Am Sonntag blieb der Rabbi weg (eBook)

Kriminalroman. Durch die Woche mit Rabbi Small (Der dritte Fall)
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2015 | 1. Auflage
240 Seiten
Unionsverlag
978-3-293-30910-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Am Sonntag blieb der Rabbi weg -  Harry Kemelman
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Polizeichef Lanigan ist ratlos. Er hat einen Fall mit zwei toten jungen Männern und keine Ahnung, wie die Morde zusammenhängen. Einer bezog offenbar Drogen vom anderen und wurde in Rabbi David Smalls zukünftiger Synagoge ermordet. Der Polizeichef nimmt mehrere junge Verdächtige fest, was deren Eltern - wichtige Persönlichkeiten in der jüdischen Gemeinde - überhaupt nicht passt. Seine Ermittlungen laufen ins Leere. Lanigan bleibt nichts anderes übrig, als den Rabbi um Hilfe zu bitten. Der dritte Fall für den legendären Rabbi David Small.

Harry Kemelman, geboren 1908 in Boston, wuchs als Sohn russisch-jüdischer Einwanderer in den USA auf. Er lehrte englische Literatur am Boston State College. Großen Erfolg feierte er mit seinen Romanen um den Rabbi und Amateurdetektiv David Small und erhielt unter anderem den Edgar Allan Poe Award. Er starb 1996 in Marblehead, Massachussets.

Harry Kemelman, geboren 1908 in Boston, wuchs als Sohn russisch-jüdischer Einwanderer in den USA auf. Er lehrte englische Literatur am Boston State College. Großen Erfolg feierte er mit seinen Romanen um den Rabbi und Amateurdetektiv David Small und erhielt unter anderem den Edgar Allan Poe Award. Er starb 1996 in Marblehead, Massachussets.

1 


»Das nenne ich beten, Rabbi!«, sagte Harvey Andelman. »Wir sind fünf …« Ein Blick auf die Armbanduhr: »… nein – sieben Minuten vor der Zeit fertig geworden.«

Rabbi David Small lächelte und fuhr fort, die Gebetsriemen aufzurollen. Er war jung, Mitte dreißig, und obwohl er bei guter Gesundheit war, wirkte er blass und mager und hielt den Kopf leicht vorgeneigt wie ein Kurzsichtiger beim Lesen. Tatsächlich hatte er den Gottesdienst im Eiltempo hinter sich gebracht und war deswegen etwas verlegen. »Wissen Sie, ich muss nämlich verreisen.«

»Klar, und da wollen Sie möglichst bald losfahren.« Andelman, der in Salem ein Geschäft hatte und selbst immer darauf bedacht war, das Morgengebet rasch zu erledigen, um rechtzeitig bei der Arbeit zu sein, hatte dafür volles Verständnis. Er ärgerte sich immer, wenn er herumstehen und warten musste, bis die zehn Männer für den minjen beisammen waren. Sobald er den zehnten erblickte, pflegte er ihn zur Eile anzutreiben wie einen Läufer kurz vor dem Ziel: »Schnell, schnell, nu mach schon, los!« Heute aber genoss er die gewonnenen Minuten und wartete, bis der Rabbi Gebetsriemen und Gebetsmantel versorgt hatte. »Wenn Wasserman oder der Kantor vorbeten, könnte man meinen, es ist Jom Kippur, und sie haben den ganzen Tag vor sich. Na ja, die haben ja auch nichts anderes zu tun. Aber wer ins Geschäft muss … Also, Wiedersehn, Rabbi!« Er eilte zu seinem Wagen.

Weil er wegen des schnellen Betens ein schlechtes Gewissen hatte, schlenderte Rabbi Small besonders langsam den Korridor entlang zu seinem Arbeitszimmer. Zum ersten Mal seit Langem fielen ihm die kahlen weißen Mauern wieder auf, die ohne ersichtlichen Grund in der Mitte durch einen schwarzen Plastikstreifen quer geteilt wurden; die ebenso unterteilte leuchtend gelbe Ziegelwand, der Boden mit den Kunststoffplatten, der noch vom Bohnern glänzte und auf dem die Spuren der Bohnermaschine ein kreisförmiges Muster hinterlassen hatten. Das Ganze roch steril wie ein Krankenhauskorridor.

Als er vor sechs Jahren nach Barnard’s Crossing gekommen war, hatte der funkelnagelneue, moderne Synagogenbau freundlich gewirkt. Jetzt wies er bereits Spuren der Abnutzung auf. An den Wänden bröckelte der Verputz ab, und an der Decke war ein gelber Fleck, wo einmal ein Rohr undicht geworden war. Die Synagogen von anno dazumal mit dem geschnitzten Mahagoni- oder Nussbaumgetäfel altern eleganter, dachte der Rabbi.

Als er sich dem Arbeitszimmer näherte, hörte er das Telefon klingeln und begann zu laufen. Wahrscheinlich Miriam, die ihm noch in letzter Minute etwas auftragen wollte. Aber dann meldete sich eine Männerstimme. Sie klang vorwurfsvoll. »Rabbi? Hier Ben Gorfinkle. Ich hab bei Ihnen zu Hause angerufen, aber Ihre Frau sagte, Sie seien in der Synagoge.«

»Der Morgengottesdienst …«

»Ach so«, sagte der Gemeindevorsteher, als akzeptiere er eine Entschuldigung. »Hören Sie, Rabbi, vorhin beim Frühstück erwähnte Sarah, dass Sie nach Binkerton wollen.«

»Das habe ich Ihnen doch schon vor ein paar Wochen mitgeteilt«, bemerkte der Rabbi.

»Ja, schon. Das heißt, ich wusste, dass Sie bei irgendeiner Studentengruppe einen Sabbatgottesdienst abhalten wollen. Aber dass es ausgerechnet in Binkerton ist, das hab ich damals wohl nicht mitgekriegt. Die Welt ist klein. Mein Stuart studiert nämlich dort.«

»Ach ja? Das wusste ich nicht.«

»Ja. Und, Rabbi, ich hab gedacht, ob Sie vielleicht mal bei ihm vorbeischauen könnten.«

»Aber selbstverständlich, Mr Gorfinkle.«

»Er wird sicher zu Ihrem Gottesdienst kommen, aber für alle Fälle geb ich Ihnen doch noch seine Telefonnummer.«

Der Rabbi notierte sie.

»Es ist ein Studentenwohnheim. Wenn er nicht dort ist, können Sie ja eine Nachricht hinterlassen.«

»Wird gemacht.«

»Wenn Sie ihn gleich nach Ihrer Ankunft anrufen, wird er Ihnen sicher das Universitätsgelände zeigen.«

»Gute Idee.«

Im Hintergrund hörte man eine Stimme. »Moment mal, Rabbi«, sagte Gorfinkle. Gedämpftes Tuscheln hinter dem abgedeckten Hörer. »Es kann natürlich sein, dass er am Nachmittag noch Vorlesung hat oder so.«

»Schon gut.« Der Rabbi musste lächeln. Vermutlich hatte Mrs Gorfinkle ihrem Mann zugeflüstert, dass ihr Sohn wohl kaum große Lust haben werde, den Rabbi plus Familie einen ganzen Nachmittag lang am Hals zu haben. »Wir werden sicher erledigt sein nach der Reise und uns ein bisschen ausruhen wollen.«

»War ja auch nur ein Vorschlag. Wann fahren Sie wieder zurück, Rabbi?«

»Samstagabend, gleich nach Hawdalah.«

»Gleich nach Sabbatausgang?« Gorfinkle schien überrascht. »Stuart sagt doch …« Dann klang es wieder wie immer, jovial und selbstbewusst. »Ach, übrigens – da fällt mir gerade ein …«

»Ja?« Endlich rückt er mit dem wahren Grund seines Anrufes heraus, dachte der Rabbi.

»Rabbi, wenn Sie vielleicht noch Platz im Wagen haben und wenn es Ihnen nichts ausmacht – wissen Sie, Stuart kommt für Pessach nach Hause, er hat eine Woche Ferien.«

»Soll ich ihn mitnehmen?«

»Ich meine, nur, wenn es keine Umstände macht.«

»Aber nein, Mr Gorfinkle. Mach ich gern.«

Kaum hatte er aufgelegt, da klopfte es an der Tür, und Morton Brooks, der Leiter der Religionsschule, stürmte herein; ein rühriger, jugendlich wirkender Mann von vierzig Jahren mit theatralischen Allüren. »Gott sei Dank erwisch ich Sie noch! Ich bin gleich nach dem Anruf losgerannt.«

»Was ist denn passiert?«

»Arlene Feldberg hat die Masern! Der Arzt hat es gestern Abend festgestellt, aber Mrs Feldberg hat mich erst heute früh benachrichtigt.« Es klang, als spräche er von einem schweren Fall von Landesverrat.

»Arlene Feldberg?«

Brooks fingerte nervös an den langen Haarsträhnen, die er sorgfältig über eine kahle Stelle gekämmt hatte. »Sie kennen doch Arlene Feldberg – die Kleine aus der ersten Klasse, die am Seder-Abend die vier Fragen auf Englisch stellen sollte.«

»Ach so, Harry Feldbergs Tochter. Natürlich, das geht in Ordnung.« Der Rabbi war sichtlich erleichtert. Im ersten Augenblick hatte er geglaubt, der Lehrer befürchte eine Epidemie. »Da soll halt der Kleine, der den hebräischen Text liest … wie heißt er doch gleich?«

»Geoffrey Blumenthal.«

»Richtig. Na, dann soll eben Geoffrey Blumenthal auch die Übersetzung lesen.«

»Unmöglich, Rabbi!«

»Warum? Weil er nicht versteht, was er auf Hebräisch liest?«

»Natürlich versteht ers!«, wehrte sich Brooks empört. »Aber einfach so runterlesen, ohne Proben – das geht doch nicht! Und selbst wenn wir noch Zeit hätten, es ihm einzupauken, gehts nicht. Die Feldbergs wären tödlich beleidigt, wenn er beide Texte lesen würde. Sie würden mir das nie verzeihen; sie würden es überall rumposaunen – und sie sind doch mit den Paffs befreundet, und mit den Edelsteins, den Gorfinkles, den Epsteins und den Brennermans, mit denen sind sie sogar verwandt.«

»Na und? Nehmen Sie das nicht ein bisschen zu ernst, Morton?«

»Ganz und gar nicht«, erwiderte der Schulleiter mit Nachdruck. »Glauben Sie mir, Rabbi – das ist meine dritte Schule; ich kenn mich da aus. Sie sollten ein bisschen hellhöriger sein für das, was sich in Ihrer Gemeinde abspielt. Sie nehmen zwar an den Vorstandssitzungen teil, schön und gut; aber die wichtigen Dinge, die werden in der Schule ausgekocht.«

»In der Religionsschule?« Der Rabbi machte aus seiner Belustigung kein Hehl.

»Natürlich. Schauen Sie, Rabbi: Die hohen Feiertage sind nur einmal im Jahr. Und an den weniger bedeutenden Festtagen, wenn sie auf einen Wochentag fallen, finden sich höchstens fünfundsiebzig Menschen ein, nicht mehr als zu einem Freitagabendgottesdienst. Aber zur Schule gehen die Kinder dreimal in der Woche, und sie berichten alles brühwarm zu Hause. Sie wissen ja, wie verrückt wir Juden mit unseren Kindern sind. Die kleinste Ungerechtigkeit, und die Eltern schreien Zeter und Mordio, als wär ein Pogrom ausgebrochen.«

Der Rabbi lächelte. »Und was gedenken Sie zu tun in dieser, eh, Krise?«

»Das ist ja gerade das Problem. Die meisten Mitglieder halten zu Hause ihren eigenen Seder ab, also werden nur wenige Kinder aus der ersten Klasse am Gemeinde-Seder teilnehmen. Die Paffs und die anderen einflussreichen Leute gehören zu den älteren Jahrgängen, und ihre Kinder sind zumeist in den oberen Klassen. Ich hab mir also etwas ausgedacht mit der Geschichte von den vier verschiedenen Arten von Söhnen – Sie wissen doch: der Kluge, der Böse, der Einfältige und der des Fragens Unfähige.«

»Ich weiß«, bemerkte der Rabbi trocken.

»Also, ich hab mir überlegt, wie man das dramatisieren könnte, verstehen Sie. Sie rezitieren zum Beispiel den Anfangsabschnitt; dann gehen die Lichter aus, nur ein Scheinwerfer strahlt den Tisch in der Mitte an.« Er trippelte mit kleinen Schritten auf den Schreibtisch des Rabbi zu, während er die Hände trichterförmig zusammenlegte, um den Lichtkegel zu demonstrieren. »Dann treten der Reihe nach die vier Söhne auf. Erst der Kluge, vielleicht mit einer Brille und einem Buch...

Erscheint lt. Verlag 6.11.2015
Übersetzer Eva Koralnik Rottenberg
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Judentum • Kleinstadt • Kriminalroman • Massachusetts • Rabbi David Small • Religion • Spannung • Talmud • USA
ISBN-10 3-293-30910-0 / 3293309100
ISBN-13 978-3-293-30910-4 / 9783293309104
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