Ferne Verabredungen (eBook)
448 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-403671-7 (ISBN)
Alice Munro, geboren am 10. Juli 1931 in Wingham, Ontario, Kanada, ist eine der bedeutendsten Autorinnen der Gegenwart. Sie erhielt 2013 die höchste Auszeichnung für Literatur, den Nobelpreis. Ihr umfangreiches erzählerisches Werk wurde bereits zuvor mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Giller Prize, dem Book Critics Circle Award und dem Man Booker International Prize. Alice Munro starb am 13. Mai 2024 in Port Hope, Ontario. Im S. FISCHER Verlag bzw. FISCHER Taschenbuch Verlag liegen vor: ?Himmel und Hölle?, ?Die Liebe einer Frau?, ?Der Traum meiner Mutter?, ?Tricks?, ?Wozu wollen Sie das wissen??, ?Zu viel Glück?, ?Tanz der seligen Geister?, ?Offene Geheimnisse?, ?Glaubst du, es war Liebe??, ?Das Bettlermädchen?, ?Der Mond über der Eisbahn?, ?Liebes Leben?, ?Was ich dir schon immer sagen wollte?, ?Die Jupitermonde?, ?Ferne Verabredungen. Die schönsten Erzählungen? und Munros einziger Roman ?Kleine Aussichten?. Literaturpreise (Auswahl): Canada-Australia Literary Prize (1977) Commonwealth Writers' Prize (1991) Giller Prize for Fiction (1998 und 2004) Man Booker International (2009) Trillium Award (2013) Nobelpreis für Literatur (2013)
Alice Munro, geboren am 10. Juli 1931 in Wingham, Ontario, Kanada, ist eine der bedeutendsten Autorinnen der Gegenwart. Sie erhielt 2013 die höchste Auszeichnung für Literatur, den Nobelpreis. Ihr umfangreiches erzählerisches Werk wurde bereits zuvor mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Giller Prize, dem Book Critics Circle Award und dem Man Booker International Prize. Alice Munro starb am 13. Mai 2024 in Port Hope, Ontario. Im S. FISCHER Verlag bzw. FISCHER Taschenbuch Verlag liegen vor: ›Himmel und Hölle‹, ›Die Liebe einer Frau‹, ›Der Traum meiner Mutter‹, ›Tricks‹, ›Wozu wollen Sie das wissen?‹, ›Zu viel Glück‹, ›Tanz der seligen Geister‹, ›Offene Geheimnisse‹, ›Glaubst du, es war Liebe?‹, ›Das Bettlermädchen‹, ›Der Mond über der Eisbahn‹, ›Liebes Leben‹, ›Was ich dir schon immer sagen wollte‹, ›Die Jupitermonde‹, ›Ferne Verabredungen. Die schönsten Erzählungen‹ und Munros einziger Roman ›Kleine Aussichten‹. Literaturpreise (Auswahl): Canada-Australia Literary Prize (1977) Commonwealth Writers' Prize (1991) Giller Prize for Fiction (1998 und 2004) Man Booker International (2009) Trillium Award (2013) Nobelpreis für Literatur (2013) Heidi Zerning, geboren 1940 in Berlin, studierte Anglistik, Amerikanistik, Geschichte und Philosophie und ist seit 1990 hauptberuflich als Übersetzerin tätig. Neben Alice Munros Erzählungen hat sie Werke von Virginia Woolf, Truman Capote und Steve Tesich übersetzt. Heidi Zerning verstarb im Oktober 2022 in Berlin. Manuela Reichart lebt und arbeitet in Berlin als Radioautorin und Radiomoderatorin, Filmemacherin und Herausgeberin (u.a. der Anthologie ›Doch uns schlug kein Gewissen‹, 2011).
Die Unerschrockenheit, mit der sie sich über Tabus hinwegsetzt, um zum Kern der Dinge zu kommen, macht ihre Literatur so atemberaubend.
Sie ist eine Virtuosin der Kurzgeschichte, eine Großmeisterin der kleinen Form.
Spannung bis zur letzten Seite, bitte nicht vorblättern, es lohnt sich!
Kühne Geschichten starker Frauen voller Sehnsucht.
Alice Munro entfaltet Beziehungsgeflechte aus einzelnen Sätzen und Details […] in ihren Stories gibt es dichte Momente und Jahrzehnte umspannende Horizonte
Ihre Kurzgeschichten lassen Romane anderer gelegentlich wie Fingerübungen für die Kunstform Kurzgeschichte erscheinen.
Jakarta
Kath und Sonje haben einen eigenen Platz am Strand, hinter großen Baumstämmen. Den haben sie sich ausgesucht, weil er ihnen Schutz bietet, nicht nur vor dem gelegentlich stark auffrischenden Wind – sie haben Kaths Baby dabei –, sondern auch vor den Blicken einer Gruppe von Frauen, die jeden Tag den Strand bevölkern. Sie nennen diese Frauen die Monicas.
Die Monicas haben zwei oder drei oder vier Kinder pro Nase. Angeführt werden sie von der richtigen Monica, die über den Strand gelaufen kam und sich vorstellte, sobald sie Kath und Sonje und das Baby entdeckt hatte. Sie lud sie ein, sich dem Rudel anzuschließen.
Sie folgten ihr und schleppten die Babytragetasche mit. Was blieb ihnen anderes übrig? Aber seitdem verschanzen sie sich hinter den Baumstämmen.
Das Feldlager der Monicas besteht aus Sonnenschirmen, Badelaken, Windeltaschen, Picknickkörben, aufblasbaren Flößen und Walfischen, Spielsachen, Sonnenschutzmitteln, Kleidungsstücken, Sonnenhüten, Thermosflaschen mit Kaffee, Plastikbechern und -tellern und Kühlboxen, die hausgemachte Eislutscher aus Fruchtsaft enthalten.
Die Monicas sind entweder unverhohlen schwanger oder sehen so aus, als könnten sie schwanger sein, denn sie haben ihre Figur verloren. Sie watscheln ans Wasser und brüllen die Namen ihrer Kinder, die auf Baumstämmen oder den aufblasbaren Walfischen reiten oder gerade davon herunterfallen.
»Wo ist deine Mütze? Wo ist dein Ball? Du bist jetzt lange genug auf dem Ding gewesen, lass Sandy mal ran.«
Sogar wenn sie sich miteinander unterhalten, müssen sie trompeten, um den Lärm und das Geschrei ihrer Kinder zu übertönen.
»Wenn du zu Woodward’s gehst, da sind die Frikadellen so billig wie Hamburger.«
»Ich hab’s mit Zinksalbe versucht, aber die Wirkung war null.«
»Jetzt hat er einen Abszess in der Leiste.«
»Du darfst kein Backpulver nehmen, du musst Soda nehmen.«
Diese Frauen sind gar nicht viel älter als Kath und Sonje. Aber sie haben ein Lebensstadium erreicht, vor dem ihnen graut. Sie verwandeln den ganzen Strand in eine Plattform. Ihre Probleme, ihr zappeliger Nachwuchs, ihre mütterlichen Pfunde und ihre Lebenstüchtigkeit können alles zunichtemachen, das glitzernde Wasser, die traumhafte kleine Bucht mit den rotstämmigen Erdbeerbäumen und den Zedern, die krumm aus den hohen Felsen ringsum wachsen. Kath fühlt sich besonders von ihnen bedroht, denn sie ist jetzt selbst Mutter. Wenn sie ihr Baby stillt, liest sie oft ein Buch und raucht manchmal sogar eine Zigarette, um nicht im Schlamm des Animalischen zu versinken. Und sie stillt, damit ihre Gebärmutter schrumpft und ihr Bauch wieder flach wird, nicht nur, um das Baby – Noelle – mit den wertvollen mütterlichen Abwehrstoffen zu versorgen.
Kath und Sonje haben ihre eigenen Thermosflaschen mit Kaffee und ihre Badelaken, die sie schützend um Noelle drapiert haben. Sie haben ihre Zigaretten und ihre Bücher. Sonje hat ein Buch von Howard Fast. Ihr Mann hat ihr gesagt, wenn sie schon Romane lesen muss, dann wenigstens die von dem. Kath liest die Kurzgeschichten von Katherine Mansfield und die Kurzgeschichten von D.H. Lawrence. Sonje hat sich angewöhnt, ihr eigenes Buch hinzulegen und zu demjenigen zu greifen, das Kath gerade nicht liest. Sie beschränkt sich auf eine Kurzgeschichte und kehrt dann zu Howard Fast zurück.
Wenn sie Hunger bekommen, macht eine von ihnen sich auf den Weg und steigt die lange Holztreppe empor. Häuser umringen die Bucht, oben auf den Felsen zwischen den Kiefern und Zedern. Es sind ehemalige Ferienhäuser, aus der Zeit vor dem Bau der Lions Gate Bridge, als Leute aus Vancouver auf dem Wasserweg herkamen, um hier ihren Urlaub zu verbringen. Einige Häuschen – wie die von Kath und Sonje – sind immer noch ziemlich primitiv und billig zu mieten. Andere wie das der richtigen Monica sind ausgebaut worden. Aber niemand hat vor, hier lange zu bleiben; alle planen, in ein richtiges Haus zu ziehen. Bis auf Sonje und ihren Mann, dessen Pläne undurchsichtiger sind als die aller anderen.
Eine ungepflasterte Ringstraße verbindet die Häuser und mündet an beiden Enden in den Marine Drive. Sie umschließt eine Waldung, um deren hohe Bäume Farn und Brombeersträucher wuchern und die von zahlreichen Pfaden durchschnitten wird, auf denen man den Weg zum Supermarkt am Marine Drive abkürzen kann. Im Supermarkt holen Kath und Sonje sich immer Pommes zum Mitnehmen. Häufiger ist es Kath, die sich auf diese Expedition begibt, denn sie genießt es, unter den Bäumen zu laufen – etwas, was sie mit dem Kinderwagen nicht mehr kann.
Als Kath herzog, war Noelle noch nicht geboren, und sie benutzte fast täglich die Abkürzung durch den Wald, ohne über ihre Freiheit nachzudenken. Eines Tages lernte sie Sonje kennen. Beide hatten bis vor kurzem in der Stadtbücherei von Vancouver gearbeitet, allerdings nicht in derselben Abteilung, so dass sie nie miteinander ins Gespräch gekommen waren. Kath hatte im sechsten Monat der Schwangerschaft aufgehört, wie es von ihr verlangt wurde, damit ihr Anblick die Benutzer nicht verstörte, und Sonje hatte wegen eines Skandals aufgehört.
Oder zumindest wegen einer Geschichte, die in die Zeitungen gelangt war. Cottar, ihr Mann, ein Journalist bei einer Zeitschrift, von der Kath noch nie gehört hatte, war nach Rotchina gereist. Er wurde in den Zeitungen als linkslastig bezeichnet. Sonjes Foto erschien neben seinem, zusammen mit der Information, dass sie in der Stadtbücherei beschäftigt war. Man befürchtete, sie könnte dort kommunistische Bücher empfehlen und Schulkinder beeinflussen, die anschließend womöglich Kommunisten wurden. Niemand sagte, dass sie das getan hatte – nur, dass die Gefahr bestand. Auch verstieß es nicht gegen die Gesetze, wenn Kanadier China besuchten. Aber wie sich herausstellte, waren Cottar und Sonje US-Amerikaner, also ihr Verhalten unter Umständen sorgfältig geplant und umso bedenklicher.
»Ich kenne die Frau«, hatte Kath zu Kent, ihrem Mann, gesagt, als sie das Foto sah. »Wenigstens vom Sehen. Sie hat auf mich immer ziemlich schüchtern gewirkt. Das wird ihr peinlich sein.«
»Ach, kein Stück«, sagte Kent. »Die Sorte, die lieben das Gefühl, verfolgt zu werden, dafür leben die.«
Die Leiterin der Stadtbücherei hatte angeblich gesagt, Sonje hätte gar keine Gelegenheit gehabt, Bücher auszusuchen oder junge Menschen zu beeinflussen, sondern den größten Teil ihrer Zeit damit verbracht, Listen zu tippen.
»Was komisch war«, sagte Sonje zu Kath, nachdem sie sich erkannt und angesprochen und auf dem Waldweg eine halbe Stunde lang miteinander unterhalten hatten. Das Komische war, dass sie überhaupt nicht tippen konnte.
Sie war nicht entlassen worden, aber von sich aus gegangen. Sie fand es angebracht, da auf sie und Cottar in der Zukunft ohnehin Veränderungen zukamen.
Kath fragte sich, ob eine der Veränderungen ein Kind sein konnte. Für ihr Gefühl ging das Leben nach dem Schulabschluss als eine Reihe fortgesetzter Prüfungen weiter, die bestanden werden mussten. Die Erste war, zu heiraten. Wenn eine Frau das nicht mit spätestens fünfundzwanzig getan hatte, dann war diese Prüfung im Grunde nicht bestanden worden. (Sie unterschrieb stets mit »Mrs Kent Mayberry«, wobei sie Erleichterung und ein leises Hochgefühl verspürte.) Dann musste sie daran denken, das erste Kind zu bekommen. Ein Jahr zu warten, bevor sie schwanger wurde, war eine gute Idee. Zwei Jahre zu warten war ein bisschen vorsichtiger als nötig. Und drei Jahre brachten die Leute auf komische Gedanken. Dann ging es irgendwann weiter mit dem zweiten Kind. Danach lag der Weg zunehmend im Dunkeln, und es ließ sich schwer sagen, wo das Ziel lag und wann es erreicht war.
Sonje war keine von den Freundinnen, die erzählten, wie sehr sie versuchten, ein Kind zu kriegen, und wie lange sie es schon versuchten und welche Techniken sie benutzten. Sonje redete nie in dieser Weise über Sex oder über ihre Regel oder ihren Körper – obwohl sie Kath bald Dinge erzählte, die für die meisten Leute wesentlich schockierender gewesen wären. Sie besaß eine würdevolle Grazie – eigentlich hatte sie Balletttänzerin werden wollen, doch dann war sie dafür zu groß geworden, was sie immer bedauerte, bis sie Cottar kennenlernte, der sagte: »Ach, noch so eine höhere Tochter, die hofft, aus ihr wird mal ein sterbender Schwan.« Ihr Gesicht war breit, still, rosig – sie trug nie Make-up, Cottar war gegen Make-up –, und ihr kräftiges blondes Haar war zu einem buschigen Knoten gebunden. Kath fand, sie sah wundervoll aus – engelhaft und dabei intelligent.
Kath und Sonje essen am Strand ihre Pommes und sprechen über Personen in den Erzählungen, die sie gelesen haben. Wie kommt es, dass keine Frau Stanley Burnell lieben kann? Was hat Stanley an sich? Ein großes Kind ist er, mit seiner bedrängenden Liebe, seiner Gier bei Tisch, seiner Selbstzufriedenheit. Wohingegen Jonathan Trout – ach, Stanleys Frau Linda hätte Jonathan Trout heiraten sollen, Jonathan, der durchs Wasser glitt, während Stanley planschte und prustete. »Sei mir gegrüßt, meine himmlische Pfirsichblüte«, sagt Jonathan mit seiner samtigen Bassstimme. Er verfügt über Ironie, er ist feinsinnig und elegisch. »Die Kürze des Lebens, die Kürze des Lebens«, sagt er. Und Stanleys dreiste, laute Welt fällt entlarvt in sich zusammen.
Etwas macht Kath zu schaffen. Sie kann nicht darüber reden oder darüber nachdenken. Ist Kent so ähnlich wie Stanley?
Eines Tages geraten sie in Streit....
Erscheint lt. Verlag | 25.5.2016 |
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Nachwort | Manuela Reichart |
Übersetzer | Heidi Zerning |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Abschied • Anspruchsvolle Literatur • Ehemann • Erzählung • Familie • Frauen • Kanada • Kurzgeschichten • Munro • Nobelpreis • Nobelpreisträgerin • schönste Erzählungen • Untreue • Veränderung • Weltliteratur |
ISBN-10 | 3-10-403671-3 / 3104036713 |
ISBN-13 | 978-3-10-403671-7 / 9783104036717 |
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