Totenlied (eBook)

Spiegel-Bestseller
Thriller
eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
336 Seiten
Limes (Verlag)
978-3-641-18344-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Totenlied -  Tess Gerritsen
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Eine verstörende Melodie, ein tragisches Schicksal, ein tödliches Geheimnis ...
Von einer Italienreise bringt die Violinistin Julia Ansdell als Souvenir ein altes Notenbuch mit nach Hause. Es enthält eine handgeschriebene, bislang völlig unbekannte Walzerkomposition. Julia ist fasziniert von dem schwierigen Stück, doch jedes Mal, wenn sie die aufwühlende Melodie spielt, geschehen merkwürdige Dinge. Etwas Bösartiges geht von dem Walzer aus, etwas, was das Wesen von Julias dreijähriger Tochter auf beunruhigende Weise zu verändern scheint. Weil niemand ihr Glauben schenkt, reist Julia heimlich nach Italien, um nach der Herkunft der mysteriösen Komposition zu forschen ...

So gekonnt wie Tess Gerritsen vereint niemand erzählerische Raffinesse mit medizinischer Detailgenauigkeit und psychologischer Glaubwürdigkeit der Figuren. Bevor sie mit dem Schreiben begann, war die Autorin selbst erfolgreiche Ärztin. Der internationale Durchbruch gelang ihr mit dem Thriller »Die Chirurgin«, in dem Detective Jane Rizzoli erstmals ermittelt. Seither sind Tess Gerritsens Thriller um das Bostoner Ermittlerduo Rizzoli & Isles von den internationalen Bestsellerlisten nicht mehr wegzudenken. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Maine.

1

Schon im Eingang steigt mir der Geruch nach alten Büchern in die Nase, ein Hauch von sprödem Papier und abgegriffenem Leder. Die anderen Antiquitätenläden, an denen ich in dieser kopfsteingepflasterten Gasse vorbeigekommen bin, hatten alle wegen der Hitze ihre Türen geschlossen und die Klimaanlagen eingeschaltet, aber hier steht die Tür weit offen, wie um mich zum Eintreten aufzufordern. Es ist mein letzter Nachmittag in Rom, meine letzte Gelegenheit, ein Souvenir von meiner Reise mitzunehmen. Ich habe schon eine Seidenkrawatte für Rob und ein üppig mit Rüschen besetztes Kleidchen für unsere dreijährige Tochter Lily gekauft, nur für mich selbst hab ich noch nichts gefunden. Im Schaufenster dieses Antiquitätengeschäfts erspähe ich nun genau das Richtige.

Im Laden ist es so düster, dass es einen Moment dauert, bis meine Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt haben. Draußen herrscht drückende Schwüle, aber hier drin ist es merkwürdig kühl, als ob ich mich in eine Höhle verirrt hätte, in die weder Hitze noch Licht vordringen. Allmählich treten Konturen aus dem Halbdunkel hervor, und ich sehe mit Büchern vollgestopfte Regale, alte Überseekoffer und in der Ecke eine Ritterrüstung aus stumpfem Metall. An den Wänden hängen Ölgemälde, allesamt ziemlich hässlich und geschmacklos, versehen mit vergilbten Preisschildern. Dass in der Nische der Ladeninhaber steht, bemerke ich erst, als er mich plötzlich auf Italienisch anspricht. Erschrocken fahre ich herum und erblicke ein gnomenhaftes Männchen mit Augenbrauen wie zwei schneeweiße Raupen.

»Es tut mir leid«, antworte ich. »Non parlo italiano.«

»Violino?« Er deutet auf den Geigenkasten, den ich auf dem Rücken trage.

Das Instrument ist viel zu wertvoll, um es im Hotelzimmer liegen zu lassen, und auf meinen Reisen nehme ich es überallhin mit.

»Musicista?«, fragt er und spielt dazu Luftgeige. Sein rechter Arm macht sägende Bewegungen mit einem imaginären Bogen.

»Ja, ich bin Musikerin. Aus Amerika. Ich bin heute Vormittag beim Festival aufgetreten.« Er nickt höflich, doch ich glaube kaum, dass er mich versteht. Ich deute auf den Artikel, den ich im Schaufenster entdeckt habe. »Dürfte ich mir das mal anschauen? Libro? Musica?«

Er nimmt das Album aus der Auslage und reicht es mir. Schon an der Art, wie die Kanten des spröden Papiers unter meiner Berührung bröckeln, erkenne ich, dass es wirklich alt ist. Es ist eine italienische Ausgabe, und auf dem Titelblatt lese ich das Wort Gypsy über dem Bild eines Geige spielenden Mannes mit zottigen Haaren. Ich schlage das erste Stück auf, das in einer Molltonart gesetzt ist. Die klagende Melodie ist mir unbekannt, doch es juckt mich schon in den Fingern, sie zu spielen. Ja, das ist es, wonach ich ständig suche – alte, in Vergessenheit geratene Stücke, die es verdienen, wiederentdeckt zu werden.

Während ich die übrigen Stücke durchsehe, fällt ein loses Blatt heraus und flattert auf den Boden. Es ist keine Seite aus dem Album, sondern ein Manuskriptbogen, dessen Notenlinien dicht mit bleistiftgeschriebenen Noten besetzt sind. Der Titel der Komposition ist in elegant geschwungenen Lettern von Hand verzeichnet.

Incendio, komponiert von L. Todesco.

Während ich die Noten lese, kann ich die Musik in meinem Kopf hören, und schon nach wenigen Takten weiß ich, dass dieser Walzer wunderschön ist. Er beginnt als schlichte Melodie in e-Moll. Doch nach Takt sechzehn wird die Musik allmählich komplexer, und von Takt sechzig an häufen sich Noten auf Noten, mit Versetzungszeichen, die jähe Dissonanzen hervorbringen. Ich drehe das Blatt um, und hier ist jeder einzelne Takt vom Bleistift nahezu geschwärzt. Eine rasend schnelle Folge von Arpeggios steigert die Melodie zu einem wilden Wirbel von Noten, der mir plötzlich einen Schauder über den Rücken jagt.

Ich muss diese Noten haben.

»Quanto costa?«, frage ich. »Für dieses Blatt und das Album zusammen?«

Der Antiquar mustert mich mit einem verschlagenen Blitzen in den Augen. »Cento.« Er zieht einen Stift aus der Tasche und schreibt die Zahl auf seine Handfläche.

»Hundert Euro? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.«

»È vecchio. Alt.«

»So alt nun auch wieder nicht.«

Sein Achselzucken sagt mir: Entweder akzeptieren Sie meinen Preis, oder Sie lassen es bleiben. Er hat bereits die Gier in meinen Augen gesehen und weiß, dass ich jeden noch so überzogenen Preis für diese zerfledderte Sammlung von Zigeunermelodien bezahlen werde. Die Musik ist mein einziger Luxus. Ich interessiere mich nicht für Schmuck, Designerklamotten oder Schuhe, und das einzige Accessoire, auf das ich wirklich Wert lege, ist die hundert Jahre alte Geige, die ich auf dem Rücken trage.

Er quittiert mir meinen Kauf, und ich trete aus dem Laden in die Nachmittagshitze, die die Luft zäh wie Sirup macht. Wie seltsam, dass mir da drin so kalt war. Ich blicke mich noch einmal zu dem Gebäude um, aber ich entdecke keine Klimaanlage, nur geschlossene Fenster und die beiden Wasserspeier, die über dem Giebeldreieck thronen. Ein Sonnenstrahl fällt mir in die Augen, reflektiert von dem Messing-Türklopfer in Form eines Medusenhaupts. Die Tür ist jetzt geschlossen, doch durch das staubige Fenster sehe ich noch, wie der Antiquar mich beobachtet. Dann entzieht er sich meinem Blick, indem er den Rollladen herunterlässt.

Rob ist ganz begeistert von der neuen Krawatte, die ich ihm in Rom gekauft habe. Er steht vor dem Spiegel in unserem Schlafzimmer und bindet sich geschickt den seidig glänzenden Stoff um den Hals. »Das ist genau das, was ich brauche, um ein langweiliges Meeting ein bisschen aufzupeppen«, sagt er. »Vielleicht sorgen diese Farben ja dafür, dass niemand einschläft, während ich die Zahlen herunterrattere.«

Mit seinen achtunddreißig Jahren ist er noch genauso schlank und fit wie am Tag unserer Hochzeit, wenngleich sich in den letzten zehn Jahren ein paar graue Strähnen in seine Schläfen eingeschlichen haben. Mit seinem gestärkten weißen Hemd und den goldenen Manschettenknöpfen sieht mein in Boston aufgewachsener Ehemann ganz wie der akribische Wirtschaftsprüfer aus, der er ist. Bei ihm dreht sich alles um Zahlen: Gewinne und Verluste, Aktiva und Passiva. Er sieht die Welt in mathematischen Begriffen – und selbst die Art, wie er sich bewegt, ist von geometrischer Präzision, denke ich, als ich sehe, wie seine Krawatte im Bogen durch die Luft schwingt und sich zu einem perfekten Knoten fügt. Wie verschieden wir sind! Die einzigen Zahlen, die mich interessieren, sind Sinfonien- und Opusnummern und die Taktbezeichnungen meiner Musik. Rob erzählt jedem, dass genau dies ihn an mir angezogen habe, weil ich im Gegensatz zu ihm eine Künstlerin sei, ein Luftwesen, das im Sonnenschein tanzt. Anfangs hatte ich Sorge, dass unsere Verschiedenheit uns auseinanderbringen würde, dass Rob, der immer so fest mit beiden Beinen auf dem Boden steht, es irgendwann satthätte, seine Frau, dieses ätherische Geschöpf, daran zu hindern, in die Wolken zu entschweben. Aber nach zehn Jahren sind wir immer noch zusammen, immer noch verliebt wie am ersten Tag.

Er lächelt mich im Spiegel an, während er den Krawattenknoten stramm zieht. »Du warst ja heute Morgen furchtbar früh wach, Julia.«

»Ich bin immer noch auf römische Zeit eingestellt. Dort ist es jetzt schon Mittag. Das ist das Positive am Jetlag – stell dir nur mal vor, was ich heute alles erledigen kann!«

»Ich sage dir voraus, dass du spätestens um die Mittagszeit zusammenklappen wirst. Soll ich Lily in den Kindergarten fahren?«

»Nein, ich möchte sie heute bei mir behalten. Ich hab ein schlechtes Gewissen, weil ich eine ganze Woche von ihr getrennt war.«

»Ach, mach dir keine Gedanken. Deine Tante Val hat sofort auf der Matte gestanden und sich wie immer um alles gekümmert.«

»Na ja, aber ich habe Lily wahnsinnig vermisst, und deswegen will ich heute jede Minute mit ihr verbringen.«

Er dreht sich um und präsentiert mir seine neue Krawatte, die exakt in der Mitte des Kragens sitzt. »Was sind denn deine Pläne?«

»Es ist so heiß, da dachte ich mir, wir gehen am besten ins Schwimmbad. Und schauen dann vielleicht in der Bücherei vorbei, um ein paar neue Bücher auszusuchen.«

»Klingt gut.« Er beugt sich herab, um mich zu küssen, und sein glatt rasiertes Gesicht strömt einen herben Zitrusduft aus. »Ich mag es gar nicht, wenn du nicht hier bist, Schatz«, murmelt er. »Vielleicht nehme ich mir das nächste Mal eine Woche frei und begleite dich. Wäre das nicht viel …«

»Mommy, guck mal! Wie hübsch!« Lily kommt ins Schlafzimmer getänzelt und wirbelt in dem neuen Kleid, das ich ihr aus Rom mitgebracht habe, im Kreis herum. Sie hat es am Abend zuvor gleich anprobiert und weigert sich jetzt, es wieder auszuziehen. Ohne Vorwarnung wirft sie sich mit Karacho in meine Arme, und wir fallen beide lachend aufs Bett. Es gibt nichts Köstlicheres als den Duft meines eigenen Kindes, und ich würde am liebsten jedes Molekül von ihr in mich aufsaugen, sie mit meinem eigenen Körper verschmelzen lassen, sodass wir beide wieder eins werden. Während ich den kichernden Blondschopf und die lavendelfarbenen Rüschen an mich drücke, lässt auch Rob sich aufs Bett fallen und legt seine Arme um uns beide.

»Hier sind die zwei allerschönsten Mädchen auf der ganzen Welt«, verkündet er, »und sie sind alle beide mein!«

»Daddy, bleib zu Haus«, befiehlt Lily.

»Würde ich ja gerne, mein Herzchen.« Rob...

Erscheint lt. Verlag 25.7.2016
Übersetzer Andreas Jäger
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Playing with Fire
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Schlagworte Bestseller • Boston • eBooks • Geige • Italien • Nationalsozialismus • spiegel bestseller • SPIEGEL-Bestseller • Thriller • Venedig
ISBN-10 3-641-18344-8 / 3641183448
ISBN-13 978-3-641-18344-8 / 9783641183448
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