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Uns geht's ja noch gold (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
384 Seiten
Knaus (Verlag)
978-3-641-06058-9 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
10,99 inkl. MwSt
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Kriegsende 1945, die Rote Armee marschiert in Rostock ein. So »gold«, wie der Titel im Familienjargon ankündigt, kann es den Kempowskis also gar nicht gegangen sein. Man erlebt am eigenen Leibe oder bei Nachbarn und Freunden Elend, Hunger, Plünderungen und Gewalttätigkeiten. Aber man ist nicht ausgebombt und hat noch etwas Geld. Zwischen Trümmerschutt und Ausgangssperren, schwarzem Markt und Hamsterzügen versucht man nach der Katastrophe, die bürgerliche Kontinuität wiederherzustellen.

Walter Kempowski wurde am 29. April 1929 als Sohn eines Reeders in Rostock geboren. Er besuchte dort die Oberschule und wurde gegen Ende des Krieges noch eingezogen. 1948 wurde er aus politischen Gründen von einem sowjetischen Militärtribunal zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Nach acht Jahren im Zuchthaus Bautzen wurde Walter Kempowski entlassen. Er studierte in Göttingen Pädagogik und ging als Lehrer aufs Land. Seit Mitte der sechziger Jahre arbeitete Walter Kempowski planmäßig an der auf neun Bände angelegten 'Deutschen Chronik', deren Erscheinen er 1971 mit dem Roman 'Tadellöser & Wolff' eröffnete und 1984 mit 'Herzlich Willkommen' beschloss. Kempowskis 'Deutsche Chronik' ist ein in der deutschen Literatur beispielloses Unternehmen, dem der Autor das mit der 'Chronik' korrespondierende zehnbändige 'Echolot', für das er höchste internationale Anerkennung erntete, folgen ließ.

Walter Kempowski verstarb am 5. Oktober 2007 im Kreise seiner Familie. Er gehört zu den bedeutendsten deutschen Autoren der Nachkriegszeit. Seit 30 Jahren erscheint sein umfangreiches Werk im Knaus Verlag.

I


Wenn ich mich etwas vorbeugte, konnte ich vom Schlafzimmerfenster aus alles gut überblicken. Drogerie Kotelmann, Schlachter Timm. Seifenheimchen schloß das Fenster.

 

Gegenüber die Paulstraße, die machte hinten einen Knick: bis dahin war das Feuer gedrungen, bei der »Katastrophe«, wie die Leute die Angriffe von 1942 nannten. Vor der Katastrophe und nach der Katastrophe. Jetzt würde es vor und nach dem Zusammenbruch heißen.

Bis zu Bäcker Kofahl hatte es sich gefressen. »O watt Löckers«, hatte der alte Kofahl gesagt, in seiner kleinkarierten Bäckerbüx. »All dat Mähl …«

 

Ich kniete auf der Couch und hatte die Innenfenster geöffnet. Aus allen Häusern hingen weiße Fahnen. Als ob das alles Bunker wären, die kapitulierten. Gegenüber, bei Arbeiter Krampke sogar eine rote. Ein »Fahnenwald«, wie man früher gesagt hätte. Aber dies erinnerte doch eher an alte Postkarten von Neapel, mit Unterwäsche von Haus zu Haus.

 

An der Ecke hielt ein Motorrad mit Russen. Im Beiwagen lagen Schuhe, die herunterbaumelten. Die Schuhe hatten sie vom Schuster geholt. Rrrrt! mit der Maschinenpistole die Scheibe kaputtgeschossen: einen ganzen Arm voll, noch mit Paketanhängern, wem sie gehörten. Hoffentlich viel einzelne.

Die Russen flachsten mit einer Ostarbeiterin. Die zeigte auf unser Haus.

 

»Komm lieber vom Fenster weg«, sagte meine Mutter.

»Sonst werden die noch aufmerksam.«

Sie räumte den Kleiderschrank auf.

Geblüht im Sommerwinde
gebleicht auf grüner Au
ruhst still du jetzt im Spinde
als Stolz der deutschen Frau.

Alles schön auf Kante. Waschlappen, Taschentücher (früher ritsch-ritsch-ritsch mit Kölnisch Wasser). Badelaken noch aus Wandsbek. Indanthren: links Sonne, rechts Regen, in der Mitte ein stilisiertes I.

 

Die Fächer müßte man mal wieder mit Papier auslegen, weiß mit kleinen blauen Sternen, und zählen, was man so hat. Bettücher, Bettbezüge und die dazugehörigen Knopfstreifen. Auch mal wieder alles durchsehen und flicken. Was Tante »Basta« wohl machte? Aus erstklassiger Familie, aber verarmt irgendwie, die hatte immer so schön geholfen. Die gute Alte. Die ganze Aussteuer hatte sie damals genäht.

 

Hier waren ja auch noch die Handtücher von MAGGI, die es früher auf Rabattmarken gegeben hatte (als Kinderhandtücher gar nicht so schlecht), damals, als es auch glasartige Bonbons zu kaufen gab, bei Mudding Schulz, mit schwarzem Hakenkreuz, aus Lakritze.

 

»Sind sie weg?«

Nein, sie waren noch da.

 

Vatis Hemden erstmal nach hinten legen, bis er wiederkommt. Und die Strümpfe auch, die dicken grünen Knickerbockerstrümpfe. Und die Wickelgamaschen. O, wie war das schrecklich gewesen, wenn er alles durchgrabbelte, zum Verzweifeln, fuchsteufelswild. »Warum nimmst du nicht vorne weg?« Nein, alles grabbelte er durch.

 

Nach Markgrafenheide war man gewandert. So oft, so oft.

»Ist denn der olle Wald nicht bald zu Ende?« hatte ich gesagt, ihr kleiner Peter Pump, und ob’s hier auch Wildschweine gäb, und die Bäume mir so angekuckt, ob man da hochklettern kann.

Zu süß. Und Vati hatte gesagt: »Nein, mein Junge, da kannst du ganz ruhig sein«; und geschmunzelt und sie so angepufft. »Hier gibt’s keine Wildschweine.« Und wenn wirklich eins käm, dann hätte das mehr Angst vor uns, als wir vor ihm.

 

Und in Gelbensande die schönen Erdbeeren? Erdbeeren mit Milch? Nun wär der Krieg ja zu Ende, da gäb’s bestimmt auch bald wieder Erdbeeren, vielleicht.

 

Was wohl als nächstes passiere, fragte sie sich.

Soweit war man ja gut durchgekommen. Den Naziquatsch. Diese Muschpoke! Nicht ausgebombt und am Leben.

 

Ulla sicher in Dänemark, das gute Kind. Die dachte gewiß jetzt her, wie’s uns so geht.

Aber Roberding. Und Vati? Na mal sehn. Das würde auch noch werden. Abwarten und Tee trinken. Treckt sick all na’n Liev.

 

Aber: Russen! Wer hätte das gedacht. Hätten die Engländer nun nicht eher da sein können? Die paar Kilometer?

Warum, o warum.

 

Wie gut, daß man im zweiten Stock wohnte. Wenn wirklich Russen ins Haus kämen, dann müßten sie ja erstmal an der verlassenen Wohnung von Beckers vorbei, konnten da alles ungestört durchstöbern: Schubladen aufziehen, was da so drin ist. Briefpapier, Fotoalben; meinetwegen auch Pfeifenreiniger. Dann wär der Tatendrang gewiß gestillt.

 

Zweiter Stock: das waren immerhin sechs Treppen, das überlegten sie sich, mit ihren schweren Stiefeln, und eine verlassene Wohnung durchzustöbern, das wär ihnen gewiß viel interessanter und angenehmer, als immer erst jemand zur Seite zu schüchern. Da fühlten sie sich denn nicht so beobachtet.

 

Etwas bedrohlich, daß da hinten bei Krause auch Wein lagerte; der Wein von Gebr. Cornelli, gegründet 1873. Das hatte wohl die Ostarbeiterin gemeint, als sie auf unser Haus zeigte.

Cornelli war damals abgebrannt, in der »Katastrophe«, und hatte seine Vorräte in der Brausefabrik von Dr. Krause gestapelt, hinter unserem Haus.

Cornelli, ein so durch und durch feiner Mann.

Anthroposoph. Als ein seiner selbst Durchchrister schaffe man Neugottesgrund, hatte er mal gesagt. Die Aktentasche so unterm Arm, als ob ein Judenstern darunter wär.

Seine Frau war ganz bewußt gestorben: »Krepps«.

Sie sollten nicht traurig sein, hatte sie geflüstert. Sie gehe nur hin-über, Stufe für Stufe. Eine Stufe weiche der anderen: neue Räume, licht und sonderbar.

Und der Mann und die Kinder – nun ja auch schon älter – die hatten am Bett gestanden und den ganzen Tod er-lebt. Nicht traurig, eher kühl. Fabelhaft.

O Nacht, die mich umfleußt
mit Offenbarungswonnen,
ergib mir, was du weißt!

Aber zu Ullas Hochzeit hatte er schlechten Wein geliefert. Essigsaure Tonerde, Surius. Warum man bloß? Drauf sitzen, was? Mehr als bezahlen konnte man ja schließlich nicht.

Und nun würden ihn die Russen trinken.

 

Ich besah mich in den Spiegeln der Frisiertoilette. Wie in einem Irrgarten, allmählich grün werdend. Die Maske des verwundeten Kriegers, oder Paul Wegener als russischer General.

 

Nun konnte ich mir in Ruhe die Haare wachsen lassen. Erstes, zweites und drittes Umkippen der Wellen. Mal zeigen, was man kann. Der Kochpottschnitt war endgültig passé.

 

Das Motorrad fuhr weg. Das Knattern war ja auch schon nicht mehr auszuhalten gewesen.

Ich knotete mir ein Taschentuch um den Ärmel und ging schon mal auf die Straße.

»Sieh dich vor, mein Jung! Geh nicht zu weit weg! Hörst du?«

Wie sie so sanft ruhn
alle die Toten.

Was konnten sie mir schon tun? Immer war ich gegen die Nazis gewesen, Pflichtgefolgschaft und nicht beim Militär. Und die Eltern in der Bekennenden Kirche. Vater sogar Loge.

 

In der Friedrich-Franzstraße lag ein totes Pferd mit abgestreckten Beinen. Das war eins von der Wehrmacht, ein Kriegskamerad. Zwei alte Männer vom katholischen Krankenhaus tranchierten es. Sie legten die Fleischstücke säuberlich in Schüsseln und Kummen: hier die Leber und dort das Schiere vom Schenkel. Ursulinen liefen raus und rein: in schwarzen Gewändern, das Gesicht weiß eingefaßt: Gulasch davon machen, aber kräftig würzen, sonst schmeckt es süßlich.

 

Auch Frau von Lossow kam nun zögernd aus ihrer Veranda, sie hatte schon lange auf der Lauer gelegen. Vier Mädchen und einen Jungen: Lotti, Eva, Margret und Sieglinde. Der Sohn hieß Erich, den hatten sie dummerweise aufs Gymnasium gegeben, Griechisch und Latein. Das war doch’n bißchen happig gewesen. Vorsichtig sah Frau von Lossow sich um, ob der Weg frei wär, links-rechts, links-rechts, rasch hinüber.

 

Die katholischen Männer rückten ein Stück, obwohl das Pferd auf ihrer Seite lag und sie als erste dagewesen waren. »Bis da ist unser, das da können Sie sich nehmen.« Das Messer wetzten sie ihr am granitenen Bordstein: bitteschön.

Was fängt man mit den Kaldaunen an, das war die Frage. Wegschmeißen? Oder durch den Fleischwolf drehen als Ragout?

 

Durch die Hermannstraße rollte die russische Armee. Ein Sowjetsoldat, den Regenmantel umgehängt, die »Balalaika« vorm Bauch, winkte sie ein. Eine lange Kette von Fahrzeugen. Lastautos wie aus den 20er Jahren, eckig und mit Sonnenschirm über der Windschutzscheibe, Panzer mit umgedrehten Geschütztürmen. Zuerst dachte man: fahren die rückwärts? Oben in der Luke ein Panzersoldat, mit einer Raupenkappe auf dem Kopf.

 

Als Lastautos und Panzer durch waren, kamen Soldaten in wannenartigen Panjewagen, struppige Pferdchen davor.

Von fern ein Schein, wie ein brennendes Dorf
mattdüsterer Glanz auf den Lachen im Torf.

Stroh hatten sie in den Wagen, damit es nicht so rüttelt....

Erscheint lt. Verlag 15.2.2016
Reihe/Serie Die deutsche Chronik
Die deutsche Chronik
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1945 • Bürgertum • Deutsche Chronik • DeutscheChronik • Deutschland • eBooks • Echolot • Familie • Familienchronik • Familiensaga • Gewalt • Kriegsende • Nachkriegszeit • Reihe • Roman • Romane • Rostock • Rote Armee • RoteArmee • Tadellöser & Wolff • wahre Begebenheiten • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-641-06058-3 / 3641060583
ISBN-13 978-3-641-06058-9 / 9783641060589
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