Der perfekte Mantel (eBook)

Handwerk, Luxus, Leidenschaft - Die Geschichte eines 50.000-Dollar-Mantels
eBook Download: EPUB
2013 | 1. Auflage
256 Seiten
Eden Books - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
978-3-944296-48-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der perfekte Mantel -  Meg Lukens Noonan
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Wer gibt heutzutage, in der von Massenkonsum geprägten Welt, noch 50.000 Dollar für einen handgefertigten Mantel aus - und warum ist derjenige bereit, so viel dafür zu zahlen? Auf einer Reise von London über Peru nach Italien, Frankreich und Australien geht Meg Lukens Noonan dieser Frage nach. Sie besucht den für seine Entwürfe aus Seide weltberühmten Stefano Ricci, fährt in ein abgelegenes peruanisches Dorf, aus dem das weicheste Fell der Welt stammt, und zu einem australischen Graveur, der Labels aus Gold fertigt. Exzellent und humorvoll geschrieben, befasst sich das Buch mit Themen wie Maßschneiderei, bewusstem Konsum und Qualitätsbewusstsein.

Meg Lukens Noonan war zehn Jahre Korrespondentin des Outside Magazins und hat u. a. für The New York Times, National Geographic Adventure, Travel + Leisure, Esquire, Men's Journal und Vogue geschrieben. Sie ist verheiratet, hat zwei Töchter und lebt in New Hampshire.

Meg Lukens Noonan war zehn Jahre Korrespondentin des Outside Magazins und hat u. a. für The New York Times, National Geographic Adventure, Travel + Leisure, Esquire, Men's Journal und Vogue geschrieben. Sie ist verheiratet, hat zwei Töchter und lebt in New Hampshire.

Kapitel 1

Die Wurzeln


John Cutler sah von seinem Arbeitstisch auf, als Keith Lambert die Schneiderei im Erdgeschoss inmitten von Sydneys Bankenviertel betrat. Lambert, der gut gebaute 43-jährige Geschäftsführer eines Weinunternehmens mit den ebenmäßigen Gesichtszügen eines Nachrichtensprechers, war wie immer makellos gekleidet. Der Schneider erkannte Lamberts marineblauen Nadelstreifenanzug sofort, den er einige Jahre zuvor gefertigt hatte. Der Anzug saß immer noch hervorragend, stellte Cutler mit Genugtuung fest. Das Hemd aus bester Sea-Island-Baumwolle stammte ebenfalls von J. H. Cutler, genauso wie die Krawatte. Oh ja, an die leuchtende Stefano-Ricci-Seide mit dem aufwendigen blauen Medaillondruck erinnerte er sich besonders gut. Perfekt. Cutler begrüßte Lambert, der wie immer Rosie, seinen Jack-Russel-Terrier, auf dem Arm trug. Cutler machte das nichts aus. Er hatte sich an die Hündin gewöhnt.

Der Schneider legte seine schwere Schere ab und bat Lambert in das Beratungszimmer, das mit türkisblauen Wänden, edler Ledergarnitur und einem antiken Perserteppich an englische Herrenklubs erinnerte. Die Farben waren so gewählt worden, dass sie eine besondere Ruhe ausstrahlten. Sie trugen dazu bei, aufkommende Zweifel der Kunden zu zerstreuen, die sich darauf vorbereiteten, große Geldsummen auszugeben. Auch der Raumduft nach frisch geschnittenem Gras und Pfingstrosen, den Cutler gelegentlich versprühte, wenn er morgens das Geschäft öffnete, schien zu beruhigen.

Überall gab es stilvolle Kleinigkeiten zu entdecken wie die gerahmten Schwarz-Weiß-Fotografien, die das ursprüngliche Geschäft von J. H. Cutler aus dem 19. Jahrhundert zeigten. In einer zylinderförmigen Glasvitrine lagen die alten Kassenbücher, wo einst die ersten Bestellungen bei seinem Urgroßvater verzeichnet wurden. Auch die Bildbände mit Abbildungen des Duke of Windsor, Cary Grant und anderer Stilikonen bestätigten den Männern, die hier ihre Einkleidungswünsche besprechen wollten, dass sie Teil einer glanzvollen Tradition wurden. Und sie hatten recht: John Cutler führte das Geschäft in vierter Generation.

Lambert machte es sich auf dem grünen Chesterfield-Sofa bequem und setzte die Hündin zu seinen Füßen ab. Cutler bemerkte, dass sein Kunde ziemlich gut aussah, wenn man bedachte, was er gerade durchgemacht hatte. Es war kein Geheimnis, dass eine schwierige Zeit hinter Lambert lag. Er hatte seinen Job als leitender Geschäftsführer der South Limited, einem der größten Weinproduzenten der Welt, verloren. Der Aufsichtsrat, zu dem auch sein Schwiegervater, der berühmte Milliardär und Gründer von Rosemount Estate Wines, Robert Oatley, gehörte, hatte ihn entlassen, als die Gewinne eingebrochen waren. Das war bester Stoff für eine Seifenoper, weshalb über dieses Familiendrama ausführlich in den Zeitungen und Nachrichtensendungen berichtet wurde. Wenn Lambert nicht darüber spräche, würde Cutler selbstverständlich nicht danach fragen. Zwischen Schneider und Kunde gibt es eine unausgesprochene Abmachung, die ähnlich der Beziehung zwischen Arzt und Patient vor allem auf Diskretion und Vertrauen beruht.

Lambert nahm den von Cutler angebotenen Kaffee an – für einen Scotch war es noch ein bisschen zu früh – und erklärte, warum er gekommen war. Er wollte einen neuen Mantel. Da er zukünftig mehr Zeit in Nordamerika verbringen würde, brauchte er Kleidung für echte Winter. In der folgenden Stunde versuchte Cutler, Lamberts Vorstellungen von dem Kleidungsstück zu ergründen. Bevor er einen Stil oder einen Stoff vorschlug, versuchte er immer zu verstehen, wie sein Kunde sich fühlte und wie er sich mit dem neuen Kleidungsstück fühlen wollte. Für Cutler bestand das Schneiderhandwerk nicht einfach im Verstecken von Bäuchen oder in der Begradigung hängender Schultern. Manchmal ging es darum, eine verwundete Seele zu stützen und einem Mann neues Selbstbewusstsein für die Welt zu geben, egal was diese Welt ihm entgegenwarf.

»Man kleidet die Psyche eines Mannes genauso wie seinen Körper«, sagte Cutler gern. »Wenn du einem Mann den falschen Anzug gibst, hast du als Schneider versagt.«

Das Gleiche ließe sich natürlich auch über Mäntel sagen. Es gab viele Möglichkeiten und jede kam einer anderen Aussage gleich. Lambert hätte sich beispielsweise für einen langen Chesterfield mit schickem Samtkragen entscheiden können, aber Cutler kannte Keith gut genug, um zu wissen, dass das zu formell wäre. Der Schneider hätte auch einen Polomantel mit Gurt vorschlagen können, wie er zuerst von britischen Offizieren der Kavallerie in Indien zum Warmhalten zwischen den Chukkas eines Polospiels getragen wurde. In Lamberts Fall könnte dies allerdings zu verwegen wirken. Viel zu sportlich hingegen wäre ein Düffelmantel, benannt nach der belgischen Stadt, in der der schwere Wolltwill hergestellt wird, den man traditionell für die Mäntel mit Knebelknopf verwendet. Bei einem Raglan mit den diagonalen Schulternähten würden die Schultern zu sehr hängen, ein Offiziersmantel wäre zu militärisch, ein Car Coat zu lässig.

Lambert erklärte Cutler, dass er sich einen lockeren Sitz wünsche, aber nicht zu locker. Der Mantel müsse gut zu transportieren und elegant, schnörkellos, klassisch sowie schlicht geschnitten sein. Cutler zeichnete einige Entwürfe. Lambert machte einige Vorschläge. Cutler äußerte seine Meinung, Lambert antwortete. Nach einigem Hin und Her hatte man sich geeinigt: Es sollte ein einreihiger Mantel mit eingefassten Seitentaschen und einem Kragen werden, der sich bei Kälte bis ganz nach oben zuknöpfen ließ.

In Sydney wurde Cutler nicht oft um die Anfertigung eines Übermantels gebeten, dafür war das Klima zu mild. Trotzdem war er der Aufgabe gewachsen. Er besaß vierzig Jahre Erfahrung und einen Abschluss von der besten Schneiderakademie der Welt. Die Zeitschrift Forbes hatte ihn sogar einen der besten Schneider weltweit genannt und in eine Reihe mit der Elite der Zunft in der berühmten Londoner Savile Row gestellt.

 

»Ich halte jenen Gentleman für den bestgekleideten, dessen Kleidung niemand beachtet.«/1


Anthony Trollope

 


An einem der seltenen wolkenlosen Oktobervormittage sitze ich in Londons West End in einem Taxi und stecke im Stau. Das Problem ist diesmal weder der übliche Verkehrskollaps noch eine Sperrung wegen der Fortbewegung königlicher Verwandtschaft oder eines Wohltätigkeitsrennens. Nein, die heutige Verzögerung wird von Schafen verursacht. Auf Erlass seiner Königlichen Hoheit, des Prince of Wales, befinden wir uns mitten in der British Wool Week, die die Savile Row mit einem Fest begeht. Die abgesperrte Straße wurde in einen Scheunenhof verwandelt, auf dem unter anderem eintausend Quadratmeter geschnittenes Gras, eine grob zusammengezimmerte Scheune und zwei Herden mit zweifellos verdutzten Schafen zu finden sind.

Als ich endlich beim Presseempfang im Restaurant Sartoria eintreffe, das als Hauptquartier der Veranstaltung dient, werden bereits die Begrüßungsreden gehalten. Ich finde noch einen Stehplatz in der hintersten Reihe in einem Meer von Männern in guten Wollanzügen. Die meisten Anzüge sind dunkel und einfarbig oder mit dezenten Nadelstreifen versehen, nur einige Männer fallen mit moosgrünen Plaidmustern und passenden Schiebermützen aus der Reihe – jene Art von Bekleidung, die förmlich nach Jagdhunden als Accessoires schreit. Ein Redner nach dem anderen hält seine Lobeshymne auf die Wolle, die Bauern und Prinz Charles, der als leidenschaftlicher Schafhalter bekannt ist.

Zehn Monate sind vergangen, seit die Geschäftsführer von Textil-unternehmen, Designer, Teppichhersteller und Händler auf den Klappstühlen in einer kühlen, zweihundert Jahre alten Fachwerkscheune in Cambridgeshire Platz genommen haben. Sie waren gekommen, um sich von Prinz Charles den Fünfjahresplan für die Campaign for Wool erklären zu lassen, die das angeschlagene Wollgeschäft des Commonwealth wiederbeleben sollte. Charles hatte seinen zweireihigen, kamelhaarfarbenen Mantel anbehalten, als er sich vor das kleine Publikum stellte. Hinter ihm waren große Heuballen und ein rotes Fuhrwerk mit Rohwolle zu sehen, während er die allgemeine Lage jenes Materials bedauerte, das über Jahrhunderte der ruhmreiche Motor der britischen Wirtschaft gewesen war. Die Kosten der Schafschur, sagte er, seien höher als der Preis, der für Wolle bezahlt werde. Der Bedarf sei stark zurückgegangen und die Bauern verkleinerten ihre Herden oder lösten sie ganz auf.

»Die Zukunft dieser wunderbaren Textilfaser sieht wirklich düster aus«, sagte Prinz Charles, der nach seinen Anmerkungen noch etwas Zeit im Gespräch mit den Anwesenden verbrachte, aber verschwand, bevor der Mutton Renaissance Club seinen berühmten Hammeleintopf servierte.

Die Mitglieder des Komitees, von denen an diesem Vormittag viele im Sartoria sind, haben seither hart an der Planung für die einwöchigen Werbeaktionen und Plakatkampagnen in ganz England gearbeitet, mit denen die Menschen daran erinnert werden sollen, dass Wolle ein warmes, natürliches, bequemes und nachhaltiges Material ist. Das Fest in der Savile Row ist dabei die wichtigste Veranstaltung – und vermutlich auch das Ereignis, bei dessen Vorbereitungen ordentlich aus der Laphroaig-Flasche nachgeschenkt wurde. (»Was sagst du da? Schafe? In der Savile Row? Blendende Idee, mein Lieber.«)

Noch vor...

Erscheint lt. Verlag 6.11.2013
Übersetzer Nico Laubisch
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Kunst / Musik / Theater Design / Innenarchitektur / Mode
Technik
Schlagworte bewusster Konsum • Glaubwürdigkeit • Handwerk • Herstellung • Hinter den Kulissen • Image • Konsum • Luxus • Mantel • Marken • Marketing • Massenkonsum • Maßschneider • Mode • Modeindustrie • Nachhaltigkeit • Produkt • Qualität • Qualitätsbewusstsein • Reise • Sachbuch • Savile Row • Seide • Slow Fashion • Transparenz • Werbung
ISBN-10 3-944296-48-6 / 3944296486
ISBN-13 978-3-944296-48-7 / 9783944296487
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