Um unsere Webseiten für Sie optimal zu gestalten und fortlaufend zu verbessern, verwenden wir Cookies. Durch Bestätigen des Buttons »Akzeptieren« stimmen Sie der Verwendung zu. Über den Button »Einstellungen« können Sie auswählen, welche Cookies Sie zulassen wollen.

AkzeptierenEinstellungen

Sehen (eBook)

Das Bild der Welt in der Bilderwelt

(Autor)

eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
160 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-403819-3 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Das erfolgreichste Buch zur Kunst der letzten fünfzig Jahre - jetzt neu auflegt im FISCHER Taschenbuch! Mit seinem legendären Buch ?Sehen. Das Bild der Welt in der Bilderwelt? lehrte John Berger uns Anfang der 1970er Jahre, Bilder neu zu sehen. Er analysiert Gemälde nicht isoliert in einer Welt von musealer Ewigkeit, sondern als Gebrauchsmuster der modernen Gesellschaft, die vor allem den weiblichen Körper zur Reklame benutzt. John Berger, der große europäische Erzähler und Essayist, feiert im November 2016 seinen 90. Geburtstag. Seine Essays zu Kunst und Fotografie sind aus der Ästhetik des 20. Jahrhunderts nicht mehr wegzudenken. Meisterhaft finden seine Erzählungen und Romane eine sinnliche Antwort auf die Frage, wie wir heute leben. »Es gibt niemals genug von John Berger!« Tilda Swinton

John Berger, 1926 in London geboren, studierte Zeichnung und Malerei. Seine bahnbrechende Fernsehserie ?Sehen. Das Bild der Welt in der Bilderwelt? definierte unsere Art, Kunst zu betrachten, neu; das Buch zur Serie wurde zum Standardwerk. In ?Der siebte Mensch? beschäftigte er sich als einer der ersten mit dem Thema Migration. Mit seinen Romanen, Geschichten und Essays, seiner politischen Insistenz und seinem zärtlichen Blick auf die Wirklichkeit wurde er zu einer der eigenständigsten Stimmen des 20. Jahrhunderts. John Berger starb Anfang 2017 in der Nähe von Paris.

John Berger, 1926 in London geboren, studierte Zeichnung und Malerei. Seine bahnbrechende Fernsehserie ›Sehen. Das Bild der Welt in der Bilderwelt‹ definierte unsere Art, Kunst zu betrachten, neu; das Buch zur Serie wurde zum Standardwerk. In ›Der siebte Mensch‹ beschäftigte er sich als einer der ersten mit dem Thema Migration. Mit seinen Romanen, Geschichten und Essays, seiner politischen Insistenz und seinem zärtlichen Blick auf die Wirklichkeit wurde er zu einer der eigenständigsten Stimmen des 20. Jahrhunderts. John Berger starb Anfang 2017 in der Nähe von Paris.

3


Felix Trutat (18241848), ›Ruhende Bacchantin‹

Nach Bräuchen und Konventionen, die zwar heute kritisch befragt werden, aber noch keineswegs überwunden sind, unterscheidet sich die gesellschaftliche Erscheinung einer Frau – ihr Auftreten – von der eines Mannes. Das wirksame Auftreten des Mannes ist abhängig von der Verheißung der Kraft und der Macht, die er verkörpert. Je mehr und je glaubwürdiger er etwas verheißt, desto eindrucksvoller ist sein Auftreten. Der Mann kann moralische, physische, betont persönliche, gesellschaftliche oder sexuelle Macht und Kraft verheißen, auf jeden Fall aber liegt das Ziel, auf das sie sich richtet, außerhalb des Mannes. Sein Auftreten lässt darauf schließen, was er für dich oder dir zu tun imstande ist. Wohl könnte sein Auftreten in dem Sinne gefälscht sein, dass er Fähigkeiten vorspiegelt, die er nicht hat. Aber die Täuschung richtet sich immer auf eine Macht, die er auf andere ausübt.

Im Gegensatz dazu drückt das Auftreten und damit die Erscheinung einer Frau ihre Einstellung zu sich selbst aus und macht darüber hinaus klar, was man mit ihr tun kann und was nicht. Ihr Auftreten (ihre Erscheinung) manifestiert sich in ihren Gesten, ihrer Stimme, ihren Meinungen, Äußerungen, Kleidern, in ihrem Geschmack und der von ihr gewählten Umgebung – tatsächlich kann sie nichts tun, was nicht zu ihrer Erscheinung beiträgt. Die Erscheinung einer Frau ist so wesentlich für ihre Persönlichkeit, dass Männer dazu neigen, sie für eine fast physische Ausstrahlung zu halten, eine Art Hitze, Geruch oder Aura.

 

Die Frau wird in einen zugeteilten und beschränkten Raum hineingeboren, in die Obhut des Mannes. Das gesellschaftliche Auftreten der Frau, ihre Stellung in der Gesellschaft, konnte sich demzufolge nur entwickeln als Ergebnis ihrer Lebenstüchtigkeit, die sie unter der männlichen Bevormundung innerhalb des begrenzten Raumes erworben hat. Diese Entwicklung vollzog sich auf Kosten einer Spaltung ihres Selbst. Eine Frau muss sich ständig selbst beobachten und wird fast ständig von dem Bild begleitet, das sie sich von sich selbst macht. Ob sie durch ein Zimmer geht oder über den Tod ihres Vaters weint, sie wird es kaum vermeiden können, sich selbst beim Gehen oder Weinen zu beobachten. Von frühester Kindheit an hat man ihr beigebracht und sie dazu überredet, sich ständiger Selbstkontrolle zu unterwerfen.

Und so kommt sie dazu, den Prüfer und die Geprüfte in ihr als die beiden wesentlichen, doch immer getrennten Komponenten ihrer Identität als Frau anzusehen.

Sie muss alles prüfen, was sie ist, und alles, was sie tut, denn wie sie sich anderen darstellt, und – letzten Endes – wie sie sich den Männern darstellt, ist von entscheidender Bedeutung dafür, was man gemeinhin als den Erfolg ihres Lebens ansieht. Ihr eigenes Selbstgefühl wurde durch das Gefühl verdrängt, etwas in der Einschätzung anderer zu sein.

 

Männer prüfen Frauen, ehe sie mit ihnen umgehen. Wie eine Frau sich einem Mann darstellt, kann folglich darüber entscheiden, wie sie von ihm behandelt wird. Um eine gewisse Kontrolle über diesen Vorgang zu gewinnen, müssen Frauen ihn in sich aufnehmen und verinnerlichen. Der prüfende Teil einer Frau behandelt den geprüften Teil ihres Selbst in einer Weise, die den anderen zeigt, wie ihr ganzes Selbst behandelt werden möchte. Und diese exemplarische Behandlung ihrer selbst durch sie selbst macht ihre Erscheinung aus. Auftreten und Erscheinung jeder Frau regeln, was und was nicht ›zulässig‹ ist in ihrer Gegenwart. Jede ihrer Handlungen – ganz gleich, wie deren unmittelbarer Zweck oder ihre Ursache aussieht – kann auch als ein Hinweis dafür angesehen werden, wie sie gern behandelt werden möchte. Wirft eine Frau ein Glas an die Wand, ist das ein Beispiel dafür, wie sie ihre eigene Zornesregung behandelt, aber auch dafür, wie sie gern von anderen behandelt werden möchte. Tut ein Mann das Gleiche, wird man seine Handlung lediglich als Ausdruck seines Zorns verstehen. Macht eine Frau einen guten Spaß, ist das ein Beispiel dafür, wie sie den Spaßmacher in sich selbst behandelt, und folglich auch dafür, wie sie als Spaßmacherin von anderen behandelt werden möchte. Nur ein Mann kann einen Spaß um seiner selbst willen machen.

Wir könnten vereinfachend sagen: Männer handeln und Frauen treten auf. Männer sehen Frauen an. Frauen beobachten sich selbst als diejenigen, die angesehen werden. Dieser Mechanismus bestimmt nicht nur die meisten Beziehungen zwischen Männern und Frauen, sondern auch die Beziehung von Frauen zu sich selbst. Der Prüfer der Frau in ihr selbst ist männlich – das Geprüfte weiblich. Somit verwandelt sie sich selbst in ein Objekt, ganz besonders in ein Objekt zum Anschauen – in einen ›Anblick‹.

 

In einem Bereich der europäischen Malerei waren Frauen das hauptsächliche, immer wiederkehrende Thema – in der Aktdarstellung. In den Aktdarstellungen der europäischen Kunst können wir einige der Kriterien und Konventionen entdecken, durch die Frauen als Anblicke gesehen und beurteilt wurden.

Die ersten Aktbilder stellten Adam und Eva dar. Es lohnt sich, die Schöpfungsgeschichte zu zitieren, wie sie im Ersten Buch Mose erzählt wird:

»Und das Weib schaute an, dass von dem Baum gut zu essen wäre, und lieblich anzusehen, dass es ein lustiger Baum wäre, weil er klug machte; und nahm von der Frucht, und aß, und gab ihrem Mann auch davon; und er aß.

 

Da wurden ihrer beider Augen aufgetan, und wurden gewahr, dass sie nacket waren; und flochten Feigenblätter zusammen, und machten sich Schurze. (…) Und Gott der Herr rief Adam und sprach zu ihm: Wo bist du? Und er sprach: Ich hörete deine Stimme im Garten, und fürchtete mich; denn ich bin nacket, darum versteckte ich mich. (…)

 

Und zum Weibe sprach er: Ich will dir viel Schmerzen schaffen, wenn du schwanger wirst; du sollst mit Schmerzen Kinder gebären; und dein Verlangen soll nach deinem Manne sein; und er soll dein Herr sein.«

Was ist das Bemerkenswerte an dieser Geschichte? Sie wurden gewahr, dass sie nackt waren, weil jeder – durch das Essen des Apfels – den anderen als anders erkannte. Nacktheit wurde im Geist des Betrachters geboren.

Der zweite bemerkenswerte Umstand ist, dass Gott die Frau tadelte und bestrafte, indem er sie dem Mann unterordnete. In der Beziehung zwischen Mann und Frau wird der Mann zum Stellvertreter Gottes.

In der mittelalterlichen Tradition wurde die Geschichte häufig illustriert, Szene auf Szene, wie in einer Cartoon-Serie.

Paul von Limburg, ›Sündenfall und Austreibung aus dem Paradies‹, Anfang 15. Jahrhundert

Während der Renaissance verschwand die erzählende Bildfolge; als einziges Thema wurde nun der Augenblick der Scham dargestellt. Die beiden tragen Feigenblätter oder machen eine sittsame Geste mit ihren Händen. Aber jetzt bezieht sich ihre Scham nicht mehr so sehr aufeinander als vielmehr auf den Betrachter.

Jan Gossaert, gen. Mabuse (um 14871533/36), ›Adam und Eva‹

Später wird die Darstellung der Scham zu einer Art Schaustellung.

Max Slevogt (18681932), ›Das Paar‹

Werbung für Unterwäsche

Als die Kunst weltlicher wurde, boten auch andere Themen die Möglichkeit, Akte zu malen. Aber immer blieb die Auffassung so, dass die dargestellte Person (eine Frau) weiß, sie wird von einem Betrachter gesehen.

Sie ist nicht nackt, wie sie ist.

Sie ist nackt, weil der Betrachter sie sieht.

 

Häufig – wie bei dem beliebten Thema der Susanna mit den Alten – ist dies das eigentliche Bildthema. Wir schließen uns den Alten an, um mit ihnen der badenden Susanna zuzuschauen. Und sie sieht über ihre Schulter auf uns, die wir sie ansehen.

Tintoretto (15181594), ›Susanna im Bade‹

Auf einer anderen Fassung dieses Themas von Tintoretto betrachtet Susanna sich in einem Spiegel. Sie schließt sich also ihren Betrachtern an.

Tintoretto (15181594), ›Susanna im Bade‹

Der Spiegel diente häufig als Symbol für die Eitelkeit der Frau. Diese moralisierende Haltung war jedoch meistens Heuchelei.

Hans Memling (1430/351494), ›Eitelkeit‹ (›Vanitas‹)

Man malte eine nackte Frau, weil man es genoss, sie anzuschauen; man gab ihr einen Spiegel in die Hand und nannte das Bild Eitelkeit. So verdammte man moralisch die Frau, deren Nacktheit man zum eigenen Vergnügen dargestellt hatte.

Die wirkliche Funktion des Spiegels war eine andere; er sollte der Frau dabei Vorschub leisten, dass sie sich selbst – vor allem anderen – als Anblick behandelte.

Das Urteil des Paris war ebenfalls ein Thema, dem die Vorstellung eines oder mehrerer Männer beim Betrachten nackter Frauen zugrunde lag.

Lucas Cranach der Ältere (14721553), ›Das Urteil des Paris‹

Aber nun kommt ein weiteres Element dazu, das Element des Urteils. Paris erkennt den Apfel der Frau zu, die er für die Schönste hält. Schönheit wird zum...

Erscheint lt. Verlag 27.10.2016
Übersetzer Axel Schenck
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Ästhetik • Bild • Bilderwelt • Erzähler • Essayist • Fotografie • Gemälde • Kunst • Kunstbetrachtung • Museum • Reklame • Sehen • Sinnlichkeit • Weiblichkeit • Werbung
ISBN-10 3-10-403819-8 / 3104038198
ISBN-13 978-3-10-403819-3 / 9783104038193
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR)
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 16,7 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von Wolf Haas

eBook Download (2025)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
18,99
Roman

von Percival Everett

eBook Download (2024)
Carl Hanser Verlag München
19,99
Roman

von Chimamanda Ngozi Adichie

eBook Download (2025)
S. Fischer Verlag GmbH
19,99