Lobbykratie (eBook)

Spiegel-Bestseller
Wie die Wirtschaft sich Einfluss, Mehrheiten, Gesetze kauft
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2016 | 1. Auflage
368 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-42873-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Lobbykratie -  Uwe Ritzer,  Markus Balser
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»Wer nicht mit am Tisch sitzt«, so heißt eine Lobbyistenregel aus den USA, »befindet sich auf der Speisekarte.« Lobbyismus benachteiligt diejenigen, die über geringere finanzielle Ressourcen verfügen. Und er schafft denen Vorteile, die viel einsetzen können. Die wachsende Lobbymacht starker Wirtschaftsakteure droht die Schwachen an den Rand zu drängen. Die Folge: ein Land, das den Starken gibt und den Armen nimmt. Die vielfach preisgekrönten Wirtschaftsjournalisten der Süddeutschen Zeitung, Markus Balser und Uwe Ritzer, zeigen Strukturen und Methoden eines alltäglichen Lobbyismus auf. Sie legen dar, wie Lobbyisten die Gesellschaft zu unterwandern und die Menschen in ihrem Sinne zu steuern suchen. »Anders als in anderen Lobbyismus-Büchern geht es uns nicht in erster Linie um einen engen Zirkel von Ex-Politikern, der für die Wirtschaft aktiv wird. Wir wollen das System dahinter aus dem Dunkel holen. Es geht darum, die Strategien professioneller Lobbyisten aufzudecken und so Sensibilität zu schaffen für eine Gefahr, die uns alle angeht.«

Uwe Ritzer, Jahrgang 1965, hat sich vor allem mit vielen investigativen Recherchen einen Namen gemacht. Dazu gehörten krumme Geschäfte in der Energiewirtschaft ebenso wie der Fall Gustl Mollath oder die Enthüllung des ADAC-Manipulationsskandals. Für seine Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet, unter anderem dem Wächterpreis, dem Nannenpreis und dem Helmut-Schmidt-Journalistenpreis. Als gebürtiger Franke und Wirtschaftskorrespondent der SZ mit Sitz in Nürnberg erlebte er den Aufstieg Söders über viele Jahre hautnah mit.

Uwe Ritzer, Jahrgang 1965, hat sich vor allem mit vielen investigativen Recherchen einen Namen gemacht. Dazu gehörten krumme Geschäfte in der Energiewirtschaft ebenso wie der Fall Gustl Mollath oder die Enthüllung des ADAC-Manipulationsskandals. Für seine Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet, unter anderem dem Wächterpreis, dem Nannenpreis und dem Helmut-Schmidt-Journalistenpreis. Als gebürtiger Franke und Wirtschaftskorrespondent der SZ mit Sitz in Nürnberg erlebte er den Aufstieg Söders über viele Jahre hautnah mit. Markus Balser, geboren 1973, studierte Volkswirtschaftslehre in Köln und besuchte parallel die Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft. Seit 2001 arbeitet er als Wirtschaftsredakteur für die "Süddeutsche Zeitung". Zunächst in München mit Schwerpunkten Technologie, Energie, Umwelt und Compliance. Zusammen mit Kollegen arbeitete er etwa die Wirtschaftsaffären bei Siemens (dafür ausgezeichnet mit dem Henri-Nannen-Preis), Infineon, EnBW oder auch Solar Millennium auf. Seit 2012 berichtet Markus Balser von Berlin aus über Wirtschaftspolitik für die "Süddeutsche Zeitung".

Prolog


Uran, Atommüll, nukleare Abrüstung, Gasfelder, Abwehrsysteme gegen nuklearen Terror – Andrej Bykow ist müde an diesem Spätsommerabend. Unten auf der Moskauer Ausfallstraße Dmitrovskoe Schosse tost der Verkehr. Weit oben im unscheinbaren, siebenstöckigen Bürogebäude serviert eine Angestellte Tee. Bykow, ein kleiner und gedrungener Mann Anfang 50 mit stets messerscharfem Seitenscheitel, legt erschöpft die Beine auf die Couch im kleinen Konferenzraum seiner Firma.

Ihm tut der Rücken weh, die langen Reisen zehren und gehen an die Substanz. Und er ist pausenlos unterwegs. Erst am Vormittag hat ihn sein Chauffeur im gepanzerten schwarzen SUV aus dem Süden Russlands zurück nach Moskau gebracht. Andrej Bykow hat reichlich zu tun.

Immer mehr westliche Konzerne heuern den Mann mit den hervorragenden Kontakten in den Kreml für ihre Geschäfte in und mit Ländern der früheren Sowjetunion an. Der zuvorkommende Russe, der sehr gut Deutsch spricht, sehr fromm und ein erklärter Fan des heiligen Nikolaus ist, ist in den vergangenen Jahren eine heimliche Allzweckwaffe der westlichen Wirtschaft im ehemaligen Sowjet-Reich geworden. Und nicht nur dort. Draußen wird es schon dunkel, als Andrej Bykow auf seiner Bürocouch beginnt, aus einer Schattenwelt zu erzählen. Aus seiner Welt.

Mal arbeitet er in Deutschland und Thailand, mal in Südafrika und der Schweiz – Andrej Bykow als umtriebig zu beschreiben griffe viel zu kurz. Er berät seine Kunden und ist ihr Kuppler. Einer, der Kontakte einfädelt und pflegt. Einer, der Türen öffnet und russische Entscheidungsträger im Sinne seiner Auftraggeber überzeugt – wie und womit auch immer. Am Ende steht meistens reicher Ertrag, für Bykows Kunden und für ihn persönlich.

Immer geht es um viel Geld, um Macht und um Einfluss. Mal soll Bykow deutschen Atommüll heimlich nach Russland schaffen oder nuklearen Brennstoff aus Beständen der Roten Armee für deutsche Kernkraftwerke besorgen. Ein anderes Mal muss er Interessenten Kontakte zum Ausbeuten von Gasfeldern verschaffen. Er sollte für deutsche Auftraggeber über Umwege im Ausland gar verhindern, dass der deutsche Atomausstieg so schnell, wie von der Politik geplant, vollzogen werden kann.

Der fromme Familienvater sinniert auf seiner Moskauer Bürocouch über gottgefälliges Leben, die russisch-orthodoxe Kirche, russische Geschichte und das Ende des Kommunismus. Er kann auch sonst viel erzählen. Wenn er will. Denn sein Tun ist in der Regel Geheimsache. Meist wissen selbst bei seinen Auftraggebern in den westlichen Konzernen nur kleine Zirkel davon, dass es ihn überhaupt gibt und in welcher Mission er unterwegs ist. Andrej Bykow muss laut lachen, wenn das Gespräch auf die Verschwiegenheit seiner Klienten kommt. Sie treibt manchmal kuriose Blüten, diese Diskretion. Ein Manager des Energieriesen Eon dankte dem Russen in einem überschwänglichen Brief für »18 Jahre Zusammenarbeit«. Als wir nachfragen und wissen wollen, was Bykow denn für Eon alles getan habe, reagiert der Konzern einsilbig. Es habe sich um einen rein persönlichen Kontakt zwischen dem Manager und Bykow gehandelt, so die wenig überzeugende Antwort. »Geschäfte mit Herrn Bykow gab und gibt es nicht.«

Viele andere Geschäftspartner mögen sich urplötzlich sogar überhaupt nicht mehr an den Namen des Russen erinnern, obwohl mancher Konzern mit ihm gerne und eifrig kommunizierte. Andrej Bykow hingegen hat ein ziemlich gutes Gedächtnis. EnBW, der Eon-Konkurrent und drittgrößte Energiekonzern hierzulande, hat ihn beispielsweise mit Aufträgen und mehreren Hundert Millionen Euro in seine Heimat Russland geschickt. Transparenz? Fehlanzeige. Die Geschäfte wurden über Umwege und die Schweiz abgewickelt. Auch das Geld floss selbstredend über lange als besonders geheim geltende Schweizer Konten. Fast die Hälfte der Zahlungen aus dem konservativen Konzern in Karlsruhe gingen an eine Stiftung Bykows mit dem schönen Namen »Heiliger Nikolaus der Wundertäter« – Satiriker und Karikaturisten hätten es sich nicht hübscher ausdenken können. Warum und wofür EnBW so viel Geld bezahlte, ist umstritten. Auch Staatsanwälte und Richter fragen sich das schon seit geraumer Zeit, ohne allerdings der Antwort bislang wirklich nahe zu kommen.

Andrej Bykow selbst sagt an jenem Abend in Moskau nur, was er sagen will und darf. Selbstkontrolle gehört zum Geschäftsprinzip. Dabei ist er ein eloquenter Mensch, schlagfertig und gewitzt, gedanklich blitzschnell, gerissen und hochintelligent. Ein Mann mit einem schier untrüglichen Gespür für sein Gegenüber. Und vor allem dafür, wie er dieses Gegenüber um den Finger wickeln und ihm das Gefühl geben kann, nur dessen Bestes zu wollen. Andrej Bykow ist Lobbyist.

Lobbyisten, das sind beileibe nicht nur die Pofallas und Niebels, die Wissmanns, Fischers und anderen ranghohen Politiker, die nach ihrer Karriere und ausgestattet mit dem entsprechenden Insiderwissen große Kasse machen als Interessenvertreter zahlungskräftiger Verkehrs-, Rüstungs-, Pharma-, Tabak- oder Automobilkonzerne oder Verbände. Solche Seitenwechsler fallen der breiten Öffentlichkeit auf. Nicht aber Leute wie Andrej Bykow. Lobby-Söldner, die deswegen niemand kennt, weil sie im Verborgenen, im Schatten von Wirtschaft und Politik arbeiten. Und die gerade deshalb sehr erfolgreich sind.

Von Interessenverbänden, Dienstleistungsagenturen oder Anwaltskanzleien aus, nicht selten aber auch als Einmann-Unternehmen, nehmen sie in Berlin und Brüssel, Paris und London, Moskau und Washington im Auftrag der Wirtschaft Einfluss auf Politik und Gesellschaft. Mal geht es um Atomdeals, mal um Plastiktüten. Mal um Milliardengeschäfte, mal um Details in Gesetzesvorhaben, mal um beides. Sie suchen diskrete Nähe zu den Mächtigen, organisieren in Parlamenten Mehrheiten im Sinne ihrer Auftraggeber. Ihr Ziel allerdings sind nicht mehr allein Mandatsträger und der Beamtenapparat. Immer häufiger ist es die Gesellschaft als Ganzes. Ins Visier geraten Meinungen und Wählerstimmen.

So kämpfen Lobbyisten in Klassenzimmern um die Vormacht in den Köpfen von Schülern. Sie sorgen dafür, dass Rauchen eine legale Sucht bleiben darf und nicht zu sehr sanktioniert wird. Sie beeinflussen, was auf Lebensmittelverpackungen stehen darf und was nicht. Sie torpedieren die Energiewende oder versuchen, sie in die Richtung ihrer zahlenden Kundschaft zu treiben. Sie mischen in Bürgerinitiativen mit und dirigieren dort als heimliche Handlanger im Sinne ihrer mächtigen Auftraggeber. Sie manipulieren den öffentlichen Willen, indem sie die Medien beeinflussen. Sie unterwandern Wissenschaft und Forschung, damit deren Ergebnisse so ausfallen, dass sie den Interessen ihrer Kundschaft dienen.

 

Lobbyismus – dem Ursprung nach ist das eigentlich eine transparente Angelegenheit. In der Lobby eines Parlamentssaales, dessen Vorraum also, bringen Bürger und Interessenvertreter ihre Anliegen bei den Abgeordneten vor, die dann alleine in den Saal gehen, dort alle Argumente diskutieren, abwägen und entscheiden. So sieht das Ideal aus, das mit der Wirklichkeit allerdings längst nichts mehr zu tun hat. Heute steht der Begriff Lobbyismus viel zu oft für eine Schattenwelt jenseits demokratischer Kontrolle.

Wer sich auf die Suche nach gut verstecktem Einfluss macht, erfährt von den Untiefen eines höchst diskreten Wirtschaftszweigs, der immer professioneller vorgeht – natürlich am liebsten hinter verschlossenen Türen und dicken Mauern. Und er stößt auf erstaunliche Netzwerke zwischen Lobbyisten und führenden deutschen Politikern. Man muss aber genau hinschauen und hinhören. Wie an einem festlichen Abend im Frühjahr 2015.

Die Kulisse bildet ein klassizistischer Prachtbau, Unter den Linden in Berlin. Geraffte bodentiefe Vorhänge, edle Hölzer an der Wand, prächtige Kronleuchter an der Decke – im prunkvollen Saal der russischen Botschaft bittet Heino Wiese seine Gäste Platz zu nehmen, als die Kolonne des deutschen Wirtschaftsministers und Vizekanzlers vorfährt. Vorbei an russischen Managern und eskortiert von Russlands Botschafter Wladimir Michailowitsch Grinin, betritt der Stargast des Abends das Podium. Die Rede zur Vorstellung eines neuen Russland-Buchs, in dem vier junge Autoren und Fotografen ein Land im Wandel wohlwollend porträtieren, hält der damalige SPD-Vorsitzende und Wirtschaftsminster Sigmar Gabriel persönlich – ein guter, alter Freund von Heino Wiese.

Kaum jemand in der breiten Öffentlichkeit kennt Heino Wiese, diesen unauffälligen Mann Mitte 60, der so oft an der Seite Gabriels und häufig auch an der von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder auftaucht. In der Schaltzentrale der politischen Macht in Berlin ist Wiese jedoch bestens verdrahtet. Er, Schröder und Gabriel kennen sich aus ihrer Heimat Niedersachsen und aus der Partei. Wiese war auch mal SPD-Politiker. Er schmiedete Wahlkampfpläne für Gerhard Schröder – und beriet Gabriel, als er noch Ministerpräsident war.

Dann wechselte Wiese in die Wirtschaft. Zuerst baute er für eine Modefirma das Russland-Geschäft auf. Dann machte er sich mit einer eigenen Beratungsfirma »Wiese Consult« selbstständig. Seine neuen Büros liegen in der Nähe des Brandenburger Tors. Die Agentur arbeitet nach eigenen Angaben »an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Politik, insbesondere in den Bereichen ›Internationale Geschäftsbeziehungen und Investments‹«.

Auf der Liste der Referenzen steht unter anderem der russische Stahlkonzern Severstal. Aber selbstverständlich geht es an diesem Abend in der russischen Botschaft nur um ein Buch. Denn Wiese ist manchmal auch Herausgeber. »Russland« steht in...

Erscheint lt. Verlag 25.4.2016
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Beruf / Finanzen / Recht / Wirtschaft Wirtschaft
Wirtschaft
Schlagworte deutsche Politik • Deutsche Wirtschaft • Deutsche Wirtschaftspolitik • Deutschland • Energiewirtschaft • Finanzwirtschaft • Gesetzgebung • Korruption • Landwirtschaft • Lobbyismus • Lobbyist • Manipulation • Öffentliche Meinung • Schulen • Wirtschaft • Wirtschaftsmanipulation • Wirtschaftspolitik
ISBN-10 3-426-42873-3 / 3426428733
ISBN-13 978-3-426-42873-3 / 9783426428733
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