Das stählerne Geheimnis (Dystopie-Klassiker) (eBook)
235 Seiten
e-artnow (Verlag)
978-80-268-6466-0 (ISBN)
»Der Strang steht, Roddington! Steht hoffentlich unversehrt.«
Noch während der Doktor es sagte, gingen seine Finger zum Schaltknopf des Echolotes. Ein Druck, ein Knall, der Zeiger des Tiefenmessers lief über die Skala, blieb zitternd auf der »Dreizehn« stehen. Der Doktor kniff die Lider zusammen, als wolle er schärfer sehen, fragte dann.
»Täuschen mich meine Augen, Mr. Roddington? Ich lese dreizehn ab, nicht fünfzehn Kilometer.«
Roddington beugte sich dichter über die Skala. »Sie haben richtig gesehen, Doktor Wegener. Es sind dreizehn Kilometer.«
Zum zweiten, zum dritten und auch zum vierten Male ließ der Doktor den Apparat arbeiten. Drei neue Lotungen; jede von ihnen ergab den gleichen Wert wie die erste. Dreizehn Kilometer war die See an der Stelle tief, wo das Rohr stand.
»Verstehen Sie, wie das möglich ist, Doktor?« fragte Roddington.
Der Doktor hatte sich in den Stuhl vor dem Instrumententisch fallen lassen und wühlte mit beiden Händen in seinem Schopf. Erst nach minutenlangem Grübeln gab er Antwort.
»Es ist wunderbar, Roddington. Über alle Maßen wunderbar und unbegreiflich. Das obere Ende des Stranges hat sich um kein Meter verschoben, aber der Seeboden, in dem das Rohr steckt, ist zwei Kilometer flacher geworden … Er muß es geworden sein, denn das Lot ist zuverlässig. Nur eine Erklärung vermag ich zu finden. Von allen Seiten her muß sich der Boden zu der tiefsten Stelle hin, an die wir den Strang stellten, herangeschoben haben, ohne das Rohr mit in die Höhe zu nehmen. Unfaßlich bleibt mir, wie das geschehen konnte.«
James Roddington war tief erblaßt. Seine Knie zitterten, kraftlos ließ auch er sich in einen Sessel sinken. Noch niemals, seitdem die beiden zusammen arbeiteten, hatte Dr. Wegener ihn so verzweifelt und niedergebrochen gesehen.
»Ich fürchte, Doktor Wegener, alles ist verloren«, kam es tonlos von seinen Lippen. »Der fürchterliche Druck … der entsetzliche, unberechenbare Druck, den die heranschiebenden Magmamassen des Seebodens ausgeübt haben … unmöglich, daß das Rohr ihm widerstehen konnte … Ich hab’s gewagt, das Spiel ist verloren. Es war vergeblich, was ich versuchte.«
Der Doktor legte dem Zusammengesunkenen die Hand auf die Schulter. »Kopf hoch, Roddington! So schnell gebe ich das Spiel nicht verloren. Sie sagten selbst, der Gesteinsdruck ist unberechenbar. Mit dreifacher Sicherheit habe ich das Rohr gegen den Wasserdruck berechnet. Vielleicht bleibt die Beanspruchung in dieser Grenze.«
»Ich glaube es nicht, Doktor. Ich kann es nicht glauben«, stöhnte Roddington, »… ein Felsengebirge … zweitausend Meter hoch … keine Stahlwand könnte solchem Druck widerstehen.«
»Kopf hoch, Roddington!« Dr. Wegener gab ihm einen kräftigen Schlag auf die Schulter. »Erst sehen und nicht verzweifeln!«
Roddington sah ihn mit abwesenden Blicken an. »Ich sollte jetzt nach Washington, Doktor. Sollte Harding mündlich berichten, wie weit wir gekommen sind. Was soll ich ihm nun sagen?«
»Sagen Sie gar nichts, Mr. Roddington. Bleiben Sie hier! Funken Sie ihm nur, daß der Strang steht und daß die Arbeiten weitergehen.«
»Und danach, Doktor? Wenn wir an die Stelle kommen, wo das Rohr zusammengequetscht, ungangbar ist? Was soll ich dann sagen?«
Dr. Wegener war aufgestanden.
»Nicht unnütz grübeln, Roddington! Wir wollen arbeiten, Tag und Nacht arbeiten, daß wir schnell in die Tiefe kommen, alles weitere müssen wir heute noch der Zukunft überlassen. Vielleicht, Mr. Roddington … ich sage es nicht als einen leeren Trost für Sie … vielleicht war dies zweite Seebeben Ihren Plänen sogar förderlich. In wenigen Tagen werden wir es wissen.« –
Und dann lag Roddingtons Werkflotte wieder an ihrer alten Stelle um den Rohrstrang herum, und andere Maschinen und andere Werkleute waren an der Arbeit, um die Förderanlagen in das Riesenrohr einzubauen. Fördermaschinen und Förderschalen, mit denen Menschen zum erstenmal in bisher noch niemals erreichte Tiefen hinabsteigen wollten.
Fünfzehn Kilometer tief war der gigantische Schacht, den Roddington in den Ozean und den Seeboden abgesenkt hatte, fünfmal tiefer als die tiefsten bisher auf der Erde existierenden Schächte. Unmöglich war es natürlich, diese gewaltige Strecke in durchgehendem Betrieb mit einem Förderseil zu durchfahren. Keine Trosse, und wäre sie auch aus Roddingtons bestem Stahl geflochten, hätte solcher Beanspruchung standgehalten. Deshalb war der riesige Schacht unterteilt. Wie dicke Knoten in einem Bambusrohr saßen fünf stählerne Hohlkugeln in dem Strang. In Abständen von je zweitausendfünfhundert Meter hatte man sie zwischen die Rohrlängen während der Absenkung eingefügt.
Meisterstücke der Gießkunst waren diese Kugeln. In genialer Planung hatten Dr. Wegener und Roddington die ersten Zeichnungen dazu entworfen. Monate hindurch hatten die besten Konstrukteure des Trentonwerkes nach diesen Entwürfen auf dem Reißbrett weitergearbeitet, bis schließlich in den Gießgruben aus edelstem Stahl jene wunderbaren Gebilde entstanden, die jetzt, tief in den Ozean versenkt, zu Teilen des gewaltigen Rohrstranges geworden waren. Äußerlich glatte Kugeln, doch im Innern mit all dem vielen Neuen ausgerüstet, das abweichend von allem Bisherigen zur Beherrschung der riesigen Tiefe notwendig wurde.
Umsteigestationen sollten diese Kugeln unter anderem werden zwischen je zwei übereinanderliegenden Fördereinrichtungen. In der oberen Kugelhälfte landete der Förderkorb der oberen Anlage, der aus zweitausendfünfhundert Meter Höhe herunterkam, aus ihrer unteren Hälfte ging die Förderschale der nächsten Anlage ab, um Menschen und Material zu der nächsten zweitausendfünfhundert Meter tiefer gelegenen Kugel zu bringen.
Bis auf die letzte Schraube und den letzten Feilstrich fertig, kamen sechs Förderanlagen von Trenton her über die See, und kaum lagen ihre Teile auf der Arbeitsbühne der Werkflotte, als auch schon mit dem Einbau begonnen wurde.
Seine fähigsten Ingenieure aus Trenton und die erfahrensten Spezialisten, die er in der Union auftreiben konnte, hatte Roddington zu diesem Zweck versammelt. Verwegene Gesichter waren darunter, die in den Kupfergruben von Colorado, den tiefsten Schächten der Welt, gearbeitet hatten. Verwitterte, ausgedörrte Gestalten, die alle Schrecken der Tiefe kannten. Leute, die mit dem Tode auf du und du standen.
Ein Tagelohn von zweihundert Dollar hatte sie dem Rufe Roddingtons willig folgen lassen, erwartungsvoll und tatendurstig waren sie über den Pazifik hierhergekommen, aber sie erschraken doch, als sie hörten, worum es hier ging. –
»Was Sie sagen, Mr. Roddington, ist ein Ding der Unmöglichkeit«, erklärte Bergingenieur Larking, der die Förderanlage der Anaconda-Mine gebaut hatte. »Auf dem halben Wege … nein, auf dem dritten Teil des Weges werden sie schon verbrennen, die Rechnung ist sehr einfach. Auf je hundert Meter Tiefe steigt die Temperatur um drei Grad Celsius. Vierhundertfünfzig Grad Wärme, gute Rotglut, werden Sie in fünfzehntausend Meter Tiefe haben.«
»Ihre Rechnung ist blödsinnig, mein Lieber«, mischte sich Dr. Wegener in die Debatte. »Noch blödsinniger als blödsinnig.«
Der lange hagere Larking sah ihn giftig an und hob die Linke, als ob er im nächsten Augenblick zuschlagen wolle. Aber da umspannte die Rechte des Doktors schon sein Handgelenk, und eine unwiderstehliche Gewalt zwang Mr. Larking, sich auf einen Stuhl zu setzen, während Dr. Wegener wie in einem wissenschaftlichen Vortrag fortfuhr.
»Seewasser ist kein Gestein, mein Teuerster. Es ist kalt da unten, schandbar kalt sogar. In fünfzehn Kilometer Tiefe dürfte der Ozean eine Temperatur von drei Grad unter Null haben. Mit Ihrer Rotglut ist es Essig.«
Larking rieb sich sein Handgelenk und schaute verdutzt auf den komischen deutschen Doktor, der ihm mit ein paar Worten alle seine Theorien über den Haufen warf.
»Well, Sie meinen, Mister Doktor …«, war alles, was er in seiner Überraschung hervorbringen konnte.
»Ich meine in der Tat, dear Sir. Das ist ja gerade der Witz bei der Sache, daß wir hier im Ozean eine Tiefe von fünfzehn Kilometer erreichen konnten, ohne durch die Erdwärme behindert zu werden. In festem Boden wäre es natürlich unmöglich gewesen. Da wären wir, wie Sie richtig bemerkten, schon auf halbem Wege in unerträgliche Glut geraten.«
Mr. Larking bewegte den Mund, als ob er an einem zähen Bissen kaute. Es bedurfte einiger Zeit, bis er die Mitteilung des Doktors verdaut hatte. Bruchstückweise wiederholte er einige von dessen Worten.
»Keine Erdwärme, Mister Doktor? … Runter bis auf fünfzehn Kilometer Tiefe … großartige Sache! … Freue mich, daß ich dabeisein kann … aber wie wird’s nachher, wenn Sie etwa noch weiter ins Gestein rein wollen?«
Dr. Wegener unterbrach ihn mit einer Handbewegung.
»Das kommt später, Mr. Larking. Vorläufig handelt sich’s um den Rohrstrang, und da wird’s vielleicht auch noch Überraschungen geben. Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, was für ein Luftdruck auf dem Boden eines fünfzehn Kilometer tiefen Schachtes herrscht?«
Mr. Larking wurde der Antwort durch das Dazwischentreten eines Ingenieurs enthoben, der Dr. Wegener meldete, daß die erste Förderanlage eingebaut und betriebsfertig sei. Der Doktor ließ Mr. Larking stehen und eilte mit Roddington zu dem Schacht.
Es wurde bereits früher gesagt, daß das oberste Rohr mit einem besonders starken Holzmantel umgeben war. Er bildete mit seinem oberen Ende eine runde Plattform von etwa vierzig Meter im Durchmesser. Auf einer Laufbrücke gingen...
Erscheint lt. Verlag | 21.5.2016 |
---|---|
Verlagsort | Prague |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
Schlagworte | Der Marsianer • Frank Herbert • George Orwell • John Grisham • Jules Verne • Phillip P. Peterson • Stanislaw Lem • Stephen King • Stieg Larsson • Veronica Roth |
ISBN-10 | 80-268-6466-2 / 8026864662 |
ISBN-13 | 978-80-268-6466-0 / 9788026864660 |
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |

Größe: 537 KB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich