Der einsame Engel (eBook)

Ein Tabor Süden Roman
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2016 | 1. Auflage
208 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-42452-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der einsame Engel -  Friedrich Ani
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Tabor Süden ermittelt zum 20. Mal Nach dem Brandanschlag auf die Münchner Detektei Liebergesell ist deren Zukunft ungewiss. Gegen den Willen seiner Chefin nimmt Tabor Süden dennoch den Auftrag an, einen Geschäftsmann zu suchen. Bei seinen Ermittlungen stößt er auf Affären und Lügen, auf Menschen, die geübt sind im Wegschauen und Schweigen. Auf Menschen, die nicht mehr an das Glück und an die Gerechtigkeit glauben - so wie es Tabor Süden selbst lange Zeit ergangen ist. Erneut übertrifft Bestseller-Autor Friedrich Ani in diesem Süden-Roman sich selbst. 'Der einsame Engel' ist ein scharfsinniger und gefühlvoller Krimi über das Fremdsein in der Liebe und im Leben an sich. »Friedrich Anis Romane sind deutsche Gegenwarts­literatur, deren eminente literarische Qualität sie nicht daran hindert, richtige Geschichten aus diesem Land zu erzählen. Konkret, auf den Punkt, pragmatisch und poetisch.« Thomas Wörtche

Friedrich Ani wurde 1959 in Kochel am See geboren. Er schreibt Romane, Kinderbücher, Gedichte, Hörspiele, Drehbücher und Kurzgeschichten. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet: Als bisher einziger Autor erhielt Ani den Deutschen Krimipreis in einem Jahr für drei Süden-Titel gleichzeitig. 2010 folgte der Adolf-Grimme-Preis für das Drehbuch nach seinem Roman 'Süden und der Luftgitarrist'. 2011 wurde der Roman 'Süden' mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, ebenso wie 2014 sein Roman 'M', der wochenlang auf der KrimiZEIT-Bestenliste stand. Friedrich Ani ist Mitglied des Internationalen PEN-Clubs und lebt in München.

Friedrich Ani wurde 1959 in Kochel am See geboren. Er schreibt Romane, Kinderbücher, Gedichte, Hörspiele, Drehbücher und Kurzgeschichten. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet: Als bisher einziger Autor erhielt Ani den Deutschen Krimipreis in einem Jahr für drei Süden-Titel gleichzeitig. 2010 folgte der Adolf-Grimme-Preis für das Drehbuch nach seinem Roman "Süden und der Luftgitarrist". 2011 wurde der Roman "Süden" mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, ebenso wie 2014 sein Roman "M", der wochenlang auf der KrimiZEIT-Bestenliste stand. Friedrich Ani ist Mitglied des Internationalen PEN-Clubs und lebt in München.

1


Da ist sonst niemand

»Wie war dein Wochenende?«, fragte sie, und obwohl sie keine Antwort erwartete, schaute sie mich an wie jemand, der am Wortetropf hing.

Ich sagte: »Ich war monumental bebiert.«

Sie lächelte, traurig, denn ihre Freude war verbrannt.

Vor ungefähr einem Monat, an einem Sonnentag im Februar, hatten Unbekannte in der Detektei von Edith Liebergesell Feuer gelegt und damit die Einrichtung vollständig zerstört.

Die Täter waren nicht unbekannt.

Sie stammten aus dem Kreis jener Neonazis, die unseren Kollegen, den achtundsechzigjährigen Leonhard Kreutzer, so schwer verletzt hatten, dass er später im Krankenhaus starb.

In der Statistik der Polizei tauchte der Überfall auf das Büro im fünften Stock am Sendlinger-Tor-Platz als gewöhnliche Brandstiftung auf. Trotz unserer Hinweise und der Tatsache, dass sowohl die Kripo als auch das Landeskriminalamt über unsere Nachforschungen in der rechten Szene Bescheid wussten, begnügten sich meine ehemaligen Kollegen mit der Suche nach gewöhnlichen Unbekannten.

An dem Tag, an dem bei einer Gewalttat auch nur der geringste Verdacht auf einen neonazistischen Hintergrund bestand und die bayerischen Behörden den Anschlag deswegen automatisch als rechtsradikal einstuften, würden dem Münchner Oberbürgermeister Flügel wachsen und im Hofbräuhaus das Bier ausgehen.

»Wo warst du unterwegs?«, fragte Edith Liebergesell.

»Zuerst in meiner Katerschmiede, dann am Hauptbahnhof.«

»Und deine Katerschmiede ist welches Lokal?«

»Das Café Xeng.«

»Eine chinesische Kneipe?«

»Xeng ist bayerisch für gesehen.«

»Wie viel hast du da getrunken?«

Ich sagte: »Das weiß ich doch jetzt nicht mehr.«

»Und was wolltest du am Hauptbahnhof?«

Die Frage hatte ich mir auch gestellt, als ich Gleis sechzehn erreichte und keine Ahnung hatte, warum. Ein Mann, der sich Egon nannte, sprach mich an. Wir tranken ein Bier zusammen. Er fragte mich, was ich von Beruf sei, und ich sagte: Ich bin ein Sucher, und er meinte: Sind wir das nicht alle? Dann tranken wir noch eine Flasche. Irgendwann war er verschwunden. Ich stand an einem Stehtisch in der Halle – wie früher mit Martin, wenn wir von unserer Dienststelle in der Bayerstraße herübergekommen waren und den Menschen zusahen, die wir alle nicht zu suchen brauchten.

»Ich trink noch einen Aperol«, sagte Edith Liebergesell.

 

Wir saßen vor dem Stadtcafé am St.-Jakobs-Platz, gegenüber dem Jüdischen Museum. Die Frühlingssonne schien zaghaft, und an den Tischen florierten die Gespräche.

Edith und ich hätten ebenso gut vor der Tür eines Hauses am Ende des Weltalls sitzen können.

Das Treffen war ihre Idee gewesen. Andernfalls wäre ich durch die Stadt gelaufen, wie seit Wochen jeden Tag, ziellos, schwerfällig, nutzlos. Die Dinge hatten sich verändert, niemand von uns wusste, wie es weitergehen sollte. Alle zwei Tage erhielt Edith Liebergesell auf ihrem Handy Anrufe von Leuten, die jemanden suchen lassen wollten. Bisher hatte sie nie zurückgerufen.

Wie es aussah, würde der Besitzer der Räumlichkeiten, in denen sich die Detektei befand, den Schaden über die Gebäudeversicherung abwickeln, allerdings erst, wenn die Ermittler fahrlässige Brandstiftung definitiv ausgeschlossen hatten. Seit einer Woche weigerte sich Edith Liebergesell, mit ihrem Vermieter zu sprechen. Sie empfand sein Verhalten als beschämend.

Über die Frage, ob wir weitermachen würden – sie, Patrizia Roos und ich –, hatten wir noch kein Wort verloren. Wir trafen uns, redeten über irgendetwas, begannen mit leichten Getränken und endeten bei den harten Sachen.

Auf dem Waldfriedhof war ich seit dem Feuer nicht mehr gewesen, nur auf dem alten Haidhauser Friedhof, wo Leonhard Kreutzer seine letzte Ruhestätte gefunden hatte. Wenn ich an seinem Grab stand, schwieg ich. Anders als bei Martin Heuer, der neben einer Kolonialwarenhändlerswitwe lag und die Dinge des Lebens mit mir besprach, wie seit urdenklichen Zeiten. Oder am Südrand des Waldfriedhofs auf der Wiese der Anonymen, deren Erdreich die Asche meines Vaters verbarg, irgendwo in drei Metern Tiefe, an einer Stelle, die nur die Grabmacher der Städtischen Friedhofsverwaltung kannten. An einer beliebigen Stelle redete ich mit meinem Vater, wie ich es zu seinen Lebzeiten nie getan hatte – weil er nicht da war, sondern verschollen und Bewohner meiner obdachlosen Erinnerungen.

Ich ging durch die Stadt und wusste nicht, wohin. Ich verbrachte den Tag unter Menschen, aber es hätten auch Tote sein können oder Außerirdische.

Ständig dachte ich über unseren letzten Fall nach, der so unscheinbar begonnen und so hoffnungslos geendet hatte.

Warum hatte ich den alten Mann nicht rechtzeitig gewarnt?

Wieso hatten wir ihn überhaupt allein losgeschickt?

Warum hatten wir nicht begriffen, dass hinter der Suche nach einem angeblichen Taxifahrer eine Welt aus Lügen und Verbrechen steckte und wir Marionetten waren – für den Staat genauso wie für den Anti-Staat.

Jeden Tag Fragen, die keinen Sinn ergaben.

Jeder Tag ein Umherirren im Dunkeln.

An jedem Tag Anflüge von Selbstmitleid und Selbstbetrug und am Ende Alkohol und Verstummen und die Nähe einer Frau, die meinen Zustand wie ein Zerrbild spiegelte.

Wir tranken aus Gewohnheit. Und wenn die Kellner hinter uns die Stühle auf die Tische stellten, bekamen wir es mit der Angst. Draußen wartete die Nacht, und in meiner Wohnung hockte ein Fremder, der meinen Namen angenommen hatte, weil er glaubte, auf diese Weise unbeschadet über die Grenze ins Morgen zu gelangen.

 

»Der wievielte Aperol ist das?« Edith Liebergesell nippte an ihrem roten Getränk, warf mir einen Blick zu, und ich sah, wie ihre Hände zitterten.

»Der dritte.«

»Dann bin ich erst am Anfang.«

Nach zehn Jahren hatte sie endlich erfahren, wer damals für die Entführung und Ermordung ihres Sohnes verantwortlich gewesen war, doch sie empfand keine Genugtuung darüber. Die Täter kamen aus der rechtsradikalen Szene. Die Haupttäterin war tot, erschossen von ihrem Komplizen, mit dem sie als junge Frau verheiratet gewesen war. Dieser Mann verweigerte die Aussage. Mir war klar, dass er trotz aller stichhaltigen Indizien niemals wegen Menschenraubs und Mordes verurteilt werden würde. Wahrscheinlich würde er nur eine Bewährungsstrafe wegen Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation erhalten. Der Mord am kleinen Ingmar Liebergesell blieb ungesühnt, so wie der gewaltsame Tod von Leonhard Kreutzer.

Ein paar Wochen lang herrschte Empörung, dann stieg die Stadt wieder auf die Stelzen ihrer Selbstgenügsamkeit und stakste in bewährter Manier durch die Reihen ihrer Steuerzahler.

»Hast du finanzielle Reserven?«, fragte Edith Liebergesell.

»Siebentausenddreihundertfünfzehn Euro.«

»Und wenn die aufgebraucht sind?«

»Dann herrscht Brauchtum.«

»Ich könnte meine Wohnung in Schwabing verkaufen und in eine billige Mietwohnung ziehen«, sagte sie.

»In Mecklenburg-Vorpommern?«

»Wieso nicht?«

»Unbedingt.«

Wir schwiegen.

Sie bestellte ihr erstes Glas Grünen Veltliner und ich mein zweites Bier, nachdem ich vorher zwei leichte Weißbiere getrunken hatte, als wäre ich allen Ernstes fähig, mich auszutricksen.

Der Nachmittag verging.

Die Gäste um uns herum wechselten, die Art der Getränke seltener. Manchmal stellte ich mir vor, jemanden zu suchen, Angehörige und Freunde zu befragen, leere Zimmer zu besichtigen und Fotos zu betrachten, auf denen eine Person zu sehen war, die niemand wirklich kannte.

Wie seit jeher.

Stattdessen blieb ich sitzen, trotzte den lauter werdenden Stimmen, dem aufkommenden, kühlen Wind und den Karawanen meiner Gedanken, die durch meinen Kopf vagabundierten, vor den wütenden Stürmen des Bieres noch in Sicherheit.

Was jetzt?, dachte ich.

Ein Mann von fünfundfünfzig Jahren, ehemaliger Staatsbeamter, heute Mitarbeiter einer Detektei, die nicht mehr existierte. Nicht verheiratet, keine Kinder, ohne Beziehung. Beziehung?, dachte ich, ulkiges Wort. Ich hatte nicht einmal eine Affäre, nicht einmal einen Freund, jedenfalls keinen, der am Leben war und real neben mir am Tresen hätte stehen können.

Alles, was ich besaß, war eine Mietwohnung, die meine Chefin mir besorgt hatte, und rund siebentausend Euro auf dem Konto, die ich mir in den vergangenen Jahren auf mysteriöse Weise zusammengespart hatte. Bis zu diesem Tag im März erhielt ich von Edith Liebergesell nach wie vor zweitausend Euro Honorar im Monat. Davon beglich ich meine Krankenversicherung und bezahlte eine niedrige Miete. Was für ein Glück, dachte ich und trank.

Vor mir auf dem Platz ging ein Rabbi in die Synagoge. Ich dachte an den geplanten Anschlag bei der Grundsteinlegung des Jüdischen Gemeindezentrums und an die Bande von Rechtsradikalen, an die wir bei unserer Suche nach dem verschwundenen Taxifahrer geraten waren und die unser Leben für immer verändert hatte.

Was jetzt?, dachte ich wieder.

Ich war noch nicht betrunken genug, um mich treiben zu lassen. Meine Nüchternheit quälte mich und ergab keinen Sinn.

Dann kam Edith mit ihrer grünen Handtasche aus dem Stadtcafé, und ich fragte mich, wann sie aufgestanden und auf die Toilette gegangen war. Ich schaute zu ihr auf und sah, dass ihre Augen gerötet waren und ihre Wangen grau wie alter Schnee.

Sie legte die Hand auf meine Schulter und verharrte einen Moment. Gerade als ich nach ihrer Hand greifen wollte, ließ sie los, ging an mir vorbei und setzte sich auf ihren Stuhl. Sie stellte die Handtasche neben sich auf den Boden, nahm ihr Glas erst mit einer, dann mit beiden Händen und trank...

Erscheint lt. Verlag 26.1.2016
Reihe/Serie Ein Fall für Tabor Süden
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Affäre • Ani Süden • Anita Kurth • Bestseller-Autor • Detektei Liebergesell • Edith Liebergesell • Einsamkeit • Emma Fink • Ermittler • Friedrich Ani • Friedrich Ani Süden • Gemüsehändler • Justus Greve • Kommissar • Krimi deutsche Autoren • Krimi Deutschland • krimi münchen • Kriminalroman • kriminalromane bestseller • Kriminalromane Serien • Krimi regional • Krimireihe • krimi reihen • Liebe im Krimi • Mord • München-Krimi • Privatdedektiv • psychologische Krimis • Selbstmord • Süden • Tabor Süden • Tabor Süden Band 20 • Tabor Süden, Friedrich Ani • Vergewaltigung • Vermisst • Vermisstenfälle • Vermisste Person
ISBN-10 3-426-42452-5 / 3426424525
ISBN-13 978-3-426-42452-0 / 9783426424520
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