Nacht Ritt -  Hans Peter Renz

Nacht Ritt (eBook)

Roman
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2016 | 1. Auflage
392 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7431-9952-1 (ISBN)
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An diesem Roman hat der Schriftsteller und Regisseur Hans Peter Renz sein Leben lang gearbeitet. Er war der Horizont hinter all seinen anderen zahlreichen Aktivitäten im Kulturleben der Stadt Bremen, die er seit 1966 ausgeübt hatte. Zu der Zeit begannen seine Recherchen zum Völkermord an den Armeniern, vor genau hundert Jahren begangen vom damaligen Türkischen Reich und zwar mit großer Unterstützung durch das Deutsche Reich. Jedes Detail im Buch ist wahr. All das nicht fassbare Morden ist belegt. Für die Darstellung des Grauens hat der Autor eine literarische Form gefunden, die mit äußerster Knappheit und Präzision dieses Grauen erfasst. So wird es auch für den heutigen Leser erspürbar. Ihn erreicht eine Spur aus der Vergangenheit, die wirkt, die in der Erinnerung behalten werden sollte, damit es in Zukunft nicht mehr passiert. Zu dieser Erinnerung hat ein zweiter Bremer beigetragen. Der Fotograf Armin T. Wegener begleitete die Reichswehr auf ihren Todesmärschen und fotografierte das Morden. Wir wissen also darum. Es berührt, dass ausgerechnet aus Bremen zwei Männer kommen, die für die Erinnerung an den Völkermord an den Armeniern eine derart wichtige Rolle spielen. Bernd Gosau 2016.

Hans Peter Renz. 1933 - 2013 Schriftsteller und Regisseur

Am Nachmittag ritt ich zum Deutschen Konsulat.

Max-Erwin von Scheubner-Richter, schlank, fast schmächtig, mit kahlem Schädel, braunen Augen, randloser Brille, kleinem dunklem Schnurrbart, trat mir, in feldgrauer Uniform, mit Stiefeln und Sporen, in seinem Amtszimmer entgegen und reichte mir die Hand. Er sprach lebhaft, liess vom Adjutanten Kaffee bringen, und Likör. Er beglückwünschte mich. Selbst ein ausgezeichneter Reiter, bewunderte er anerkennend, dass ich die einhundertundfünfzig Kilometer lange Strecke von Erzingian nach Erzerum bei winterlichem Wetter unbeschadet in drei Tagen zurückgelegt hatte. Ich erläuterte die Erkrankung Wilferts, seinen Tod, händigte, ordnungsgemäss, den persönlichen Besitz des Oberleutnants aus, Papiere, Briefe, Fotos. Scheubner sah auf die Bilder. Die Frau am Flügel. Die Mädchen auf dem Schaukelpferd. Schrecklich, sagte er. Es war aufrichtig. Er überflog die Dokumente, schloss die Hinterlassenschaft in den Schrank, goss Likör ein. Hat er sehr gelitten? Nein, log ich. Nein, nicht sehr. Er hob das Glas. Schrecklich, der Krieg. Wir tranken. Ja, sagte ich. Schrecklich. Vom Blut war er so rot. Ich berichtete vom Verlust der Versorgungsmannschaft. Ein Erdrutsch. Auf den Sekt kann ich verzichten, sagte Scheubner. Durch das Fenster sahen wir, dass es schneite. Warum sind Sie nicht an der Front? Ich sagte es ihm. Er hörte mich aufmerksam an, ohne Vorwurf. Ich verstehe Sie, sagte er. Ich würde niemals so handeln. Aber ich verstehe Sie. Es schneite heftiger. Ich sagte ihm, ich wolle niemanden umbringen müssen. Und lächelnd: Noch wolle ich selbst umgebracht werden. Scheubner rückte an der Brille. Ich verstehe, sagte er. Wir schwiegen. Der Adjutant schenkte Kaffee nach. Und warum die Türkei? Ich sagte, ich hätte entschieden, in ein Land zu gehen, in dem kein Krieg wäre. In diesem Land ist Krieg! sagte er. Scheubner sah müde aus. Er nahm die Brille ab, strich sich über die hohe Stirn. Wir schwiegen. Ja, sagte ich, der Krieg hat mich eingeholt. Ich stand auf. Vielleicht schreibe ich über ihn. Wir verabschiedeten uns. Scheubner begleitete mich zur Tür. Er drückte mir die Hand. Kommen Sie wieder! sagte er. Wann immer Sie möchten. Ich trat in den Schnee. Der Wind blies mir die Flocken in die Augen. Er winkte kurz. Ich stieg aufs Pferd.

Scheubner, Balte, in Riga geboren, wohnhaft in München, Privatgelehrter, verheiratet, wohlhabend, Kriegsfreiwilliger der ersten Stunde, wurde, auf Anforderung der Militärmission und mit besonderer Empfehlung des Deutschen Botschafters, mit einundreissig Jahren der jüngste Konsul des Auswärtigen Dienstes. Bereits im Dezember von Konstantinopel aus mit dem Torpedoboot durch das Schwarze Meer nach Trapezunt und auf dem Landwege weiter nach Erzerum gekommen, hatte er im Januar die Amtsgeschäfte seines Vorgängers, Dr. Schwarz, übernommen und war, inzwischen zum Leutnant der Reserve ernannt, mit dem 17. Februar 1915, wenige Tage nach meiner Ankunft in der Stadt, Vizekonsul und Verweser des Deutschen Konsulats Erzerum geworden. Ein leidenschaftlicher Soldat, diente er Deutschland begeistert, der Türkei, mit Deutschland inzwischen verbündet, nur widerwillig. Er setzte sich, in den Monaten seiner Amtszeit in seinem Wirkungsbereich selbstlos und unerschrocken für die armenische Bevölkerung ein. Er erreichte nichts.

Wir trafen uns im Hotel, wenn es die Amtsgeschäfte erlaubten. Scheubner war oft niedergeschlagen. Er sprach gern mit mir, und offen. Er setzte sich in die Halle, legte den Helm, die Handschuhe sorgfältig ab, schlug die Beine übereinander, trank schwarzen Tee. Er lächelte über den sibirischen Eisbären, der grimmig aufgerichtet, aber ausgestopft, neben dem Treppenaufgang wachte. Mir fiel eine Bildergeschichte ein. Zwei Polarforscher landen mit einem Ballon auf einer Eisscholle und werden von zwei hungrigen Bären aus der Gondel vertrieben. Ich erzählte sie. Und weiter? Die Bären landen mit dem Ballon in München auf der Oktoberwiese. Er lachte. Es dämmerte rasch, fing an zu schneien. Wir spielten Schach. Er schlug mich nach wenigen Zügen. Er spielte ohne Dame, gewann. Er spielte ohne Läufer, ich verlor. Er vergass sich und seine Schwierigkeiten. Der Schnee auf den Strassen, nach nur wenigen Stunden, lag hoch. Scheubner schickte den Burschen, er musste das Pferd führen. Der Samowar summte. Wir lehnten uns zurück. Die Flocken fielen unaufhörlich. Ich werde bleiben, sagte er, und fand ein leeres Zimmer. Wir trennten uns. Er wünschte Gute Nacht. Ich nahm den Schlüssel vom Brett. Er schritt durch die Halle, vorüber an dem sibirischen Eisbären, stieg die Treppe hinauf. So lernte ich ihn schätzen. Er war klug, gebildet und immer höflich. Am nächsten Morgen frühstückten wir gemeinsam. Es schneite nicht mehr. In den Strassen tobte der Wind. Er hatte schlecht geschlafen, unterhielt sich aber angeregt. Die beiden Offiziere, am Nebentisch, grüssten verhalten. Scheubner beachtete sie nicht, nickte nur. Dem älteren Offizier rutschte die Serviette unter den Tisch. Er musste sich mehrfach bücken. Dem jüngeren Offizier tropfte die Marmelade auf das EK 2. Das ist die Strafe, dachte ich. In diesen Wochen sah ich Scheubner häufiger. Meine Flucht aus Deutschland erwähnte er niemals.

Am 6. August 1915 traf Graf von der Schulenburg in Erzerum ein und übernahm das Deutsche Konsulat. Scheubner wurde von den bisherigen konsularischen Pflichten befreit, um sich, auf Weisung der Reichsregierung, einer militärischen Aufgabe zu stellen, der Persischen Mission. Ende 1915 verliess er mit einer von ihm gebildeten und befehligten Expedition die Stadt.

Die Kunst Fasane zu fangen. Man nähert sich dem Baume, auf welchem ein Fasan sitzt, behutsam, damit es der Vogel nicht zu bald gewahrt. Ist man nun ganz in der Nähe, fasst man denselben so scharf als möglich ins Auge und gehe dabei sehr schnell um den Baum herum. Der Fasan wird neugierig und schaut nach. Da man aber immer wieder um den Baum geht, und der Fasan, um nachzusehen, beständig den Kopf drehen muss, wird dieser zuletzt so irre, dass er vom Baume herabfällt, wo man ihn ganz gemächlich aufhebt und ihn ohne Hast in die hierzu mitgebrachte Waidtasche steckt. Zutiefst schwermütig, erschoss sich am Silvesterabend, fast beiläufig, Leutnant Schmidt, deutscher Verbindungsoffizier zur 3. türkischen Armee, auf der Etappenkommandantur Erzerum, mit seiner Dienstwaffe. Ein peinlicher Vorfall. Nachdrücklich wurde von Berlin rascher Ersatz gefordert. Ende Januar drahtete Konstantinopel, Major Emanuel von Schrenck-Schreckenberg sei bereits unterwegs und könne, verliefe die Reise mit dem Militärzug bis Ulu-Kischla, Station der Bagdadbahn, und zu Pferde durch das Hochland Armeniens, reibungslos, schon Mitte Februar den umständehalber freigewordenen Posten beim Festungskommandanten der Stadt unverzüglich antreten. Wie sich erwies, für die gestellten Aufgaben gänzlich ungeeignet, trotz leidlicher Kenntnisse der französichen Sprache. Unangemessen überheblich im Umgang mit Gleichrangigen. Wenig einfühlsam gegenüber türkischen Untergebenen. Von zügelloser Genusssucht, die eine geregelte Ausübung des Dienstes erheblich beeinträchtigte. Zweifellos wurden die Mängel ausgeglichen durch die glänzende Fähigkeit, dunkle Kasinoabende mit launigen Herrenwitzen aufzuhellen. Grosse Jagdgesellschaft beim Grafen Zitzewitz. Tafelsilber des Hauses. Messerbänkchen. Reichlich Kristall. Hauptgericht Aal in Dillsauce. Danach Reh und Rotwein. Gemütliche Runde, feuchtfröhlich. Likör. Zigarren. Plötzlich, im Nebenzimmer, ein Geräusch. Die Gäste starr. Gefährliche Lage. Zitzewitz, ganz alter Soldat, reisst die Büchse von der Wand. Wieder das Geräusch. Der Graf, kaltblütig, lädt durch. Dann ein Schuss. Peng! Atemlose Stille. Und wer wars? Die Waschfrau. Gott, haben wir gelacht! Die Beschwerlichkeit des Weges durch das verschneite Hochgebirge hatte der Major dank umsichtiger Mitnahme einiger Flaschen Cognac unbeschadet überstanden. Acht Maulesel schleppten wechselweise, bewacht von einer türkischen Mannschaft, ein Sofa, spätes Biedermeier, Mahagoni, die Seide rötlich geblümt, vom Bosporus her durch die Berge. Bequemlichkeit muss sein! Wir sind doch keine Hottentotten. Major Goldzahn, wie er wegen des prachtvollen Gebisses und der Krone des linken Eckzahns genannt wurde, zog in das Hotel am Ort. Die Dienststelle lag ausserhalb der Stadt. Ich hasse Fussmärsche! sagte er und liess sich grundsätzlich mit dem Wagen abholen, dem einigen vor Ort, sonderlich albern bei der Beschaffenheit fast aller Wege. Stolz zeigte er das Sofa, im ersten Stock, auf seinem Zimmer. So begegnete ich ihm, unvermeidbar, der mich stets leutselig begrüsste. Ja, Doktor! Stehen Sie immer noch hier, können von der Kälte nicht genug kriegen? Schrenck-Schreckenberg trat erstaunt vor die Tür. Was, um Himmels willen, finden Sie an dieser Strasse? Weit und breit kein Mensch, die Kaffer und Kanaken ausgenommen. Nur Schnee, Schlamm und Schmutz. Kommen Sie ins Haus. Wir brechen einer Flasche feinsten französischen Champagners den Hals. Ich sage Ihnen, bei dem Tropfen werden Sie schwach. Also, zieren Sie sich nicht. Deutlich hörte ich, wie in den Bergen geschossen wurde. Erwartungsvoll sah mich der Major an. Ich, zumindest, werde mir ein Gläschen genehmigen, sagte er. Und stieg enttäuscht die Treppe hinauf. Halten Sie nur trotzig...

Erscheint lt. Verlag 26.10.2016
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
ISBN-10 3-7431-9952-1 / 3743199521
ISBN-13 978-3-7431-9952-1 / 9783743199521
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