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Babylonische Wandrung oder Hochmut kommt vor dem Fall (eBook)

(Fischer Klassik PLUS)
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
736 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-403814-8 (ISBN)
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Döblins großer Exilroman Seit den Psalmen und Ovids ?Tristia? wird vom Exil in der Regel im traurig-elegischen Ton erzählt. Döblins ?Babylonische Wandrung? ist eines der herausragenden Beispiele dafür, dass vom Exil auch mit Witz und Humor erzählt werden kann. Es ist die turbulent-pikareske Geschichte von Konrad, dem hochmütigen babylonischen Gott, der seinen Thron verlassen und sich auf der Erde durchschlagen muss, weil er »Konkurs« gegangen ist. Mit einem Nachwort von Moritz Wagner

Alfred Döblin, 1878 in Stettin geboren, arbeitete zunächst als Assistenzarzt und eröffnete 1911 in Berlin eine eigene Praxis. Döblins erster großer Roman erschien im Jahr 1915/16 bei S. Fischer. Sein größter Erfolg war der 1929 ebenfalls bei S. Fischer publizierte Roman ?Berlin Alexanderplatz?. 1933 emigrierte Döblin nach Frankreich und schließlich in die USA. Nach 1945 lebte er zunächst wieder in Deutschland, zog dann aber 1953 mit seiner Familie nach Paris. Alfred Döblin starb am 26. Juni 1957.

Alfred Döblin, 1878 in Stettin geboren, arbeitete zunächst als Assistenzarzt und eröffnete 1911 in Berlin eine eigene Praxis. Döblins erster großer Roman erschien im Jahr 1915/16 bei S. Fischer. Sein größter Erfolg war der 1929 ebenfalls bei S. Fischer publizierte Roman ›Berlin Alexanderplatz‹. 1933 emigrierte Döblin nach Frankreich und schließlich in die USA. Nach 1945 lebte er zunächst wieder in Deutschland, zog dann aber 1953 mit seiner Familie nach Paris. Alfred Döblin starb am 26. Juni 1957.

Verhör des Flüchtlings, schreckliche Neuigkeiten von der Erde, ein Fluch von unbekannter Seite.


Der struppige Herr raffte seinen Rock, kletterte auf seinen Thron, setzte sich geängstigt, doch großartig in die Mitte und wollte mit einer geschwollenen Phrase beginnen. Da kam ihm Georg zuvor und fragte sehr ruhig: »Na wie gehts denn, Konrad? Nichts im Magen, was?« Der Fuchs zwinkerte gutmütig dem da oben zu. Der brüllte: »Sprich nicht, ohne daß man dich fragt. Hier ist Gericht. Was hast du getan, was treibst du in unserer Welt, unverbesserlicher Schuft?« »Was soll man tun? Man lebt.« »Und?«

»Die Sonne tönt nach alter Weise in Brudersphären Wettgesang und ihre vorgeschriebene Reise vollendet sie mit Donnergang.«

Konrad verstand kein Wort. Er winkte einen der Abgesandten von der Tür her: wo sie ihn gefunden hätten? »Er hat auch geschlafen, in einem fürchterlichen Müllhaufen.« Der Weltenherr staunte, schrie aber den Fuchs an: »Du bist ausgerissen.« »Stimmt, Stimmung.« »Also es stimmt.«

Der Gott war außer sich und höchst beklommen: »Was ist mit dem? Er ist verrückt.«

Darauf gab es ein langes stummes gegenseitiges Beschnüffeln, Begaffen, wütend von seiten Konrads, gemäßigt und trostvoll von Seiten des Fuchses. Der Bote mußte auf ein Kopfnicken Konrads wieder hinaus. Und jetzt scholl die Halle von einem Geräusch, das sie nie gehört hatte, von dem unverschämten Lachen des Fuchses. Der hatte sich auf seine langen dünnen Hinterbeine gestellt, nur Fell und Knochen war er, sein langer Körper schwankte, er stand Konrad gegenüber, der auf seinem Thron zurückgefallen war und lachte. Er lachte böse, hohnvoll, rachsüchtig. Er lachte so lange, bis er den alten Herrscher, das zusammengeschrumpfte Äffchen oben zittern und die Hände falten sah. Dann drehte er sich um und lachte gegen die Wände und Säulen. Dann hob er den struppigen Kopf und sank vor Vergnügen nieder beim Anblick der staubigen verbogenen Sternbilder.

Er lief einmal im Kreis im Saal herum, biß in die Säule, an die er einmal gefesselt war. Er sprang in die Höhe, um ein Sternbild zu schnappen, sprang zu kurz. Eins fiel von selbst herunter, und da zerkrallte er das Blechzeug und rollte es wonnig wütend über den Boden. Jetzt bellte er und trabte quer durch die Halle auf den Alten zu, der sich in eine Ecke des Throns verkroch. Konrad wagte nicht nach seinem Stock zu greifen. Der Fuchs knurrte den Stab an, biß hinein, der Stab ließ es sich gefallen, im Maul hielt der Fuchs dem erschrockenen Weltenherrn den Stock hin, der weiße Speichel lief ihm aus den Mundwinkeln, seine Augen funkelten vor Grimm. Und weil der oben sich nicht bewegte, ließ der Fuchs den Stock fallen, kroch vorsichtig die sechs Stufen zu dem Thron hinauf, beschnupperte Konrads herunterhängenden Göttermantel, riß einen Fetzen daraus. Konrad fuhr hoch: »Was tust du, Fuchs?« Der stellte sich auf den Hinterbeinen auf, schlug mit den Vorderpfoten auf den dürren Arm des Alten, der Speichel des Fuchses fiel auf Konrads Schoß, er gab dem Alten noch einen Schlag auf den Arm. Dann setzte er sich neben den Thron an Konrads Seite. Er legte den Kopf sich zwischen die Füße: »Es war die Begrüßung, die Einleitung. Das war zwischen uns beiden.« Konrad stöhnte: »Jetzt gehst du weiter, du Strolch.« »Noch immer das Hofzeremoniell. Das war nur unsere Privatabrechnung. Die Hauptsache kommt erst. Du wirst bald eine Neuigkeit hören. Dann wirst du nicht mehr Wert auf Zeremoniell legen.«

Konrad ließ die Beine herunter: »Was gibts?«

»Zunächst dich! Erlaube erst, daß ich mich erhole. Ich staune noch. Aber du mußt nicht glauben, du bist bloß dafür aufbewahrt. Man hat etwas mit dir vor. Jawohl, mein Lieber. Was du angerichtet hast, scheint alles zu übersteigen, was man sich ausdenken kann. Es wollen noch andere mit dir abrechnen. Darum ist etwas über dich verhängt.«

Die geborstene Säule. Jetzt klammerte er sich an die Lehne mit seinen kurzen Fingern: »Was?«

»Immer langsam. Wir haben Zeit, viel Zeit. Ich habe dir eine Botschaft zu bringen. Ich wollte sie dir schon lange ausrichten. Aber ich war behindert. Damals, du weißt, sind hier nach und nach die Opfer ausgeblieben. Ihr seid schwach geworden. Das Wedeln mit den Ohren hat Euch nichts genutzt, Ihr hättet die Ohren auch manchmal zum Hören benutzen sollen. Ich war Hunger gewöhnt. Als Ihr wie die Fliegen umfielt, konnte ich mich von der Säule losreißen. Ich hätte Euch ohne weiteres alle umbringen können. Ich hatte mehr zu tun. Das Haus krachte in allen Fugen. Es war ein Erdbeben, ein Himmelbeben. Ich machte mich jedenfalls aus dem Staub. Ich dachte, an Euch bleibt nichts ganz. Ich flog ab. Was es draußen gab, wirst du ja noch erleben. So was von Überlebtheit, mein Herr, wie Euch gibt es nirgends. Ich sage dir, Konrad, ein 200 jähriger Elefant ist gegen Euch ein Säugling, ein Greis ist mit Euch verglichen überhaupt noch nicht geboren. Ich kam auf die Erde. Da merkte ich allerhand, was mit Euch zusammenhängt, genauer mit dir, ein Gerede. Und dann Konrad, bin ich einem Fluch auf die Spur gekommen, der über dich und über Babylon ausgesprochen ist. Ein fürchterlicher Fluch, Konrad. Ihr sollt runter. Wir sollen alle runter. Wir sollen nicht sterben. Wir sollen erst am eigenen Leibe erfahren, was wir angerichtet haben. Darum sollen wir Menschen werden. Es ist Rache, Konrad, Gerechtigkeit. Ich war außer mir, als ich es hörte. Ich dachte mir, so wild haben wir es doch nicht getrieben. Aber jetzt, wo ich dich alten Verbrecher mit deinem Lumpenpack sehe, muß ich schon sagen, daß hier etwas notwendig ist.«

Konrad stöhnte: »Ich versteh nichts. Es muß ein Mißverständnis vorliegen. Was haben wir denn getan?«

»Die Flüche auf dich haben einen unglaublich robusten Text. Der Berg des Verderbens soll über dich kommen, weil du die ganze Erde verderbt hast. Die Quellen deines Landes sollen versiegen, Babel soll zum Trümmerhaufen werden, zur Behausung der Schakale, zum Entsetzen und Gespött, zur menschenleeren Stätte. Ein Land der Dürre und Steppe soll es werden. Die breiten Mauern Babels sollen bis auf den Grund zerstört, seine hohen Tore verbrannt werden. Du wirst der Heimsucher genannt, der Doppeltrotz, das Entsetzen der Völker. Du heißt Krieg und Verderben. Der Text stammt von einem gewissen Jeremias. Ich zitiere die Übersetzung von Luther.«

Konrad schüttelte sich und riß die Augen auf: »Ich kenne die Leute überhaupt nicht. Wer ist denn das? Wie kann man so etwas über mich sagen. Ich hoffe, Georg, du hast die Beschuldigungen zurückgewiesen.«

»Babylon ist durch dich zu einem gräßlichen Bild der Gewalt, der Tobsucht, des Mordes und des Schreckens geworden. Du hast Babylon zur Furcht und zum Angsttraum aller Menschen gemacht. Es ist das Bild der Zügellosigkeit, der Wüstheit und der Prasserei geworden. Wo der freche Hochmut triumphiert und wo die Menschenverachtung stolziert, nennt man deinen Namen. Ihr seid das scheußliche Bild der tierischen Gemeinheit und der glatten Bestialität geworden.«

Konrad schlug die Hände zusammen, die Augen quollen ihm vor, er keifte: »Eine Gemeinheit ist das. Daß ich mir solche Frechheiten anhören muß. Ich habe regiert, Ordnung geschaffen, befohlen. Ich werde gegen die Leute vorgehen.«

»Mein Lieber, dein Geschrei kommt zu spät. Man kennt dich vollkommen, bis auf die Nieren. Die Menschen und die Völker, die du heimsuchtest, sind verschmachtet, als sie in ihren Städten Speisen suchten, um ihr Leben zu fristen. Sie starben, denn sogar die Luft über ihnen war verpestet. Schakale haben ihre Brust entblößt, um menschliche Kinder, deine Opfer, zu säugen. Die Kinder liefen in Scharen auf die Landstraßen um Brot. Sie fielen wie Heuschrecken über die Felder her und zerbissen grünes Gras. Sie zerrieben die Borken von den Bäumen, um sich den Mund zu füllen. So hast du gewütet. Das hat dein Schwert, das nicht ruhen wollte, deine Grausamkeit gemacht. Die zarten Töchter sind verzweifelt und haben Menschen angefallen, wild wie die Strauße in der Steppe.«

»Das war nicht ich, Georg. Glaub es mir. Ich weiß davon nichts. Ich saß hier oben. Du mußt es doch wissen.«

»Es waren deine Könige, Gewaltherrscher, Unterdrücker, deine Priester. Was du oben machtest, machten sie unten. Keiner wäscht dir das ab. Und weil das so ist, so soll an dir die Schuld heimgesucht werden. Du Untier der Gewalt, dein Hochmut soll gefällt werden!«

»Das sind furchtbare Übertreibungen, Georg. Es ist ja entsetzlich.«

»Weine nicht, es nützt nichts mehr. Was du angerichtet hast, wirst du erfahren. Es steht dir bevor. Weil du die Gewalt besaßt, hast du geglaubt, dich der Verantwortung entziehen zu können. Aber die Gerechtigkeit ist stärker als du. Wenn du kommen wirst und die Menschen dich erkennen, werden sie in Jubel ausbrechen, wie du lang ausgestreckt daliegst, du Drache, Bösewicht, gefräßiges Haupt der Bösen.«

»Das hast du wohl alles auswendig gelernt, du Schuft?«

»Ich leugne nicht. Die Sprache hat Wucht, man behält sie gut, ein einprägsamer Stil. Ich wollte es dir schon lange überbringen, aber ich blieb liegen. Die Gerechtigkeit, mein Lieber, kennt kein Ende, trotz allem was dagegen spricht.«

Konrad zog die Beine wieder an, kroch in seine Ecke, hielt sich die Fäuste vor die Augen, die voll Wuttränen standen. Und in ihm war die Erinnerung wach an seine ehemalige Riesenmacht, an die Scharen, die er kommandierte, an seine grandiosen Schlachten, an die Könige, die ihm dienten, die vor der Sündflut von Sutaru Larsa bis Surupat 200000 Jahre lang, die nach der Sündflut von Kis, Uruk, Dandikassu, Chaldäa. Ich habe ihnen befohlen mir zu opfern, dazu sind sie ja...

Erscheint lt. Verlag 27.4.2017
Reihe/Serie Fischer Klassik Plus
Nachwort Moritz Wagner
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Exilroman • Humor • Witz
ISBN-10 3-10-403814-7 / 3104038147
ISBN-13 978-3-10-403814-8 / 9783104038148
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