Eltern haften an ihren Kindern (eBook)

Überleben mit Nachwuchs
eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
256 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-1411-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Eltern haften an ihren Kindern -  Martin Zingsheim
Systemvoraussetzungen
8,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Kinder nötigen einen zur Auseinandersetzung mit existenziellen Fragen des Daseins: Wer bin ich? Wer hat die Erde gemacht? Warum sind nur die eigenen Pupse lustig? In seinem Buch geht der Kabarettist und dreifache Vater Martin Zingsheim vielen wichtigen Themen mit Kindermaßstäben auf den Grund: von Sprache und Religion bis Pizza und Pauschalreisen. Ein satirisches Hohelied auf den chaotischen Zauber, den die Winzlinge ins Leben pseudokompetenter Erwachsener bringen.

Martin Zingsheim studierte Musikwissenschaft, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft und Philosophie in Köln. Von 2006 bis 2010 arbeitete er als Pianist, Darsteller und Sänger sowie Komponist. Seit 2011 tritt er mit diversen Solo-Programmen auf. Zuletzt erhielt er 2015 den Deutschen Kleinkunstpreis (Förderpreis) und 2016 den Salzburger Stier.

Martin Zingsheim studierte Musikwissenschaft, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft und Philosophie in Köln. Von 2006 bis 2010 arbeitete er als Pianist, Darsteller und Sänger sowie Komponist. Seit 2011 tritt er mit diversen Solo-Programmen auf. Zuletzt erhielt er 2015 den Deutschen Kleinkunstpreis (Förderpreis) und 2016 den Salzburger Stier.

2.


»Komm, sag mal Pantoffel.« – »Poffel!«

Kinder und Sprache

Erstaunlicherweise sprechen Kinder. Zwar nicht sofort, dann aber ständig und eigentlich nie wieder nicht. Erwachsene sprechen selbstredend auch, was einem aber selten und wenn, dann lediglich negativ auffällt. Das Sprechen kleiner Kinder dagegen ist eine mittelschwere Sensation und wird daher völlig zu Recht vom parentalen wie auch sonstigen Umfeld durch Eruptionen der Verzückung flankiert.

Achtung: Auch bei plötzlich quatschenden Kindern kommt es ab und an zu einer Art Vorführeffekt. Dann erwidern schon Ein- bis Zweijährige auf die Aufforderung: »Komm, sag mal schön ›Hallo, Tante Gertrud!‹« in der Regel so etwas wie: »Hoho, tut, tut.« Reicht ja auch, Gertrud freut sich nämlich trotzdem. Erst nach und nach mischt sich in die elterliche Begeisterung infolge rätselhafter Dauerbeschallung das ein oder andere: »Kannst du bitte mal kurz leise sein?« Blöde Frage – natürlich kann er das. Aber eben nur kurz. Klar, bei drei kleinen Kindern daheim ist dann immer irgendeiner am Plärren oder Schreien. Aber man sollte das positiv sehen, denn nahezu nie schreien alle drei gleichzeitig.

Kaum etwas wird so gebannt und geradezu hysterisch begeistert von Eltern begleitet wie der kindliche Spracherwerb, auch wenn schon wenig später vor allem Ruhe und Stille zu herbeigesehnten Luxusgütern avancieren. Bevor Kinder zu sprechen beginnen, sind sie von gewissermaßen außerirdischer Rätselhaftigkeit, von fast extraterrestrischer Faszination. Wir vermeintlich großen Leute sind es ja gewohnt, die Welt mit den Werkzeugen halbwegs passender Begriffe zu bearbeiten, und verstehen praktisch nichts ohne verbale oder schriftlich eingereichte Erläuterungen. Angesichts von neugeborenen Erdenbürgern kann man da schon mal anerkennend denken: »Och, guck mal … geht ja auch ohne, ne!«

Auf der anderen Seite steht die sprachlos machende Sprachlosigkeit von Babys auch für deren existentielle Hilfs- und Schutzbedürftigkeit. Die endet meiner Meinung nach übrigens nicht mit dem Erwerb der Sprache, sondern hält in etwa an bis Mitte achtzig. Es sei denn, man lebt länger.

Die ehrfürchtige Sprachlosigkeit von Eltern hält dagegen zumeist nur sehr kurz an. Denn bald schon sitzen sie einzeln, zu zweit oder in beachtlichen Großgruppen vor den kleinen Fuzzis wie vor einer Kinoleinwand und lassen sich dazu hinreißen, jede Regung, jedes Glucksen, im Wortsinne jeden Pups zu kommentieren, zu reproduzieren und ausgiebig zu interpretieren. Ja, das macht großen Spaß, hat im Zweifel jedoch nichts – ich wiederhole: nichts! – mit dem tatsächlichen Innenleben, den wahrhaftigen Auffassungen, Meinungen und Ansichten von vier Tage alten Menschlein zu tun.

Zugegeben, lediglich Erstgeborene werden auf diese Weise angestarrt. Bei allen weiteren Nachkommen fehlt für so einen Quatsch schlichtweg die Zeit. Ein drittes Kind beispielsweise rutscht häufig erst nach mehrstündigem Gebrüll überhaupt in den peripheren Aufmerksamkeitsbereich der Eltern. Ist wahrscheinlich auch gesünder – für beide Seiten. Ein Kinderarzt sagte einmal zu mir: »Herr Zingsheim, erst die vierten Kinder sind normal.« Jetzt habe ich zwar bislang nur drei, muss aber sagen: Das kann ich so bestätigen.

Das Phänomen des Sprechenlernens ist vielleicht das Paradebeispiel für den grundsätzlichen Effekt, den Kinder auf das Leben bereits ordentlich gealterter Menschen haben: Vermeintlich Unbedeutendes, völlig Alltägliches, nie eigens Bedachtes wird mit einem Mal schier unglaublich und geradezu umwerfend. Insofern haben Kinder eine mitunter philosophisch zu nennende Wirkung, die man nicht verpuffen lassen muss. Durch Kinder nämlich wird diese Welt automatisch wieder rätselhaft, wundersam und erstaunlich. Wenn man selbst miterlebt, wie aus nicht zu deutendem Geschnorchel und obskurem Gefiepe nach und nach artikulierte Laute, dann halbwegs zuordenbare Wortfetzen, mehrsilbiges Gebrabbel und schließlich mehrstündige Laberflashs von fast nachvollziehbarer Verständlichkeit werden, kann man dies zum Anlass nehmen, auch mal über sein eigenes Gequatsche nachzudenken. Muss man aber nicht. Denn: »Och, guck mal … geht ja auch ohne, ne!«

Kann man denn überhaupt sagen, was man denkt? Wir gehen in der Regel so mir nichts, dir nichts davon aus, dass dem so ist. Aber müssen wir nicht, um zu verstehen, was wir denken, erst einmal hören, was wir sagen? Und oft genug denken wir hinterher genau das, was wir gerade gehört, also: gesagt haben, um im Zweifel jemandem, der das gar nicht hören will, sagen zu können, was wir gerade denken. Na bravo!

Dabei scheinen wir ständig in Sprache zu denken, automatisch. Du siehst ein Auto und denkst: »Auto!« Du siehst einen Ball und denkst: »Ball!« Du hörst Florian Silbereisen und denkst: »Das nervt doch total!«

Ehrlich gesagt aber verändern sich unsere Gedanken ganz gehörig auf ihrem mühsamen Weg durch die Sprache, so wie sich auch die Welt nicht mit Hilfe von Sprache abbilden lässt, sondern sich durch sie verwandelt, ja uns fast schon wieder zwischen unseren vielen, vielen schönen Wörtern entgleitet. Es macht schon einen Unterschied, ob man samt Sohnemann am Fenster steht und angesichts des strömenden Regens sagt: »Meine Fresse, was für ein Sauwetter!« Oder stattdessen feststellt: »Guck mal, mein Schatz, heute freuen sich aber alle Blümchen, weil sie so viel zu trinken kriegen.« Worte schaffen Wirklichkeiten.

Meine Kinder können klasse quatschen. Und sie haben fraglos ein reiches Innenleben. Jedenfalls vermute ich das. Und würde gern viel mehr davon erfahren. Oft aber sagen sie schlicht und ergreifend: »Weiß ich nicht«; »Hab ich vergessen«; »Keine Ahnung«, wenn ich mal etwas wissen will. Sie mühen sich also ordentlich mit dieser Barriere zwischen Denken und Sprechen, die Erwachsene selten überhaupt wahrnehmen.

Kinder sind darüber hinaus ehrlicher. »Weiß ich nicht«; »Hab ich vergessen«; »Keine Ahnung« – das sollte auch ich viel häufiger mal sagen, wenn das, was in mir vorgeht, sich sprachlich ohnehin nicht wirklich gut ausdrücken lässt. Allerdings haben Erwachsene ein Füllhorn gut sortierter, ständig frisch bestückter verbaler Floskeln zur Hand beziehungsweise auf der Zunge, mit dem sie ständig sagen, was sie angeblich denken. Da antwortet manch einer schon mal auf ein »Und? Wie geht es dir?« flott mit »Ach ja, alles okay so weit«, obwohl die mentalen Prozesse eher einem »Ich hasse dich und werde mich morgen scheiden lassen« entsprechen. Kinder würden fraglos sogleich die Scheidung einreichen – weshalb man sie ja auch auf gar keinen Fall verheiraten sollte.

Wenn Kinder tatsächlich einmal exakt das äußern, was sie denken, merkt man das übrigens sofort.

Vater: »Guck mal, mein Schatz, hier ist noch Lauchgemüse.«

Kind: »Bäh!«

Respekt! So etwas traue ich mich selten zu sagen, selbst wenn ich es gerade denke beziehungsweise schmecke.

Das große Glück, das man als Elternteilchen empfindet, wenn das eigene Kind vom putzigen akustischen Geblubber ins sogenannte vernünftige Sprechen gleitet, hat, glaube ich, zwei Seiten. Mindestens. Wenn nicht sogar vier.

Zunächst einmal ist da der bereits erwähnte Zauber, der dieses Phänomen umweht. Selbst hat man gar nicht viel mehr dazu beigetragen, als eben andauernd zu sprechen und im besten Falle liebevoll auf den jeweiligen Winzling einzureden. Ob er sich tatsächlich deswegen oder vielmehr trotzdem dazu entschlossen hat, selbst auch einmal ein bisschen Small Talk betreiben zu wollen, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen. Irgendwie erscheint wohl selbst einem noch sehr, sehr kleinen Kind das Benutzen von Wörtern lohnenswert, was angesichts der verbalen Auswürfe einiger Eltern ebenfalls einem Wunder gleichkommt. Etwas wie »Ja, bissu mein feinifeiner Stinkibinki?« kam auch mir gelegentlich über die Lippen. Richtig peinlich wird es allerdings erst, wenn man damit beginnt, auch das erwachsene Umfeld auf solche Weise zu begrüßen. Cocktailabende mit alten Freunden können dann sehr schnell sehr früh und sehr unschön enden.

»Ja, hallololo, Stefanchen, mein liebilieber Schulifreundi!«

»Oh, Martin, Mensch, schon so spät geworden, ich muss dann auch los …«

Zweitens geht mit dem auf einmal sprechenden Mops noch ein weiteres, eher zwiespältiges Gefühl einher. Man kann noch so reflektiert an die Sache herangehen, unweigerlich denkt man angesichts der ersten korrekt hervorgebrachten Worte selbst unsinniges Zeug wie: »Oh, mein Gott, es ist normal!« – »Schatz, schau her, es funktioniert! Das Kind … es hat funktioniert!« Im Falle solch angstgesteuerten Unfugs gilt die alte Regel: Manchmal ist leise denken deutlich besser als laut sprechen. Natürlich weiß man als halbwegs zurechnungsfähiges Personal von Kindern, dass alle Kinder normal sind. Beziehungsweise kein Kind. Nur weil wir im alltäglichen Kommunizieren Wörter wie »normal« und »Normalität« andauernd benutzen, heißt es noch lange nicht, dass es so etwas tatsächlich gibt.

»Normalität ist vor allem ein schlecht zu definierender Kampfbegriff, der zum Kategorisieren, Pauschalisieren und Ausgrenzen von Humanmaterial dient, und insofern mit Vorsicht zu benutzen. Oder am besten gar nicht.« Petra Slot von Dijk: Total normal. Uniformität als Bedingung gesellschaftlicher Akzeptanz. Wien 2021, S. 4869

Aber wir leben schon weitgehend im Zustand einer gewissen Normalität. Das merkt man, wenn man sich bewusst ganz anders, im Sinne von unnormal verhält. Setzen Sie sich mal in einen ICE und legen vor sich auf Ihr Tischchen ein Klappmesser und ein paar Tabletten...

Erscheint lt. Verlag 2.12.2016
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga Humor / Satire
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alleinerziehend mit Mann • Anja Maier • beibringen • Benni-Mama • Beziehungen • Beziehungen Buch • Beziehungen zu Kindern • Buch 2016 • die auf Schaukeln starren • ebook bücher • ebook deutsch • eBooks • Eltern • Eltern allgemein • Eltern & Kinder • Eltern Buch • Eltern Geschenk • Eltern-Kind-Beziehung • Eltern Ratgeber • Eltern werden • Entwicklung • Entwicklung des Kindes • Entwicklung Kinder • Erziehung • Erziehung Kinder • Erziehungsratgeber • Erziehungstricks • Essen • Essen für Kinder • Essen und Trinken • Familie • Familienleben • Felix Achterwinter • Felix Denk • Geschenkbücher • Geschenkbücher für Frauen • Geschenkbücher für Mütter • Geschenkbücher für Paare • Geschenke für Eltern • Glück • glück buch • Große Ärsche auf kleinen Stühlen • Große Ärsche im Klassenzimmer • Humor • Humor Bücher • humorvolle Bücher • ich bin Mutter • Johannes Hayers • Johann König • Kinder • Kinder & Sprache • Kinder sind was wunderbares • Kinder verstehen • Kindheit Buch • Kleine Scheißer in großen Gärten • Lachen • Lachen Buch • Lassen Sie mich durch • Monika Bittl • Neu 2016 • Neuerscheinung 2016 • Neuerscheinungen 2016 • Populäre Belletristik • Pubertät • Pubertät Buch • Ratgeber • Ratgeber Erziehung • Religion • Religion Bücher • Satire Buch • Schnall dich an • Schule & Studium • Silke Denk • Silke Neumayer • sonst stirbt ein Einhorn
ISBN-10 3-8437-1411-8 / 3843714118
ISBN-13 978-3-8437-1411-2 / 9783843714112
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 2,8 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Die lustigsten Patientengeschichten. Das Buch zum Podcast. Von …

von Ralf Podszus

eBook Download (2022)
riva (Verlag)
12,99