Sex vor Gericht (eBook)
224 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-43834-3 (ISBN)
Dr. Alexander Stevens ist Fachanwalt für Strafrecht und seit Jahren auf Sexualdelikte wie Vergewaltigung, Missbrauch, Kinderpornographie und Rotlichtkriminalität spezialisiert. Einem breiten Publikum ist er auch durch zahlreiche Fernsehauftritte als Anwalt in verschiedenen TV-Formaten wie »Richter Alexander Hold«, »Im Namen der Gerechtigkeit« oder »Galileo« bekannt.
Dr. Alexander Stevens ist Fachanwalt für Strafrecht und seit Jahren auf Sexualdelikte wie Vergewaltigung, Missbrauch, Kinderpornographie und Rotlichtkriminalität spezialisiert. Einem breiten Publikum ist er auch durch zahlreiche Fernsehauftritte als Anwalt in verschiedenen TV-Formaten wie »Richter Alexander Hold«, »Im Namen der Gerechtigkeit« oder »Galileo« bekannt.
Die Menschenhändlerin
Frau F. war vom ersten Moment an dabei gewesen. Vor gut zwei Wochen hatte Frau F. das Mädchen in Bulgarien aufgesucht, angeblich um ihr einen attraktiven Au-pair-Job in Deutschland zu vermitteln. Frau F. hatte gutes Geld geboten für drei Monate Kinderbetreuung und Aushilfsarbeiten im Haushalt, bei freier Kost und Logis. Das Mädchen wollte sich die Chance nicht entgehen lassen und war einverstanden.
Es war ein verlassenes, von einer hohen Mauer umschlossenes Gelände mit einem einzelnen großen Backsteingebäude, auf dem das Mädchen von zwei finstergesichtigen, bulligen und am ganzen Körper tätowierten Männern aus der schwarzen Limousine gezerrt wurde. Auf Befehl von Frau F. nahmen ihr die beiden Männer die Augenbinde ab. Frau F.s zuvor noch so freundlicher Gesichtsausdruck war eiskalt. Die beiden Männer, die Frau F. auf der Fahrt nach Deutschland als ihre Brüder vorgestellt hatte, hatte Frau F. fest im Griff.
In der Wohnung, in der das bulgarische Mädchen zunächst mit Frau F. und ihren Brüdern angekommen war, gab es keine Kinder und keine Gastfamilie. Der wahre Grund, warum Frau F. das Mädchen nach Deutschland gelockt hatte, ließ nicht lange auf sich warten. Kurz nachdem sie in Frau F.s Wohnung angekommen waren, kam sie auch gleich zur Sache. Ob sie es »freiwillig« mit zahlungswilligen Männern machen würde oder ob sie dazu erst noch ein paar schmerzhafte »Lektionen« benötige, hatte Frau F. das Mädchen direkt gefragt.
Natürlich hatte das junge Mädchen weder das eine noch das andere gewollt. Sex gegen Geld, so etwas würde sie niemals tun. Außerdem hatte sie einen festen Freund.
Frau F. stellte ihre Frage nur einmal. Da das Mädchen zu lange mit seiner Antwort zögerte, wurde es von den Männern brutal niedergeschlagen, ins Auto geschleppt und auf dieses gottverlassene Gelände verbracht, umgeben von Schotter, Kies, Bäumen und einer unüberwindbar hohen Mauer. Außer dem großen verlassenen roten Backsteingebäude in der Mitte des Areals war nichts zu sehen, nichts zu hören. Mit einem festen Tritt in ihre Kniekehlen gaben die beiden grobschlächtigen Männer ihr das Kommando loszugehen.
Das rote Backsteingebäude, in das das Mädchen geführt wurde, wirkte unbewohnt. Innen waren alte Möbel aus längst vergangenen Tagen, die zum Teil mit vergilbten Laken abgedeckt waren. Die Männer brachten sie durch zwei Zimmer und durch einen langen Korridor zu einer kleinen, unscheinbaren Holztür. Von dort aus führte eine steile Treppe hinab in ein feuchtes, finsteres Kellergewölbe. Deutlich war das Geräusch von fließendem Wasser zu hören. Eine einzelne provisorisch angebrachte Glühbirne spendete schwaches Licht, der Boden war dreckig und feucht. Frau F. war nicht mehr zu sehen.
Einer der Männer ließ das Mädchen los, um eine schwere, in der gegenüberliegenden Wand eingelassene Eisentür aufzuschließen. Das Aufschieben der Tür bereitete dem muskulösen Mann ersichtlich große Mühe. Dahinter befand sich eine weitere Tür, die mit einem elektronischen Codeschloss versehen war. Nach Eingabe einer Zahlenkombination öffnete sie sich automatisch. Die Tür war ganz offensichtlich erst vor kurzem eingebaut worden.
Das Mädchen wurde von den beiden Riesen gepackt und in den nahezu finsteren Kellerraum geworfen. Sie fiel auf den feuchten, kalten Kellerboden, hörte, wie die Tür ins Schloss fiel, dann war es dunkel. Nur durch einen kleinen Türspalt drang ein wenig Licht in ihr Gefängnis. Niemand würde sie hier finden.
Erst nachdem sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte sie die Umrisse der anderen beiden Frauen erkennen. Sie saßen zusammengekauert in der Ecke. Sie rührten sich nicht und sagten auch nichts.
Als sicher war, dass die bulligen Männer auch wirklich weg waren, fing eine der Frauen an, auf Bulgarisch zu sprechen. Mit schwacher Stimme erzählte sie, dass sie schon seit zwei Tagen hier eingesperrt sei, ohne Essen und Trinken. Die Männer hätten gesagt, nur wenn sie verspreche, mit anderen Männern gegen Bezahlung Sex zu haben, werde sie das Kellerverlies lebend verlassen.
Die andere Frau rührte sich gar nicht mehr. Das Mädchen wusste nicht, ob sie überhaupt noch lebte.
Nach gefühlt mehreren Stunden öffnete sich die Tür zu ihrem Verlies. Eskortiert von den bulligen Brüdern trat Frau F. ein. Frau F. sah das Mädchen mit ihrem eiskalten Blick nur an. Sie musste nichts sagen. Das Mädchen wusste, sie hatte keine andere Wahl. Wenn sie auf Frau F.s Forderung nicht eingehen würde, dann würde sie dort unten sterben. Ohne Widerrede folgte sie Frau F.
Von nun an tat das Mädchen alles, was Frau F. von ihr verlangte.
Was mit den anderen beiden Frauen in dem Verlies passiert ist, wusste das Mädchen nicht. Sie hatte sich auch nicht getraut nachzufragen.
Die Polizei hatte den Notruf sehr ernst genommen. Das Polizeiaufgebot war enorm. Sofort wurden Frau F. und ihre Brüder von einem Sondereinsatzkommando festgenommen und getrennt voneinander vernommen.
Der Vater des bulgarischen Mädchens hatte die Polizei informiert. Seine Tochter hatte ihn in einem unbeobachteten Moment von dem Nobelbordell aus, in dem sie für Frau F. anschaffen ging, anrufen und ihn um Hilfe bitten können.
Zwar war Frau F. dem Mädchen die ersten beiden Wochen noch auf Schritt und Tritt gefolgt, ab der dritten Woche hatte sie die Aufsicht über das Mädchen jedoch gänzlich dem Zuhälter des Bordells übertragen. Das Mädchen hatte sofort die erstbeste Gelegenheit genutzt, um Hilfe zu holen.
Obwohl die Polizei nicht gerade zimperlich mit Frau F. und ihren Brüdern umging, schwiegen sie beharrlich. Weder mit unlauteren Drohungen noch mit haltlosen Versprechungen ließen sich die drei dazu bewegen, den Beamten endlich das Kellerversteck preiszugeben.
Dass die Nerven der Ermittler blank lagen, war nachvollziehbar. Alle waren sich nach der Aussage des bulgarischen Mädchens sicher, dass Frau F. und ihre Bande noch mehr Frauen ohne Essen und Trinken in dem geheimen Kellerverlies gefangen hielten. Wenn Frau F. oder ihre Gorillas nicht bald das Versteck verraten würden, dann drohten die entführten Frauen einen qualvollen Tod zu sterben – wenn es nicht ohnehin schon zu spät war.
Unmittelbar nach der Rettung des bulgarischen Mädchens hatte die Polizei deshalb angefangen, Anwesen in der ganzen Umgebung auszukundschaften, aufzubrechen und zu stürmen, auf die die Beschreibung des Mädchens halbwegs gepasst hatte. Ohne Erfolg.
Das Einzige, was Frau F. und ihre beiden Lakaien gesagt hatten, war, dass sie einen Anwalt sprechen wollten. Diesen Wunsch konnten die Polizisten ihnen nicht verwehren. Sobald gegen jemanden ein Haftbefehl erlassen wird, hat er in Deutschland unbedingten Anspruch auf einen Anwalt, den er sich frei aussuchen darf. Und kann der Verhaftete sich keinen Anwalt leisten, muss der Staat das Geld hierfür vorstrecken.
Frau F. wählte aus dem dicken gelben Telefonbuch, das die Polizisten ihr wütend hingeknallt hatten, ausgerechnet mich aus. Sie kannte mich nicht, es war reiner Zufall.
Noch ehe ich Frau F. persönlich sprechen konnte, wurde ich auf dem Gang des Polizeipräsidiums von der ermittelnden Staatsanwältin abgepasst. Das war kein Zufall. In eindringlichen Worten erklärte sie mir kurz den Sachverhalt und forderte mich unverblümt dazu auf, das Versteck mit dem geheimen Kellerverlies aus Frau F. »herauszukitzeln«. Nach der glaubhaften Schilderung des Mädchens gehe es schließlich um das Leben weiterer zur Zwangsprostitution verschleppter Frauen, die einen qualvollen Tod zu sterben drohten.
Im Prinzip wollte mich die Staatsanwältin damit relativ offen zu einem strafbaren Parteiverrat anstiften, denn sämtliche Informationen, die mir ein Mandant anvertraut, unterliegen der anwaltlichen Schweigepflicht. Ohne ausdrücklichen Willen des Mandanten darf ich schon von Gesetzes wegen keine Mandatsgeheimnisse offenbaren. Tue ich es doch, mache ich mich grundsätzlich selbst strafbar. Das wusste auch die Staatsanwältin.
Das Problem ist nur, Recht und Gesetz sind in der Theorie schön und gut. Wenn es aber jenseits der Gesetzbücher und Rechtsbibliotheken plötzlich um Leben oder Tod geht und Stunden oder gar Minuten hierüber entscheiden, können eherne Theorien und juristische Lehren schnell verblassen. Was ich auch tun würde, es wäre in jedem Fall keine rein rechtliche, sondern auch eine schwierige moralische Entscheidung, dachte ich mir, als der Wachtmeister mich zu Frau F. in die Zelle führte.
Frau F., die übrigens ausgezeichnet Deutsch sprach, passte in das von der Staatsanwältin gezeichnete Bild: herrischer Gesichtsausdruck, kräftiger Händedruck, eine eher ungepflegte Erscheinung, düsterer Blick und vor allem diese ruhige, aber in jeder Silbe dominant klingende Stimme. Gepaart mit den im Raum stehenden Vorwürfen verursachte mir das Treffen ein ziemlich mulmiges Gefühl.
Ich versuchte dennoch sachlich zu bleiben, die sich womöglich im Todeskampf befindenden Mädchen in dem Kellerverlies unmittelbar vor Augen, und erläuterte Frau F. die rechtlichen Möglichkeiten, die es für sie gab. Sollten Frau F. und ihre »Brüder« das Kellerversteck offenbaren und mit der Polizei zusammenarbeiten, würde das angesichts der Schwere und Dringlichkeit des Falls ganz erhebliche Auswirkungen auf die spätere Strafe haben. Würden die Frauen noch lebend gerettet, könnte Frau F. sogar mit einer deutlich milderen Strafe davonkommen.
Es ist eine alte Faustregel im Strafrecht: Je früher das Geständnis, desto größer die Strafmilderung.
Und selbst wenn die polizeiliche Hilfe für die Frauen zu spät kommen würde, könnten Rettungsbemühungen und ein frühes Geständnis von Frau F....
Erscheint lt. Verlag | 17.3.2016 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Anwalt • Deutscher Anwalt • Deutsche Rechtsprechung • Erfahrungsberichte • Erfahrungsberichte wahre Geschichten • Gericht • Sex • Sexualdelikt • Sexualstrafrecht • Sexualstraftäter • Skandale • Strafprozess • Strafrecht • Strafverteidiger • True Crime der wahre Kriminalfall • True Crime deutsch • True Crime Deutschland • Wahre Kriminalfälle • wahre Kriminalfälle Deutschland |
ISBN-10 | 3-426-43834-8 / 3426438348 |
ISBN-13 | 978-3-426-43834-3 / 9783426438343 |
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