Ich komm auf Deutschland zu (eBook)

Ein Syrer über seine neue Heimat
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2016 | 1. Auflage
240 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-1453-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ich komm auf Deutschland zu -  Firas Alshater
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Firas Alshater ist ein ganz normaler Berliner mit Hipsterbart und Brille, ein Comedian und erfolgreicher YouTuber. Nur, dass er bis vor zwei Jahren in Syrien für seine politischen Videos sowohl vom Assad-Regime als auch von Islamisten verhaftet und gefoltert wurde. Erst die Arbeit an einem Film erbrachte ihm das ersehnte Visum für Deutschland, und Firas betrat den größten Kokon der Welt: den Westen. Seitdem versucht er, uns zu verstehen: das Pfandsystem, private Briefkästen, Fahrkartenautomaten und die deutsche Sprache ('Da reicht ein Leben nicht für'). Doch als sein Bruder mit Familie über das Mittelmeer nach Europa kommt, erkennt Firas: Ich bin schon total deutsch. Kann also noch was werden mit uns und diesem neuen Land. Von seinen Erlebnissen in Deutschland und Syrien erzählt Firas witzig, tragikomisch, offen und immer liebenswert frech.

Firas Alshater, geboren 1991 in Damaskus, studierte Schauspiel. In der Revolution gegen Baschar al-Assad begann er als Journalist und Kameramann für ausländische Nachrichtenagenturen zu arbeiten. Er wurde mehrfach verhaftet und brutal gefoltert. Seit 2013 lebt er in Berlin. Gemeinsam mit Jan Heilig drehte er den Dokumentarfilm 'Syria Inside' sowie diverse YouTube-Videos für die Webserie Zukar. Firas Alshater studiert derzeit an der Filmhochschule in Babelsberg. Er glaubt unerschütterlich daran, dass Integration funktionieren kann.

Firas Alshater, geboren 1991 in Damaskus, studierte Schauspiel. In der Revolution gegen Baschar al-Assad begann er als Journalist und Kameramann für ausländische Nachrichtenagenturen zu arbeiten. Er wurde mehrfach verhaftet und brutal gefoltert. Seit 2013 lebt er in Berlin. Gemeinsam mit Jan Heilig drehte er den Dokumentarfilm Syria Inside sowie diverse YouTube-Videos für die Webserie Zukar. Firas Alshater hat sich für ein Filmstudium beworben und muss weiterhin um die Verlängerung seiner Aufenthaltsgenehmigung bangen. Er glaubt unerschütterlich daran, dass Integration funktionieren kann.

TAG EINS IN DEUTSCHLAND


»Papiere!«

Ich muss grinsen. Es ist doch überall das Gleiche. Ich meine nicht, dass ich überall grinsen muss. Nein, es ist nur … Polizisten sind doch überall gleich.

»Papiere, bitte!«

In den Städten meiner Heimat Syrien hört man das inzwischen alle 500 Meter – im gleichen Tonfall, an jedem Checkpoint, aber natürlich ohne ein »Bitte«. Dort habe ich in den letzten Jahren gelernt: Papiere sind wichtiger als Menschen. Das ist in Deutschland auch nicht anders. Die Deutschen lieben Papier. Hast du kein Papier, dann bist du gar nicht hier! Aber zumindest werde ich weder beleidigt noch geschlagen. Der Mann in Uniform vor mir ist deutsch. Er grinst nicht zurück.

»Was wollen Sie in Deutschland?« – die erste Frage, die mir hier gestellt wird. Und ich werde sie von nun an noch oft zu hören bekommen.

Na gut, ich hole mein Visum heraus – ein echtes Schengenvisum, und niemand aus meiner Familie wollte mir erst glauben, dass es echt ist. Es beweist: Ich komme, um zu arbeiten, und ich darf das. Ein Filmproduzent aus Berlin wollte, dass ich in Syrien ein paar Szenen für ihn drehe. Jetzt soll ich beim Schneiden helfen und auch selber vor die Kamera. Hier in Berlin.

Das glauben mir die Polizisten natürlich nicht. Auch nicht, dass meine Papiere echt sind. Ich kann es ja selber kaum glauben. Ich werde zur Seite genommen und verhört. Sie schauen möglichst ernst und grimmig. Ich muss schon wieder grinsen. Die sind einfach putzig.

Im syrischen Foltergefängnis saß ich auch in solchen Räumen. Die Beamten dort haben sich jedoch kein bisschen Mühe gegeben, so böse und gefährlich zu gucken. Das hatten sie gar nicht nötig. Aus dem Nachbarzimmer drangen schon die ganze Zeit Schreie. Während ich vernommen wurde, starben nebenan Leute. Da grinst niemand mehr – außer manchmal die Typen in Uniform.

Hier hört man höchstens eine Kaffeemaschine aus dem Nebenzimmer. Die klingt auch, als ob sie gleich stirbt. Die Polizisten gucken weiter grimmig. Wahrscheinlich, weil sie nichts finden, um mich wieder in den Flieger zurück zu setzen.

»Haben Sie Geld dabei? Zeigen Sie mal Ihre Kreditkarte!«

Ich habe keine Ahnung, warum sie jetzt mein Geld sehen wollen. Wollen die Trinkgeld? Ich habe einen Job hier, und dafür werde ich bezahlt. Das glauben sie mir nicht – ebenso wenig wie vor einigen Tagen ihre Kollegen in der deutschen Botschaft in Ankara.

»Mein Produzent ist draußen, fragen Sie ihn doch!« Ich spreche Englisch mit ihnen, und ihr Akzent ist schlimmer als meiner. Später lerne ich den Klang besser kennen, die kamen wahrscheinlich aus Sachsen. Jetzt klingt es nur sehr deutsch. »Wir werden sehen!«

Eine ganze Weile sehe ich erst mal meine Koffer nicht wieder. Sie haben wohl Drogen gesucht, gefunden haben sie nur Parfüm. Mehr habe ich heute nicht zu bieten. Aber jetzt bin ich doch ein bisschen in Sorge. Ich kann nicht telefonieren, und wir sitzen hier schon seit über einer Stunde. Jan, der Produzent, wartet draußen auf mich. Vielleicht fährt er aber auch wieder heim … Ich will ihn nicht enttäuschen, nach allem, was er für mich getan hat. Er hat immerhin ermöglicht, dass ich nach Deutschland darf. Dieser Auftrag ist meine Rettung. Ich war am Ende, geflohen aus meinem Land, ohne Mittel und ohne Perspektive. Und jetzt bin ich plötzlich ein wichtiger Teil eines deutsch-syrischen Kinofilms. Ich soll meinen Landsmann und Filmkollegen Tamer Alawam ersetzen, den ursprünglichen Regisseur von »Syria Inside«. Tamer war 2012 in Aleppo durch einen Granatsplitter gestorben, als er in der Nähe der Frontlinie gefilmt hatte – kurz vor Ende der Dreharbeiten. Ein Angriff der Regierungstruppen, und er war zu nah an der Einschlagstelle. Also habe ich nun statt seiner die fehlenden Szenen gedreht: In der Gegend um Rakka habe ich mit Kindern die ersten Momente der Revolution nachgespielt. Schüler hatten 2011 ein Graffito an die Wand ihrer Schule gesprüht. Einen Spruch gegen das Regime. »Doktor, jetzt bist du an der Reihe.« Gemeint war der studierte Augenarzt und jetzige Diktator Baschar al-Assad. Direkt nach dem Sturz Gaddafis war der Assad-Clan jedoch extrem nervös und sensibel. Also wurden die Jungs vom Geheimdienst verhaftet und gefoltert. Damit fing alles an. Es gab die ersten Demonstrationen: »Freiheit für die Kinder!« Um politische Freiheit ging es noch gar nicht. Darauf folgten weitere Verhaftungen. Und immer wieder Folter, auch von Minderjährigen. Es kam zu Aufständen und Großdemos. Und ich mittendrin – in Homs, einer der Geburtsstätten der syrischen Revolution.

Jetzt habe ich die Aufnahmen auf der Festplatte meines Computers dabei. Von meinen ersten Demos, von den gespielten Szenen mit dem berühmten Graffito und noch mehr. Alles eben, was für den Kinofilm noch fehlt.

Inzwischen ist die Revolution in ein wirres Gemetzel mutiert. Syrien ist ein zerrissener Kadaver. Die Frontlinien verlaufen quer durch die Familien, quer durch ehemalige Freundschaften, quer durch eine ganze Gesellschaft. Syrien war für mich lebensgefährlich geworden. In Damaskus suchte mich der Geheimdienst, in Nordsyrien waren die Islamisten hinter mir her, und sogar meine Freunde aus der syrischen Revolution hielten mich für einen Geheimdienstagenten der Regierung. Mit meiner Kamera verdiente ich kein Geld mehr … Und plötzlich bin ich hier auf einem deutschen Flughafen als der Filmretter aus Syrien. Plötzlich habe ich eine Mission in Deutschland zu erfüllen. Auch diese Polizisten scheinen langsam zu ahnen, dass sie mich nicht daran hindern können. Sie gucken weiter böse, und ich grinse weiter. Und schließlich einigen wir uns darauf, dass es jetzt langweilig wird und ich durch die Schleuse darf. Sie haben mich nicht geschlagen. Und nicht beleidigt. Trotz der lupenreinen Papiere wurde ich zwar lange festgehalten, verhört und durchsucht. Diese Polizisten respektieren mich also auch nicht, aber sie respektieren wenigstens ihr eigenes Gesetz. Ein großer Unterschied. Vielleicht der entscheidende.

Meinen Pass und mein Visum haben sie allerdings einbehalten. Ja, die Deutschen lieben Papier wirklich. Ich soll mir die Unterlagen demnächst bei der Ausländerbehörde abholen. Von mir aus.

Ich grinse wieder, gehe durch die Tür – und betrete im nächsten Moment den größten Kokon der Erde: die westliche Welt.

Hallo, Leute, ich bin Firas Alshater, und jetzt komm ich auf Deutschland zu!

ONKEL, TANTE, TERRORIST


Es ist so kalt. Wieso ist es so kalt hier in Berlin? Im Kalender steht, hier ist jetzt Mai! Ich friere, seit ich aus dem Flughafen raus bin. Nach den frostigen Polizisten hält das Wetter auch nicht gerade einen warmen Empfang für mich bereit. He, Deutschland, bist du immer so kühl?

Mit fünf Jahren entschied ich, dass ich Deutschland nicht mag. Damals hatte mir dieses Land die erste Frau geraubt, die ich mehr liebte als jede andere auf der Welt – nach meiner Mutter natürlich: meine Tante. Eigentlich waren daran gar nicht die Deutschen schuld, sondern ein entfernter Verwandter, der aus Deutschland angereist kam, um sie zu heiraten.

Ich war bis dahin immer bei der Tante gewesen, und es hatte immer was Leckeres zum Naschen bei ihr gegeben. Als echter Zuckerbär liebe ich nun mal Süßes. Dass sie jetzt heiratete, war für mich deshalb auch kein Problem: Auf der Hochzeit gab es Süßigkeiten in Hülle und Fülle. Das ist bei uns so Sitte, wenn große Feste gefeiert werden. Die ganze Feier über habe ich kein bisschen darüber nachgedacht, dass diese Hochzeit mir meine Tante rauben würde. Denn mein neuer Onkel, der damals schon seit längerem in Deutschland lebte, nahm sie nach der Hochzeit einfach mit. Für mich ging die Welt unter. Mein lupenreiner Kinderverstand hatte jedoch schnell einen Schuldigen gefunden: Deutschland! Ich wusste natürlich nicht das Geringste über dieses Land, außer dass die Deutschen gut Fußball spielen. Und Mercedes-Autos haben. Aber so ist das eben. Hass und Wut haben gar nichts mit Logik zu tun. Wenn man sich anstrengt, kann man alles hassen.

Aus Rache hielt ich bei der Fußball-WM zum iranischen Team und legte mich mit jedem meiner Kumpel an, der die deutsche Mannschaft toll fand. Das waren nicht wenige. Ich aber hielt aus Trotz weiter zum Iran. Dass die iranische Regierung den Diktator in meinem Land unterstützt, war mir als Kind nicht bewusst. Erst später habe ich erfahren, dass ich in einer Diktatur lebte. Mit fünf sind Süßigkeiten angesagt, nicht Politik.

Bei diesem räuberischen Onkel und der verlorenen Tante werde ich nun wohnen können, denn wie es der Zufall will: Sie leben in Berlin, wo auch die Produktionsfirma ihren Sitz hat. Und natürlich haben sie mich eingeladen. Jan hat mich vom Flughafen direkt hierhergefahren, wo wir meine Koffer vier Stockwerke hochtragen. Jan schwitzt und stöhnt, als er einen meiner Koffer, der besonders schwer ist, Stufe für Stufe nach oben hievt: »Hast du da das Familiengold drin, oder was?« Ich grinse. Kein schlechtes Bild. »Das sind meine Bücher!« Theaterbücher, Sprachbücher, Romane – alles, was mir etwas bedeutet. Natürlich Dostojewski. Und Gabriel García Márquez. Mein geliebter Anton Tschechow. Ohne die gehe ich nirgendwo hin, denn für mich ist kaum etwas wertvoller als Geschichten. Kein Gold der Welt kann einem alle Ängste nehmen. Egal, wie viel man davon hat. Aber wer ein gutes Buch liest, der bekommt zumindest eine Pause. Eine Auszeit zum Träumen. Deshalb liebe ich auch das Theater so – weil es dort einen Hauch der Freiheit gibt, den man in Syrien nirgendwo sonst atmen kann. Und da es schon immer mein Traum war, Schauspieler zu werden,...

Erscheint lt. Verlag 14.10.2016
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Literatur Comic / Humor / Manga
Literatur Krimi / Thriller / Horror
Literatur Romane / Erzählungen
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Geisteswissenschaften Religion / Theologie Islam
Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte AfD • Assad • Berlin • Buch 2016 • Damaskus • Flucht • Flüchtlinge • Geflüchtete • Hipster • Integration • Integrationspolitik • Islamischer Staat • Islamisten • Islamistischer Terror • Neu 2016 • Neuerscheinung 2016 • Neuerscheinungen 2016 • Neuländer • Syrien • wir schaffen das • youtube • Zukar
ISBN-10 3-8437-1453-3 / 3843714533
ISBN-13 978-3-8437-1453-2 / 9783843714532
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