Tschechien (eBook)

Ein Länderporträt
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2016 | 2. Auflage
216 Seiten
Ch. Links Verlag
978-3-86284-357-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Tschechien - Hans-Jörg Schmidt
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Prag gehört seit jeher zu den beliebtesten Städten Europas. Stein gewordene Geschichte, Burg oder Karlsbrücke locken ebenso wie Kafka, Schwejk und gutes Bier. Doch das Nachbarland besteht aus mehr als dem hauptstädtischen »Freilichtmuseum an der Moldau«. Die schwere Sprache hindert allerdings die meisten Besucher daran, hinter die schmuck renovierten Fassaden zu schauen. So bleibt Tschechien vielen ein »böhmisches Dorf«.Anschaulich und humorvoll hilft Hans-Jörg Schmidt, dienstältester deutscher Korrespondent in Prag, die Tschechen, ihren Alltag und ihre Eigenheiten zu verstehen.

Jahrgang 1953, geboren in Halle/Saale, Journalist, seit 1990 Korrespondent in Prag, lebt seit 2009 im Böhmischen Mittelgebirge, schreibt über Tschechien und die Slowakei für überregionale und regionale Zeitungen wie DIE WELT oder die Sächsische Zeitung.

Jahrgang 1953, geboren in Halle/Saale, Journalist, seit 1990 Korrespondent in Prag, lebt seit 2009 im Böhmischen Mittelgebirge, schreibt über Tschechien und die Slowakei für überregionale und regionale Zeitungen wie DIE WELT oder die Sächsische Zeitung.

Von welchem Land sprechen wir hier eigentlich?


Man hatte es schon nicht mehr für möglich gehalten: Seit Beginn der Eigenstaatlichkeit 1993 suchte die Tschechische Republik/Česká republika nach einem offiziellen Kürzel – und der Rest Europas amüsierte sich, dass sie keines fand. Kurz vor der Fertigstellung der vierten Auflage dieses Buches einigten sich die politischen Eliten des Landes bei einem Treffen auf der Prager Burg dann doch noch: Künftig soll das Nachbarland kurz und schmerzlos auf Deutsch Tschechien heißen. Das hatten wir doch schon, werden Sie jetzt sagen. Richtig. Angeblich war es das österreichische Fernsehen, das der Tschechischen Republik in der Nacht zum 1. Januar 1993 dieses Kürzel verpasste. Tschechien wurde auf Deutsch gelegentlich jedoch schon im 19. Jahrhundert benutzt, aber auch 1919 von dem damaligen deutschen Konsul in Prag, der sich zum Gesandten in der neuen Tschechoslowakei erklärt hatte, und der das neue Land in seinen Berichten nach Berlin als Tschechien bezeichnete. Die Österreicher haben diesen Begriff im Jahre 1993 nur neu belebt.

Für Tschechien gab es auch im Französischen oder im Spanischen ein Kürzel. Nur in der wichtigsten Fremdsprache, dem Englischen, sprach man immer ordentlich von Czech Republic. Damit soll nun Schluss sein. Bei der UNO wurde offiziell das englische Kürzel Czechia hinterlegt. Davon leiten sich die Begriffe in den anderen Sprachen ab. Dass sich die Begriffsfindung so lange hinzog, hatte mit den Widerständen aus den beiden kleineren Landesteilen Mähren und Schlesien zu tun. Der immer mal in Rede stehende Begriff Čechy war dort nicht akzeptiert, weil er auch für Böhmen steht, das zwar größte Land innerhalb der Tschechischen Republik, aber eben nicht das einzige. Die jetzige tschechische Form, Czechia – Česko, passte ihnen aber auch nicht, wobei da angeblich schon Rücksicht auf Mährer und Schlesier genommen wurde. Doch die sind da empfindlich, waren das schon zu tschechoslowakischen Zeiten. Damals hatten sie eine zweigeteilte Hymne, zwischen dem tschechischen und dem slowakischen Teil gab es eine kleine Pause. »Die ist für Mähren«, spotteten seinerzeit die Böhmen.

Die Brünner, also die Menschen aus der mährischen Hauptstadt, rächen sich gern an den »hochnäsigen« Pragern mit Witzen in einem schwer verständlichen Brünner Dialekt wie diesem: An einem heißen Tag trinkt ein Prager Besucher aus einem Brunnen in Brünn. Ruft ein Brünner: »Trinken Sie das nicht, wir haben hier die Maul- und Klauenseuche!« »Wie bitte?«, fragt der Prager zurück. »Ach, der Herr kommt aus Prag. Also, ich sagte, seien Sie hübsch vorsichtig und trinken Sie langsam. Das Wasser ist sehr kalt. Sie holen sich sonst schnell eine Erkältung.«

Der große Aufruhr ist aber nicht mehr zu verspüren. In den tschechischen Medien und im allgemeinen Sprachgebrauch hat sich Česko längst eingebürgert. Kein Tscheche sprach im Alltag von der Tschechischen Republik, wie ja auch kein Franzose von der Republik Frankreich, kein Däne vom Königreich Dänemark oder kein Deutscher von der Bundesrepublik Deutschland spricht.

Mit dem offiziellen Namen Tschechische Republik gab es wegen dessen Länge immer ein paar Probleme. Das bekamen vor allem die Sportler zu spüren. Als die Eishockeyspieler 1998 bei den Olympischen Spielen in Nagano Gold holten, kurvten sie plötzlich mit der Aufschrift Czech über das Eis. Diese Bezeichnung gibt es eigentlich überhaupt nicht.

Unvorteilhaft war der nach wie vor fehlende Kurzname bei internationalen Messen oder auch in der Geschäftswelt. Für Messestände, auf denen man auch nicht endlos Platz für Namen hatte, suchte man vergeblich nach einem Kürzel. »Die Ärmsten, die zur Messe nach Brno (Brünn) fuhren, riefen regelmäßig ratlos an unserer Fakultät der Brünner Masaryk-Universität wegen eines Kurznamens an«, erzählt der Sprachwissenschaftler Rudolf Šrámek.

Der alte Begriff »Tschechei« ist bei den Nachbarn nicht eben wohl gelitten. Er erinnert zu sehr an die von den Nazis geprägte Wortschöpfung »Rest-Tschechei«, nachdem sich die Slowakei 1939 unter dem Druck Adolf Hitlers von den Tschechen abgespalten hatte. Ob sich Czechia international durchsetzen wird, ist jedoch fraglich. Eine Prager Zeitung kommentierte die Entscheidung mit der süffisanten Bemerkung: »Am Ende ist es egal. Für die eine Hälfte der Welt werden wir weiter die Tschechoslowakei sein, die andere verwechselt uns wie bisher mit Tschetschenien.«

Was weiß der Durchschnittsdeutsche über die Tschechen?


Die Deutschen sind kinderlieb, halten sich für gemütlich, ekeln sich vor Maden, fahren unter keinen Umständen bei Rot über die Ampel und verstehen nichts von Kunst, lauteten jüngst einige interessante Ergebnisse einer Studie für ein Buch mit dem Titel Wie wir Deutschen ticken. Auf die Frage, was für Deutschland stehe, antworteten zwei Drittel der Befragten »Volkswagen« (das war noch vor dem Diesel-Skandal!). Auf die nächsten Plätze kamen Goethe und Angela Merkel. Die Tschechen verbinden mit den Deutschen vor allem drei Grundeigenschaften: Pünktlichkeit, Disziplin und Humorlosigkeit. Und was wissen die Deutschen über die Tschechen? Zweifellos ist die bekannteste Tschechin in Deutschland die Schauspielerin Libuše Šafránková, die als Aschenbrödel mit ihren drei Zaubernüssen zu Weihnachten auf allen Programmen des deutschen Fernsehens hoch und runter läuft. Den Film Jahr für Jahr zu sehen, gehört in vielen Familien längst zum weihnachtlichen Ritual. Nicht anders ist das bei den Tschechen, die den 1973 in Co-Produktion der ostdeutschen DEFA und den Prager Studios in Barrandov gedrehten Streifen zum »schönsten Märchenfilm aller Zeiten« gekürt haben.

Der berühmteste Tscheche ist vermutlich Schlagerstar Karel Gott, der auch in Deutschland eine große Fangemeinde hat. Als der Sänger von »Biene Maja« kürzlich an Krebs erkrankte, drückten ihm auch viele Deutsche für eine rasche und vollständige Genesung alle Daumen. Welche tschechischen Namen sagen den Deutschen noch etwas? Fußballfans dürften Petr Čech, Tomáš Rosický oder Jan Koller einfallen, anderen der einstige Zehnkampf-Weltrekordler Roman Šebrle, das Laufwunder Emil »Lokomotive« Zátopek, die einstige Turnkönigin Věra Čáslavská, die Tennislegenden Martina Navrátilová und Ivan Lendl. Die einstige »Sexgöttin« Dolly Buster stammt ebenfalls aus Tschechien. Kulturinteressierten fallen sicher noch mit dem Oscar prämierte Regisseure wie Jiří Menzel und Miloš Forman ein, die Komponisten Bedřich Smetana, Antonín Dvořák oder Leoš Janáček, Schriftsteller wie Bohumil Hrabal oder Pavel Kohout. Doch wer erinnert sich schon an den Lyriker Jaroslav Seifert, der den Literatur-Nobelpreis erhielt? Milan Kundera lebt und schreibt seit ewigen Zeiten in Paris in französischer Sprache und meidet seine tschechische Heimat. Und Franz Kafka wurde vor ein paar Jahren in einer Umfrage unter Lesern einer deutschen Tageszeitung zum wichtigsten »deutschen« Autor aller Zeiten gewählt. Bedenkt man, wie stiefmütterlich die Tschechen mit diesem deutsch-, aber auch tschechischsprachigen Prager Juwel eigentlich bis heute umgehen, eine geradezu folgerichtige Entwicklung.

Václav Havel ist bis heute unter den Deutschen der bekannteste tschechische Politiker. Er erlangte seine allgemeine Berühmtheit aber auch erst nach 1989. Freilich kannten die Tschechen Havel damals auch kaum besser als die Deutschen. Sie forderten zwar nach dem 17. November 1989, als die Revolution begann, sehr schnell in einem kollektiven Aufschrei, Havel solle »auf die Burg«, also Präsident werden. Ihr Wissen über Havel hielt sich aber in engen Grenzen, so sie nicht aus dem kleinen Kreis der Bürgerrechtler stammten. Kein Wunder, dass sogleich im Spätherbst des Umbruch-Jahres eine Biografie des neuen Staatsoberhauptes veröffentlicht wurde.

Die »kulinarischen« Kenntnisse über die Tschechen sind sicher etwas größer. Viele Deutsche mögen deren National-Beilage Knödel und Pilsner Bier, das aus der gleichnamigen westböhmischen Stadt seinen Siegeszug um die ganze Welt antrat. Becherovka-Likör dürfte den meisten auch ein Begriff sein. Manches ist allerdings auch etwas irritierend für Deutsche. Als ich mich in einem Tschechisch-Crashkurs auf meinen Aufenthalt in Prag vorbereitete, gehörten gängige Speisekarten zu den wichtigsten Lernvorlagen. Schließlich wollte ich in meiner neuen Heimat weder verhungern noch verdursten. Als ich dort aber Gerichte wie smažený hermelín (Gebackener Hermelin) oder španělsky ptáček (Spanischer Vogel) fand, zweifelte ich ein wenig daran, es mit einem mitteleuropäischen Kulturvolk zu tun zu bekommen. In Prag wurde ich dann aber schnell aufgeklärt: Der hermelín ist mitnichten ein im heißen Fett dem Tode geweihtes Pelztier, sondern ein Camembert, und hinter dem spanisch daherkommenden Vogel verbirgt sich nichts anderes als eine Rindsroulade, wie sie auch jedes gutbürgerliche Restaurant in Deutschland anbietet. Typisch schwarzer tschechischer Humor verbindet sich mit solch einem Angebot wie smradlavý prsty ošklivého pepka (Stinkende Zehen der hässlichen Pepik). Da weidet man aber nicht etwa die übel riechenden Überbleibsel eines Obdachlosen aus. Der Name verheißt ausgebackene Quargeln aus Olmütz. In Deutschland würde man die Olmützer Quargeln schlichtweg Harzer Käse nennen. Glauben Sie es mir bitte: Das Ganze stinkt wirklich, aber es schmeckt köstlich, wenn Sie es original in Olomouc/Olmütz essen, der...

Erscheint lt. Verlag 6.10.2016
Reihe/Serie Länderporträts
Zusatzinfo 1 Karte/Tabelle
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber
Reiseführer Europa Tschechien
Schlagworte Alltag in Böhmen • Aussöhnung • Charta 77 • Deutsche in Tschechien • EU • Geschichte • geteilte Tschechoslowakei • gute und schlechte Deutsche • Kaffeehaus-Kultur • Mutter aller Städte • Politische Kultur • Prag • Prager Frühling • Samtene Revolution • tschechisch-deutsche Aussöhnung • tschechische Küche • tschechischer Alltag • Zusammenleben
ISBN-10 3-86284-357-2 / 3862843572
ISBN-13 978-3-86284-357-2 / 9783862843572
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