gespielt hatte, von der juristischen Laufbahn zum Theologiestudium zu wechseln? All dies ist aufgrund der spärlichen Notizen nicht mit Sicherheit zu erschließen, aber es spricht doch einiges dafür. Wenn die Absicht des Vaters war, den Sohn durch Heirat zu „fesseln“, so setzt diese Formulierung voraus, dass dem Vater schon deutlich bewusst war, dass der Sohn ein eheloses Leben anstrebte: das eines Klerikers oder eines Mönchs.3 Der Konflikt zwischen den unterschiedlichen Lebensentwürfen, Martins eigenem und dem seines Vaters, war, wie ausgesprochen auch immer, bewusst, und es liegt nahe, anzunehmen, dass eben dies bei jener Reise ins Elternhaus thematisiert wurde. In jedem Falle dürfte der Besuch bei den Eltern mitten im Semester einen konkreten Anlass gehabt haben, der etwas mit einer anstehenden Lebensentscheidung zu tun hatte.

Die Entscheidung fiel aber offenkundig nicht während des Aufenthaltes bei den Eltern – jedenfalls wurde alles, was hier eventuell besprochen und beschlossen wurde, bald durch ein anderes Ereignis überlagert: Luder befand sich am 2. Juli kurz vor Erfurt, in der Nähe des Dorfes Stotternheim.4 Und hier überraschte ihn ein Blitzschlag, offenbar ganz in seiner Nähe. Darauf habe er, so berichtet er viele Jahre später, ausgerufen: „Hilff du, S. Anna, ich wil ein monch werden!“5 Dieses Ereignis ist vielfach nacherzählt worden und hat dem kleinen thüringischen Dörfchen Stotternheim zu einer gewissen Berühmtheit verholfen. Es passt auch bestens zu der Vita eines jungen Bergmannssohnes, war doch die heilige Anna, die Mutter Mariens, gerade unter Bergleuten eine seit kurzem populäre Heilige. Luther selbst berichtet hiervon Jahre später:

„Bej meinem gedencken ist das gross wesen von S. Anna auffkomen, als ich ein knabe von funffzehen jharen wahr. Zuvor wuste man nichts von ihr, sondern ein bube kam und brachte S. Anna, flugs gehet sie ahn, den es gab jederman darzu. Dohehr ist die hehrliche Stadt und kirche auff S. Annabergk ihr zu ehren gebauet worden, und wer nur reich werden wolte, der hatte S. Anna zum Heiligen.“6

Die Bergbaustadt im Erzgebirge, die 1505 durch Herzog Georg den Bärtigen (1500–1539) von Schreckenberge in Annaberg umbenannt worden war, legt noch heute Zeugnis von der seinerzeitigen Begeisterung für die neue Heilige ab, gerade im Sächsischen. Auch der ernestinische Kurfürst Friedrich der Weise (1486–1525) gehörte zu den Anhängern des Kults. Zwar war Anna bereits in der Spätantike als Mutter Mariens bezeugt – das Protoevangelium Jakobi nennt ihren Namen –, doch intensivierte sich ihr Kult im ausgehenden Mittelalter.7 Diese Popularität beruhte wohl vor allem darauf, dass man in ihr eine Heilige vor Augen gestellt bekam, die dazu geeignet war, neben und gegenüber dem asketischen Leben das familiäre Leben positiv wahrzunehmen. Denn in ihrer Person konnte die Legende eine Fülle familiärer Bande zusammenführen: Die Legenda aurea, die Sammlung der wichtigsten Heiligenlegenden des Mittelalters, erzählt im Abschnitt über die Geburt Mariens, dass ihre Mutter Anna – jeweils aufgrund des Todes des Gatten – dreimal verheiratet gewesen sei und jedem der Männer eine Maria geboren habe: so auch dem Joachim in unbefleckter, das heißt von der Erbsünde freier Empfängnis Maria, die Mutter Jesu.8 Die beiden anderen Marien wurden Mütter verschiedener Apostel Jesu, so dass am Ende die zahlreichen Altäre der Sippe der Anna eine Fülle wichtiger biblischer Personen darstellten – und zugleich in entsprechendem Interieur die bürgerliche Drei-Generationen-Familie repräsentierten. Dass darüber hinaus die Bergleute ein besonderes Verhältnis zur heiligen Anna entwickelten, hatte mit der Liturgie ihres Heiligenfestes am 26. Juli zu tun. Als Evangelium wurde hier Mt 13,44–52 verlesen, worin es zu Beginn heißt: „Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker“. Dieses Bild konnten die Bergleute gut auf die Realität ihrer Arbeit beziehen.9 Dennoch wäre es kurzschlüssig, Luthers Worte schnell auf eine entsprechende Prägung seines Elternhauses zu beziehen: In der Mansfeldischen Region war der Annenkult während seiner Kindheit noch nicht heimisch10 und gewiss nicht auf den Bergbau bezogen,11 sicher können wir von einer Kenntnis des Annenkultes erst in seiner Eisenacher Zeit ausgehen,12 im Erfurter Kloster, also nach dem fraglichen Ereignis, scheint er dann regelmäßig Messen für Anna gelesen zu haben.13

Warum sich der junge Student der Rechte also in der Not ausgerechnet an die heilige Anna gewandt haben soll, scheint keineswegs so selbstverständlich zu klären zu sein, wie es auf den ersten Anschein aussehen mag. Gewiss war sie nicht die einzige Heilige, die in einer solchen Situation in Frage kam. Dies wird insbesondere deutlich, wenn man den Bericht ansieht, aus dem hervorgeht, dass Luder in diesem Jahr 1505 keineswegs zum ersten Mal in Todesgefahr war. In einer Tischrede erzählte er am 30. November 1531 von seiner als junger Mann erfahrenen schweren Beinverletzung,14 und seinerzeit rief er in seiner Not: „O Maria, hilff!“15 Die Heilige, die vor dem Tod retten sollte, konnte also bei unterschiedlichen Gelegenheiten jeweils eine andere sein, sei es im tatsächlichen Geschehen, sei es auch in der rückschauenden Erinnerung.

Nun gibt es tatsächlich eine Fülle von Gründen dafür, dass jüngst von Angelika Dörfler-Dierken entschieden und mit guten Gründen in Zweifel gezogen wurde, ob Luder sich an jenem Julitag des Jahres 1505 tatsächlich an die Mutter Mariens gewandt hat.16 Die gewichtigsten Bedenken ergeben sich aus der Tatsache, dass Luther zum ersten Mal im Jahre 1539 in Verbindung mit seinem Klostereintritt die heilige Anna erwähnt, mehr als drei Jahrzehnte nach dem tatsächlichen Geschehen. Das fällt zumindest auf,17 wenn man bedenkt, dass er über die Jahre hinweg mit Auskünften über jenes Ereignis nicht gespart hat, nur fehlte eben stets der Hinweis auf die heilige Anna. Und dieser bietet nun bei seiner ersten Erwähnung 1539 gleich die Gelegenheit für eine gelehrte theologische Assoziation: Gott habe diesen Ausruf hebräisch verstanden, „sub gratia“.18 Tatsächlich verweist der Name Anna, leitet man ihn aus der hebräischen Wurzel cnn ab, auf die gratia, die Gnade, eines der Leitworte von Luthers späterer reformatorischer Theologie. Der Ruf an Anna also hat nach Luther durchaus einen Sinn, der sich freilich erst in der Rückschau erschließt: Luder hat sich schon seinerzeit an die göttliche Gnade gewandt und wurde von Gott gnädig behütet.

Aber eben dieser Zusammenhang aus später und zugleich theologisch so sinnvoller Erläuterung lässt das Geschilderte in Zweifel ziehen. Handelt es sich hier nicht doch eher um eine Art biographische Rekonstruktion?19 Auch andere Äußerungen Luthers zu späteren Etappen seines Lebens lassen diese Frage immer wieder aufkommen, ob der Reformator, wenn er von seinem Leben erzählt, nicht gerade deswegen, weil dieses Leben ihm immer schon göttlich geführtes und gedeutetes Leben ist, dazu neigt, Ereignisse allzu sinnvoll darzustellen, ihnen einen Sinn nicht nur in einer der reinen Faktenebene sekundär aufgesetzten Deutungsebene zuzumessen, sondern diesen Sinn schon in die Erzählung einfließen zu lassen. Schon diese frühe Station seines Lebens lässt diese Fragen aufkommen, und bis auf weiteres wird man der heiligen Anna wohl mit nicht allzu großer Sicherheit eine wichtige Rolle im Leben...

Erscheint lt. Verlag 2.2.2017
Verlagsort Darmstadt
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Neuzeit bis 1918
Geisteswissenschaften Geschichte
Schlagworte Biografie • Biographie • Frühe Neuzeit • Geschichte • Luther, Martin • Reformation • Reformator
ISBN-10 3-8053-5079-1 / 3805350791
ISBN-13 978-3-8053-5079-2 / 9783805350792
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