Nadjas Katze (eBook)

Ein Berndorf-Roman
eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
448 Seiten
btb (Verlag)
978-3-641-18196-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Nadjas Katze -  Ulrich Ritzel
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Privatermittler Berndorf ermittelt in eigener Sache ...
Auf der Suche nach vergessenen Autoren - ihrem Hobby - entdeckt die pensionierte Lehrerin Nadja Schwertfeger in einem Antiquariat ein Heft mit einer Erzählung über das Kriegsende 1945. Stunden vor dem Einmarsch der US-Army hören in einem kleinen Dorf Einheimische, Flüchtlinge und versprengte Soldaten gemeinsam die Rundfunkübertragung zu Hitlers bevorstehendem 56. Geburtstag. Doch als der Strom ausfällt, läuft die Zusammenkunft aus dem Ruder ... Eine Erfindung?

Nadja stolpert über ein seltsames Detail: die Beschreibung einer schwarzen Stoffkatze mit rosa Tatzen. Sie selbst besitzt eine solche Stoffkatze - es ist die einzige Verbindung zu ihrer Mutter, die ihr dieses Kuscheltier mitgegeben hat, als sie sie nach Kriegsende einer anderen Frau überließ. Nadja beschließt zu recherchieren. Hat es ein solches Dorf - wie in der Erzählung beschrieben - wirklich gegeben? Bald scheint sie tatsächlich fündig zu werden. Doch niemand in dem Dorf will mit ihr reden. Schließlich wird sie auf jemanden verwiesen, der hier ebenfalls aufgewachsen ist und später Polizist wurde: Es ist der ehemalige Kriminalkommissar Hans Berndorf, den sie dazu überredet, mit ihr auf eine Zeitreise zu gehen, die in den wenigen Stunden kulminiert, in denen das Dritte Reich bereits zusammengebrochen ist und die Menschen, gleichermaßen von Angst und neuer Lebenshoffnung erfüllt, auf die Ankunft der Sieger warten. Es wird auch eine Zeitreise in Berndorfs eigene Kindheit ...

Ulrich Ritzel, geboren 1940, aufgewachsen auf der Schwäbischen Alb, arbeitete mehr als drei Jahrzehnte als Journalist und wurde 1980 mit dem Wächterpreis der deutschen Tagespresse ausgezeichnet. Mit dem Roman 'Der Schatten des Schwans' debütierte er 1999 als freier Autor. Aus der Reihe seiner Romane um den Kommissar Berndorf erhielten 'Schwemmholz' und 'Beifang' den Deutschen Krimi-Preis, 'Der Hund des Propheten' den Preis der Burgdorfer Krimi-Tage. Ulrich Ritzel lebt mit seiner Ehefrau Susanne und seinen beiden Hunden seit 2008 in der Schweiz.

Die Nachtwache des Soldaten Pietzsch

Einer dieser Vorfrühlingsabende zog herauf, an denen es lange nicht Nacht werden will. Die bewaldeten Hügelketten im Westen sahen aus, als hätte man sie aus schwarzem Seidenpapier ausgeschnitten und vor das letzte Licht der untergegangenen Sonne gespannt. Nur im Südwesten stand vor dem allmählich fahl werdenden Himmelsblau noch immer scharf umrissen der dunkle Rauchpilz, der dort schon am Morgen aufgestiegen war.

Pietzsch ließ das Fernglas sinken und betrachtete die Straße, die sich wie ein graues Band durch das Tal schlängelte und unten am Dorf vorbeiführte. Ein steiler Fußweg führte von der Straße zum Dorf hinauf, vorbei an der Barrikade aus eilig zurechtgehauenen Baumstämmen. Zwei Kameraden aus Pietzsch’ Zug hielten hier Wache, der eine war ein in eine Uniformjacke gezwängter Buchhalter, der andere ein halbes Kind, keine siebzehn Jahre alt, beiden hatte man einen Karabiner in die Hand gedrückt, und so waren sie Soldaten. Pietzsch sagte ihnen, dass sie um Mitternacht abgelöst würden. Aber kaum dass er das gesagt hatte, duckte er sich, zwei Jabos waren am Horizont aufgetaucht, kurvten über das Dorf hinweg, drehten wieder nach Westen ab und gingen heulend in den Tiefflug über.

Pietzsch wartete, dann hörte er – nicht sehr laut – Einschläge, offenbar hatten die Jabos ein Angriffsziel entdeckt. Die Bahnlinie? Das wäre seltsam, dachte er. Ein oder zwei Tage noch, und sie würde dem Feind von Nutzen sein. Er zuckte mit den Schultern, wandte sich ab, stieg zum Schulgarten hinauf und ging an den abgedeckten Beeten vorbei und über den Pausenhof zurück zum Schulhaus, einem großen hellen Gebäude, das wohl erst in den letzten Jahren vor dem Krieg errichtet worden war. Das Schulzimmer lag im Erdgeschoss, aber die Bänke hatte man herausgetragen und im Vorraum gestapelt, um Platz für Strohschütten zu schaffen. Pietzsch’ Männer – oder was von ihnen noch übrig war – kampierten jetzt dort und waren dabei, sich aus den im Dorf erbettelten Resten einen Eintopf zu kochen; als Herd diente der Kanonenofen in der Ecke des Schulzimmers, und der Geruch nach Kohl und gestocktem Fett zog sich über den Schulhof.

Pietzsch betrat den Vorraum. Rechts von der Tür befand sich an der Wand ein steinernes Waschbecken mit einem Wasseranschluss, eine Frau stand davor und füllte einen Eimer mit Wasser. Er sah ihr zu und ertappte sich dabei, wie seine Augen über die Hüften und den Rücken glitten, der schlank war wie der eines Mädchens. Die Frau spürte, dass sie beobachtet wurde, stellte das Wasser ab und drehte sich zu Pietzsch um. Sie war noch jung, aber schon lange kein Mädchen mehr, trug ein dunkles kurzärmeliges Kleid und sah anders aus als die Frauen aus dem Dorf, aber auch nicht so, als gehöre sie zum Haushalt des Lehrers in der ersten Etage. Ein Flüchtling, dachte Pietzsch, oder sollte man sagen: eine Flüchtlingin? Das hörte sich merkwürdig an.

»Guten Abend«, sagte sie, das war schon wieder seltsam, aber es störte Pietzsch nicht weiter. Sollen die Leute neuerdings oder künftig grüßen, wie sie wollen! Er hob kurz die Hand, das mochte durchgehen als was auch immer. Er wollte wissen, ob sie hier im Schulhaus wohne, und sie sagte, »ja, ganz oben, da sind noch zwei Dachkammern, wissen Sie?«

»Wie ist das eigentlich …«, fuhr sie fort, hob den Eimer von dem steinernen Waschbecken herab und warf ihm aus dem schmalen, im Licht der Dämmerung verschatteten Gesicht einen scharfen Blick zu, »da unten am Dorfeingang hat man so Balken auffahren lassen … Sie werden sich da also verschanzen und den Feind zurückschlagen, ja? Es geht mich ja nichts an, aber wenn es wirklich losgeht, wäre ich mit meinem Sohn nicht gerne da oben.« Sie deutete zum Dach hinauf.

Pietzsch schüttelte unwillig den Kopf. Die Zeit war noch nicht vorbei, in der einen solche Fragerei um Kopf und Kragen bringen konnte – der Bluthund Schelmer und seine Schergen fuhren noch immer umher, vor ein paar Tagen waren Pietzsch und seine Leute durch ein Dorf gekommen, da war die Leiche einer Frau an einen Baum gebunden, mit dem Schild um den Hals: Ich bin eine Verräterin. Und niemand traute sich, sie loszubinden und ihr wenigstens ein Grab zu geben. »Nicht heute«, sagte er dann, »noch nicht morgen. Aber gehen Sie morgen Abend mit dem Kind in einen Luftschutzkeller. Muss es ja geben hier im Dorf.«

»Danke.« Im Dämmerlicht ahnte er die Andeutung eines Lächelns. »Und was dann kommt – sind das Franzosen oder Amerikaner?« Das Lächeln war verschwunden.

»Zuerst wohl Amerikaner. Aber bei denen passieren auch Dinge, da ist das Kind dann besser nicht dabei.« Er versuchte, ihr in die Augen zu sehen, aber in dem dämmrigen Licht des Vorraums ging das schlecht. Sie bückte sich und wollte den Eimer aufnehmen, »lassen Sie nur«, meinte Pietzsch und streckte die Hand aus. Die Frau zögerte und hob ein wenig die Augenbrauen. »Wir Frauen werden lernen müssen, noch ganz andere Sachen zu schleppen …«

»Wenn es so kommen sollte, dann kommt es früh genug«, antwortete Pietzsch und durfte den Eimer dann doch hochtragen, vorbei an der Lehrerswohnung, eine Holzstiege hinauf auf den Dachboden. Die Frau öffnete eine Tür und ging ihm voraus, er folgte ihr, beim Vorbeigehen sah er einen Zettel, mit einer Reißzwecke in Augenhöhe an die Tür geheftet, auf dem stand wohl ein Name, aber im Treppenhaus war es zu dunkel, um es genauer zu erkennen. Pietzsch trat in eine Kammer, in der Kartons gestapelt waren. Durch ein Mansardenfenster, das nach Norden ging, fiel dämmriges Licht; auf einem Holztisch stand Geschirr, daneben eine Spülschüssel und eine elektrische Kochplatte. Die Frau wies auf einen Hocker, auf dem er den Eimer abstellen konnte. Er wandte sich ihr zu, für einen Augenblick standen sie sich gegenüber, dann öffnete sich die Tür einer zweiten Kammer, und ein Bub – vielleicht vier oder fünf Jahre alt – erschien im Türrahmen, die Klinke in der Hand, und betrachtete ihn mit aufmerksamem, fast prüfendem Blick. »Das ist Lukas«, sagte die Frau, und – zu dem Buben gewandt –, dass der Soldat ihr den Eimer hochgetragen habe. Der Bub ließ die Klinke los und kam zu Pietzsch und reichte ihm die Hand und neigte dabei den Kopf. – Pietzsch brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, dass Lukas gerade einen Diener gemacht hatte.

»Haben Sie kein Gewehr?«, fragte der Bub und ließ die Hand los. In diesem Alter siezen einen Kinder doch nicht, dachte Pietzsch und meinte, das Gewehr sei beim Tragen von Wassereimern eher hinderlich. »Überhaupt ist es einem eigentlich immer nur im Weg, weißt du«, fuhr er fort. Aber Lukas sah ihn nur streng an, und ging dann zurück in die zweite Kammer, zu einem Tisch, der dort an das Mansardenfenster geschoben war.

Sie könne ihm leider nichts anbieten, sagte die Frau, höchstens eine Tasse Pfefferminztee. »Wollen Sie? Vorausgesetzt, wir haben noch Strom.« Pietzsch bedankte sich, ja doch, eine Tasse Tee wäre wunderbar, und die Frau schaltete die Kochplatte ein und legte prüfend die Hand darauf. Offenbar erwärmte sich die Platte, und so schöpfte sie aus dem Eimer zwei oder drei Tassen Wasser in einen kleinen Aluminiumtopf und setzte ihn auf. Mit der Hand wies sie einladend in die zweite Kammer, die offenbar das Wohnzimmer war, und Pietzsch setzte sich an den Tisch vor dem Fenster, durch das man in der Dämmerung draußen die Fichten sah, die sich am Rande des Schulhofs erhoben. In dem Zimmer standen zwei Betten mit Tagesdecken, an jeder Seitenwand eines. Außerdem gab es einen Kanonenofen, und auf dem Tisch lagen Wörterbücher, ein deutsch-französisches und ein deutsch-englisches, außerdem eine englische Grammatik. Ja doch, dachte er schwerfällig, wer damit umgehen kann, für den wird so etwas wohl bald von Nutzen sein. Unauffällig sah er sich um, ob irgendwo eine Fotografie mit einem Trauerflor aufgestellt war, aber er entdeckte nichts. Ihm gegenüber spielte Lukas mit Bauklötzen, es waren nur vier oder fünf, zu wenige, um damit ein Haus oder sonst etwas zu bauen, und so stellte der Junge sie alle auf, bis auf einen, und mit dem stieß er die anderen dann um.

»Das ist aber ein ungerechter Krieg«, stellte Pietzsch fest. »Die einen fallen nur um und können sich gar nicht wehren.« Doch der Junge sah ihn nur trotzig an und zog mit beiden Händen seine Bauklötze zu sich her, als müsste er sie verstecken. Sie möge es nicht, dass er so etwas spiele, erklärte seine Mutter, die an den Tisch getreten war, aber viel anderes gebe es ja nicht.

Weiter kam sie nicht, denn von unten hörte man rasche Schritte, im Flur rief jemand nach Pietzsch, er erhob sich, blieb einen Augenblick stehen, zuckte mit den Achseln und verabschiedete sich dann. »Schade um den Tee«, sagte er noch, und die Frau meinte, die eine Tasse habe er gut bei ihr.

Unten im Hausflur stand der 17-Jährige und äugte suchend zu Pietzsch hoch, als dieser die Treppe herunterkam. »Da ist einer gekommen, der sagt, er sei der Kampfkommandant.« Pietzsch runzelte die Stirn, dann ging er die Treppe zum Schulzimmer hinunter und auf den Hof hinaus. Ein schwerer, massiger Mann in Zivil, bebrillt, das Gesicht rußverschmiert, mit einer Wehrmachtsmütze auf dem Kopf, kam hinkend auf ihn zu und warf die Hand mit der nachlässigen, im Handgelenk nach hinten abknickenden Geste hoch, die nur den höheren Parteiführern vorbehalten war, auch wenn er es vorgezogen hatte, jetzt keine Parteiuniform zu tragen: Heilhittläh! Sein Sakko war von einer Militärkoppel eingeschnürt, an der eine Pistolentasche hing.

Ein Goldfasan also, dachte Pietzsch, zögerte kurz – eine Sekunde oder einen Bruchteil davon –, dann salutierte er und machte Meldung. Der Goldfasan hatte zwei oder drei Uniformierte im...

Erscheint lt. Verlag 25.4.2016
Reihe/Serie Berndorf ermittelt
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Schlagworte 2. Weltkrieg • Berndorf • Deutscher Krimipreisträger • Dorf • eBooks • Ermittlungen • Heimatkrimi • Hitler • Kommissar Berndorf • Krimi • Kriminalromane • Krimipreisträger • Krimis • Nationalsozialismus • Privatermittler • Roman • Spannung • Stoffkatze, Drittes Reich • Verbrechen • Zeitreise • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-641-18196-8 / 3641181968
ISBN-13 978-3-641-18196-3 / 9783641181963
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 3,8 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von Anne Freytag

eBook Download (2023)
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
14,99
Roman. Aus den Memoiren der Herbjörg María Björnsson

von Hallgrímur Helgason

eBook Download (2011)
Tropen (Verlag)
9,99
Band 1: Lebe den Moment

von Elenay Christine van Lind

eBook Download (2023)
Buchschmiede von Dataform Media GmbH (Verlag)
9,49