Musik im NS-Staat (eBook)

eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
448 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-560851-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Musik im NS-Staat -  Fred K. Prieberg
Systemvoraussetzungen
19,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Fred K. Prieberg liefert eine »politische Musikgeschichte« der Jahre 1933-45 in Deutschland bis hin zu den im Krieg besetzten Ländern. Anhand typischer Lebensläufe von Komponisten, Dirigenten und Musikschriftstellern wird gezeigt, daß jede Art von Karriere nur im Hinblick auf politische Nützlichkeit gelingen konnte, sei es durch Ergebenheitsadressen, durch Hitlerkantaten, Soldatenlieder etc. Daneben gab es aber auch geschützte Ecken, in denen Künstler »undeutsch« agieren konnten, sofern es deutsche oder »nordische« Künstler waren: So gingen selbst Hindemithscher Stil und Zwölftontechnik, sogar Jazz unbemerkt oder zumindest ungerügt durch. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Fred K. Prieberg (1928-2010) war Musikwissenschaftler und Rundfunkautor. Veröffentlichungen zum Thema Musikpolitik, Neue Musik, u. a. ?Musik im NS-Staat? (1982) und ?Musik und Macht? (1991).

Fred K. Prieberg (1928–2010) war Musikwissenschaftler und Rundfunkautor. Veröffentlichungen zum Thema Musikpolitik, Neue Musik, u. a. ›Musik im NS-Staat‹ (1982) und ›Musik und Macht‹ (1991).

Säuberungen noch und noch


Deutsche Geistesführer von der internationalen Bewegungsfreiheit und Bedeutung eines Richard Strauss, Furtwängler, Gerhart Hauptmann, Werner Krauß, Kolbe, Sauerbruch, Eugen Fischer, Planck, unter anderen noch bis gestern das deutsche Gewissen, den deutschen Genius darstellend, zur Führung des Volkes durch Beispiel und Tat berufen, finden von allem Anfang an keine andere Reaktion auf diesen Anschlag gegen die heiligsten Güter der Menschheit als Kokettieren, Paktieren, Kooperieren. Und zum Schluß, als ihnen Usurpation und Halbbildung ihre ureigensten Begriffe aus ihrer geistigen Werkstatt raubt, um dieser Verkörperung von Terror und Feigheit, Unmoral und Geschichtsfälschung, innerer und äußerer Volksaufwiegelung auch noch die Gloriole von Freiheit und Heroismus, Ethik und Wissenschaftlichkeit, Mystizismus und Pazifismus zu verleihen, da treiben sie ihren Verrat auf die Spitze: ducken sich und schweigen!

 

B.Huberman: Offener Brief an die deutschen Intellektuellen. (Manchester Guardian, 7. März 1936; deutsch in B. Geißmar: Musik im Schatten der Politik, 1951, S. 91).

Alle wesentlichen Ziele der nationalsozialistischen Musikpolitik waren lange vor 1933 schon gültig formuliert und brauchten daher lediglich in die Praxis umgesetzt zu werden. Als der Machtapparat dafür zur Verfügung stand, ließen sich Zweifelnde überzeugen und Besorgte beruhigen, denn immerhin durfte man sich auf Autoritäten wie Hans Pfitzner berufen. In der Tat spielte Pfitzner dabei eine unheilvolle Rolle. Er hatte – und seine Motivation scheint sich aus biografischen Details zu ergeben – schon 1920 eine Verschwörungstheorie begründet, welche die Überzeugung beinhaltete, daß nach der physischen Niederlage Deutschlands eine ausländische Machtgruppe am Werk sei, nun auch das geistige und kulturelle Leben des Volkes der Dichter und Denker zu ruinieren. Damit sein Anliegen besseres Gehör finde, beschwor er die Einheit der deutschen und der europäischen Kultur und besaß damit ein glaubhaftes Menetekel vom musikalischen »Untergang des Abendlandes«. Der Anlaß war geringfügig. Seine Gegner – heute würde man sie »Linke« schimpfen – hatten behauptet, nicht auf den Einfall komme es an, sondern auf die motivische Arbeit, auf die Technik der Gestaltung. Damit redeten sie zugleich jener neuen Einfachheit, unterhaltenden Eigenschaft und Brauchbarkeit für den sozialen Zweck das Wort, gerade im Gegensatz zu den monomanischen, hochgetürmten, prätentiösen Monumentalwerken eines Bruckner, Mahler oder – Pfitzner. Deshalb reagierte er pauschal, naiv, mit viel Gefühl und wenig Überlegung und machte aus einer Frage des Geschmacks einen Ehrenhandel, der von Ästhetik in Politik umschlug; Angst um sein Metier ließ ihn für die Zukunft der Musik fürchten:

Es ist ohne weiteres klar, daß die Rolle, die der völkerfeindliche Internationalismus hierbei spielt, der nicht nur Staaten auflösen will, sondern auch das innerste Leben der Völker, deren Herzen sozusagen, vergiftet, nicht unberührt bleiben durfte. Daß und wieweit an der international-bolschewistischen Umsturzarbeit die Alljuden beteiligt sind –, darüber können gelehrtere Männer als ich, Politiker und Historiker, Aufschluß geben; zu leugnen ist diese Tatsache nicht.[44]

Aus äußerster rechter Ecke verfocht er eine scheinbar moralische Position, die den NS-Mythos von »Blut und Ehre« vorwegnahm; Freunde und Schüler trugen die Idee weiter. Sie gab, komplettiert und fantasievoll aufgeputzt, stets mit dem wichtigtuerischen Gestus des »völkischen« Mahners und Warners wiederholt, einem Zetergeschrei kräftigen Atem, das heute und angesichts des tatsächlichen Ablaufs der Musikgeschichte ziemlich lächerlich anmutete, wenn es nicht schreckliche Folgen gehabt hätte. Das kam ganz ernsthaft aus der Feder vieler anderer, die damals als Autorität anerkannt waren. Kampfziele: die »unmoralische« Unterhaltungsmusik, der »Nigger«-Jazz, die Weiterentwicklung der Tonkunst über heilige klassische Tradition hinaus:

Aus der Musik, die man heute öffentlich und unwillkürlich bei uns hört, die den Menschen in Feier und Alltag umgibt, sein Wesen und seinen Ausdruck innerlich formt, ist Seele und Geist gewichen; übrig ist der Trieb, der nackte tierische Trieb. Man mag den jungen Menschen zu Geist und Cultur erziehen – jeder Tanz treibt ihn dem Neger-Rhythmus in die Arme: der Uncultur, der Anticultur.[45]

Weil begriffsstutzige Köpfe nicht ermessen konnten, weswegen sich nach dem verlorenen Krieg der Musikbetrieb anders entwickelte, als sie ihn gern gesehen hätten, malten sie den Teufel an die Wand:

Die Musik zeigt aber zugleich schon heute am deutlichsten, wohin diese Entwicklung führt: die Neuesten, die angeblich zu Bach zurückbegehren und scheinbar wieder dem Dienst am alten Glauben bereit sind, sie sind zugleich die Wegbereiter nihilistischer Zerstörung bisheriger Tonsprache, und dulden die atonale Verhöhnung und Caricatur des Luther’schen Chorals – exotischer Exceß wird ihre Religion, und sie verkünden als Ziel europäischer Entwicklung die Wiederfindung der jüdischen und aller orientalischen Urmusik.[46]

Das geistige Unvermögen, mit Vielfalt und Sprengkraft der künstlerischen Erscheinungen in der Weimarer Republik ins Reine zu kommen, produzierte solche vagen Ängste, und nun machten sich zumeist provinzielle Autoren, oft Lehrer, daran, die »wissenschaftliche« Begründung für das Verlangen nach »Sauberkeit und Ordnung« zu liefern, unter ihnen der Goslarer Studienrat Richard Eichenauer, der moderne Musik leichthin mit »Judenmusik« gleichsetzte und mit törichten Behauptungen wie dieser bewundernde Gefolgschaft fand:

Eins haben jedenfalls Atonalisten, Neutöner, Vierteltonmenschen usw., soweit sie Juden sind, für sich; sie gehorchen einem Gesetz ihrer Rasse, indem sie die harmonische Mehrstimmigkeit, die ihnen urfremd ist, folgerichtig zu zerstören suchen. Denn das »durchaus Neue«, das die Atonalität angeblich bringt, ist in Wahrheit etwas durchaus Altes: jene Stufe der Mehrstimmigkeit, die wir überall auf der weiten Erde außerhalb des Gebietes der nordischen Rasse finden.[47]

Allerdings ließ Eichenauer keinen Zweifel, daß dem Feldzug gegen das fiktive »Musikjudentum« am Ende ganz praktische Tugenden zugrundelagen, nämlich handfester Futterneid. Die Republik war das freieste Deutschland, das bis dahin existierte; die in der Kaiserzeit üblichen Restriktionen hatten der gesetzlichen Gleichstellung des bislang diskriminierten Volksteils Platz machen müssen. Kein Wunder, daß solche Möglichkeiten jetzt zur intensiven Beteiligung deutscher und einiger ausländischer Juden am Kulturleben einluden, daß wegen derer in Jahrhunderten der Unterdrückung konditionierten Gewandtheit, Scharfsinnigkeit und Schnelligkeit so mancher »deutscher Michel« zu kurz kam. Also lamentierte Eichenauer:

Jüdische Kapellmeister stehen auf den bedeutungsvollsten Dirigentenposten; jüdische Sänger auf den Brettern der Opern- und Operettenbühnen; jüdische Virtuosen in unsern Konzertsälen; jüdische Kritiker überfluten unsere Zeitungen und Zeitschriften; jüdische Ministerialräte, Professoren und Konservatoriumsleiter bestimmen, mit welcher Musik und Musikauffassung unsere Jugend aufwächst; jüdische Theater- und Konzertagenturen entscheiden, welche Künstler wir hören und welche nicht. Wer kann sich wundern, wenn sich dem Geschmack der großen Masse allmählich ein jüdisches Inbild aufprägt? Wenn wir uns in der Kunst wie in allem andern mit immer rasenderer Schnelligkeit spätrömischen Verfallszuständen nähern?[48]

Nun hätte der Herr Studienrat seinen Lesern natürlich etwas von jüdischer Musikbegabung erzählen können, von ihrer Soziologie und vor allem von der nachweisbaren Tatsache, daß die Mehrheit der jüdischen Bevölkerung musikästhetisch exakt gleichen Sinnes war wie die Mehrheit der nicht jüdischen, ein ursächlicher Zusammenhang zwischen »Rasse« und »Entartung« daher Zweckmärchen. Doch kam es ihm auf eben dieses Zweckmärchen an, weil er seiner »ablehnenden inneren Stimme« durch hohe Wissenschaftlichkeit rechtgeben wollte. Damit lieferte er – weithin unwidersprochen – den späteren Zwangsmaßnahmen ein pseudowissenschaftliches Mäntelchen.

Zu dieser Zeit existierte schon eine Organisation, die den Boden für die »Säuberungen« bereitete, der »Kampfbund für deutsche Kultur«, 1928 als »Nationalsozialistische Gesellschaft für deutsche Kultur« begründet, dann getarnt und auf Gewinnung auch solcher Deutscher ausgerichtet, die mit Hitler nichts im Sinn hatten. Früh schon schlossen sich ihm auch Musikensembles korporativ an oder erklärten ihre Zusammenarbeit: der Gesangverein Dresdner Staatseisenbahnbeamter, der Römhild-Chor Dresden, der Singkreis Nürnberg und das Kammerorchester Dresdner Künstlerinnen. Von stärkerer Wirkung war der Zustrom von Persönlichkeiten des Musiklebens, die hier den »rechten« Geist am Werk sahen, wie ihn Alfred Rosenberg, Begründer des KfdK, zum Beispiel anläßlich der Werbeveranstaltung der Kampfbundbühne Berlin am 6. September 1932 in Worte faßte:

Wir glauben und bekennen, daß eine Kultur nur dann echt ist, wenn ihre Träger bereit sind, sie bis zum letzten auch politisch zu verteidigen, daß aber auch eine politische Macht nur dann eine Berechtigung besitzt, wenn sie die Umrahmung einer großen und starken...

Erscheint lt. Verlag 16.11.2015
Reihe/Serie Die Zeit des Nationalsozialismus – »Schwarze Reihe«
Die Zeit des Nationalsozialismus. "Schwarze Reihe".
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte Adolf Hitler • Berlin • Berliner Staatsoper • Deutschland • Gestapo • Hans Pfitzner • Heinrich Strobel • Kulturbund • Leipzig • München • Musik • Nationalsozialismus • NSDAP • Paris • Paul Hindemith • Propaganda • Richard Strauss • Sachbuch • Sommernachtstraum • Staat • Werner Egk • Wien
ISBN-10 3-10-560851-6 / 3105608516
ISBN-13 978-3-10-560851-7 / 9783105608517
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 9,6 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Der Machtwandler

von Tobias Blasius; Moritz Küpper

eBook Download (2023)
Klartext Verlag
18,99