Babylon (eBook)
528 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-42840-5 (ISBN)
Thomas Thiemeyer, geboren 1963, studierte Geologie und Geographie, ehe er sich selbständig machte und eine Laufbahn als Autor und Illustrator einschlug. Mit seinen Wissenschaftsthrillern und Jugendbuchzyklen, die etliche Preise gewannen, sich über eine halbe Million Mal verkauften und in dreizehn Sprachen übersetzt wurden, ist er eine feste Größe in der deutschen Unterhaltungsliteratur. Thomas Thiemeyer ist Mitglied des Phantastik-Autoren-Netzwerks PAN. Er lebt mit seiner Familie in Stuttgart.
Thomas Thiemeyer, geboren 1963, studierte Geologie und Geographie, ehe er sich selbständig machte und eine Laufbahn als Autor und Illustrator einschlug. Mit seinen Wissenschaftsthrillern und Jugendbuchzyklen, die etliche Preise gewannen, sich über eine halbe Million Mal verkauften und in dreizehn Sprachen übersetzt wurden, ist er eine feste Größe in der deutschen Unterhaltungsliteratur. Thomas Thiemeyer ist Mitglied des Phantastik-Autoren-Netzwerks PAN. Er lebt mit seiner Familie in Stuttgart.
1
Badiyat al-Jazira, Nordirak …
Die Stufen führten senkrecht in die Tiefe. Staubig, steil und von starker Abnutzung gezeichnet. Wie das Maul eines uralten Haifischs inmitten eines Meeres aus Sand. Heulend fegte der Wind über die Stufen und bedeckte sie mit einer Schicht von Quarzkristallen, die überall kleine Haufen bildeten.
Professor Ahmad Hammadi von der Universität Bagdad kniff die Augen zusammen. Drüben bei Mossul war die Sonne aufgegangen. Über der aufgewirbelten Wüste sah er die flammenden Strahlen, die die Bergkuppen berührten und rasch nach unten glitten. Noch etwa eine halbe Stunde, dann würde die gleißende Helligkeit ihre Augen blenden.
»Was denkst du, Hasan? Ist es das, wofür ich es halte?« Das Reden fiel ihm schwer. Seine Kehle war wie ausgetrocknet. Er hatte ein Taschentuch vor den Mund gebunden, um den Sand nicht einzuatmen.
Das Gesicht seines Sohnes leuchtete in der Dämmerung.
»Wie kannst du nur fragen, Baba? Sieh dir die Stufen an, sie sind alt. Verdammt alt. Du hast es geschafft. Allah hat deine Gebete erhört.«
Ahmad schob seinen Hut in den Nacken. Trotz des kühlen Windes schwitzte er. Sein Körper glühte vor Aufregung, er fühlte sich zittrig und krank.
War es möglich? Hatte Allah ihn wirklich erhört? Er grub bereits seit so langer Zeit, dass er schon fast nicht mehr damit gerechnet hatte, fündig zu werden. Jahrelange Rückschläge, Demütigungen und Spott hatten Narben auf seiner Seele hinterlassen. Die Verletzungen reichten tief. Er wollte das Gefühl von Freude und Triumph nicht an sich heranlassen. Nicht, ehe er wirklich sicher war, dass er gefunden hatte, wonach er suchte.
Kurzentschlossen streifte er die hochgekrempelten Ärmel runter. »Ich kann nicht länger warten. Ich muss wissen, was da unten ist. Jetzt.«
Hasans Augen blitzten auf. »Ich hole die Lampe.«
Sein Sohn eilte rüber zum Pick-up, zog die staubige Plane von der Ladefläche und kletterte hinauf. Der portable Halogenscheinwerfer lag irgendwo zwischen all den anderen Ausgrabungswerkzeugen. Metallisches Poltern erklang, doch das störte Ahmad nicht. Es gab Momente für Stille und solche für Feuerwerk und Freudenrufe.
Er versuchte, sich das Bild einzuprägen, jeden kleinen Ausschnitt, jedes noch so unwichtige Detail. Die Staubschicht auf der Karosserie des Toyotas, der abblätternde Lack, die runtergenudelten Reifen. Der Truck hatte seine besten Jahre lange hinter sich, er wurde praktisch nur noch von Rost und frommen Gebeten zusammengehalten. Trotzdem erstrahlte er in diesem Moment in überirdischer Schönheit.
An der Anhängerkupplung hing immer noch die Kette, mit der sie die fünfzig Zentner schwere, massive Sandsteinplatte aus der Verankerung gezogen hatten. Dort, wo sie für Hunderte, wenn nicht gar Tausende von Jahren gelegen hatte. Ohne den Pick-up hätten sie sie niemals vom Fleck bewegt.
Ahmad zog sein Smartphone aus der Tasche und machte ein paar Schnappschüsse. Das Licht war schlecht, aber vielleicht würde dieser Moment einmal als eine der Sternstunden der Menschheit in die Geschichtsbücher eingehen. Wie würde er sich später ärgern, wenn ihn nicht wenigstens ein paar Bilder an diesen schicksalhaften Moment erinnerten?
Ein elektronisches Piepen erinnerte ihn an den niedrigen Akkustand. Rasch machte er ein paar Fotos, dann schaltete er auf Stand-by.
Hasan kam zurück mit Videokamera und Handscheinwerfer. Die Halogenbirne warf einen hellen Finger in den aufgewirbelten Sand. Ahmad riss ihm die Lampe aus der Hand und leuchtete in die Öffnung. Sein Sohn hatte recht gehabt, die Stufen waren alt. Viel älter, als seine schlechten Augen ihn zunächst hatten erkennen lassen. Die Art und Weise, wie die Erbauer die Platten zusammengefügt hatten, ließ erahnen, dass sie aus babylonischer oder assyrischer Zeit stammten, demnach also etwa zweitausendfünfhundert Jahre alt waren. Das musste natürlich genauer untersucht werden, aber zuerst mal war es wichtig, sicherzugehen, dass sie nicht aus Versehen einen Bunker der Terrormiliz freigelegt hatten. Die Fundstätte war antik, mehr brauchten sie im Moment nicht zu wissen.
Tief Luft holend und seinem Sohn einen aufmunternden Blick zuwerfend, senkte Ahmad seinen Fuß auf die oberste Stufe. Verlief der obere Treppenabschnitt noch in klarer Ost-West-Richtung, machte der Schacht nach etwa zwanzig Metern einen scharfen Knick in südlicher Richtung. Sehr ungewöhnlich für ein Bauwerk des alten Mesopotamien. Ein paar Stufen noch, dann traten sie in den Windschatten.
Schlagartig wurde es still. Ahmad strich mit der Hand über die gemauerten Wände, die dunkel vor Alter waren.
»Siehst du die Ziegel, Hasan? Plankonvex, genau wie früher. Seit zweitausend Jahren fertigt niemand mehr solche Ziegel an.« Er lächelte. Sein Sohn dokumentierte das Geschehen mit der Videokamera. Er würde den Film später zurechtschneiden und archivieren. Wenn erst die Schwärme ausländischer Archäologen hier einfielen, würden diese Aufnahmen der einzige Hinweis auf die wahren Entdecker sein.
Im Gegensatz zu ihm kannte sein Sohn sich gut mit Technik aus. Ahmad war in einer Zeit aufgewachsen, als Archäologie noch mit Maultieren, Klappspaten und Theodoliten betrieben wurde. Dieser ganze neumodische Kram – Camcorder, Computer, Datensticks und GPS – bereitete ihm große Probleme. Hasan war obendrein ein talentierter Filmemacher. Wie er die Blickwinkel wählte, wie er Perspektive und Licht setzte, das nötigte Ahmad Respekt ab. Ihm selbst gelang es ja noch nicht mal, bei einer einfachen Landschaftsaufnahme den Horizont gerade abzulichten.
Er löste seine Finger von der Wand und ging weiter. Die Luft wurde kühler. Ihre Schritte hallten von den Wänden wider.
Er konnte sich nicht erinnern, jemals eine solch reine Luft eingeatmet zu haben. Es war, als wäre sie über Tausende von Jahren hinweg konserviert worden, als hätten Zeit und Raum ihr nichts anhaben können. Ihm schoss der Gedanke durch den Kopf, dass schon die alten Könige diese Luft eingeatmet hatten. Hammurabi, Nebukadnezar, Assurbanipal – die größten Herrscher, die die Welt jemals gesehen hatte. Allein der Klang ihrer Namen trieb ihm einen Schauer über den Rücken.
Gewiss, die Pharaonen waren auch nicht zu verachten, aber die Wissenschaft hatte ihnen über die Jahrhunderte hinweg viel zu viel Bedeutung beigemessen. Die Herrscher des Nils waren dekadent gewesen. Sie hatten ihre Bedeutung erst im Tod erlangt und waren vor allem wegen ihrer monumentalen Begräbnisstätten berühmt geworden. Im Gegensatz zu ihnen hatte das Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris die erste Hochkultur der Welt hervorgebracht – die Sumerer – und mit ihnen die älteste Schrift. Die Hexerkönige Babylons und Assyriens waren bereits zu Lebzeiten zu Legenden geworden und um ein Vielfaches spannender und geheimnisvoller als die Pharaonen. Während die Forschung im Zweistromland jedoch durch fortwährende Kriege und instabile Machtverhältnisse erschwert worden war, hatte das alte Ägypten vor allem in Europa regelrechte Begeisterungsstürme entfacht. Malerei, Literatur, ja selbst die Musik – alles war geprägt gewesen vom Reich am Nil. Eine Entwicklung, die bis heute anhielt und die dem Staat Ägypten jährlich Millionen von Dollar in die Tourismuskasse spülte. Zu Unrecht, wie Ahmad fand. Hatte sein Land nicht dasselbe Recht auf Anerkennung? Es war höchste Zeit für eine kulturelle Wiederentdeckung, und er, Ahmad Husin Hammadi, würde dafür sorgen, dass es so kam.
Er erreichte die Kehre, wandte sich nach rechts. Wie angewurzelt blieb er stehen. Ein gewaltiges Relief ragte vor ihm auf. Eines, wie er noch kein zweites gesehen hatte. Das Bildnis war so ehrfurchtgebietend, dass Ahmad für einen Moment die Kamera vergaß. Erst, als Hasan ein Räuspern hören ließ, erinnerte er sich daran, dass sie immer noch auf ihn gerichtet war. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals.
»Das … das ist Marduk«, sagte er mit rauher Stimme. »Der höchste Gott des babylonischen Pantheons. Bekannt auch als Asalluhi, der sumerische Beschwörungsgott, oder Asarualim – Herr des geheimen Wissens. Manche nennen ihn Enlil – Herr des Windes – und Enki – Gott des Wassers. Sein Name ist Legion. Im Alten Testament wird er zu Belial, Beelzebub oder Baal, dem Gott der Unterwelt. Seine Symbole sind Spaten und zweigehörnter Drache, siehst du?« Er deutete auf den unteren Teil des Bildnisses. Eine weitere Tür war dort zu sehen, die in noch größere Tiefen führte.
»Warum der Drache?«, fragte Hasan.
»Das hat mit dem Chaosdrachenkampf zu tun«, sagte Ahmad. »In der Legende tritt Marduk gegen Tiamat, die Göttin der Salzwasserozeane, an. Er besiegte sie und spaltete sie in zwei Hälften. Aus der einen formte er die Welt, aus der anderen den Himmel. Für diese Tat verliehen ihm die anderen Götter fünfzig Ehrennamen und befestigten sie in Form von Schicksalstafeln an seiner Brust. Marduk war unumstrittener Herrscher über alle anderen Götter. Er errichtete seinen Thron in Babylon und erklärte die Stadt zum Zentrum der Welt.« Ahmads Wangen glühten vor Aufregung, während die Lampe immer neue Details enthüllte. »Siehst du das prachtvolle Gewand mit den aufwendigen Stickereien? Manch einer meiner Kollegen hat sie als Sterne gedeutet, als einen Hinweis auf Marduks Herkunft. Man könnte sie auch als Zahnräder interpretieren, also als Symbole für Technik und Fortschritt. Niemand weiß genau, was sie bedeuten. Vielleicht liefert uns die nächste Ebene einen Hinweis auf den Zweck dieses Tempels. Ich frage mich, warum man ihn in die Tiefe anstatt in die Höhe gebaut hat, so wie alle anderen...
Erscheint lt. Verlag | 25.2.2016 |
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Reihe/Serie | Hannah Peters |
Hannah Peters | |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Abenteuerromane für Erwachsene • Abenteuerthriller • Archäologie • Archäologie Roman • Archäologin • Babylon • Bauwerk • Elektromagnetismus • Garten Eden • Hannah Peters • Hanna Peters Thiemeyer • Hassbringer • Irak • John Evans • Krisenregion • Magnetfeld • Marduk • Mystery Thriller • Naher Osten • Norman Stromberg • Pyramide • Spannung • Störungen • Syrien • Taschenbuch Neuerscheinungen 2017 • Thomas Thiemeyer Hanna Perters • Thriller • Thriller Action • Thriller Archäologie • Thriller deutsche Autoren • thriller reihe • Thriller Taschenbuch • Turm • Turmbau zu Babel • Unterirdisch • Wüste • Zweistromland |
ISBN-10 | 3-426-42840-7 / 3426428407 |
ISBN-13 | 978-3-426-42840-5 / 9783426428405 |
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