Wer fällt, gefällt -  Fritz Heinrich Lotterfuchs

Wer fällt, gefällt (eBook)

Aus dem schönen Leben des Gebrauchsdenkers Ingo K.
eBook Download: EPUB
2014 | 2. Auflage
396 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7386-6329-7 (ISBN)
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"Man verliebt sich, wie man krank wird, und es besteht ebenso wenig Grund, sich damit zu brüsten." "Das originelle Kind lebt abseits von den Erwachsenen, die töricht herauszufordern es sich wohl hütet ... Das Werden seiner Persönlichkeit könnte sich eigentlich nur in Verlegenheit und Unruhe äußern." (Robert Poulet) "Nicht sein, sondern denken, denken, denken." (Stanislaw Lec) "Die meisten Menschen existieren, sonst nichts." (Oscar Wilde) Originelle Köpfe oder kauzige Originale? Dieser bizarre Schelmenroman, der den Elfenbeinturm feiert, erzählt die Abenteuer einer Gruppe von skurrilen Menschen um einen halbverschollenen Philosophen der Vergangenheit - alles in der Tradition des fast vergessenen Kultur-Idyllikers, virtuosen Erkenntnisspielers und subtilen Trivialitätssaboteurs Jean Paul (Richter) zwischen Klassik und Romantik : Ein satirischer bis dadaistischer Bildungsroman, unkritisch und reaktionär, auch dogmatisch und stockelitär - E-Kunst als "höherer Jux" (Thomas Mann) for the unhappy few. Jegliche Ähnlichkeiten mit realen oder lebenden Personen wären rein zufällig.

Jahrgang 1949. Studium der Ästhetik und Formalen Logik. Passionierter Spaziergänger und Freund der Vita contemplativa.

Nachmittags schrieb er die Meisterwerke, die er vormittags postfertig machte. In der ersten Tageshälfte war der professionelle Trübsinn zu übermächtig, um kreativ entbinden zu können; es reichte gerade dazu, die Manuskriptkopien versandfertig eingetütet zum Postamt zu tragen, dort neue Postwertzeichen zu kaufen und zu Hause auf den Postboten zu warten. Seine morgendlichen Kreislaufregulationsstörungen hinderten ihn nicht nur beim Kaufmann, sich in Warteschlangen einzureihen, sondern auch auf dem Postamt. Also setzte er sich ans Schreibpult in der Posthalle und tat beiläufig so, als habe er noch komplizierte Formulare auszufüllen, bis der Postschalter wieder kundenfrei war.

Dann stürzte er, bevor ihm ein anderer zuvorkam, mit gespieltem Gleichmut auf das Postfräulein zu und ließ das sorgfältig adressierte und meist schon frankierte Manuskript daraufhin wiegen, ob es noch als Päckchen für drei Euro durchgehen konnte oder schon ein teureres Paket war.

Meist war es noch ein Päckchen, denn er schrieb keine dicken Wälzer, weder Romane noch Lehrbücher, sondern Essays und Erzählungen, zum raschen Verzehr bestimmt mit Haltbarkeitsdatum höchstens bis zum nächsten Jahrhundertende oder ein bißchen darüber hinaus. Er reihte sich nicht ein in die endlose Fleißkette eifriger Beiträger zum wissenschaftlichen Fortschritt, der langsamer mahlt als Gottes Mühlen, sondern übte sich im Hochsprung und Weitwurf des Naturgenies, das ständig bei Adam und Eva anfängt und es selten zur Vertreibung aus dem Kindergarten Eden bringt.

Sobald sein lebensschwacher Kreislauf nach dem Mittagessen etwas vom erschlaffenden Nachtschlaf erholt war mit Hilfe einiger Tassen schwarzen Tees, nahm er die regenschützende Plastiktüte mit den gutversiegelten "Jiffy"-Taschen und stapfte los. Natürlich war nicht an jedem Tag ein ganzes neues Manuskript fertig genug, um der Post anvertraut zu werden. Ruhelos wanderte er die sechzehn Schritte von einer Seite seiner Dachmansarde zur anderen auf und ab. immer wieder sah er zwischen 10 und 11 Uhr durchs Fenster auf die Straße nach dem Postboten. Irgendwann sah er die gelbblaue Tasche auf Rädern vor der Gartenpforte eines Nachbarn stehen und konnte sich ausrechnen, wann die Absage des Nobelpreiskomitees ihn erreichte.

Sollte er enttäuschter darüber sein, daß er heute ganz leer ausging oder darüber, daß ihm vom Verlag wieder eines seiner Manuskripte unverrichteter Dinge wie ein Bumerang an den Kopf zurückflog, aus dem es gekommen war? Angenommen zur Veröffentlichung war noch nie eines, und in Augenblicken, wo er es ertragen konnte, machte er sich klar genug, daß er im Grunde mit der Möglichkeit, nie in einem Buchhändlerschaufenster zu liegen, nicht nur insgeheim längst rechnete, sondern diese Möglichkeit auch längst für die wahrscheinlichste hielt. Ohne sich den Mißerfolg gerade herbeizuwünschen, war er auf den Erfolg kaum noch vorbereitet, da er das eine mehr fürchtete als das andere.

Aber an jedem Vormittag fieberte er erneut dem Hermes von der Post entgegen und war einer großen Leere ausgeliefert, wenn das Ausbleiben einer Verlagszusage sich nur in der Form vollzog, daß er nicht einmal einer formvollendeten Absage gewürdigt wurde. Das Manuskript, das wenigstens unbeschädigt zurückkam zu seinem Erzeuger, nannte er liebevoll enttäuscht kurz "das Tägliche", und verwandelte die Verbitterung über den abschlägigen Bescheid nicht nur in die Wiedersehensfreude über die Rückkehr des unverlorenen geistigen Kindes, sondern auch sofort in die Energie, mit der er das Exemplar erneut mit einem Begleitschreiben an den nächsten Verlag versah, in die Versandtasche zurücksteckte und frischfrankiert zur Post zurückbrachte

Sauber wurde Buch geführt über die Ein- und Ausgänge jedes Buchmanuskripts, damit kein Verlag dasselbe Werk zweimal zurückschicken mußte, und wenn ein Verlag mehrfach vom selben Elaborat heimgesucht wurde, dann nur im Abstand von einigen Jahren, bis der Verleger Zeit gefunden hatte, seine Lektoren auszuwechseln.

Unser Künstler war noch weit davon entfernt, daß jeder Lektor des Landes jedes seiner Machwerke wenigstens einmal in seinem Leben hatte dankend ablehnen dürfen, und diese Gewißheit gab dem Unverdrossenen den verzweifelten Mut dessen, der einen Grund braucht, nicht in Fabrik und Büro zurückzukehren. Er hatte so viele Pferde laufen, vorsichtshalber, daß kaum ein Tag vergehen konnte, an dem nicht wenigstens ein einziges „Manu“ treu zusammen mit einem handunterschriebenen Absagevordruck Retourkutsche fuhr. Es war schon viel, wenn ein Verlagslektor oder Zeitschriftenredakteur entweder noch jugendlich unverbraucht genug war oder; seltener sich mitfühlend herabließ, den obligaten Korb in persönlicher Formulierung zu geben, und gar, Gipfel verlegerischer Autorenbetreuung, mit der Auflistung der Qualitätsmängel oder fachkundiger Ratschläge zu begründen. Die schlimmsten und die besten, die erfreulichsten und die ärgerlichsten Ablehnungsbescheide wurde in einer Extramappe gesammelt als Beweismittel und als Materialien für künftige Neuschöpfungen. Stets schrieb er unter einem anderen Namen oder unter dem Namen eines anderen.

Sorgfältig legte Bernhard in der Erinnerung ab und kramte in kleinmütigen Stunden wieder hervor, was sich ein Bekannter einst zu ihm hatte einfallen lassen, als er seine Praktiken launig dem Gelächter preisgegeben sah, um wenigstens einmal damit den Beifall zu finden, den seine Musenfrüchte nicht eintragen wollten. Dieser witzige Bekannte hatte ihn einen "Manuskript-Rastelli" genannt, was ihn ja nicht gerade zu einem begnadeten Künstler machte, aber doch zu einem anerkannten Manager seiner selbst und einem Luftakrobaten der Kopien. Seine geistigen Sorgenkinder schickte er auf geheimnisvolle Weltreisen, auf Fahrten ins Blaue in ferne Redaktionsdschungel, er wartete nägelbeißend auf Lebenszeichen von ihnen und schloß die nicht Verschollenen weinend in die Arme, froh, sie erneut für eine Expedition ausrüsten und in die große weite Welt entlassen zu können, die er nur von den gnädigen Antwortschreiben seiner Manuskriptsendungen her kannte. So mußte er nicht immer wieder mühsam und kostspielig neue Kopien aus dem sorgsam in Aktenordnern verwahrten Schreibmaschinenoriginal herstellen oder, was häufiger vorkam, von seiner Verlobten auf deren Arbeitsstelle verstohlen herstellen lassen.

Sie wagte das nicht oft zu tun, aus Angst, ertappt zu werden beim verbotenen Mißbrauch von Firmeneigentum für Privatzwecke. Ein Manuskript wurde lieber in viele kleine Seitenportionen zerlegt, und im Abstand von einigen Tagen wurden zwischen Firmenkopien einige Manuskriptblätter gemogelt. Es dauerte natürlich eine gewisse Zeit, bis auf diese ebenso sichere wie antikapitalistische Weise ein ganzes Manuskript in einem einzigen Exemplar fertig kopiert war. Von seinen drei Werken hatte Bernhard im Laufe der Zeit inzwischen je sechs Kopien anfertigen lassen können, ohne einen Pfennig zu bezahlen. Einmal war versehentlich in der nervösen Eile ein Blatt im Kopierer liegengeblieben. Ein Arbeitskollege seiner Verlobten fand die Manuskriptseite und las sie stundenlang allen anderen laut vor. Man lachte umso lauter und höhnischer, je weniger man verstand von diesem "hochgestochenen Schmus", es war eine willkommene Abwechslung im Bürotrott gewesen. Zum Glück hatte der Name des Verfassers nicht auf dem Corpus delicti gestanden. Jeder der Kollegen geriet in Verdacht, aber niemandem wurde ein solches Doppelleben letztlich zugetraut, und es dauerte einige Tage, bis jeder sich damit abgefunden hatte, das lächerliche Geheimnis nicht lüften zu können, wodurch jeder sich um verdiente Schadenfreude gebracht fühlte.

Nach jedem "Rücklauf" durch ein lektorielles Examen sah das Manuskript, obwohl es nicht als Druckvorlage benutzt worden war, ein wenig abgenutzter und unansehnlicher aus. Manche Prüfstellen gingen verachtungsvoll rau mit den von holden Hoffnungen parfümierten Einsendungen um. Als Faustregel galt, daß eine Kopie kaum mehr als ein halbes Dutzend Mal dankend und postwendend den Absender zum Empfänger und den Empfänger zum Absender des Empfangenen machen durfte, ohne die Erfolgsaussichten gleich vorweg durch mangelnde ästhetische Akzeptanz des Outfit zu gefährden, noch vor jeder Inhaltskontrolle. Kurz: Die Verlage machten aus blütenrein faltenlosen, jungfräulichen Bewerbungsunterlagen allzu gern stockfleckige Knitterhaufen, wollten solche aber auf keinen Fall in Empfang nehmen. So rächten sie sich für ihre eigene kreative Impotenz an denen, die noch nicht durch Herabstufung von Künstlern zu Redakteuren resigniert hatten. Ja, diese rachsüchtig verhinderten Dichter hatte Ingo im gekränkten Verdacht, Manuskripte mutwillig zu beschädigen, bevor sie ungelesen zurückgeschleudert wurden, aber diese von ihnen mißhandelten Exemplare zu lesen, wäre ihnen eine Zumutung gewesen. Sie selbst machten die Einsendungen so unlesbar, wie ihre eigenen literarischen Jugendsünden gewesen waren, argwöhnte Ingo, um seine Wunden als Orden tragen zu können.

Ein so vorgeschädigtes Manuskript hatte jede Chance...

Erscheint lt. Verlag 10.11.2014
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga
Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-7386-6329-0 / 3738663290
ISBN-13 978-3-7386-6329-7 / 9783738663297
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