Chulm Anno Domini 1349 (eBook)
292 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7431-9902-6 (ISBN)
Marion Wiesler lebt und schreibt mit Blick auf den Kulm bei Weiz in der Steiermark. Wenn sie nicht als Geschichtenerzählerin Mariou durch die Welt reist, arbeitet sie auf ihrem Bauernhof. "Chulm Anno Domini 1349" ist nach "Culm 27 v. Chr." ihr zweiter Roman, der auf ihrem Hausberg spielt. www.es-war-einmal.at
Marthas Hand landete mit einem satten Klatschen auf der Wange des Mädchens. Kein Laut entwich jedoch dessen Mund, im Gegenteil, es presste die Lippen zusammen und senkte den Kopf. Martha seufzte. ”Wisch das auf.“ Ihre Stimme klang lang nicht so wütend, wie man aus der Ohrfeige hätte schließen können. Eilig bückte sich die junge Küchenmagd, um die zerbrochene Tonschale vom Boden aufzuheben. Der fast schwarze Brei klebte auf dem gestampften Lehmboden. Martha schüttelte sachte den Kopf, als sie auf das Malheur sah. Es waren die letzten Zwetschken des Vorjahres gewesen. Den ganzen Tag hatte sie damit zugebracht, neben den üblichen Kocharbeiten daraus eine Sauce zu zaubern. Sie hatte die hart getrockneten Früchte in rotem Wein eingeweicht, dann stundenlang neben dem Feuer köcheln lassen, immer darauf achtend, dass sie nicht anbrannten. Selbst etwas Wacholder und ein wenig von dem wertvollen Zimt hatte sie hinzugefügt. Und nun ... lag alles vermischt mit Tonscherben auf dem Boden. Anna, das Küchenmädchen, löffelte die Masse in einen kleinen Holzkübel. Martha war sich nicht ganz sicher, ob sie es nicht absichtlich getan hatte. Dann hatte sie die Ohrfeige wenigstens verdient. Die schöne Sauce … Nicht einmal den Schweinen vor der Burg konnte man es geben, mit all den Scherben darin, wirklich schade. Dabei hatte Martha es so im Gefühl, dass Graf Georg heute etwas Süßes zum Verwöhnen brauchen könnte, den Geräuschen nach, die aus dem großen Saal nach unten in die Küche gedrungen waren.
”Martha?“ Anna blickte sie fragend von unten herauf an. Selbst im orange flackernden Licht des Herdfeuers konnte man den Handabdruck auf ihrer Wange noch sehen. ”Ich könnte vielleicht schauen, ob noch Äpfel im Keller sind?“
”Lass nur Anna. Ich werde dem Grafen einen Milchbrei machen, so wie die letzten Abende. Dass er auch immer so spät noch Hunger haben muss.“
”Ja, Martha.“ Das Mädchen huschte mit dem gefüllten Holzkübel aus der Küche. Ein wenig von dem Zwetschkenbrei klebte noch auf dem Boden. Martha bückte sich und steckte den Finger hinein, schleckte ihn ab. Ja, das wäre wirklich eine fantastische Sauce gewesen. Aber was soll's. Kein Sinn, sich darüber aufzuregen, davon wurde der Graf auch nicht satt.
Erneut seufzte Martha. Jeden Abend dasselbe. Wenn alle längst gespeist hatten und sich die Burg zu Ruhe begab, dann bekam Graf Georg noch einmal Hunger. Es war sein kranker Magen, der verhinderte, dass er bei den Mahlzeiten ausreichend aß. So war er der Erste, der des Morgens etwas brauchte und der Letzte des Abends. Martha musste lächeln. Wie ein kleines Kind. Schlimmer als seine Kinder, die verlangten nicht so oft nach Essen, wenn sie einmal abgestillt waren. Und so musste sie jeden Abend noch etwas für ihn bereithalten, nachdem Anna meist schon alles geputzt hatte, damit in der Nacht kein Ungeziefer über die Küche herfiel.
Aber zumindest hatten sie nun eine große Küche. Seit zwei Jahren waren sie jetzt im Bergfried untergebracht und Martha weinte der Herdstelle im unteren Haus kein bisschen nach. Sie hatte es der Gräfin zu verdanken, dass die Küche mit übersiedelt wurde und nicht beim Gesindehaus verblieben war. Denn die Gräfin wünschte nicht, dass ihr Essen durch den Regen getragen werden musste. So hatten sie hier diesen Raum bekommen, viel höher, sogar mit Fenstern, wenn natürlich auch ohne wertvolles Glas, dies war dem gräflichen Gemach vorbehalten. Seit sie hier waren, brannten Marthas Augen nicht mehr dauernd vom Rauch, sie fühlte sich wie ein neuer Mensch. In ein paar Jahren sollte dies ein Empfangsraum werden, wenn erst der Pallas fertig gebaut war. Aber bis dahin war es Martha nur recht. Ihr Reich. Die riesige Feuerstelle, auf der drei große Kessel zugleich Platz hatten. Das Fenster, durch das der Rauch abziehen und sie hinaussehen konnte auf die Bäume, die nun wieder zu Grün erwachten. Der große, schwere Tisch, an dem sich so gut schneiden ließ. Und all ihre Töpfe und Pfannen und Messer und Bottiche. Es war ein schönes Reich, ihr Reich. Mit seinen verborgenen Kellern, in denen die süßesten und schmackhaftesten Schätze lagerten, mit der kleinen Kammer voller Gewürze, dem Essiglager, dem Getreidespeicher. Martha fühlte sich reich, als gehöre all dies ihr. Auch wenn sie dem Burgvogt verantwortlich war, was die Vorräte betraf, sie war stolz darauf, Köchin der Burg zu sein. Denn sie war eine gute Köchin, das wusste sie. Und nichts bereitete ihr mehr Freude, als in ihrer geliebten Küche zu stehen, und in den Töpfen und Pfannen die größten Gaumenfreuden zu zaubern.
Behutsam hob sie die Tonhaube hoch, die sie bereits über einen Teil der Feuerstelle gestülpt hatte, um ein wenig Glut bis zum Morgen durchzuretten. Milchbrei also. Sie würde ihn mit Kastanienmehl eindicken, statt wie sonst mit Dinkel. Graf Georg und seine Gattin Clementia hatten heute heftig gestritten. Gewiss war es der Gräfin nicht bewusst, dass man in der Küche das meiste aus dem Saal durchhören konnte. Bestimmt war es um die Hochzeit von Georgs Tochter Apolonia gegangen.
Während Martha noch in ihren Gedanken versunken war, kehrte Anna zurück und brachte ein Kännchen Milch mit.
”Du sagtest Milchbrei, oder? Ich hab noch schnell Milch aus dem Keller geholt.“
”Danke Anna. Du kannst aber ruhig schlafen gehen. Ich mach das schon.“
”Dann gute Nacht Martha.“ Das Mädchen errötete etwas, kramte in der Ecke neben der Feuerstelle nach ihrem Umhang und verließ die Küche. Martha lächelte. Ja, Anna wurde erwachsen. Der warme Platz neben dem Ofen war nun zum Schlafen nicht mehr so reizvoll wie das Stroh im Pferdestall, wo der Stallbursche schlief.
Sie musste sich beeilen, Graf Georg würde gewiss bald nach seinem Essen rufen. Martha wischte sich die Hände an der Schürze ab, schob die Haarsträhne, die ihr in die Augen hing, unter das Kopftuch zurück und griff gerade nach dem Tontopf mit Kastanienmehl, als die Holztüre der Küche mit dem üblichen Knarren aufging.
”Noch ein wenig Geduld, Jost, du kannst deinem Herren sagen, ich bringe ihm gleich selbst sein Essen.“
Doch Jost, den Martha nur aus dem Augenwinkel angesehen hatte, schüttelte den Kopf. ”Er hat keinen Hunger.“
”Er hat keinen Hunger?“ Martha fuhr herum. Ihr nächster Blick huschte zum Fenster, ja es war bereits dunkel draußen, auch wenn es in Strömen goss, es war gewiss längst nach der Zeit, zu der der Graf zu speisen beliebte. Doch nun blieb ihr Blick wieder an Jost hängen. Hinter dem Pagen stand noch jemand, ein großer Mann mit breiten Schultern, den Martha noch nie gesehen hatte. Der kleine zarte Jost deutete mit einer Kopfbewegung nach hinten.
”Conrad hat dem Grafen gebratenes Eichhorn mitgebracht.“
”Conrad?“
Der Page machte einen Schritt zur Seite und der Fremde trat in den Feuerschein der Küche. Er schien zu grinsen, als er sich galant vor Martha verbeugte. Ein wenig zu galant, als meine er es nicht ernst.
”Conrad ist unser neuer Jagdaufseher.“ In Josts Stimme schwang Stolz mit.
”Und er hat dem Grafen gebratenes Eichhorn gebracht?“
Die Stimme des Fremden war tief und brummig. ”Ja, hatte gerade eines erwischt. Dachte mir, das könnte dem Grafen schmecken. Man muss sie gleich über dem Feuer braten, sonst werden sie zäh.“
”Man kann sie auch einlegen, dann schmecken sie nach mehr als nach Ungeziefer.“ Wie konnte der einfach dem Grafen ein Eichhorn bringen? Bestimmt würde Graf Georg heute Nacht wieder furchtbare Bauchschmerzen erleiden, er vertrug es gar nicht, wenn Essen direkt über dem Feuer gegrillt wurde.
”Nun, dem Grafen hat es gemundet.“ Wieder dieses Grinsen.
”Tja. Und?“ Martha blickte fragend zu Jost.
”Ja, also, Conrad ist vorhin erst aus dem Wald zurückgekommen, und deswegen meinte der Graf, ich solle ihn zu dir bringen, damit du ihm noch etwas zu essen machst.“
”Ich? Jetzt? Hat ihm sein eigenes Eichhorn nicht geschmeckt?“
”Das hat der Graf ganz alleine gegessen.“
Wann würde der Kerl endlich dieses Grinsen aus seinem pockennarbigen Gesicht nehmen?
Martha blickte auf Jost, auf Conrad, auf die Feuerstelle. Sie seufzte. ”Nun gut. Er kann den Milchbrei haben, den ich für den Grafen gerade richten wollte.“
Sie wandte sich dem Herd zu, hörte Jost noch etwas flüstern, dann schloss sich die Türe. Sie hatte keine Lust, mit diesem neuen Jagdaufseher zu reden, so richtete sie ihre ganze Aufmerksamkeit auf den Topf. Sie schmolz etwas Schmalz und lindete das Mehl darin an, ehe sie die Milch darüber goss. Für den Grafen hätte sie noch etwas Honig hinzugefügt, aber für den Fremden – nein, es reichte auch so. Die Bank beim großen Tisch knarrte.
Sie hatte schon von ihm gehört. Seit zwei Wochen etwa war er nun auf der Burg, aus dem Süden sei er, soweit sie sich an das Gerede der anderen erinnerte. Vielleicht sollte sie besser freundlich zu ihm sein. Seit der alte Jagdaufseher im Herbst...
Erscheint lt. Verlag | 24.10.2016 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
ISBN-10 | 3-7431-9902-5 / 3743199025 |
ISBN-13 | 978-3-7431-9902-6 / 9783743199026 |
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