Schmiede der Freiheit (eBook)
400 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7386-9232-7 (ISBN)
Seit seinem fünfzehnten Lebensjahr schreibt Martin Riesen gerne Geschichten. Mit "Aussergewöhnliche Automatons" erschien 2014 sein erster Roman, der inzwischen mehrere Fortsetzungen erhalten hat. Martin Riesen lebt mit zwei Katzen im Zürcher Oberland in der Schweiz. www.storycorner.ch
1
Eine gereizte Stimmung erfüllte die Werkstatt, gleich einer Gewitterwolke, die sich jederzeit in einem Donnerwetter entladen konnte. Johanna hatte ihren Adoptivvater selten so wütend erlebt.
„Ich sagte nein, und dabei bleibt es!“, schnappte Ernst Geich.
„Aber –“
Er ließ sie nicht ausreden. Drohend hob er den Zeigefinger. „Ich lasse dich nicht mehr mit so gefährlichen Programmen herumspielen, egal was du sagst.“
„Ich will den Autochaniker ja nicht nachbauen, aber ich möchte gerne wieder einmal etwas Neues versuchen“, rechtfertigte sich Johanna. „Was ist nur los mit dir? Früher warst du nicht so ablehnend.“
„Was los ist?“ Das Gesicht des Professors verhärtete sich. Er fuhr mit der Hand durch die strubbeligen, immer schneller ergrauenden Haare, bevor er sich an seinem unrasierten Kinn kratzte. „Mal sehen. Ich wurde verhaftet, beinahe in die Luft gesprengt, nochmals verhaftet, um ein Haar erschossen, musste mitansehen, wie du angeschossen wurdest, und schließlich vor einem britischen Kampfluftschiff fliehen, während du beinahe verblutet wärst. Reicht das?“
„Aber das war doch nicht meine Schuld“, wehrte sich Johanna. Kleinlaut fügte sie hinzu: „Zumindest nicht alles.“
Der Professor seufzte und setzte sich auf den Hocker, der vor einer leeren, im Moment unbenutzten Werkbank stand. „Ich will dich nur beschützen, versteh das doch.“
„Aber ich langweile mich! Du lässt mich gar nichts mehr machen, außer ein paar öden Programmänderungen. Ich möchte wieder experimentieren, etwas Neues schaffen, so wie früher!“
Langsam schüttelte der alte Mann den Kopf. „Es wird nie mehr so sein wie früher. Du bist jetzt siebzehn Jahre alt, beinahe eine Frau, und ich will, dass du dich auch so verhalten kannst.“
„Aber ...“, presste sie hervor. Ihr ging ein Licht auf. „Ist das der Grund für alles? Die neuen Kleider, das hübsche Zimmer?“
„Natürlich! Magst du es denn nicht, wenn ich dich ein bisschen verwöhne?“
„Doch, schon, aber ... Ich bin es nicht gewohnt und ich komme mir so unnütz vor.“
„Ach Unsinn!“, sagte er abwinkend, trat neben sie und fasste sie an den Schultern, worauf sie zu ihm aufsah und in seine warmen, freundlichen Augen blickte. „Ich habe inzwischen schon ein schlechtes Gewissen, wenn ich dich darum bitte, ein Programm zu stanzen. Solche Arbeiten sind nichts für eine Frau deines Standes.“
„Meines Standes? Also war es in Ordnung, als ich noch ein Arbeitermädchen war?“ Sie war im Frühjahr nach einer Kette unglücklicher Ereignisse von Professor Geich adoptiert worden und aus der Arbeiterschicht in bessere Gefilde aufgestiegen. Als Bürgerin der Stadt standen ihr Möglichkeiten offen, die sie als Arbeitermädchen nie gehabt hätte. Sie dachte nicht gerne an diese Zeit zurück. Wenn man sie überhaupt beachtet hatte, war es meist nicht die Aufmerksamkeit gewesen, die sie sich gewünscht hatte. Heute hingegen würde niemand auch nur ahnen, dass die zierliche, junge Frau in ihrem edel geschnittenen, dunkelgrünen Kleid nicht als Bürgerin geboren worden war. Vielleicht wurde zur Kenntnis genommen, dass sie ihr langes, dunkelblondes Haar nur hochgebunden und mit einer Schleife verziert hatte, anstatt es unter einer Kopfbedeckung zu verbergen, doch das war auch alles, was sie von den übrigen Bürgerfrauen unterschied.
„Da war es etwas anderes. Ich habe mir schon überlegt, eine Hauslehrerin anzustellen, die dich auf das Weitere vorbereitet.“
„Worauf?“, fragte Johanna misstrauisch.
„Na ja, du weißt schon“, murmelte er ausweichend. „Ich habe mitbekommen, wie sehr dir der Ritter ans Herz gewachsen ist.“
„Bitte?“, presste sie hervor. „Nein, nein, das hast du falsch verstanden!“
Hermann von Leipold war bei der schicksalsträchtigen Expedition zur Weltausstellung in London ihr Leibwächter gewesen. Ganz im Unrecht war der Professor nicht. Sie mochte den Ritter, das konnte sie nicht abstreiten, aber sie hing noch zu sehr an einer zerbrochenen Liebe, um sich auf ihn einzulassen.
„Hab ich das? Warum hat er mich dann um meinen Segen gebeten?“, fragte Ernst.
„Er hat um meine Hand angehalten?“, presste sie schockiert hervor. Der Ritter war bereits so frech gewesen, ihr gegenüber Heiratsabsichten auszusprechen, die sie vehement zurückgewiesen hatte. Wenn er es nun gewagt hatte, dies stattdessen bei ihrem Adoptivvater zu tun, dann würde sie ihm persönlich die Augen auskratzen.
„Nein, das nicht“, beruhigte sie der Professor. „Er hat lediglich angedeutet, einer Heirat nicht abgeneigt zu sein, und gefragt, ob er meinen Segen dazu hätte.“
„Und was hast du ihm gesagt?“
„Ich habe ihm geantwortet, dass ihr beide meinen Segen habt, wenn du damit einverstanden seist.“
Dies reichte, um sie zumindest ein bisschen zu beruhigen, wenn es ihr die Angst auch nicht vollständig nahm. Hermann von Leipold hatte ihr zum Geburtstag eine sehr teure Halskette geschenkt. Sie hatte sich furchtbar geschämt, weil er etwas so Wertvolles gekauft hatte, aber sie trug die Kette trotzdem, auch wenn es ihr manchmal nicht recht war.
„Magst du ihn denn nicht?“, fragte er.
„Doch, sehr sogar, aber trotzdem will ich noch nicht so weit vorausplanen.“
„Denkst du noch oft an Ludwig?“
„Jeden Tag“, gab sie schwermütig zu.
Ludwig Geulinger war Offizier des Heeres und ihre erste Liebe gewesen. Nach einer heftigen Streitserie hatten sie sich getrennt und er sich zur Kolonialarmee nach Afrika versetzen lassen. Auch wenn dies nun fast drei Monate zurück lag, konnte sie nicht aufhören, an ihn zu denken. Wie es ihm wohl gerade ging? Ob er auch an sie dachte?
„Nimm dir Zeit, Mädchen“, flüsterte ihr der Professor zu. „Aber überlege es dir gut, ich glaube, er wäre ein guter Fang.“
Ein bitterer Gedanke drängte sich in ihren Kopf. „Ist das alles, was wichtig ist? Ich soll einen guten Fang machen?“
„Was meinst du damit?“
„Du behandelst mich wie eine Puppe. Du ziehst mich hübsch an, steckst mich in ein nettes Puppenhaus und nun soll ich brav auf den Prinzen warten, der mich heiratet und meine Zukunft wird.“
„Ach, sei nicht albern! Wie ich bereits sagte, will ich dir nur ein angenehmes Leben ermöglichen und dazu gehört auch, einen guten Mann zu heiraten.“
„Warum hast du denn in deinem ach-so-angenehmen Leben nie geheiratet?“, griff sie an.
„Ich hatte meine Gründe.“
„Ach ja? Welche?“
„Werd bloß nicht frech!“, schimpfte er.
Wütend starrte Johanna zu ihm. Es war so typisch! Heirat und Kinder, das war alles, was von ihr erwartet wurde. Sie hatte gedacht, der Professor wäre anders, doch sie hatte sich leider getäuscht. Männer!, dachte sie abschätzig. Ohne weiter auf ihn einzugehen, verließ sie die Werkstatt und ließ die schwere Holztür mit voller Wucht hinter sich ins Schloss fallen. Der Knall dröhnte laut durch das Haus.
Unschlüssig stand sie im langen Flur, der vom Eingang bei der Küche an der Werkstatt vorbei bis zum Wohnzimmer und der Treppe zum Obergeschoss führte. Sie hätte schreien und gleichzeitig weinen können.
„Johanna?“, fragte eine Stimme links von ihr. Minnas Kopf erschien im Zugang zur Küche. Das Dienstmädchen wirkte erschrocken. „Was ist denn los? Ich dachte gerade, das Dach stürzt ein, bei dem Lärm, den du machst.“
„Verzeih, es war nicht meine Absicht“, sagte Johanna leise, betrat die Küche und setzte sich an den massiven Esstisch, der beinahe die komplette rechte Seite des Raumes ausfüllte.
„Habt ihr wieder gestritten?“, fragte Minna. Ihr war selbstverständlich nicht entgangen, dass sich Johanna und der Professor seit der Rückkehr aus London regelmäßig in den Haaren lagen.
„Langsam bereue ich es, der Adoption zugestimmt zu haben“, antwortete sie weinerlich.
„Ach komm, jetzt übertreibst du!“
Minna trat vom grünen, gusseisernen Herd, auf dem ein Topf mit brodelndem Wasser stand, und setzte sich neben sie. Mit nachdenklichem Blick schob sich das Dienstmädchen eine verirrte Strähne ihrer dunkelbraunen Haare hinter das Ohr zurück. Minna war drei Jahre älter als sie und schon seit einer ganzen Weile im Dienst des Professors. Zu Beginn hatten sie sich überhaupt nicht verstanden, doch in den letzten Wochen und Monaten hatte sich das zu einer erstaunlich tiefen Freundschaft gewandelt. Die unscheinbare, etwas stämmige Frau hatte ihre anfängliche Eifersucht überwunden, worüber Johanna gerade in letzter Zeit sehr dankbar gewesen war.
„Nein, ich übertreibe nicht“, sagte sie. „Warum behandelt er mich wie seine Anziehpuppe? Bin ich nur noch da, um zu lächeln und hübsch...
Erscheint lt. Verlag | 29.5.2019 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur |
ISBN-10 | 3-7386-9232-0 / 3738692320 |
ISBN-13 | 978-3-7386-9232-7 / 9783738692327 |
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