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Beziehungsweise (eBook)

Liebesvariationen
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
176 Seiten
Dörlemann eBook (Verlag)
978-3-03820-939-3 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
12,99 inkl. MwSt
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Der Anfang ist immer schön. Und dann? War es so oder nicht doch ganz anders? Das Spiel der Erinnerungen beginnt.Manuela Reichart erzählt von allen Facetten der Liebe: Von Annemarie, die nach ihrer Scheidung in Paris als Sarah ein neues Leben beginnt, zuerst mit einem Mann, dann mit einer Frau. Von der Frau, die den falschen Mann im richtigen Leben wählt. Oder ist es der richtige Mann im falschen Leben? Und der Mann, der sich im Wiener Naturkundemuseum Hals über Kopf neu verliebt, kehrt am Ende zur alten Liebe zurück. Die mag zwar keine ausgestopften Tiere, hat aber geduldig auf ihn gewartet.Die richtige Liebe? Die gibt es im Kino - und manchmal auch in Wirklichkeit.

Manuela Reichart lebt und arbeitet in Berlin als Autorin, Radiomoderatorin und Herausgeberin (u.a.der Anthologie Doch uns schlug kein Gewissen, 2011). 2015 erschien ihr Buch Schon wieder Verspätung. Reisebekanntschaften im Dörlemann Verlag.

MANUELA REICHART lebt und arbeitet in Berlin als Autorin, Radiomoderatorin und Herausgeberin (u.a.der Anthologie Doch uns schlug kein Gewissen, 2011). 2015 erschien ihr Buch Schon wieder Verspätung. Reisebekanntschaften im Dörlemann Verlag.

Die Zeit vergeht, die Erinnerung bleibt


Als sie die Schublade erst gedankenlos auf- und dann schnell wieder zuzog, hatte ich das seltsame Teil schon gesehen: ein Ledergürtel, an dem ein Gummipenis befestigt war. Sie hatte nach einem Stadtplan gesucht, wollte mir den Weg zum Restaurant erklären, in dem wir uns am nächsten Mittag treffen würden. Wir redeten nicht darüber. Ich fragte nichts. Sie sagte nichts. Sie hieß Annemarie. Niemand hieß damals Annemarie. Als ich den umschnallbaren Penis sah, hatte sie den Namen schon abgelegt, den zweiten zum ersten gemacht. Sie hieß jetzt Sarah. Und war froh damit. Sie führte auch wieder ihren Mädchennamen. Sarah Hellwig: Das klingt doch wirklich besser, sagte sie, als ich ihr Vorhaltungen machte, man könne nicht einfach einem bekannten Gesicht, einem vertrauten Menschen einen neuen Namen geben. Für mich sei sie Annemarie. Wie sollte ich das ändern. Du hast es ja gut, Christiane ist in Ordnung. Das fand ich nicht. Annemarie Schwartz gab es jedenfalls nicht mehr. Sie hatte sich neu erfunden.

Ich hatte mich schließlich gefügt und an ihren selbstgewählten Namen gewöhnt. Auf meine Briefe und Postkarten schrieb ich statt Annemarie Schwartz nun Sarah Hellwig. Sie lebte jetzt in Paris. Sie hatte französische Bekannte und Freunde, sie träumte auf Französisch, arbeitete in einer Galerie. Vor Jahren war sie nach Paris gefahren, um sich mithilfe einer neuen Methode einen dauerhaften Lidstrich ziehen zu lassen. Da lebte sie noch in Köln. Permanent Make-up wurde dort nicht angeboten. Sie nahm den Weg in Kauf, wollte vorsorgen, wie sie sagte, denn auf einem faltigen Auge könne man keine geraden Striche mehr ziehen. Es sah schön aus und sie behauptete, es habe überhaupt nicht wehgetan. Da war sie noch Annemarie. Als ich es ihr später nachmachen wollte, brach die Kosmetikerin die Prozedur nach fünf Minuten ab, weil ich vor Schmerz zuckte und jammerte. Fünf Jahre später hieß sie Sarah. Ließ den Lidstrich erneuern und hatte eine winzige Wohnung in der Rue Jacob, viel zu teuer, ein wenig schäbig. Aber sie war in Paris. Hatte es geschafft. Köln hinter sich gelassen. Mit der Vergangenheit gebrochen. Sich für einen neuen Namen, ein neues Leben entschieden.

Als ich das hautfarbene Gummiteil sah, hatte sie mir am Tag zuvor ein kleines Schild geschenkt, das man gewöhnlich auf Grabsteine klebt: »Le temps passe, le souvenir reste.« Da lebte sie noch nicht mit ihrer Freundin zusammen. Das kam später. Auch die Hochzeitsanzeige.

Sie war der Liebe wegen nach Paris gezogen. Der Mann war zehn Jahre älter. Sie war auf der Domplatte in ihn hineingelaufen. Er schaute nach oben, sie hatte es eilig. Schicksal mit höchstem Segen, witzelte sie. Sie heirateten zwei Monate später. Improvisiert und glücklich. Jedenfalls sah das auf dem Foto so aus, das sie mir schickte. Sie strahlten beide in die Kamera und auf die Rückseite hatte sie geschrieben: »Wie in Rebecca. Weißt du noch, wie du mir davon erzählt hast? Wir haben in einem kleinen Rathaus an der Côte d’Azur geheiratet. Keine Ahnung, wie er das geschafft hat. Toll. Das Leben fängt noch mal an. Und die Liebe auch!« Trotzdem hielt die Geschichte mit Bertrand nicht. Er wurde ihr zu langweilig. Er träumte von einer neuen, einer richtigen Familie, von Kindern. Sie kauften ein heruntergekommenes Bauernhaus in der Normandie. Ein Jahr lang fuhren sie jedes Wochenende hin, renovierten, reparierten, verlegten neue Leitungen. Sie konnte das besser als er. Neue Kacheln, neuer Küchenboden. Sie rissen tragende Wände ein und saßen abends in dreckigen Arbeitsklamotten und mit Schwielen an den Händen am Kamin. Wir sind froh zusammen, schrieb sie mir da noch. Er war auch ein wirklich netter Mann. Ich dachte, was für ein Glück sie doch hat. Gutaussehend, charmant, ein Südfranzose wie aus dem Bilderbuch, nicht sehr groß, na gut, aber dafür hatte er diese sanften braunen Augen, mit denen er nur sie ansah, an dem Abend, als ich sie das erste Mal in Paris besuchte. Da wohnten sie gemeinsam am Montparnasse, die Wohnung hatte er von seiner Großmutter geerbt. Allein das war schon ein unfassbares, ein riesiges Glück. Eine große Wohnung in Paris. Er hatte eine gescheiterte Ehe hinter sich und eine fast erwachsene Tochter. Er mochte ihre Kinder. Er sprach Deutsch, besser als ich Französisch. Ich schlief im Gästezimmer und am Morgen standen Croissants und frischer Kaffee auf dem Tisch. Bertrand hatte eingekauft, bevor er zur Arbeit fuhr, Orangensaft ausgepresst. Welcher Mann macht das denn? Für die Freundin seiner Geliebten. Sie schlief noch, musste erst später ins Goethe-Institut, wo sie einen kleinen Bürojob ergattert hatte. Ich beneidete sie ein wenig um ihr Glück. Aber das hatte sie sich auch wirklich verdient. Sie war damals 38, er zehn Jahre älter. Es hätte gerade noch klappen können mit den gemeinsamen Kindern und der neuen Familie.

Als das alte Bauernhaus rundum gestrichen, die Heizung eingebaut war, verließ sie ihn. Sie hatte auf einer Party mit einer Frau getanzt, viel getrunken, sie geküsst. Mehr war nicht gewesen. Bertrand begriff nicht, warum sie ging. Drei Jahre hatte die Liebe gedauert. Alles schien gut und harmonisch, sie waren sich uneinig höchstens über die Farbe der Küchenwände. Sie erklärte ihm, sie müsse neu beginnen, ein anderes Leben führen. Sie habe einen Fehler gemacht. Sich getäuscht. Ich verstand auch nicht, warum sie wegging, schon wieder alles aufgab. Sie könne die andauernde Fürsorge nicht ertragen, schrieb sie, seine frohe Gelassenheit. Ihr fehle die Leidenschaft – und den Traum von der Familie habe sie nicht umsonst schon einmal hinter sich gelassen. Damit könne sie keiner mehr locken. Sie fand einen neuen Job und die winzige Wohnung. Ich bewunderte sie einmal mehr für ihre Entschlossenheit. Ihren Mut. Ich war zehn Jahre jünger und liebte meinen Mann, hatte gerade das Baby bekommen. Niemals hätte ich die beiden verlassen. Wahrscheinlich auch nicht für einen dunkelhaarigen Südfranzosen mit großer Wohnung in Paris. Bertrand rief mich an und schluchzte in den Apparat. Er war verzweifelt, suchte nach einer Erklärung, wollte einen Grund. Ich konnte ihm keinen nennen. »War’s der Sex?« Ich wusste es nicht. »Die Geschichte mit der Frau? Du musst das doch wissen. Sie hat mir von euch erzählt. Deswegen wirft man doch nicht alles weg.«

Ich habe ihn vor seinem Tod noch einmal gesehen. Ich war in Paris, wir trafen uns auf einen Aperitif, er hatte keinen Kontakt mehr zu Sarah, aber eine neue Liebe. Er starb zwei Jahre später an einem Herzinfarkt, in einer Boulangerie brach er zusammen. Die Scheidung war da gerade durch. Die Wohnung erbte seine Tochter, das Landhaus seine neue Freundin. Sarah schien das nicht zu berühren. Es war doch auch ihr Haus gewesen. »Vorbei und vergessen«, schrieb sie. Sie ging in der Zeit auf wilde Partys und nahm junge Männer mit nach Hause. Sie erzählte mir am Telefon von Diskotheken, in denen sie die Älteste war. Sie fand das sehr komisch.

Die älteste Teilnehmerin war sie auch im Französischkurs gewesen. Drei Wochen in einem heruntergekommenen Schloss in der Nähe von Nizza. Wir anderen waren alle Anfang zwanzig, die meisten studierten oder hatten gerade das Abitur hinter sich, alles deutsche Mädchen, ein paar wenige Jungen. Sie fiel mir gleich am ersten Abend auf. Eine aparte Frau um die dreißig. Damals schien mir das ziemlich alt. Sie schaute spöttisch auf uns. Drei Tage betrachtete ich sie immer wieder aus der Ferne. Wir waren nicht in der gleichen Gruppe. Sie sprach viel besser, ich würde es nie richtig lernen. Wir hatten beide ein Einzelzimmer gebucht. Ich ertrug es schon damals nicht, mit fremden Menschen das Zimmer zu teilen, hatte mir den Zuschlag von der Großmutter erbettelt. Der Kurs war teuer trotz der primitiven Unterkunft – nachts war es eiskalt, die Heizung funktionierte nicht richtig, das Wasser wurde höchstens lauwarm, durch die einfach verglasten Fenster zog es, in den langen Gängen stand der Wintermuff. Vom im Prospekt angepriesenen südfranzösischen Frühling in diesen Märztagen keine Spur.

Am vierten Abend sprach ich sie endlich an. Wir saßen am Kamin, dicht zusammengedrängt, um wenigstens ein bisschen Wärme abzubekommen. Wir redeten über den jungen, gutaussehenden Lehrer, der mit allen flirtete, der der einzige war, der mit Elan an die Sache, also an unser Radebrechen heranging, über die unnahbare Institutsleiterin, die müde Lehrerin für Grammatik Level II. Lauter Gestrandete, die sich mit Ferienschülern herumschlugen. Wir erzählten uns, wo wir herkamen, was wir vorhatten, welcher Studienplatz uns wo erwartete oder warum wir unbedingt die Universität wechseln oder nun doch eine Banklehre beginnen würden. Ein Mädchen wollte im Herbst heiraten und mit ihrem Mediziner-Mann nach Togo gehen. Deswegen müsse sie ihr Französisch aufbessern. Sie war 21 wie ich und schien mir ein Wesen vom andern Stern. Ehe, die eigenen Pläne denen des Mannes unterordnen. Dass es das noch gab. Sie hieß Anna von Rauchwitz und konnte schon die Namen ihrer geplanten vier Kinder aufsagen. Seltsam. Ich saß daneben und sagte wenig. Die Sprache wollte ich allein der Lektüremöglichkeit wegen verbessern. Ich studierte im dritten Semester Komparatistik und Geschichte, kam mir in dieser Runde so überlegen vor, wie ich mich im letzten Seminar unterlegen gefühlt hatte. Keine Ahnung von Lacan, Roland Barthes sollte man im Original lesen, Foucault wurde vorausgesetzt. Hier kannte niemand diese französischen Heroen der aktuellen Geistesgeschichte und ich konnte – wie ich es damals am liebsten tat – ein wenig überheblich in die unbedarfte Runde schauen. Eine zukünftige Ehefrau, vier Lehramtsstudentinnen, zwei Touristikkauffrauen, zwei Freundinnen wussten noch nicht, was sie machen...

Erscheint lt. Verlag 23.1.2017
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Geschichten • Liebe • Spiel
ISBN-10 3-03820-939-2 / 3038209392
ISBN-13 978-3-03820-939-3 / 9783038209393
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