Romeo und Romy (eBook)
491 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-74459-7 (ISBN)
Tief im Erzgebirge liegt das verschlafene Großzerlitsch, ein Ort zum Sterben schön. Was die Alten dort anscheinend wörtlich nehmen, denn auf dem Friedhof sind nur noch drei Plätze frei. Wer da zu spät stirbt, muss auf den Friedhof ins verfeindete Kleinzerlitsch, und dort liegen - wie jeder weiß - nur Idioten. Grund genug, den Weg unter die Erde mit ein paar kreativen Unfällen abzukürzen.
Als die gescheiterte Schauspielerin Romy in ihre Heimat zurückkehrt, sieht sie nur eine Chance, dem suizidalen Treiben ein Ende zu bereiten: Sie bauen zusammen aus einer alten Scheune ein elisabethanisches Theater. Und führen Romeo und Julia auf, das berühmteste Stück der Welt. Nur auf sächsisch ...
<p>Andreas Izquierdo, geboren 1968, ist Schriftsteller und Drehbuchautor. Er veröffentlichte u.a. den Roman <em>König von Albanien</em> (2007), der mit dem Sir-Walter-Scott-Preis für den besten historischen Roman des Jahres ausgezeichnet wurde, sowie den Roman <em>Apocalypsia</em> (2010), der den Lovelybooks-Leserpreis in Silber für das beste Buch 2010 erhielt und zum Buch des Jahres bei Vorab-lesen.de gewählt wurde. Zuletzt erschienen von ihm die Romane <em>Das Glücksbüro</em> (2013), <em>Der Club der Traumtänzer</em> (2014) sowie <em>Romeo & Romy</em> (it 4575).</p>
Andreas Izquierdo, geboren 1968, ist Schriftsteller und Drehbuchautor. Er veröffentlichte u.a. den Roman König von Albanien (2007), der mit dem Sir-Walter-Scott-Preis für den besten historischen Roman des Jahres ausgezeichnet wurde, sowie den Roman Apocalypsia (2010), der den Lovelybooks-Leserpreis in Silber für das beste Buch 2010 erhielt und zum Buch des Jahres bei Vorab-lesen.de gewählt wurde. Zuletzt erschienen von ihm die Romane Das Glücksbüro (2013), Der Club der Traumtänzer (2014) sowie Romeo & Romy (it 4575).
VORSPIEL
1.
Es würde Tote geben, so viel stand fest.
Vier wenigstens, nein, fünf tatsächlich, aber erinnern würde man sich allenfalls an vier. Denn einer war so blass, so unwichtig, dass einen fast schon Mitleid überkam, weil sich bereits zu seinen Lebzeiten niemand für ihn interessiert hatte, er somit wenigstens im Tod eine Erwähnung verdient gehabt hätte. Die Wahrheit aber war, dass sich niemand an ihn erinnern würde, nicht einmal daran, dass er gestorben war. Gerecht war das nicht, aber es lag nun mal in der Natur des Menschen, sich dem Dramatischen zuzuwenden, dem Feuerwerk, dem Spektakel, dem lauten Geräusch.
Es würde also Tote geben.
Doch wie? Wie starb man richtig? Sodass der eigene Tod auch die Menschen erreichte? Es war bereits später Vormittag, und sie lag immer noch im Bett und dachte über nichts anderes nach: Wie starb man richtig? Es musste echt sein, unausweichlich, geplant, aber als Plan nicht bemerkt. In seinen Facetten ausgeleuchtet, in seiner Wirkung von größtmöglicher Strahlkraft. Aber wie? Laut? Leise? Deutlich? Subtil? Sowas durfte man nicht dem Zufall überlassen, und doch durfte unter keinen Umständen etwas Mechanisches durchschimmern. Die Kleinigkeiten waren entscheidend, die Details, die … nein, das Herz war entscheidend! Es musste das Herz berühren, sonst würde aus der Supernova des Schmerzes allenfalls ein Ladykracher.
Endlich stand sie auf und betrachtete sich im Spiegel: diese Haare! Mit dieser Wirrnis hatte sie den Tod verdient. Und keiner würde fragen, ob es richtig oder falsch wäre. Außerdem fand sie, dass ihre Oberschenkel zu dick und ihr Busen zu klein, ihre Nase zu groß und ihre Augenbrauen zu voll waren. Sah so jemand aus, dessen Name gleißend hell am Firmament erstrahlen würde? Dessen Tod Bedeutung haben würde und damit auch sein Leben zuvor? Die Beine zu kurz, der Hintern zu breit und ein Kleid, das sie wie eine aussehen ließ, die sich vor den Augen aller einen Dolch durch die Brust jagen konnte – allein man würde über ihren zuckenden Leib steigen und zusehen, dass man kein Blut auf die Schuhe bekam. Ausgerechnet heute, an einem so wichtigen Tag, war ihr, als würde unter ihren Füßen viel zu dünnes Eis ächzen und knacken und als würde sie im nächsten Moment ins Wasser schießen und nie wieder auftauchen. Keine Supernova, kein Spektakel, nur ein leises Platsch, und sie wäre weg, und niemand könnte sagen, wann und wo er sie das letzte Mal gesehen hätte. Oder wie sie überhaupt hieß.
Draußen trieb der Frühling frische Düfte durch die Straßen, die Sonne malte viele schöne Schatten auf den Asphalt, und sogar die als mürrisch geltenden Einwohner der kleinen Stadt tief im Westen der Republik schauten ganz freundlich drein. Romy jedoch dachte nur daran, dass es zu warm sei, zu freundlich, zu blühend. Wetter, das die falsche Stimmung beschwor: nicht unheilvoll stürmend, sondern sommernachtsträumend beschwingt. Furchtbar!
Ganz in Gedanken überquerte sie die Straße und übersah einen Wagen: Reifen quietschten, es roch nach verbranntem Gummi, dann tippte die Stoßstange sanft an ihr Knie.
Sie lebte!
Sie starrte den Fahrer durch die Windschutzscheibe an, der bleich die Hände um das Lenkrad krallte, und war dankbar. Um ein Haar wäre sie vorzeitig gestorben! Unter einem VW Polo. Und das in diesem Kleid!
Sie bog in die Fußgängerzone, spürte plötzlich Zuversicht, ja geradezu Lust am Atmen und freute sich mit einem Mal über die Sonnenstrahlen, die ihr auf der Nase herumtanzten. Jemand rief ihren Namen und drückte ihr pantomimisch die Daumen, und sie winkte zurück mit einem breiten Lächeln. Plötzlich waren alle düsteren Gedanken verflogen, sie nahm Fahrt auf und steuerte durch die Straßen und Gassen der kleinen Stadt auf ihr Ziel zu.
Das war ein toller Tag heute.
Ein perfekter Tag zu sterben!
Sie würden die Herzen aller berühren, und nichts Mechanisches wäre daran. Sie würden dahingehen in einem Feuerwerk der Leidenschaft. Alle fünf. Und sogar an den einen würde man sich erinnern, was ihn sicher freute, denn der arme Teufel neigte ohnehin zu Schwermut. Aber heute nicht! Er würde auftrumpfen, und niemand würde ihn vergessen.
Da kam er schon, der arme Tropf.
Wie er ihr winkte!
Und sie ihm.
Wie er ihr entgegenlief!
Und sie ihm.
Wie sie einander entgegenliefen!
Und als sie sich erreicht hatten, als er ihr in die Arme fiel und sie ihm, da sagte er nur unter Tränen: »Er hat mich aus dem fünften Akt gestrichen!«
Also doch nur vier Tote.
2.
Nicht nur der Tod konnte grausam sein, das Kürzen von Rollen auch. Genau genommen war es noch schlimmer als der Tod, jedenfalls für einen Schauspieler von Rang. Oder ohne. Noch gestern bei der Generalprobe hatte er wie ein Löwe gekämpft, hatte seinen Text zum Leuchten gebracht, hatte sie alle erreicht und war dramatisch dahingegangen. Und heute? Heute strich man ihn aus dem letzten Akt. Weil der Regisseur gesagt hatte, dass es die Dramaturgie stören würde. Weil er gesagt hatte, dass es vom eigentlichen Showdown ablenken würde. Und weil er gesagt hatte, dass er sich ernsthaft fragen würde, was Shakespeare nur geritten habe, diese Figur in den letzten Akt einzuweben.
»Shakespeare!«, rief Graf Paris empört. Und noch empörter: »Shakespeare!«
Graf Paris hieß eigentlich Ralf, aber jetzt, im Kostüm und in der Hitze der Leidenschaft, war er ein toller Paris.
Romy versuchte alles, den Untröstlichen zu trösten: »Ich finde, er hätte werkgetreu bleiben müssen!«
Paris nickte heftig: »Nicht wahr?!«
»Ein herber Verlust für den fünften Akt!«
Noch heftiger: »Nicht wahr?!«
»Es tut mir so leid!«
Er fiel ihr erneut in die Arme: »Ach, Romy … du bist die Seele dieses Ensembles. Du hältst alles zusammen, ohne dich wären wir alle verloren.«
Das war ein kleines bisschen übertrieben, aber es freute sie doch. Sie nahm ihn in den Arm und betrat mit ihm durch den Bühneneingang das Theater.
In den Umkleideräumen, den Gängen, auf den Treppen, Aufgängen und Stegen hoch über ihren Köpfen herrschte aufgeregtes Treiben. Hier huschte eine Darstellerin vorbei, halb bekleidet, an ihrem Rockzipfel die Garderobiere, die gerne geflucht hätte, aber sie hatte Nadeln zwischen die Lippen geklemmt, mit denen sie den Saum zu kürzen suchte. Dort rezitierte ein Darsteller lautstark seinen Text, offenbar unzufrieden mit der Intonation seiner Worte. Im Gegensatz zum Beleuchtungsmeister am Boden, der mit dem Beleuchter unter dem Dach über die Ausrichtung der Scheinwerfer stritt. In einer Ecke standen die Bühnentechniker bei ihrer gewerkschaftlich garantierten Pause, wobei es eigentlich immer so aussah, als wären sie in der Pause, wenn der Bühnenmeister nicht da war.
Romy zog Paris mittlerweile wie ein Kind hinter sich her, vorbei an einer Gruppe Komparsen und der Maske, in der zwei Visagistinnen Schauspieler schminkten und Smalltalk hielten. Sie stiegen eine kurze Treppe hinab und erreichten einen langen Gang, an dessen Ende Regisseur Peter von Teune gerade ein Zimmer verließ. Mit wehendem Schal und gereizter Miene.
Ein enger Flur, flackerndes Neonlicht, weiße Wände.
Ein kurzes Zögern.
Dann nahmen sie Fahrt auf und hielten wie Ritter beim Lanzengang aufeinander zu.
»Und du glaubst, du kannst ihn umstimmen?«, flüsterte Paris mit bebender Stimme.
»Aber bestimmt!«, flüsterte Romy über die Schulter zurück.
»Er sieht wütend aus!«
»Er sieht immer wütend aus!«
»Vielleicht war ich nicht gut genug?!«, zischte Paris ängstlich.
»Du warst grandios!«, zischte Romy zurück.
»Nicht wahr!«, rief Paris leise. »Nicht wahr?!«
Ein paar Meter noch, und Romy dachte plötzlich: Gott, wieso ist der nur so groß jetzt?! Riesig geradezu.
»Siehst toll aus, Romy!«, donnerte von Teune freundlich.
Für einen Moment war sie aus dem Konzept, und schon rauschte er an ihnen vorbei. Völlig ungebremst, mit flatterndem Schal und einem Hauch Dior in seinem Windschatten.
Sie sahen ihm nach.
»Ensemblebesprechung in fünf Minuten!«
Weg war er.
Da standen sie nun.
Paris, immer noch an Romys Hand, ließ den Kopf sinken, bevor es förmlich aus ihm herausbrach: »Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht? Wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht? Wenn ihr uns vergiftet, sterben wir nicht?«
Romy legte ihm tröstend die Hand an die Wange: »Du wärest ein toller Shylock!«
Paris’ Lippen bebten: »Aber ich bin Paris. Und man lässt mich nicht sterben!«
Dann lief auch er davon.
3.
Der Rest war Schmollen.
Nicht wie das Kind, das zu Unrecht bestraft worden war, sondern wie der Mann, der die Last der Welt auf seinen Schultern trug, und niemand da, der es bemerkte. Zudem dieser Mann einfach nicht glauben konnte, wie ungerecht, wie gedankenlos, ja, wie egomanisch die Welt war, genauer gesagt: die Kollegen. Alle standen sie auf der Bühne und lauschten gerade den Worten des großen Meisters, aber niemand sah ihn. Romy schenkte ihm ein Lächeln, aber er wollte es nicht. Niemand sollte ihm mehr zulächeln. Nie wieder. Er würde einfach stillstehen und wie ein Geist verblassen.
Die anderen hingegen konnten kaum stillhalten. Sie barsten förmlich vor Aufregung, vor Lampenfieber und der Lust zu spielen. Nur mit Mühe konnten sie von Teunes Worten folgen; sie...
Erscheint lt. Verlag | 11.4.2016 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 50plus • Best Ager • Bestseller 2016 • Deutschland • Erzgebirge • Generation Gold • Geschenkbuch • Geschenke für Frauen • Geschenk für Frauen • Golden Ager • Humor • insel taschenbuch 4575 • IT 4575 • IT4575 • Kammweg-Literaturpreis 2018 • Liebe • Liebesromane • lustige Romane • Mitteleuropa • Neuerscheinungen 2016 • Ostdeutschland • Rentner • Rentnerdasein • Romeo und Julia • Ruhestand • Sachsen • Schmöker • Senioren • Shakespeare • Theater • Witz |
ISBN-10 | 3-458-74459-2 / 3458744592 |
ISBN-13 | 978-3-458-74459-7 / 9783458744597 |
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