Begutachtung bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen (eBook)

Autorisierte Leitlinien und Kommentare
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2015 | 2. Auflage
664 Seiten
Hogrefe AG (Verlag)
978-3-456-95565-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Begutachtung bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen -  Wolfgang Schneider,  Ralf Dohrenbusch,  Harald J. Freyberger,  Peter Henningsen,  Hanno Irle,  Volker Köl
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Die Begutachtung der beruflichen Leistungsfähigkeit bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen in unterschiedlichen Versicherungs- und Rechtskontexten hat in den letzten zehn Jahren erheblich an Bedeutung zugenommen. Jedoch weist die Begutachtung von psychischen und psychosomatischen Krankheiten inhaltlich und methodisch erhebliche Probleme auf, die sich insbesondere auf die Validität der gutachterlichen Bewertung auswirken. Die Autoren des vorliegenden Buches haben im Rahmen einer interdisziplinären und multizentrischen Kooperation Standards zur Begutachtung der beruflichen Leistungsfähigkeit und von Kausalitätsfragen bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen mit dem Ziel entwickelt und evaluiert, die Begutachtung zukünftig methodisch einheitlicher, valider und den Prozess der Entscheidungsfindung transparenter zu gestalten. Diese Standards sind von den relevanten Fachgesellschaften der Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlicher Medizinischer Fachgesellschaften (AWMF) als Leitlinie autorisiert worden. Die Manualisierung des Begutachtungsleitfadens sowie die ausführliche und kompetente Darstellung der unterschiedlichen methodischen Herangehensweisen sowie Praxisbeispiele erleichtern die praktische Anwendung für ärztliche und psychologische Gutachter, Juristen und Versicherungsmitarbeiter.

Begutachtung bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen 4
Inhalt 6
Vorwort zur 2.?Auflage 14
Vorwort 18
Teil 1 Theoretische Aspekte 24
?1 Die psychosozialen Hintergrund­bedingungen von Begutachtungs­fragestellungen bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen 26
1.1 Einleitung 26
1.2 Exkurs: Die gesellschaftliche Dimension und die Entwick­­lungen in der Arbeitswelt in ihren psychosozialen Auswirkungen 29
1.3 Der Einfluss der öffentlichen Meinung und der Medien – Medikalisierungsprozesse 33
1.4 Der Weg in die Rente 35
1.5 Probleme der Begutachtung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen 38
Teil 2 Diagnostische Methodender Begutachtung 44
?2 Das diagnostische Interview 46
2.1 Grundsätzliches 46
2.2 Ebenen des gutachtlichen diagnostischen Interviews 47
2.3 Subjektivität des diagnostischen Interviews 50
2.4 Anwesenheit Dritter und Fremdanamnese 50
2.5 Aufbau des gutachtlichen diagnostischen Interviews 51
3 Die Erhebung von Zusatzbefunden: körperliche Untersuchung, Serumspiegelbestimmungen von Medikamenten und apparative Zusatzuntersuchungen 54
?4 Zur Bedeutung der Testpsychologie beiICF-orientierter Begutachtung 58
4.1 Aktueller Stellenwert psychologischer Messverfahren in psychiatrischer und psychosomatischer Begutachtung 59
4.2 Risiken eines ausschließlich interviewbasiertendiagnostischen Zugangs 61
4.3 Prinzipien psychologischer Messung 64
4.4 Testanwendung 77
4.5 Standardisierte dimensionale Diagnostik gängiger Aktivitäts- und Fähigkeitsmaße 89
4.6 Schlussfolgerungen zum Einsatz psychologischer Testverfahren in der Begutachtung von Personen mit psychischen Störungen 112
5 Das Interview aus aussagepsychologischer Perspektive: Validierung explorationsbasierter Informationen 117
5.1Stärken und Schwächen diagnostischer Interviews 117
5.2 Das Gedächtnis des Befragten als Ausgangspunktder Befragung 119
5.3 Aussagepsychologische Implikationen 123
5.4 Bedingungen valider Datenerhebungen: einige Empfehlungen zum explorativen Vorgehen in der Begutachtung 128
6 Diagnostik des prämorbiden Zustandes bei der Kausalitätsbegutachtung 134
6.1 Probleme der Prämorbiddiagnostik 135
6.2 Diagnostik prämorbider Störungen:Sicherung des Krankheitswertes 138
6.3 Diagnostik einer störungsspezifischen Schadensanlage 140
6.4 Diagnostik «allgemeiner» prämorbider Vulnerabilität 144
6.5 Diagnostik des prämorbiden Funktionsniveaus 147
6.6 Diagnostik prämorbider situativer Bedingungen 151
?7 Psychologische Methodender Beschwerdenvalidierung 153
7.1 Psychologische Testdiagnostik und Neuropsychologie 153
7.2 Grenzen der Aussagefähigkeit standardisierter Testverfahren 156
7.3 Negative Antwortverzerrungen, Auftreten und Bedeutung in der Begutachtung 157
7.4 Methoden zur Beschwerdenvalidierung 160
7.5 Alternativwahlverfahren, Beschwerdenvalidierungstests im engeren Sinne 162
7.6 Eingebettete Beschwerdenvalidierungsindikatoren 167
7.7 Selbstbeurteilungsverfahren, Fragebogenmethoden 168
7.8 Konsistenz- und Plausibilitätsprüfungen 174
7.9 Absicherung von Aussagen zur Konsistenz und Plausibilitätvon Beschwerdeschilderungen 175
7.10 Plausibilität im Rahmen wissenschaftlich/empirischgestützter Modelle 178
7.11 Empfehlungen für die Begutachtung 183
?8 Wie theoretisch fundiertsollte die Begutachtung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen sein? 190
8.1 Klassifikatorische Diagnostik als Ausgangspunktder Status-quo-Bewertung 191
8.2 Verknüpfung von Status-quo-Diagnostik und entwicklungsgeschichtlichem Hintergrund 194
8.3 Konzepte der Psychoanalyseund der psychodynamischen Theorie 195
8.4 Konzepte der Lern- und Handlungstheorie 199
8.5 Grenzen der gutachterlichen Ausrichtung an tiefenpsychologischen oder lern- und handlungstheoretischen Konzepten 201
8.6 Das Verhältnis von Psychotherapie und Begutachtung 203
8.7 Auf dem Weg zu einer theoriegeleiteten und empirisch fundierten Begutachtung 204
8.8 Fazit 207
9 Vom Befund bis zur Stellungnahme – Empfehlungen zur leitfadengestützten gutachterlichen Urteilsbildung 210
9.1 Allgemeine Hinweise 210
9.2 Empfehlungen zu Art und Umfang der Informationsaufnahme 211
9.3 Empfehlungen zur Informationsverdichtung in den für die Beantwortung der Fragestellungen relevanten Teilbereichen 212
9.4 Abgleich des Anforderungsprofilsmit dem Beeinträchtigungsprofil 220
9.5 Prognostische Aussagen 222
?10 Zusammenfassendeund integrierende Bewertungbei der Begutachtung 225
10.1 Berücksichtigung organmedizinischer Vorbefunde 225
10.2 Prüfung der Voraussetzungen für die Integration unterschiedlicher Informationsebenen 226
10.3 Integration relevanter Ergebnisse und Befunde in die Beantwortung der gutachterlichen Fragestellungen 229
?11 Prognosenstellung 232
11.1 Statistische Prognosefaktoren 232
11.2 Hinweise zur Individualprognose 235
11.3 Schlussfolgerungen 245
Teil 3 Die Begutachtung in unterschiedlichen Rechtskontexten 248
?12 Die Begutachtungim Rahmen der Rehabilitationund Rentenverfahren wegen verminderter Erwerbsfähigkeit 250
12.1 Reha- und Rentenleistungen bei psychischen und Verhaltensstörungen 251
12.2 Rehabilitationsbedürftigkeit, Rehabilitationsfähigkeit, Rehabilitationsprognose, Leistungen zur Teilhabe, Akutbehandlung versus Rehabilitation 258
12.3 Renten wegen Erwerbsminderung, Berufs- und Erwerbsunfähigkeit 261
12.4 Begutachtung für die gesetzliche Rentenversicherung bei psychischen Störungen 267
12.5 Ausblick: Qualitätssicherung der Begutachtungin der gesetzlichen Rentenversicherung 276
13 Die Begutachtung im Rahmen der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung 280
13.1 Berufsunfähigkeit in der privaten BU-Versicherung – Begriffsklärung 280
13.2 BU-Leistungsprüfung – eine kooperative Zusammenarbeit zwischen Leistungsprüfer und Mediziner 282
13.3 Organisch nicht oder nicht ausreichend erklärbare Beschwerden (psychosomatische bzw. somatoforme Störungen) als BU-Ursache 286
13.4 Unter welchen Umständen und zu welchem Zeitpunktist eine psychosomatische Begutachtung sinnvoll? 287
13.5 Medizinische Begutachtung von somatoformen Störungen 288
13.6 Diagnose einer somatoformen Störung und Einschätzungdes Restleistungsvermögens 289
13.7 Entscheidung über Berufsunfähigkeit durch den Leistungsprüfer des Versicherers 290
?14 Probleme und Strategien bei der Bewertung psychisch bedingter Berufsunfähigkeit 291
14.1 Abgrenzung Berufsunfähigkeit vs. Erwerbsminderung – Auswirkungen auf die Begutachtung 292
14.2 Entscheidungsschritte zur Bewertungder beruflichen Leistungsfähigkeit 293
14.3 Spezielle Probleme der BU-Begutachtung 305
Teil 4 Die Begutachtung bei unterschiedlichen klinischen Fragestellungen 308
?15 Begutachtung bei Schmerz und somatoformen Erkrankungen 310
15.1 Zwei-Stufen-Modell der psychosomatischen Begutachtung 311
15.2 Epidemiologie und Komorbidität somatoformer Störungen 311
15.3 Ätiologie somatoformer Störungen 312
15.4 Neurobiologie und somatoforme Beschwerden 314
15.5 Diagnostische Einordnung somatoformer Störungen 315
15.6 Dimensionales Modell der Diagnostik 316
15.7 Differentialdiagnostische Herausforderung:Der chronische Schmerzpatient 318
15.8 Bestimmung des Schweregrads und der Prognosein der Begutachtung 321
15.9 Etwaige tendenziöse Haltungen in der Begutachtung 322
15.10 Psychotherapeutische Behandlung somatoformer Störungen 324
15.11 Fazit 325
?16 Sozialrechtliche Begutachtung bei psychotischen und organischen psychischen Störungen 328
16.1 Psychotische Störungen 328
16.2 Organische psychische Störungen 332
?17 Posttraumatische Belastungsstörungen 341
17.1 Zur Epidemiologie der Posttraumatischen Belastungsstörung 342
17.2 Vorgehen bei der Diagnostik/Begutachtung 343
17.3 Weitere Fallstricke in der diagnostischen Einschätzung 346
17.4 PTBS als moderne Krankheit 347
18 Begutachtung affektiverund erschöpfungsbedingter/neurasthenischer Störungen 350
18.1 Voraussetzungen für die Anerkennung affektbedingter beruflicher Leistungsminderung: Diagnosen nach ICD-10 und DSM-IV/5 351
18.2 Erweiterungen der Nomenklatur: Burn-out, Bore-out, Chronic Fatigue Syndrome, Verbitterungsstörung etc. 353
18.3 Schwache Eignung der ICD-Diagnostik für die Funktions- und Leistungsbewertung 355
18.4 Zur Illustration: gleiche Diagnose, unterschiedliche Verläufe, abweichende Bewertungen 358
18.5 Methodik der Begutachtung affektiver und neurasthenischer Störungen: diagnostische Zugänge 361
18.6 Bewertung von Krankheitsverarbeitungsprozessen bei depressiven und neurasthenischen Störungen 363
18.7 Strukturierungshilfen für die Begutachtung 365
Teil 5 Empirische Studien zur Begutachtung 370
19 Evaluation von Gutachten zu psychisch bedingter Berufsunfähigkeit 372
19.1 Qualität medizinischer Gutachten:Bewertungsebenen und Bewertungskriterien 372
19.2 Methode 373
19.3 Ergebnisse 374
19.4 Empfehlungen 382
?20 Empirische Überprüfungdes Leitfadens zur Begutachtungder beruflichen Leistungsfähigkeit bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen 385
20.1 Untersuchungen zu Aspekten der Reliabilitätund inhaltlichen Validität: Reliabilitätsstudie, Echtbegutachtung, Schauspielerstudie 385
20.2 Analyse bereits vorliegender Gutachten 388
20.3 Delphi-Befragungen 389
20.4 Diskussion 390
Teil 6 Begutachtungsbeispiele 394
?21 Beispiel 1: Psychosomatisch-psychotherapeutisches Gutachten 396
21.1 Zur Aktenlage 396
21.2 Angaben des Probanden 397
21.3 Tendenziöse Haltung 401
21.4 Psychischer Befund 401
21.5 Zusammenfassung und Integrationder unterschiedlichen Befunde 402
21.6 Anhang zum Gutachten K.?T.: Testpsychologische Auswertung 406
?22 Beispiel 2: Gutachten auf dem Gebiet der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie 409
22.1 Zur Aktenlage 409
22.2 Eigene Untersuchung 414
22.3 Zusammenfassung und Bewertung 424
22.4 Zur Beantwortung der Fragen der Versicherung 428
?23 Beispiel 3: Psychosomatisch-nervenärztliches Gutachten 435
23.1 Gutachtenfragen 435
23.2 Quellen der Begutachtung 435
23.3 Zusammenfassung und diagnostische Beurteilung 447
?24 Beispiel 4: Psychosomatisches Gutachten 456
24.1 Zur Aktenlage 456
24.2 Eigene Untersuchung 458
24.3 Zusammenfassende Bewertung 465
24.4 Zur Beantwortung der Gutachtenfragen 468
Teil 7 Standards der Begutachtung (Leitlinie AWMF) 474
?25 Manual zum Leitfaden «Begutachtung der beruflichen Leistungsfähigkeit bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen» 476
25.1 Allgemeines Modell der beruflichen Leistungsfähigkeit 476
25.2 Die diagnostischen Merkmalsbereicheder beruflichen Leistungsbeurteilung 486
25.3 Glossar 533
25.4 Ratingbogen zur Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit 535
?26 Standards der Begutachtung bei der Beurteilung von Kausalitätsfragen 550
26.1 Rechtliche Grundlagen 551
26.2 Systematik psychoreaktiver Störungen 575
26.3 Gutachtliche Kriterien 592
26.4 Ratingbogen zur Kausalitätsbeurteilung geltend gemachter psychischer Schädigungsfolgen 623
26.5 Verfahren zur Konsensbildung 632
Anhang 634
Autorinnen und Autoren 652
Sachregister 656

1 Die psychosozialen Hintergrundbedingungen von Begutachtungsfragestellungen bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen (S. 25-26)
Wolfgang Schneider

Einleitung

Begutachtungsfragen nehmen in unterschiedlichen Kontexten und Rechtsgebieten eine wachsende Bedeutung ein. Dabei spielen die psychischen und psychosomatischen Erkrankungen eine zahlenmäßig bedeutende Rolle, die sich unter anderem aus den im Folgenden dargelegten Aussagen zur Relevanz dieser Erkrankungen erklärt.

Epidemiologische Schätzungen der WHO gehen davon aus, dass die Jahresprävalenz psychischer und psychosomatischer Erkrankungen der europäischen Bevölkerung bei ca. 30 % liegt (Wittchen und Jacobi, 2005). Aktuelle epidemiologische Daten für Deutschland, die im Rahmen der vom Robert Koch-Institut durchgeführten Studie zur Gesundheit Erwachsener, erweitert um den Zusatzmodul Mental Health (DEGS1-MH; Jacobi et al., 2013) erhoben worden sind, schätzen die Ein- Jahres-Prävalenzrate einer beliebigen psychischen Erkrankung in der erwachsenen Allgemeinbevölkerung auf 27,7 %. Dabei finden sich jedoch große zahlenmäßige Unterschiede zwischen den einzelnen Störungsgruppen. Die höchste Prävalenz weisen die Angststörungen mit 15,3 % auf, gefolgt von den affektiven Erkrankungen (9,3 %) und den Störungen durch Substanzgebrauch (5,7 %). Zugleich belegt die Studie eine hohe Komorbiditätsrate. Nur etwa die Hälfte der als psychisch erkrankt identifizierten Personen wies nur eine psychische Erkrankung auf. Untersucht in dieser Studie wurde eine repräsentative Stichprobe mit 5317 Erwachsenen im Alter von 18 bis 79 Jahren.

Die Arbeitsunfähigkeitszeiten haben von 1996 bis heute kontinuierlich abgenommen, was wohl als Ausdruck des hohen Druckes auf dem Arbeitsmarkt zu werten ist. Dem gegenüber haben sich die AU-Zeiten für die psychischen und psychosomatischen Erkrankungen in diesem Zeitraum mehr als verdoppelt. Die Dauer der AUSchreibungen wegen psychischer Erkrankungen liegt im Mittel auch deutlich über der Dauer der AU-Zeiten anderer Erkrankungen, wobei darauf hingewiesen werden muss, dass die Zahlen über die Krankenkassen u. a. in Abhängigkeit von der Versichertenstruktur (z. B. dem Alter der Versicherten) variieren. Bemerkenswert ist im Weiteren, dass Erwerbslose nahezu doppelt so häufig arbeitsunfähig geschrieben werden als erwerbstätige Individuen. Die Bedeutung psychischer Erkrankungen im System der medizinischen Versorgung zeigt sich auch darin, dass sich die Verschreibungen von Antidepressiva sich zwischen 2000 und 2010 verdoppelt haben (Techniker Krankenkasse, 2010).

Auch bei den Erwerbsunfähigkeitsrenten stellen die psychischen und psychosomatischen Erkrankungen die zahlenmäßig größte Krankheitsgruppe sowohl in Deutschland als auch in der gesamten EU dar. Bei den Zugängen zu Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit im Jahr 2013 hatten etwa 42 % die Erstdiagnose einer psychischen Erkrankung; 48 % bei den Frauen und ca. 35 % bei den Männern (Bundespsychotherapeutenkammer, 2014). Wenn weiter berücksichtigt wird, dass den psychosozialen Faktoren auch ein großer Einfluss auf die Chronifizierungsprozesse von Organerkrankungen zukommt, ist zu vermuten, dass auch bei Rentenanträgen bei diesen Erkrankungen psychosomatische Faktoren eine wichtige Rolle spielen. Auch bei den Anträgen auf Gewährung einer privaten Berufsunfähigkeitsrente sind die psychischen und psychosomatischen Krankheiten bzw. psychosomatische Komplikationen bei chronischen Organerkrankungen von besonderer Relevanz (s. Kap. 13).

Wenn heute oftmals in unterschiedlichen Foren, den Medien und in der Sozialpolitik formuliert wird, dass psychische Erkrankungen an Häufigkeit zunehmen würden, muss jedoch berücksichtigt werden, dass sich in den letzten zwei Jahrzehnten die öffentliche Sensibilität für die Wahrnehmung und Benennung von psychosozialen Problemen erhöht hat, und dass wohl auch die Kompetenz und Bereitschaft von Ärzten angestiegen ist, eine psychische oder psychosomatische Erkrankung zu diagnostizieren. Im Folgenden möchte ich mich mit den gesellschaftlichen und sozialen Bedingungen der Entstehung und des Verlaufs von psychischen und psychosomatischen Erkrankungen befassen. Diese interagieren vielfältig und hoch komplex und im Einzelfall wird das Bedingungsgefüge psychischer Erkrankungen sowie dessen Auswirkungen auf die psychosoziale Anpassungsfähigkeit des Individuums durchaus verschieden sein. Es geht in den nächsten Abschnitten darum, relevante Akzentuierungen der Wechselwirkung zwischen der Gesellschaft und ihren Institutionen sowie dem Individuum aufzuzeigen, die für die Entstehung, die Chronifizierung und letztlich für den Anspruch bzw. die Motive des Einzelnen von Bedeutung sind, aufgrund seiner Erkrankung eine Rente jedweder Art oder eine Entschädigung zu...

Erscheint lt. Verlag 23.11.2015
Zusatzinfo Vorgängeraufl. –84978–2
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie Arbeits- und Organisationspsychologie
Medizin / Pharmazie Allgemeines / Lexika
Schlagworte Arbeitsmedizin • Begutachtung • Begutachtungsleitfaden • beruflich • Betriebsmedizin • Diagnostik • Entscheidungsfindung • Gutachten • Gutachter • Interdisziplinär • Juristen • Kommentare • Kooperation • Krankheit • Leistungsfähigkeit • Leitlinien • Medizinrecht • multizentrisch • Psychiatrie • Psychosomatik • Standards • valide • Validität • Versicherung
ISBN-10 3-456-95565-0 / 3456955650
ISBN-13 978-3-456-95565-0 / 9783456955650
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