Die Toten von der Falkneralm (eBook)

Mein erster Fall
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2016 | 1. Auflage
272 Seiten
Knaus (Verlag)
978-3-641-17912-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Toten von der Falkneralm -  Miroslav Nemec
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Der erste Roman des beliebten Tatort-Kommissars
Eigentlich hätte es ein entspanntes »Mörderisches Wochenende« werden sollen für den Tatort-Schauspieler Miroslav Nemec: Lesung aus einem Krimi und gutes Essen in einem schönen Berghotel. Doch dann kommt es auf der »Falkneralm« zu einer Serie seltsamer Todesfälle. Und der Kommissar-Darsteller Nemec muss nicht nur echte Leichen anfassen, er sieht sich sogar veranlasst, wirklich zu ermitteln. Kann das gut gehen?

Miroslav Nemec, 1954 in Zagreb geboren, kam mit zwölf Jahren nach Deutschland und ist Schauspieler und zugleich ausgebildeter Fachlehrer für Musik. Von 1981 bis 1986 war er festes Ensemblemitglied am Münchner Residenztheater. Schon damals arbeitete er immer wieder fürs Fernsehen. Die großen Erfolge kamen allerdings erst mit den Krimiserien Tatort, Derrick und Der Alte. 1997 und 2001 wurden er und sein Kommissarkollege Udo Wachtveitl mit dem Goldenen Löwen und dem Bayerischen Filmpreis als beste Darsteller ausgezeichnet, 2011 erhielt Miroslav Nemec den Adolf-Grimme-Preis sowie den Bayerischen Verdienstorden.

1

An manchen Tagen meide ich den Umgang mit mir selbst. Auch diesmal, als ich im Flur stand und nicht mehr wusste, was ich eigentlich vorgehabt hatte. Ich hatte gerade geduscht und mich angezogen. Das Handy in meiner Jackentasche an der Garderobe klingelte und das Telefon im Wohnzimmer ebenfalls. Ich ging nicht ran. Ich war nicht da.

Ach ja. Ich wollte packen. Nein, ich wollte nicht, ich musste. Es war Freitag, kurz nach zwei, und ich sollte am Abend im Hotel Falkneralm, irgendwo weit hinten in den Berchtesgadener Alpen, sein, um an einem »Mörderischen Wochenende« teilzunehmen, bei dem ich am nächsten Vormittag aus einem Kriminalroman von Henning Mankell lesen und mich am Abend an einem Gespräch zum Thema »Mord und Totschlag in Fiktion und Wirklichkeit« beteiligen sollte. Der Nachtdreh von gestern steckte mir noch in den Knochen. Ich war erst bei Tagesanbruch nach Hause gekommen und hatte ein Bier zu viel als Betthupferl getrunken, um überhaupt schlafen zu können. Es musste schon fast sechs Uhr gewesen sein, als ich schließlich in unserem Gästezimmer weggedämmert war. Meine Frau wollte ich nicht wecken, und geweckt werden wollte ich auch nicht, wenn sie und unser Töchterchen gegen sieben aufstehen würden. Jetzt hatte ich das Gefühl, der Boden unter meinen Füßen sei irgendwie nicht wirklich hart genug.

Dummerweise war gestern nicht, wie ursprünglich geplant, der letzte Drehtag für den Tatort gewesen. Der gesamte Dreh war um ein paar Tage verschoben worden. Wir würden also noch zwei volle Studiotage benötigen. Vor mir lagen nicht nur dieses verdammte Wochenende, bei dem ich meiner Müdigkeit nicht würde nachgeben können, sondern auch zwei 14-Stunden-Tage am Montag und Dienstag, für die ich noch jede Menge Dialoge aufzufrischen hatte.

»Du hast keine Lust«, sagte meine Frau, die mit unserer Tochter gerade zur Haustür hereinkam.

»Ich bin müde, mein Schatz, aber ich habe einen Vertrag und muss Geld verdienen«, sagte ich.

Meine Frau lächelte.

Sie hatte Mila extra früher aus dem Kindergarten abgeholt, damit sie sich noch vom Papa richtig verabschieden konnte. Doch Mila nahm mich an der Hand und zog mich ins Wohnzimmer. Das macht sie besonders gern, wenn sie weiß, dass ich zum Arbeiten gehen muss.

»Komm, Papa, wir machen mein Puzzle fertig. Aber du sollst nur zuschauen.«

Eine Kristallkugel existiert nicht in unserem Haushalt, und ich hätte auch kein Talent, damit umzugehen, ebenso wenig wie mit einer eventuellen Zeitkrümmung oder was auch immer Leuten wie Einstein oder Heisenberg als Handwerkszeug gedient haben mag: Ich kann nicht in die Zukunft sehen. Hätte ich es gekonnt und einen Blick auf die nächsten vierundzwanzig Stunden geworfen, dann wäre mir jedes Hindernis recht gewesen. Stimmbandzerrung, ein Anfall von Tourette, Nervenzusammenbruch, was auch immer. Ich wäre nicht gefahren.

Später, als meine Tasche schon im Kofferraum lag, lehnte ich noch kurz am Türrahmen und sah der Kleinen zu, wie sie in zügigem Tempo, ohne noch groß hinzusehen, die Puzzleteile aneinanderlegte, und mir wäre jede Ausrede recht gewesen, jetzt nicht wegzumüssen, aber ich küsste meine Tochter auf den Lockenkopf und meine Frau auf den Mund und erinnerte mich an den Spruch meines Kollegen Hans Stetter, mit dem ich am Residenztheater engagiert war: Ein Schauspieler macht es, oder er macht es doch.

Die Autos glänzten in der Sonne, als wären sie eben gerade aus der Fabrik abgeholt und vorher noch von Hand poliert worden. Eine Zeitlang versuchte ich Ausschau zu halten nach einem rostigen oder verbeulten oder wenigstens alten Auto, aber entweder schaute ich nicht richtig hin oder fuhr auf der für ein solches Vorhaben falschen Autobahn, denn nicht mal die wenigen Lieferwagen, die noch unterwegs waren, hatten nennenswert Jahre auf dem Buckel oder gar Dreck an den Radkappen, und die alten Autos, die ich sah, waren liebevoll und teuer restaurierte Schmuckstücke, die nur zum Wochenende aus der Garage dürfen.

An einem Freitagnachmittag im August auf der A8 von München aus nach Süden zu fahren, ist nichts, was ein ungeduldiger Mensch wie ich sich vornehmen sollte, aber ich hatte keine Wahl. Ich konnte das Hotel nicht an einen anderen Ort verlegen und mein selbstverständlich ebenfalls glänzendes Auto nicht in einen Hubschrauber verwandeln, also versüßte ich mir dieses nervige Stop-and-go schon vor Holzkirchen mit lauter Musik von Sting und Lucio Dalla. Dann legte ich die CD, die ich mit meiner Band aufgenommen hatte, ein und sang mit als Stimmübung. Zuerst »Give me some lovin«, »Junimond«, später »Still my guitar« und so weiter.

Am Rasthof Irschenberg verließ ich erstmal den Stau, holte mir einen Kaffee und beeilte mich, wieder zurück ins Auto zu kommen, weil ich die Blicke der Leute in meinem Rücken spürte und manches Flüstern und Lachen, das an meine Ohren drang, auf mich bezog. Ich weiß eigentlich noch immer nicht, wie das geht: Ein Gesicht spazieren zu tragen, das vielen Leuten bekannt vorkommt. Ich bin nett, ich tue so, als merkte ich es nicht, oder ich erwidere jeden genickten oder gelächelten Gruß, aber so richtig wohl fühle ich mich nicht, weil: Eine Raststätte ist keine Bühne, und einen Kaffee bestellen ist keine Kunst. Und die Hauptrolle in dem Stück »Herr Nemec kauft sich einen Kaffee« ist auch nicht gerade abendfüllend. Da fällt mir der alte Schauspielerwitz ein: Treffen sich zwei Kollegen. Sagt der eine: Du, ich hab dich gestern in der Straßenbahn gesehen. Sagt der andere: Und, wie war ich? Was ich damit sagen will: Dieses Öffentlichsein fühlt sich immer irgendwie falsch an, ist aber immer irgendwie nicht zu ändern und muss deshalb immer irgendwie gemeistert werden. Und da verlasse ich mich ganz auf meine Intuition.

Natürlich bin ich eitel genug, um mich darüber zu freuen. In dieser Aufmerksamkeit stecken ja schließlich Interesse und Anerkennung, aber das muss ich mir in solchen Momenten dann jedes Mal wieder in Erinnerung rufen. Was ich fühle, ist nur diese gewisse Unbequemlichkeit, das Im-Dienst-Sein. Ich bin dann manchmal auch froh um jeden Holländer, Kroaten oder Italiener, der neben mir an der Kasse steht und mit meinem übernächtigten Gesicht nichts anfangen kann.

Eigentlich liebe ich ja den Geruch an Rasthöfen. Vor allem bei Sommerwetter, wenn sich Staub und Auspuff mit Sonnencreme, Kaffee und Heuduft mischen und das Rauschen und Brummen der Autobahn den ewigen Refrain vom Wegfahren und Ankommen intoniert. Ich weiß dann nie, ob ich Heimweh oder Fernweh habe und wo genau daheim ist, in Kroatien oder hier in Bayern.

Ich beeilte mich mit dem Kaffee, trank ihn so schnell es ging, denn ich konnte mich bei der Hitze nicht ins Auto setzen, und mich danebenzustellen, kam mir zu ausgestellt vor, und ich erinnerte mich an einen Satz von Helmut Fischer: »Auf geht’s in die Fußgängerzone, geh ma uns a bissl erkennen lassen.« Und genau das wollte ich im Moment nicht.

Als ein paar Meter weiter ein Faber-Reisebus aus Dinkelsbühl parkte und eine Menge fröhlicher Damen und Herren herausströmten, beeilte ich mich, den Kaffeebecher loszuwerden, denn es ging um Sekunden. Wenn sie mich erspähten, wäre es zu spät, und ich müsste ein Foto nach dem anderen mit mir und einer strahlenden Dame, der ich, ebenfalls strahlend, den Arm um die Schulter lege, schießen lassen.

Einen Stau später, in der Nähe von Rosenheim, schaltete ich das Radio ein, um zu hören, wie lange das so weitergehen würde, und am Ende der Nachrichten hieß es, der Wetterdienst habe eine Warnung herausgegeben für die Landkreise Garmisch und Berchtesgaden, man rechne mit Starkregen und Windböen bis über hundert Kilometer, ein veritabler Sturm sei also im Anmarsch, und man solle möglichst ab neunzehn Uhr abends das Haus nicht mehr verlassen. Na servus. Das Hotel war nur über eine Seilbahn zu erreichen, und meine Hoffnung, an deren Bodenstation noch vor halb sieben anzukommen, schwand langsam. Seilbahnen sind nicht meine Leidenschaft. Die Fischer in Istrien sagen: Lobe das Meer und bleibe am Ufer. Auf mich abgewandelt hieße das: Lobe den Berg und bleibe im Tal.

Im Südwesten sah der Himmel schon dramatisch dunkelgrau aus, aber direkt über mir schien eine giftige Sonne, und von Windstößen oder gar Sturmböen war noch nichts zu spüren. Wenigstens lief der Verkehr jetzt ein bisschen flüssiger, und ich war kurz nach sechs tatsächlich an der Seilbahnstation. Kein Sturm weit und breit.

Ein paar Autos standen auf dem Parkplatz. Mercedes, Porsche Cayenne, BMW und Audi, ein kleiner Kastenwagen von Renault, ein Golf, ein Passat und ein gepflegter alter Morgan +8. Wenn der Großteil der Gäste nicht per Bus angeliefert worden war, dann konnten dort oben nicht viel mehr als zwei, drei Dutzend Leute sein, zumal das Personal des Hotels ja auch irgendwie hergekommen sein musste.

Ich versuchte, meine Frau zu erreichen, es meldete sich aber nur die Mailbox. Da fiel mir ein, sie wollten ja noch zum Starnberger See fahren, um zu baden. Ich hinterließ Küsse und dass ich gut angekommen sei. Dann stieg ich aus, ging zum Kofferraum und nahm meine Tasche heraus. Den Impuls, meinem Auto das Dach zu tätscheln, unterdrückte ich. Ein junger Mann in T-Shirt, Jeans und Janker kam mir entgegen, als ich meine Reisetasche herausnahm, stellte sich als Oliver, Sohn der Managerin, vor und wollte mir die Tasche abnehmen.

»Lassen Sie mal«, sagte ich, »das schaff ich schon.«

»Das wär aber Service«, sagte er, »sind’s doch nicht so bescheiden, Herr Nemec.«

Ich hörte die Stimme meines Vaters, der es damals in Jugoslawien zeitlebens abgelehnt hatte, sich auf der Straße die Schuhe putzen zu...

Erscheint lt. Verlag 15.8.2016
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Schlagworte Cozy Crime • eBooks • Heimatkrimi • Ivo Batic • Krimi • Kriminalromane • Krimis • München • Münchner Tatort • Tatort • Udo Wachtveitl
ISBN-10 3-641-17912-2 / 3641179122
ISBN-13 978-3-641-17912-0 / 9783641179120
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