Geschichte Polens im 20. Jahrhundert (eBook)

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2016 | 1. Auflage
489 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-69339-7 (ISBN)
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Im 20. Jahrhundert hat Polen dreimal europäische Geschichte geschrieben: 1920, als es die Rote Armee schlug, 1939, als es sich Deutschland widersetzte, und 1980, als es die erste Bewegung hervorbrachte, die den Staatssozialismus ebenso friedlich wie erfolgreich herausforderte. Wlodzimierz Borodziej erzählt die dramatische und wendungsreiche Geschichte Polens von 1900 bis zur Gegenwart und macht begreiflich, wie das Land zu dem wurde, was es heute ist.



<p><em>Wlodzimierz Borodziej</em> ist Professor f&uuml;r Zeitgeschichte an der Universit&auml;t Warschau sowie Co-Direktor des Imre Kert&eacute;sz Kollegs der Universit&auml;t Jena und Vorsitzender des Beirats des Hauses der Europ&auml;ischen Geschichte in Br&uuml;ssel.</p>

lt;p>Wlodzimierz Borodziej ist Professor für Zeitgeschichte an der Universität Warschau sowie Co-Direktor des Imre Kertész Kollegs der Universität Jena und Vorsitzender des Beirats des Hauses der Europäischen Geschichte in Brüssel.

Cover 1
Titel 2
Zum Buch 3
Über den Autor 3
Impressum 4
Inhalt 5
Vorwort 7
Einleitung 11
Erster Teil 1890–1918 13
1. Polen um 1900 13
2. Von der Revolution über den Weltkrieg zur Staatsgründung (1900–1918) 53
Zweiter Teil 1918–1939 97
3. Staatsgründung und Grenzen (1918–1923) 97
4. Die parlamentarische Demokratie (1921–1926) 124
5. Polen um 1925 142
6. Die Diktatur (1926–1939) 162
Dritter Teil 1939–1945 189
7. Besatzungsherrschaft, Holocaust und Widerstand (1939–1944) 189
8. Polen um 1944 216
9. Die «polnische Frage» im Zweiten Weltkrieg 234
Vierter Teil 1945–2004 253
10. Die Übergangsperiode (1945–1948) 253
11. Stalinismus und Entstalinisierung (1949–1956) 278
12. Der andere Staatssozialismus (1956–1970) 301
13. Polen um 1965 319
14. Der Bigoskommunismus (1971–1980) 340
15. Das Jahrzehnt der Solidarnos´c´ (1980–1989) 360
16. Das neue Polen: Demokratie, Unabhängigkeit und Transformation (1989–2004) 383
Schluss 410
Anhang 413
Abkürzungsverzeichnis 415
Anmerkungen 453
Zitierte Literatur und Quellen 471
Glossar 475
Personenregister 477
Karten 481

ERSTER TEIL
1890–1918


1. Polen um 1900


«Wo liegt Polen?», diese Frage war gegen Ende des 19. Jahrhunderts alles andere als einfach zu beantworten. «Die Grenzen Polens, jene Plätze, wo es endet, wo es an andere Gebiete grenzt – wer kann sie heute fehlerlos aufzeigen?», fragte etwas später die junge Schriftstellerin Maria Dąbrowska. «Unsere Grenzen – die haben wir doch fast vergessen! Wenn wir ‹Polen, Polen …› sagen, wissen wir nicht einmal, was für ein Gebiet wir meinen, wo es endet, wie weit es reicht. […] Die Grenzen der Rzeczpospolita Polska sind vor über hundert Jahren in drei fremde Staaten hineingesickert, von ihnen aufgesogen und gefressen worden. Unsere Feinde haben alles getan, um deren Spuren zu verwischen.»[1] Dąbrowska wollte in dem hier zitierten Büchlein vor allem den jungen und weniger gebildeten Lesern einen Überblick über die wichtigsten Daten der Gegenwart Polens verschaffen; dies schien ihr angesichts der weit verbreiteten Unwissenheit bitter nötig.

Die alte «Republik» (Rzeczpospolita, Res publica) war mit den Teilungen Polens der Jahre 1772, 1793 und 1795 von der europäischen Landkarte getilgt worden. Der Wiener Kongress teilte die ehemals polnischen Gebiete 1815 neu auf. Russland erhielt mehr als vier Fünftel, Österreich rund ein Zehntel, Preußen acht Prozent (vgl. Karte I). Die Provinzen des Großfürstentums Litauen im Nordosten und Osten fielen wie die südöstlichen Teile des alten Königreichs an Moskau. In der Folgezeit wurden sie von den Polen als die «weggenommenen Gebiete» (ziemie zabrane) bezeichnet, worunter eine riesige, von der Ostsseeküste bis zu den zentralukrainischen Gouvernements reichende Landmenge verstanden wurde.[2]

Die zentralpolnischen Teile wurden im Königreich Polen vereinigt, das durch Personalunion mit dem Zarenreich verbunden war, völkerrechtlich aber keinen Bestandteil des russischen Imperiums bildete und in den ersten 15 Jahren nach dem Wiener Kongress tatsächlich über eine weitgehende Autonomie verfügte. Südpolen blieb als nominelles Königreich Galizien und Lodomerien ebenso bei der Habsburgermonarchie wie das Herzogtum Schlesien (der südöstliche Zipfel des historischen Schlesien, der bereits vor den Teilungen nicht mehr zu Polen gehört hatte). Die auf dem Wiener Kongress gebildete Krakauer Republik wurde 1846 ebenfalls der Monarchie einverleibt. Innerhalb des preußischen Teilungsgebiets entstanden das Großherzogtum Posen, das anfänglich einen autonomen Status genoss, sowie die Provinz Westpreußen. Das Ermland war in Ostpreußen aufgegangen.

Im Verlauf des 19. Jahrhunderts kam es – vor allem infolge der Aufstände von 1830/31, 1846, 1848 und 1863 – zu mehreren Veränderungen, die jedoch die Grenzen zwischen den Imperien der Teilungsmächte nicht tangierten. Die Autonomie des Königreichs wurde bereits 1831 auf einen Restzustand reduziert, der mit Geist und Buchstaben der Bestimmungen des Wiener Kongresses kaum etwas gemeinsam hatte. Als gleichwertige – und im deutschen Sprachraum bald dominierende – Bezeichnung für das ehemalige Königreich setzte sich langsam der umgangssprachliche Begriff Kongresspolen durch. 1874 starb der letzte russische Statthalter im Königreich. Seine Nachfolger, deren Sitz das Warschauer Königsschloss blieb, führten nur noch den Titel eines Generalgouverneurs. Zwei Jahre später wurde die letzte Behörde aufgelöst, die an die faktisch längst erloschene Autonomie erinnerte; die Russifizierung war bereits seit der Niederlage des Aufstands von 1863 in vollem Gange. Der besondere Status des Groß herzog tums Posen innerhalb Preußens wurde ab 1830 systematisch ausgehöhlt und dann gänzlich abgeschafft. Nach der Gründung des Deutschen Reiches begann eine Germanisierungspolitik, die über Kulturkampf, Schul-, Sprachen- und Bodenstreit zu einer hoffnungslosen Verhärtung der Fronten zwischen den «Preußen polnischer Zunge» und dem Staat führte. In umgekehrter Richtung entwickelte sich das Verhältnis zwischen der habsburgischen Teilungsmacht und deren polnischen Untertanen: Der Höhepunkt der Auseinandersetzungen war in den 1850er Jahren überschritten, zwischen 1867 und 1873 kam es zu einem – gesetzlich nicht verankerten – Ausgleich zwischen Wien und der polnischen Aristokratie, der nun faktisch die Selbstverwaltung Galiziens anvertraut wurde. Die rasche Polonisierung von Verwaltung, Schul- und Hochschulwesen machte das Kronland zu einem «polnischen Piemont». In diesem Schlagwort fand die Hoffnung auf eine künftige, von Galizien ausgehende Einigung Polens ihren Ausdruck. Der Unterschied zu Italien bestand darin, dass die galizischen Eliten ihre Loyalität gerade gegenüber einem Habsburger zu einem Grundsatz politischen Denkens und Handelns erhoben. Und Franz Joseph hatte den Polen zwar die Macht über Galizien faktisch übertragen, dachte jedoch weder in den 1860er Jahren noch später daran, die «polnische Frage» neu aufzurollen.

Die Frage, wo Polen um 1900 lag, war aber nicht nur wegen der Teilung des Landes schwer zu beantworten. Im Zeitalter des Nationalismus waren auf dem Gebiet der Alten Republik neue Nationen entstanden – vor allem Ukrainer und Litauer, im Nordosten die Letten; nur im Fall der Belarussen konnten selbst aufmerksame Beobachter bei der dortigen Bauernschaft nicht einmal Ansätze zu einer Nationsbildung feststellen. Die Juden blieben ein Sonderfall, aber auch sie erlangten infolge der Emanzipation eine Bedeutung, die noch wenige Generationen vorher unvorstellbar war. Abgesehen von Letzteren erhoben alle anderen Nationen Ansprüche auf Gebiete, die vor 1772 zur Adelsrepublik gehört hatten – ganz abgesehen von den Teilungsmächten, denen das ehemalige Polen rechtlich und faktisch gehörte.

Darüber hinaus waren im Zeitalter von Modernisierung und Industrialisierung überall – obwohl äußerst ungleichmäßig verteilt – neue Schichten und Zentren entstanden. Die enormen Unterschiede in der wirtschaftlichen Entwicklung zeigten nachdrücklich, wie sehr sich die einzelnen Landesteile voneinander entfernt hatten. Die Angaben über Urbanisierung oder Schulbildung weisen in dieselbe Richtung, wobei sie keineswegs der Chronologie der Fabrikgründungen folgen mussten. Vor diesem Hintergrund gewann die Frage «Was ist Polen?» eine Bedeutung, die nur vom Unvermögen übertroffen wurde, die Wirkung der zentrifugalen ökonomischen und sozialen Prozesse auf die – von den Außenministerien der Großmächte längst archivierte – «polnische Frage» präzise zu erfassen. Und schließlich stellte sich den zeitgenössischen Politikern, Publizisten und Wissenschaftlern vor 1914 noch eine Kardinalfrage: Wenn Europa ohne Polen so große Fortschritte machen konnte, wie dies in den letzten Jahrzehnten der Fall gewesen war – wie konnte man dann darauf bestehen, dass der mittlerweile mehr oder weniger vergessene Staat ebenfalls einen Platz auf der europäischen Landkarte verdiene?

Die viergeteilte Gesellschaft: Differenzen und Gemeinsamkeiten

Es sind die zahlreichen und oft fundamentalen Unterschiede, die in den Lebenswelten der Menschen in den altpolnischen Gebieten zu Beginn des 20. Jahrhunderts am stärksten auffallen. Selbst das Klima war unterschiedlich. Der südöstliche Teil (das Gouvernement Podolien, aber auch Ostgalizien) war vom Schwarzen Meer beeinflusst, Kurland und Westpreußen dagegen von der Ostsee. Auch zivilisatorisch gehörten die ehemaligen Bestandteile der Adelsrepublik zu unterschiedlichen Welten. Die Bevölkerungsdichte in den Westprovinzen des Zarenreiches lag um 1910 (ohne die südwestlichen Gouvernements in der Ukraine) mit 42 Personen pro km2 weit unter den mittel- oder ostmitteleuropäischen Durchschnittswerten (Deutschland 120, Ungarn 65). Kongresspolen und Galizien mit einer Dichte von ca. 100 Personen pro km2 schlossen an die damaligen Standards zumindest in diesem Bereich an, das Herzogtum Schlesien mit knapp 200 Personen pro km2 gehörte nicht nur hinsichtlich der Bevölkerungsdichte zu den am besten entwickelten Teilen Ostmitteleuropas.[3] Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts hatte sich die Gesamtzahl der Bewohner der drei Teilungsgebiete und Oberschlesiens auf 26 Millionen verdoppelt, im Osten waren die Ergebnisse der demographischen Revolution noch eindrucksvoller.

Im 19. Jahrhundert veränderten sich nicht nur die Bevölkerungszahlen, sondern auch die soziale Struktur grundlegend. Der besitzlose Adel hatte überall seine Privilegien verloren. Stellte er vor den Teilungen sieben bis acht Prozent der gesamten Bevölkerung, waren inzwischen viele zu Bauern deklassiert worden oder in die Stadt abgewandert. Ende des Jahrhunderts gehörten nicht mehr als ein Prozent der Bevölkerung der noch immer privilegierten Schicht an, im Westen sogar weniger.[4] An der Spitze der sozialen Hierarchie befand sich weiterhin die Aristokratie, gefolgt von den Gutsbesitzern (ziemiaństwo), aber auch innerhalb dieser Schicht war es zu gewaltigen Veränderungen gekommen. 1912 stellten reiche Juden in Galizien mehr als ein Fünftel der Eigentümer der Tafelgüter (Großgrundbesitzer). Unter den...

Erscheint lt. Verlag 1.7.2016
Zusatzinfo mit 9 Karten
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Regional- / Landesgeschichte
Geisteswissenschaften Geschichte
ISBN-10 3-406-69339-3 / 3406693393
ISBN-13 978-3-406-69339-7 / 9783406693397
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