Und über uns die Sterne (eBook)
288 Seiten
Francke-Buch (Verlag)
978-3-86827-826-2 (ISBN)
Irma Joubert lebt in Südafrika. Sie war 35 Jahre lang Lehrerin und fing nach ihrer Pensionierung mit dem Schreiben an. In ihrer Heimat und den Niederlanden haben sich ihre historischen Romane zu Bestsellern entwickelt und sind mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden.
Irma Joubert lebt in Südafrika. Sie war 35 Jahre lang Lehrerin und fing nach ihrer Pensionierung mit dem Schreiben an. In ihrer Heimat und den Niederlanden haben sich ihre historischen Romane zu Bestsellern entwickelt und sind mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden.
1. Kapitel
Eines Sonntags erklärt Kate am Mittagstisch: „Daddy, Mama, mit dem theoretischen Teil meiner Arbeit bin ich nun fertig – jedenfalls habe ich alles aufgeschrieben, was ich in diesem Stadium zu Papier bringen kann. Nun ist es an der Zeit, dass ich mit den Feldforschungen beginne.“
Auf diesen Augenblick hat sie sich gut vorbereitet und sagt ihr Verslein mit so viel Nachdruck wie möglich auf. Jetzt wartet sie auf die Reaktionen ihrer Familie.
Susan Woodroffe ist eine hübsche Frau um die fünfzig – ja sie ist von einer geradezu blendenden Schönheit. Sie ist schlank und zwischen ihren goldblonden Locken sind nur vereinzelte silbrig schimmernde Strähnen zu entdecken. Während sie ihre Tochter anschaut, werden ihre blauen Augen noch größer. Dann richtet sie ihren Blick auf ihren Mann, der am Kopfende der langen, edlen Holztafel sitzt.
Kate gegenüber haben Peter und Diana mit ihrem ältesten Töchterchen Platz genommen – in einem anderen Raum kümmert sich das Kindermädchen um das Baby der Familie. Peter ist seiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. In seinen blauen Augen kann Kate Verzweiflung erkennen. Nur zu gut weiß sie, was er von ihren Plänen hält, und sie ahnt auch, dass er sie gleich nach dem Essen zur Rede stellen wird. Sie ist jedoch ebenso sicher, dass er diesen Streit auf keinen Fall gewinnen wird – schließlich weiß sie ganz genau, wie sie mit ihrem älteren Bruder umgehen muss.
Diana tut so, als hätte sie nichts gehört, sie ist zu sehr damit beschäftigt, das Gemüse für Britney in kleine Häppchen zu schneiden und sie zu füttern.
Direkt neben Kate sitzt Duncan. Zu ihm schaut sie lieber nicht. Denn wenn sie ihm in die Augen sähe, würde das Ganze noch schwieriger werden, als es ohnehin schon ist.
John Woodroffe blickt als Letzter auf. Erst als er seinen Bissen zu Ende gekaut und sich sorgfältig die Mundwinkel mit seiner Serviette abgewischt hat, sieht er schließlich Kate geradewegs an. Seine dicken, grauen Haare glänzen im Sonnenlicht, das durchs Fenster fällt. An seinen dunklen Augen, die sie durch Brillengläser hindurch ansehen, lässt sich nichts ablesen. Er fragt einfach nur: „So?“
So viel hat Kate schon gelernt: Schweigen ist jetzt die schärfste Waffe. Schließlich hat sie auch schon alles gesagt, was sie sagen wollte.
Peter ist der Erste, der das Wort ergreift. „Jetzt ist nicht der beste Zeitpunkt für so etwas“, erwidert er geduldig. „Wir haben auch so schon genug Schwierigkeiten.“
„Mit dem Bergwerk?“, fragt Susan bekümmert. Nun schaut sogar Diana auf.
„Es ist nichts wirklich Ernstes“, winkt John ab. „Nur die üblichen Lohnforderungen der Arbeiter.“
„Aber verstehen die denn nicht, dass wir im Jahr 1932 leben, mitten in der Weltwirtschaftskrise?“, entgegnet Susan.
„Wenn es nach ihnen geht, ist das nur unser Problem“, antwortet Peter. „Es sind vor allem die weißen Minenarbeiter, die uns Schwierigkeiten bereiten. Und aufgrund von Hertzogs sinnlosen Gesetzen zur Arbeitsbeschaffung haben sie ihre Arbeitsplätze sicher.“
„Sie verdienen beinahe doppelt so viel wie die anderen Arbeiter“, mischt sich Duncan ins Gespräch. „Wenn Hertzog nicht endlich den Goldstandard fallen lässt …“
Durch das Fenster betrachtet Kate den grünen, schattigen Garten ihrer Mutter. Das Wasser im Schwimmbecken glitzert, der Tennisplatz im kühlen Schatten der Bäume ist sauber gefegt. Auch in diesem Gespräch geht es wieder nur um Politik, denkt sie, während ihr Anliegen wie ein Lufthauch aus dem Fenster verweht.
„Die Arbeiter fordern doch nur deswegen höhere Löhne, weil sie Hunger haben“, wirft sie ein.
Erstaunt sehen die drei Männer sie an.
„Hunger haben sie doch nur deswegen, weil sie das Geld, das sie verdienen, gleich wieder auf den Kopf hauen“, erwidert Duncan ruhig. „Schau dir mal an, wie sie leben: Jeden Freitagabend lassen sie sich volllaufen, den ganzen Samstag über haben sie nichts Besseres zu tun, als um Geld zu würfeln, und dann ist eben am Montag kein Essen mehr im Haus.“
„Genau das ist es, was ich gern herausfinden möchte!“, versucht Kate wieder den Faden vom Anfang des Gesprächs aufzunehmen.
„Du brauchst doch nur den Bericht der Carnegie-Kommission zu lesen, Kate“, entgegnet ihr Peter. Immer noch redet er so mit ihr, als wäre sie seine kleine Schwester, auf die er aufpassen müsse. „Die haben schließlich die Lage genau untersucht.“
„Aber nach den Ursachen, warum die Leute arme Weiße geworden sind, haben sie nicht geforscht. Und sie haben sich auch nicht für Lösungsmöglichkeiten interessiert“, spielt sie ihren Trumpf aus. „Die Kommission hat sicher gute Arbeit geleistet. Aber sie hat sich nicht mit den Problemen beschäftigt, die mich interessieren.“
„Was interessiert dich denn, Kate?“, will Duncan wissen. Er hat so eine ruhige Stimme, schön und tief. Jetzt muss sie sich schließlich doch zu ihm hindrehen und ihn ansehen.
Alles an Duncan ist tadellos. Seine dunklen Haare sind tadellos nach hinten gekämmt, sein Schnauzer ist tadellos gestutzt. Und darüber hinaus spricht er ein tadelloses Oxfordenglisch. Durch seine runde Brille mit Schildpattrahmen betrachten seine dunklen Augen sie ruhig. Doch sie sieht auch, dass er bekümmert ist. Sie hat geahnt, dass ihre Ankündigung ihm Kummer bereiten würde.
„In meiner Arbeit geht es um die Frage, warum es armen Menschen nicht gelingt, aus der Kultur der Armut auszubrechen“, erläutert sie zum so-und-so-vielten Mal. „Und das kann ich nur herausfinden, wenn ich mit den Betroffenen selbst rede, auf der untersten Ebene.“
„Du weißt ja gar nicht, worauf du dich da einlässt“, wirft Peter ein. „Das sind ganz andere Menschen als wir, Kate.“
„Nein Peter, das sind Menschen wie du und ich auch“, widerspricht ihm Kate kurz angebunden. „Ob du das nun wahrhaben willst oder nicht: Du bist genauso viel Afrikaner wie Engländer.“ Beim letzten Satz ist sie ins Afrikaans gerutscht.
„Ich verstehe nicht, was du damit andeuten willst“, erwidert Peter.
„Ich glaube, wir sollten unser Gespräch ein andermal fortsetzen“, sagt Kates Mutter in ihrer sanften, festen Weise. „Das schlägt einem sonst auf die Verdauung.“ Sie schaut Kate direkt an und spricht ebenfalls Afrikaans – was bedeutet, dass ihre Bemerkung vertraulich bleiben soll. Duncan hat mit Sicherheit kein Wort davon verstanden, Kate vermutet allerdings, dass ihr Vater nach all den Jahren sehr viel mehr Afrikaans versteht, als er sich anmerken lässt.
Freundlich lächelt Susan die Gesichter, die um den Tisch herum sitzen, an und läutet mit dem Kristallglöckchen. „Du kannst jetzt den Nachtisch auftragen, danke, Elias“, fordert sie auf Englisch den schwarzen Mann in der blütenweißen Livree auf.
Schweigend nimmt Kate ihr Dessert zu sich, doch um sie herum gehen die Gespräche ungehindert weiter. Schließlich sagt John Woodroffe: „Das war wunderbar, danke, meine Liebe. Können die Damen uns entschuldigen, wir würden uns gern zurückziehen, um eine Zigarre zu rauchen?“ Dabei verneigt er sich elegant in Richtung seiner schönen Frau.
Mein Vater ist unglaublich charmant und gut aussehend, denkt Kate – obwohl er schon über sechzig ist. Kein Wunder, dass meine Mutter vor mehr als dreißig Jahren ihr Herz an diesen Engländer verloren hat.
Draußen scheint die Sonne herrlich warm – es ist der erste warme Tag in dieser Jahreszeit. Allein schon deshalb, weil Kate weiß, dass die Kälte wieder zurückkehren wird, will sie die Sonnenstrahlen genießen.
Sie wendet sich Britney zu: „Kommst du mit mir schwimmen?“, fragt sie.
Das kleine Mädchen springt auf. „Yes, yes!“, ruft es fröhlich und rennt die Treppe hinauf, damit ihr das Kindermädchen den Badeanzug anziehen kann.
Bald schließen sich ihnen auch Peter und Diana an, Duncan bespricht wahrscheinlich noch etwas mit ihrem Vater. Die Augustsonne scheint zwar schon hell, das Wasser ist allerdings noch bitterkalt. Kate klettert aus dem Schwimmbecken heraus und trocknet sich Arme und Beine ab. Obwohl der Sommer noch nicht einmal richtig begonnen hat, ist ihre Haut schon goldbraun – das hat sie von ihrem Vater geerbt. Ihr Handtuch breitet sie auf dem Gras in der Sonne aus. Dann legt sie sich auf den Bauch, ihre langen, dunklen Haare kleben ihr auf dem Rücken. Sie spürt, wie ihr die Sonne angenehm auf die langen Beine brennt, die Schläfrigkeit des Sonntagnachmittags übermannt sie. Jetzt wird bald das Kreuzverhör losgehen, denkt sie noch, bevor sie von der Dämmerung umhüllt wird.
Nach einer Weile merkt sie, dass Duncan neben ihr sitzt. „Bist du eingeschlafen?“, fragt er sie.
Energisch schüttelt sie den Kopf. „Nun, ein bisschen schon“, lächelt sie ihn an.
„Schade. Ich muss jetzt gehen, Kate, aber ich hole dich heute Abend ab. So gegen sieben Uhr?“
Sie nickt. „Das passt gut. Wohin gehen wir?“
„Egal. Ich möchte nur reden“, antwortet er und steht auf.
Sie schaut ihm hinterher, während er über den saftig grünen Rasen geht. Seine Schultern sind straff und gerade, sein maßgeschneiderter Anzug schmiegt sich haargenau um seinen Oberkörper. Was fehlt mir nur?, wundert sie sich. Jedes andere Mädchen in Johannesburg würde über Leichen gehen, um von Duncan Stafford einen Antrag zu bekommen: Cambridge-Diplom, Finanzchef in einem der größten Bergbauunternehmen in der Stadt, galanter Begleiter bei jeder Gelegenheit. Und dazu noch der beste Freund ihres Bruders, und das...
Erscheint lt. Verlag | 26.10.2015 |
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Übersetzer | Thomas Weißenborn |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Ver wink die Suiderkruis |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Arm und Reich • Buren • Carnegie Bericht • Christlicher Roman • Liebesroman • Südafrika |
ISBN-10 | 3-86827-826-5 / 3868278265 |
ISBN-13 | 978-3-86827-826-2 / 9783868278262 |
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