Schwer verdaulich (eBook)
256 Seiten
Silberburg-Verlag
978-3-8425-1704-2 (ISBN)
Jürgen Seibold, 1960 geboren und mit Frau und Kindern im Rems-Murr-Kreis zu Hause, ist gelernter Journalist, arbeitet als Buchautor, Musik- und Filmkritiker und betreibt eine Firma für Internet-Dienstleistungen.
Jürgen Seibold, 1960 geboren und mit Frau und Kindern im Rems-Murr-Kreis zu Hause, ist gelernter Journalist, arbeitet als Buchautor, Musik- und Filmkritiker und betreibt eine Firma für Internet-Dienstleistungen.
Freitag, 1. Oktober
Inge Coordes hakte sich bei Gottfried Froelich unter und sah vom Gehweg hinunter auf die Anlegestelle. Es war achtzehn Uhr, und drunten am Steg stand schon eine munter plaudernde Gruppe von vielleicht fünfzig, sechzig Leuten zusammen. Einige hatten Stofftaschen dabei, manchen Männern baumelten lederne Handtaschen vom Handgelenk, während einige ältere Damen ihre Handtaschen umklammerten, als wollte sie ihnen jeden Moment ein Fremder aus der Hand reißen. Einige Gäste hatten sich auch Rucksäcke umgeschnallt, und Froelich fragte sich schon, ob sie mehr Stauraum brauchten als Inges recht große Umhängetasche zu bieten hatte.
Froelich blieb kurz stehen, um zu verschnaufen. Der Fußweg von der Stadtbahnhaltestelle und an der Wilhelma vorbei hatte ihm ein wenig zugesetzt, und möglichst unauffällig tupfte er sich nun mit einem Taschentuch die Stirn und die Oberlippe trocken.
»Tja, mein Lieber«, neckte ihn Inge, »da ist wohl Sport angesagt, was?«
»Meinetwegen«, brummte Froelich, grinste aber dabei. »Aber zunächst gehen wir mal schick essen.«
Er ließ den Blick über den Neckar schweifen, sah eine S-Bahn, Personen- und Lastwagen, einen Omnibus und eine Stadtbahn über ihre Brücken flitzen, sah unter der Brücke die Schleusenanlage und hinter dem Fluss den Stadtteil Bad Cannstatt liegen.
»Na, komm, Gottfried«, sagte Inge schließlich und ging mit ihm die Treppe hinunter.
Das Schiff, auf dem sie den heutigen Abend verbringen wollten, lag an der Ufermauer, und gerade hakte ein Mann in einer Art Uniform die Kette los, die bisher den Einstieg versperrt hatte.
Die Ersten bemerkten, dass nun der Weg aufs Schiff frei war, und schlenderten gemütlich über den Steg auf die »Anna Schäufele«. Froelich erinnerte sich vage, dass hier sonst ein gewaltiges Gedränge herrschte, weil jeder – je nach Witterung – einen möglichst trockenen Platz im Inneren oder einen möglichst sonnigen Platz auf einem der Freidecks ergattern wollte.
Heute war solche Hektik nicht nötig: Der Verein zur Genusspflege e. V., Ortsgruppe Besigheim, hatte in seiner Einladung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es Platzkarten gebe und dass besonders viel Sorgfalt darauf verwendet worden sei, jedem Gast eine angenehme Tischgesellschaft zu bescheren.
Um ehrlich zu sein: Froelich hatte mehr Interesse am Speisenangebot, aber gegen eine gepflegte Unterhaltung nebenbei war natürlich nichts einzuwenden.
Als Inge und Gottfried den Uniformierten erreichten, der nun jeden Neuankömmling mit ausgesuchter Höflichkeit begrüßte und dabei aufmerksam die Tickets kontrollierte, waren im oberen Deck hinter den Fenstern zur Uferseite hin schon die Köpfe jener Gäste zu sehen, die bereits ihren Platz eingenommen hatten.
Hinter den Fenstern des Hauptdecks dagegen hingen silbern geschmückte Papier- und Bambusfächer und allerlei mehr oder weniger geschmackvolle Dekorationsmaterialien, zwischen denen hindurch man ein ausladendes und reich beladenes Büffet erahnen konnte.
* * *
Im Durcheinander der Gäste, die überall auf dem Oberdeck nach ihren Sitzplätzen suchten, war es nicht allzu schwer gewesen, den Sportrucksack auf dem hinteren Freideck so zu platzieren, dass er nicht störte und auch niemandem besonders auffiel.
Ohnehin würde eine flüchtige Untersuchung nichts Ungewöhnliches ergeben: Obenauf, im Hauptfach des Rucksacks, lag allerlei Kram, wie er für Ausflügler typisch war. Aber unter dem Durcheinander aus Fotoapparat, Stiften, Handcreme, Kräuterbonbons, Wasserflasche und einer Packung Papiertaschentücher war ein zweiter Boden eingearbeitet, und erst unter diesem befanden sich die beiden Apparaturen, die später so wichtig sein würden.
Auch nicht jedes der im Rucksack steckenden Päckchen aus Butterbrotpapier enthielt ein Vesperbrot, aber dazu hätte jemand die Verpackung aufklappen müssen, und damit war eigentlich nicht zu rechnen. Noch ein kurzer prüfender Blick über das Freideck, und dann ging die Gestalt ruhig und fürs Erste zufrieden zu ihrem Sitzplatz.
* * *
Aus den Bordlautsprechern dröhnte ein Swingtitel, der Froelich an die Zwanzigerjahre erinnerte. Nach kurzer Zeit wurde die Musik ausgeblendet, und der Kapitän begrüßte seine Passagiere und hieß sie im Namen seiner Schifffahrtsgesellschaft herzlich willkommen an Bord des »Schwimmenden Büfetts«, wie die »MS Anna Schäufele« für diesen Abend firmierte.
Die Musik wurde wieder lauter, und blubbernd nahm der Dieselmotor Drehzahl auf. Als das »Schwimmende Büfett« ablegte und sich rückwärts in den Neckar hinaustastete, tauchte das Heck in die dichten Abgasschwaden, die der Diesel absonderte. Kurz zog ein scharfer Geruch durchs Deck, aber dann gab das Schiff Schub nach vorn und nahm Kurs auf die flussaufwärts liegende Schleusenanlage.
* * *
»Entschuldigen Sie bitte«, sagte der Serviceleiter, »aber das Büfett ist noch nicht eröffnet.«
»Ja, ich weiß«, sagte die Gestalt, ließ kurz ihren Blick über die angerichteten Speisen schweifen und nickte dann zu den Toiletten hin. »Ich muss mal kurz.«
»Verstehe«, lächelte der Serviceleiter und ging nach vorn zur Treppe, um sich einen Kaffee zu holen.
Die Gestalt sah ihm nach, blickte dann durch ein Fenster auf den Fluss hinaus und beobachtete immer wieder die Tür zum Maschinenraum, die zwischen den Toiletten von einem kleinen Vorraum ins Heck führte.
Nach einer kurzen Weile öffnete sich die Tür, ein hagerer Mann mit nur noch wenigen grauen Haarsträhnen auf dem ansonsten kahlen Schädel kam heraus, verschloss die Tür hinter sich und ging zur Toilette hinüber. Die Gestalt sah sich noch einmal kurz nach allen Seiten um und folgte ihm.
* * *
»So, haben wir Spaß?«
Der junge Mann, der in der Captain’s Lounge hinter der Tür auf dem Boden gesessen hatte, sah erschrocken von seinem Handy auf.
»Geben Sie mal her!«, kommandierte der andere Mann und streckte die Hand aus.
Zögernd übergab der junge Mann dem Älteren sein Handy und erhob sich unsicher.
Kapitän Paulsen warf einen kurzen Blick auf das Handydisplay, dann schaltete er das Gerät aus und ließ es in seiner Hosentasche verschwinden.
»Und? Gewonnen?«
»Ich … Äh … Ich …«
Der junge Mann war sichtlich verlegen und trat von einem Bein aufs andere.
»Mensch, Faller, wie oft soll ich Ihnen noch sagen, dass ich es überhaupt nicht schätze, wenn man hier an Bord seine Aufgaben nicht selbstständig erledigt – und sich stattdessen abseilt, wie Sie sich das schon ein paar Mal erlaubt haben.«
»Tut mir leid, Käpt’n …«
»Davon kann ich mir nichts kaufen, Herr Faller!«
Paulsens Tonfall war schneidend, und der junge Mann wand sich.
»Sie sind hier Leichtmatrose, und das heißt nicht, dass Sie es leicht haben – das heißt, dass Sie hier am untersten Ende der Hierarchie stehen. Und wenn ich Sie nicht achtkant rauswerfen soll, bevor Sie auch nur die erste Stufe nach oben genommen haben, dann sollten Sie sich jetzt wirklich am Riemen reißen!«
Faller schluckte.
»Haben Sie Ihre Jobs denn alle schon erledigt?«
»Äh … fast. Und ich wollte gerade …«
Paulsen seufzte.
»Mensch, Faller«, begann er schließlich, und in die Strenge seines Tonfalls mischte sich ein wenig Resignation. »Zu meiner Zeit auf hoher See hätte es Ihnen passieren können, dass Sie mein erster Käpt’n einfach irgendwo zurückgelassen hätte. Der war da nicht besonders zimperlich. Aber damit, Sie in Plochingen oder Hessigheim auszusetzen, kann ich Sie vermutlich nicht erschrecken, was?«
Faller ließ ein kurzes Grinsen über sein Lausbubengesicht huschen. Wenn sich der Käpt’n wieder an die alten Zeiten erinnerte, war das Schlimmste für ihn in der Regel schon überstanden.
»Machen Sie sich an die Arbeit, Mann!«, herrschte Paulsen ihn dann noch einmal an, weil ihm natürlich aufgefallen war, dass sich sein Leichtmatrose schon wieder etwas entspannte.
»Äh … und mein Handy?«, fragte Faller vorsichtig.
»Welches Handy?«, schnappte Paulsen zurück, und Faller schloss daraus völlig zu Recht, dass er dieses Thema nun besser nicht vertiefte. Das Telefon würde er heute vor Feierabend wohl nicht mehr zu Gesicht bekommen.
Geschickt huschte er auf den Ausgang der Captain’s Lounge zu.
»Florian?«
Die Stimme des Käpt’ns klang plötzlich viel versöhnlicher, und ohnehin wurde er von dem gestrengen Freund seines Vaters seit dem Anheuern auf der »MS Anna Schäufele« nicht mehr häufig beim Vornamen...
Erscheint lt. Verlag | 30.12.2015 |
---|---|
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Baden-Württemberg • Krimi • Neckar • Regionalkrimi • Unterland |
ISBN-10 | 3-8425-1704-1 / 3842517041 |
ISBN-13 | 978-3-8425-1704-2 / 9783842517042 |
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