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Der Jonas-Komplex (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
752 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-403607-6 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
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Der furiose neue Roman von Thomas Glavinic Die Summe eines Jahres, der Querschnitt eines Lebens, das Abenteuer der Liebe. Ein Jahr im Leben eines Wiener Schriftstellers, zwischen Drogen, Alkohol und Frauen. Ein Abenteuer, das Jonas und seine große Liebe Marie bis zum Südpol führen soll. Und ein dreizehnjähriger Junge, der leidenschaftlich Schach spielt, um seinem Alltag zu entfliehen. Dazu Nebenfiguren wie aus einem Tarantino-Film: Ein Anwalt der Hells Angels, ein WingTsun-Großmeister und eine Mörderin, die die Leichen ihrer Liebhaber mit einer Kettensäge zerlegt. Die wirkliche Welt trifft auf die Sehnsucht nach einem anderen Leben. Und Thomas Glavinic gelingt das große Kunststück, all das in einen mitreißenden Roman über die entscheidenden Fragen zu verwandeln: Wer will ich sein? Und habe ich den Mut, die richtigen Entscheidungen dafür zu treffen?

Thomas Glavinic wurde 1972 in Graz geboren. Sein erster Roman ?Carl Haffners Liebe zum Unentschieden? erschien 1998. Danach folgten u.a. die Romane ?Der Kameramörder?, der mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet wurde, ?Wie man leben soll? und ?Die Arbeit der Nacht?. ?Das bin doch ich? stand 2007 auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis. Zuletzt erschienen die Romane ?Das größere Wunder? und ?Der Jonas-Komplex?. Zahlreiche seiner Romane wurden für die Bühne adaptiert und verfilmt. Seine Werke sind in 20 Sprachen übersetzt. Thomas Glavinic lebt in Wien und Rom.

Thomas Glavinic wurde 1972 in Graz geboren. Sein erster Roman ›Carl Haffners Liebe zum Unentschieden‹ erschien 1998. Danach folgten u.a. die Romane ›Der Kameramörder‹, der mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet wurde, ›Wie man leben soll‹ und ›Die Arbeit der Nacht‹. ›Das bin doch ich‹ stand 2007 auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis. Zuletzt erschienen die Romane ›Das größere Wunder‹ und ›Der Jonas-Komplex‹. Zahlreiche seiner Romane wurden für die Bühne adaptiert und verfilmt. Seine Werke sind in 20 Sprachen übersetzt. Thomas Glavinic lebt in Wien und Rom.

eine ganze Schar an schrillen und schrulligen Figuren, die den ›Jonas-Komplex‹ zu einem modernen Schelmenroman machen, den man mitunter laut lachend liest.

Mehr Gegenwart kann man nicht zwischen zwei Buchdeckel packen.

Man kann lesend gar nicht genug davon bekommen, weil der Ton so sehr stimmt […].

Das Buch ist Experiment in Größenwahn – das dank Glavinics Erzählkunst gelingt.

Mit dieser überbordenden Pulp Fiction zeigt sich Glavinic auf der Höhe seiner Erzählkunst.

einer der bedeutendsten deutschsprachigen Autoren unserer Epoche

eine ziemlich grandiose, maßlose, das Herz zum Rumpeln bringende Fortschreibung der universellen Angst- und Verlorenheitsenzyklopädie, an der Thomas Glavinic arbeitet.

Ohne Glavinic wäre die österreichische Literatur um eine kraftvolle Künstlerpersönlichkeit ärmer.

WIEN


Wer wir sind, wissen wir nicht. Beim letzten Durchzählen kam ich auf mindestens drei Personen, die jeder von uns ist. Erstens die, die er ist, zweitens die, die er zu sein glaubt, und drittens die, für die ihn die anderen halten sollen.

Als ich aufwache, geht es mir so elend, dass ich mit keinem der drei etwas zu tun haben will.

Ich bin zu Hause. Im Fernseher läuft das Neujahrskonzert. Ohne Ton. An der Wand hat sich jemand Notizen gemacht. Überall im Zimmer liegt Geschenkpapier. Neben mir liegt eine Frau. Ich kenne sie. Sie heißt Ina. Ich frage mich bloß, was sie da macht. Immerhin hebt und senkt sich ihr Brustkorb.

Ich versuche mich an den Sex zu erinnern. In meinem Gehirn, oder was ich dafür halte, finde ich keine Bilder davon. Vielleicht besser so.

Ich erlaube mir eine kurze Zimmerinspektion. Dem Zustand meiner Kleidung nach hatte ich eine verlustreiche Auseinandersetzung mit einem Autobus. Die Konföderiertenflagge in der Vase mit der undefinierbaren Flüssigkeit verbreitet eine gewisse Revolutionsstimmung, die mir unlieb ist. Aus den Notizen an der Wand werde ich erst recht nicht schlau, es geht um irgendeinen Bären und einen Peter. Die Schrift erinnert mich an meine.

Mir ist dieses Jahr schon jetzt nicht ganz geheuer.

Als ich meinen Körper nach Anzeichen von Gewalt absuchen will, läutet es an der Tür. Eine Sekunde Pause, dann wird wieder geläutet. Und das dritte Läuten hört gar nicht mehr auf. Es hört einfach nicht mehr auf. Es läutet. Es läutet. Es läutet. Es läutet. Es läutet. Es läutet.

Vor der Tür steht entweder

a) der Wahnsinn oder

b) die Polizei.

Panisch suche ich nach meinen Koksvorräten. Dass ich keine finde, beruhigt und ärgert mich gleichermaßen. Dann hört das Läuten auf. Also war es die Polizei. Der Wahnsinn hört nämlich nie auf.

Ina hat sich nicht gerührt, sie ist demnach entweder taub oder doch tot.

Am Stil der Frauen, neben denen ich aufwache, kann ich gut ablesen, wie schlimm der Abend davor gewesen ist. Ihr Äußeres, im angezogenen Zustand freilich, dient mir als Indikator für die Heftigkeit meiner Umtriebe. Am Haken über dem Fernseher hängt Inas Fransenlederjacke. Wenn Ina nicht einiges an Herz, Verstand und Hemmungslosigkeit zu bieten hätte, wäre ich jetzt allein hier. Oder wer weiß, wer dann erst da drüben im Bett taub oder tot wäre.

Ina schnarcht. Ich ziehe mein blutiges Kopfkissen ab und werfe es zur Schmutzwäsche, dabei stolpere ich über einen Motorradstiefel. Er ist ziemlich lädiert.

Alles in allem muss ich einräumen, dass es Jahre gab, die einen Tick eleganter begonnen haben.

 

Überhaupt interpretieren manche Menschen in den 1. Januar zu viel hinein. Sie sagen, so wie der erste Tag wird das ganze Jahr. Als ob der Rest des Jahres etwas für den Anfang könnte. Außerdem brauche ich nicht den ersten Tag, um zu wissen, wie dieses Jahr wird. Dieses Jahr ist die logische Fortsetzung des vergangenen. Die Stimmung bleibt dieselbe. Es liegt etwas in der Luft, schon seit einigen Jahren, das sich nun mehr und mehr verdichtet. Die Neunziger waren hell, und da, wo sie dunkel waren, waren sie prickelig dunkel. Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts ging es mit uns bergab. Wir wollten es noch nicht wahrhaben, wir hatten auch noch Restlicht von früher. In diesem Jahrzehnt nun sind wir angekommen, wo wir hingehören. Die Dunkelheit ist da.

 

In der Kochnische nehme ich das Morgenmüsli zu mir. Es besteht aus einem Antidepressivum, weil ich mich ohne die regelmäßige Einnahme dieses Mittels aus dem sechsten Stock stürze, einem Phasenprophylaktikum, weil ich ohne die regelmäßige Einnahme dieses Mittels andere aus dem sechsten Stock stürze, einem Antibiotikum, weil ich Angina habe, einer Magnesiumtablette wegen der nächtlichen Krämpfe in den Beinen, die eine Folge übermäßigen Alkoholkonsums sind, sowie einiger Vitamintabletten, weil ich gesund leben möchte.

Heute ergänze ich mein pharmakologisches Menü durch zwei Schmerztabletten, für Hals, Nase und Schädeldecke. Überdies schlucke ich zwei Xanor, das Beruhigungsmittel meiner Wahl, weil mir wegen des unkontrollierten Konsums stimmungsverändernder Substanzen die Panik bereits auf den Fersen ist.

Diese Angstattacken kommen selten aus dem Nichts, und dank meiner Routine kann ich sie gewöhnlich mit Benzodiazepinen abfangen. Wenn ich den point of no return versäume und die Pillen zu spät einnehme, sitze ich eine Stunde lang zitternd in einer Ecke, und über mir bricht die Welt zusammen. Selbst wenn die Panik verschwindet, bleibt die Selbstanklage, laut oder leise, bewusst oder als Hintergrundrauschen.

Um es klar zu sagen: Xanor ist meine last line of defense.

Ich esse eine Banane, wegen der Gesundheit, und mache mir Kaffee. Die Espressomaschine dröhnt wie ein Schlagbohrer, aber zumeist wachen meine Gäste davon nicht auf, vermutlich sind sie zu betäubt, wer geht denn auch nüchtern mit einem wie mir nach Hause.

Mir wäre es lieber, eine separate Küche zu haben. Schlafzimmer, Wohnzimmer, Arbeitszimmer und Küche sind derselbe Raum. Das liegt daran, dass ich mir keine größere Wohnung leisten kann. Ich verdiene nicht schlecht, aber ich habe ein lockeres Händchen mit Geld. So würde ich es nennen. Ich kenne allerdings Leute, die haben eine andere Interpretation der Sachlage und sprechen von kostspieligen Hobbys und aufwendigem Lebenswandel.

Eigentlich drücken sie es gnadenloser aus, doch Unterschied macht das keinen. Ich bin ständig pleite, dafür hat mein Dealer einen Porsche in der Garage.

Mit meinem Kaffee setze ich mich an den Schreibtisch. Das Handy liegt da. Immerhin liegt es hier und nicht in irgendeiner Kaschemme. Ich werde es trotzdem nicht anrühren, zumindest nicht, solange ich keine Ordnung in meine Erinnerung gebracht habe. Ich kann mir schon vorstellen, wem ich wieder geschrieben und was für Fotos ich verschickt habe. Die Reaktionen kommen zumeist am Morgen, und wenig überraschend sind nicht alle so positiv, wie ich mir nachts noch gedacht hatte.

 

Am Vorabend, dem 31. Dezember, hatte ich eine Lesung. Das hat sich ungefähr abgespielt wie folgt:

 

16.00: Ich begebe mich ins Café Anzengruber, um mich zu stärken. Ich schäkere mit den Kindern der Wirtsleute und diskutiere mit Tomy, dem Chef, das Lotterleben eines anderen Stammgasts. Von Zeit zu Zeit kommen irgendwelche Galgenvögel auf ein Bier herein. Sie bestellen, reden drei Minuten über dies und jenes, zahlen und gehen. Ich frage mich, ob die das in jedem Lokal der Schleifmühlgasse machen.

17.00: Es gesellen sich mehr und mehr Bekannte und Freunde hinzu. Mehr als einen anderen Menschen auf einmal ertrage ich schwer. Ein Weißer Spritzer könnte die Situation entspannen. Ich vertrage mehr Weiße Spritzer als Menschen.

17.05: Ich habe verinnerlicht, dass angesichts des Menschenauflaufs ein Weißer Spritzer zu wenig ist, und bestelle noch einen.

17.1018.00: Die Bestellung wiederholt sich mehrfach. Die vielen Menschen machen mir nichts mehr aus.

18.20: Um diese Zeit ist Friedrich mit dem Fuß, der Koksdealer vom Stephansplatz, am Naschmarkt anzutreffen. Ich verlasse das Lokal für fünf Minuten, kehre zurück, verschwinde auf der Toilette, fühle mich endgültig der Situation gewachsen.

18.30: Es erscheint mein Anwalt und Freund Werner Tomanek, einer der besten Strafverteidiger des Landes, wenn nicht der beste, und nebstbei Erfinder der Schweineblutspritzpistole gegen islamistische Attentäter. Wir trinken einige Magenbitter und machen uns auf den Weg in das srilankische Lokal, in dem die Lesung stattfindet.

19.00: Ankunft. Werner und ich, beide kahlköpfig und robust, werden angestarrt.

19.05: Toilette.

19.10: Mit Werner und dem Wirt Umtrunk im Backstage-Raum (Küche).

19.50: Toilette.

20.05: Beginn der Lesung. Angelika Hager moderiert. Zum Glück ist sie eine langjährige Freundin von mir, kennt mich entsprechend gut und stellt ihre Fragen langsam.

21.00: Pause. Toilette.

21.15: Fortsetzung der Veranstaltung. Ein Zwischenrufer wird vom überdies stets bewaffneten WingTsun-Kämpfer Werner ohne großes Federlesen zum Schweigen gebracht.

22.00: Ende der Veranstaltung. Toilette. Trinken. Ich bekomme Wallungen und knöpfe mir das Hemd auf.

22.30: Ich Trottel gebe in diesem Zustand auch noch ein Interview fürs Radio.

23.30: Übersiedelung insOtto e mezzo. SMS mit guten Wünschen für 2015 werden versendet.

Ca. 0.00: Werner und ich begrüßen das neue Jahr mit Spirituosen.

Irgendwann zwischen 1.00 und 5.00: erfolgreicher booty call.

 

Ich klappe das Notebook auf. Bevor ich meine Mails abrufe, lese ich Nachrichtenseiten. Die Spitzenmeldung neben der Silvesterberichterstattung handelt vom abgestürzten Airbus der AirAsia. Wrackteile davon sind aus der Java-See geborgen worden.

Gierig suche ich auf anderen Nachrichtenportalen nach mehr Informationen. Ich bin von Flugzeugabstürzen besessen. Ich kenne fast alle. Zumindest die Abstürze von Verkehrsmaschinen. Ich schaue nämlich jede Folge von...

Erscheint lt. Verlag 10.3.2016
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alkohol • Anspruchsvolle Literatur • Drogen • Frauen • Liebe • Mord • Schach • Sehnsucht • Sex • Tagebuch • WingTsun
ISBN-10 3-10-403607-1 / 3104036071
ISBN-13 978-3-10-403607-6 / 9783104036076
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