Geheimdienstkrieg in Deutschland (eBook)

Die Konfrontation von DDR-Staatssicherheit und Organisation Gehlen 1953
eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
464 Seiten
Ch. Links Verlag
978-3-86284-362-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Geheimdienstkrieg in Deutschland - Ronny Heidenreich, Daniela Münkel, Elke Stadelmann-Wenz
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Der Kalte Krieg war auch ein Krieg der Geheimdienste. Erstmals zeigen bislang völlig unbekannte Akten des Bundesnachrichtendienstes und der Staatssicherheit, welche Hintergründe, Ziele und vor allem Folgen der erste von Ost-Berlin geführte »konzentrierte Schlag« gegen die Organisation Gehlen im Herbst 1953 hatte. Betroffen waren mehrere hundert verhaftete vermeintliche Spione in der DDR, deren Schicksal im Spiegel beider Geheimdienste beleuchtet wird. Dieser Geheimdienstkrieg spielte sich nicht im Verborgenen ab. Die Staatssicherheit versuchte
mit einer bis dahin beispiellosen Medienkampagne, den Gehlen-Dienst öffentlich zu diskreditieren. Konnte die Stasi die Operation als »Erfolg« für sich verbuchen, musste der künftige Bundesnachrichtendienst Ende 1953 nicht nur Sicherheitsprobleme beheben, sondern auch das eigene Ansehen im Bundeskanzleramt, bei der CIA und in der westdeutschen Öffentlichkeit wiederherstellen.
(Band 3 der Veröffentlichungen der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945-1968)

Jahrgang 1980, Studium der Neueren und Neuesten Geschichte, Politikwissenschaften und Osteuropastudien in Leipzig und Berlin, 2007-2009 Mitarbeiter der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, 2009-2011 wiss. Mitarbeiter der Gedenkstätte Berliner Mauer, 2011-2017 wiss. Mitarbeiter der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes, seit 2019 Referent beim Berliner Beauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

Ronny Heidenreich: Jahrgang 1980, Studium der Geschichte, Politikwissenschaften und Osteuropastudien in Leipzig und Berlin; seit 2011 Mitarbeiter der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes. Prof. Dr. Daniela Münkel: Ab 1981 Studium der Mittleren und Neueren Geschichte, Politikwissenschaft und Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Göttingen, 1994 Promotion, 1994-1996 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hannover, 1997-2000 Werkvertrag mit der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung, 2000-2004 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hannover, 2005 Habilitation, 2005 wissenschaftliche Mitarbeiterin des Deutschen Bundestages, 2005-2006 Vertretung des Lehrstuhls für Kultur- und Mediengeschichte an der Universität Saarbrücken, 2007-2008 Gastdozentur an der Universität Heidelberg, seit 2008 Projektleiterin in der Abteilung Bildung und Forschung der BStU. Dr. Elke Stadelmann-Wenz: Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Sinologie an der Universität Konstanz und an der Freien Universität Berlin, 2007 Promotion; seit 2013 wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Bildung und Forschung des BStU.

Einleitung


In den Erinnerungen von Reinhard Gehlen – dem ersten Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes und Leiter der nach ihm benannten Vorläuferorganisation – war das Jahr 1953 vor allem von einem Ereignis geprägt: vom Zweikampf zwischen ihm und Ernst Wollweber, dem Chef der ostdeutschen Staatssicherheit.1 Die DDR-Geheimpolizei verhaftete zwischen Oktober und Ende Dezember zahlreiche angebliche West-Agenten. Ein Teil von ihnen wurde im Zuge einer bis dahin beispiellosen Medienkampagne gegen den Gehlen-Dienst öffentlich an den Pranger gestellt. Sieben V-Leute der Organisation Gehlen wurden in einem Schauprozess im Dezember 1953 zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt. All dies diente dem Zweck, der Weltöffentlichkeit die »verwerflichen Machenschaften« des westlichen Spionagewesens in der DDR vor Augen zu führen.

Dieser Abschnitt des deutsch-deutschen Geheimdienstkrieges war für Gehlen in erster Linie ein Propagandakrieg, der viele unschuldige DDR-Bürger in Mitleidenschaft zog. Das Vorgehen der Staatssicherheit war ihm ein zweifelsfreier und plakativer Beleg für die fortgesetzten kommunistischen Unrechtshandlungen und unterstrich in seinen Augen die Notwendigkeit, gegen das SED-Regime auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln vorzugehen. Gleichwohl räumt Gehlen in seinen Memoiren ein, dass die von der Staatssicherheit gemeldeten Erfolge gegen seine Organisation im Herbst 1953 nicht vollkommen aus der Luft gegriffen waren. In knapper Form verweist er darauf, dass es der DDR-Geheimpolizei gelungen sei, mit Hans-Joachim Geyer einen »Maulwurf« einzuschleusen. Daneben habe es eine Reihe weiterer Vorfälle gegeben, die aber letztlich ohne Wirkung auf die »operative Substanz« seines Nachrichtendienstes geblieben seien.2 Auch wenn Gehlen hier im Vagen bleibt, zeigt diese Einlassung, dass die Kampagne der Staatssicherheit keineswegs nur Ausdruck einer ideologisch verbrämten Hetzjagd auf politisch Missliebige gewesen ist. Bis heute gründet die Reputation Gehlens als »Jahrhundertspion« (E. H. Cookridge) nicht zuletzt auf den nachrichtendienstlichen Leistungen seiner Organisation im Osten Deutschlands.3

Aus Sicht des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), das nach sowjetischem Vorbild Ende Juli 1953 als Staatssekretariat für Staatssicherheit (SfS) ins Ministerium des Innern eingegliedert und damit formal herabgestuft wurde, war das Jahr 1953 sehr ambivalent. Die SED-Führung warf dem MfS vor, den Volksaufstand am 17. Juni nicht frühzeitig erkannt und unterbunden zu haben. Sie unterstellte der Staatssicherheit insgesamt eine falsche Vorgehensweise, die sich bislang vor allem auf das Beobachten von Personen und Sammeln von Informationen beschränkte. Als Konsequenz daraus folgte, neben der Ablösung von Wilhelm Zaisser als Minister für Staatssicherheit, eine offensivere Strategie: die »konzentrierten Schläge«.4 Der »erfahrene Kämpfer« Ernst Wollweber als neuer Chef der Staatssicherheit setzte mit Rückendeckung der Sowjets die Strategie umgehend in die operative Praxis der DDR-Geheimpolizei um. Die erste von mehreren Verhaftungsaktionen im Rahmen dieser »Schläge« richtete sich unter dem Codewort »Feuerwerk« gegen den geheimdienstlichen Hauptfeind in der Bundesrepublik – die Organisation Gehlen. Aus Sicht des SfS war diese Operation äußert erfolgreich. Das galt für die Zahl der festgenommenen wirklichen oder vermeintlichen »Gehlen-Agenten« genauso wie für das propagandistische Ausschlachten der Aktion.

Im Mittelpunkt der vorliegenden Studie steht – am Beispiel der Aktion »Feuerwerk« vom Herbst 1953 bzw. von »Fanfare«, wie die Gegenmaßnahmen in den BND-Akten bezeichnet werden – die Interaktion zwischen den beiden deutschen Geheimdiensten vor dem weltpolitischen Hintergrund des Ost-West-Konfliktes. Hiermit soll nicht nur ein Beitrag zur asymmetrischen deutsch-deutschen Verflechtungsgeschichte (Kleßmann),5 sondern auch zur Geschichte des Kalten Krieges geleistet werden und damit zu dem konstitutiven Element der weltpolitischen Nachkriegsordnung bis zum Zusammenbruch des Ostblocks in den Jahren 1989/90. Denn die Geschichte von 1945 bis 1990 ist – wie Eric Hobsbawm im »Zeitalter der Extreme« schreibt – »von einem einzigen Muster geprägt: von der konstanten Konfrontation der beiden Supermächte, die aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen waren – vom sogenannten Kalten Krieg«.6 Und, so könnte man ergänzen, das geteilte Deutschland war ein Brennpunkt des Kalten Krieges in Europa – dies gilt in besonderem Maße für die 1950er- und 1960er-Jahre.

Der konkrete internationale und deutschlandpolitische Kontext, in dem sich im Herbst 1953 die Aktion »Feuerwerk« vollzog, war vom Bestreben der östlichen Akteure geprägt, sich aus der Defensive zu befreien, in der sie sich spätestens seit dem Juni-Aufstand befanden. Angesichts der vom neuen US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower Anfang des Jahres verkündeten Rollback-Politik und der drohenden Integration der Bundesrepublik in ein westeuropäisches Militärbündnis ging es der Sowjetunion primär darum, in Europa nicht an Boden zu verlieren.7 Daraufhin gab es massive Bestrebungen, die DDR im Zeichen des »Neuen Kurses«8 innenpolitisch zu stabilisieren, und gleichzeitig Versuche, die westlichen Integrationsbemühungen zu stören. An diesem Punkt trat die Staatssicherheit in die Öffentlichkeit und profilierte sich nicht nur als effizienter geheimpolizeilicher Akteur, sondern auch mit Enthüllungen, die Zwietracht im westlichen Lager säen und insbesondere die französischen Vorbehalte gegen die bundesdeutsche Wiederbewaffnung schüren sollten. Die von den USA finanzierte Organisation Gehlen mit ihrer Ambition, der Auslandsnachrichtendienst der Bundesrepublik Deutschland zu werden, war in dieser Konstellation gleichsam das prädestinierte Angriffsziel. Der in Pullach ansässige Dienst wiederum musste die Attacke – so gut es ging – ebenfalls öffentlich parieren; der Geheimdienstkrieg weitete sich so vom Feld der verdeckten Aktionen auf die propagandistische Ebene aus.

Den Geheimdiensten als Akteuren in der Blockkonfrontation schreibt Hobsbawm eine eigene, zwielichtige Rolle zu:

Es gab nur einen Kalten Krieg, der versuchte, seiner eigenen Rhetorik gerecht zu werden […], und nicht den Krieg, in dem die grundsätzlichen Entscheidungen von Regierungen getroffen werden, sondern den in den Schattenzonen der verschiedenen, miteinander konkurrierenden, offiziellen und inoffiziellen Geheimdienste.9

Um in diese »Schattenzonen« weiteres Licht zu bringen, sollen neben einer Geheimdienstgeschichte im engeren Sinne – also Fragen von Spionage, Spionageabwehr und Gegenspionage – wesentlich stärker als in der bisherigen Forschung mentalitäts-, sozial- und gesellschaftsgeschichtliche Fragestellungen in die Untersuchung einbezogen werden. Damit wird auch ein Beitrag zur Politik- und Gesellschaftsgeschichte der Nachkriegszeit geleistet.

Insgesamt – so sei vorweggeschickt – darf allerdings die Asymmetrie des Interaktionsverhältnisses von MfS und BND nicht außer Acht gelassen werden, das durch verschiedene Faktoren bestimmt wurde: die unterschiedlichen politischen Systeme in Ost und West sowie der Charakter des MfS als politische Geheimpolizei und Exekutivorgan der Diktatur, mit dem der Pullacher Nachrichtendienst – trotz einer durchaus unterentwickelten demokratischen Gesinnung und mancher rechtsstaatlich problematischen Praxis in der Frühzeit – nicht gleichzusetzen ist.

Die vorliegende breit angelegte vergleichende Analyse des Agierens von Staatssicherheit und Organisation Gehlen vor, während und nach der Aktion »Feuerwerk« wurde möglich durch die derzeit einmalige Chance, die Akten beider Seiten umfassend auszuwerten und abzugleichen. Seit Öffnung der Archive im ehemaligen sowjetischen Machtbereich wird die Tätigkeit der östlichen Geheimpolizeien während des Kalten Krieges systematisch erforscht – dies gilt im besonderen Maße für die DDR-Staatssicherheit, auch wenn hier mitnichten von einer »Ausforschung« gesprochen werden kann.10 In diesem Zusammenhang wurden auch die »konzentrierten Schläge« gegen westliche Nachrichtendienste und andere »Spionageagenturen« zwischen 1953 und 1956 untersucht.11 Neben mehreren Aufsätzen zu Einzelaspekten12 und einer Arbeit zur Entführungspraxis des MfS13 liegen ebenfalls grundlegende Studien zur Struktur, personellen und organisatorischen Entwicklung des MfS seit 1950 vor.14

Im Gegensatz dazu sind die einstigen Kontrahenten im Westen weniger dicht erforscht.15 Mit Blick auf die Organisation Gehlen und den Bundesnachrichtendienst ist mit der Arbeit der Unabhängigen Historikerkommission (UHK) erstmals eine quellengestützte Untersuchung des westdeutschen Geheimdienstes möglich geworden.16 Bis dahin gestattete die Offenlegung der Unterlagen amerikanischer Geheimdienste, die bis 1956 für die Organisation Gehlen verantwortlich waren, einzelne Arbeiten, die auf die Beziehungen zum amerikanischen Sicherheitsapparat und auf personelle Kontinuitäten im frühen Bundesnachrichtendienst fokussieren, jedoch über die operative Praxis des Gehlen-Dienstes in der DDR und die Verhaftungswelle im Herbst 1953 wenig Auskunft geben.17 Dieser zentrale Bereich liegt abgesehen von einer Studie zur Militärspionage sowie über das Agieren des Gehlen-Dienstes während des Volksaufstandes im Juni 1953 noch im...

Erscheint lt. Verlag 6.10.2016
Reihe/Serie Veröffentlichungen der Unabhängigen Historikerkommission
Zusatzinfo 41 s/w-Abbildungen
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Zeitgeschichte ab 1945
Geisteswissenschaften Geschichte
Schlagworte Aktion Fanfare • Aktion Feuerwerk • Alfred Kretschmer • Ebrulf Zuber • Erich Mielke • Ernst Wollweber • Günter Hirsch • Hans-Joachim Geyer • Hildegard Schmidt • Kalter Krieg • Karl-Heinz Schmidt • Konrad Adenauer • Ministerium für Staatssicherheit • Organisation Gehlen • Pullach • Reinhard Gehlen • Rolf Oesterreich • Spionage • Werner Haase
ISBN-10 3-86284-362-9 / 3862843629
ISBN-13 978-3-86284-362-6 / 9783862843626
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